Donnerstag, 26. Mai 2016

Fotoszene Mexiko


Nicht erst seit der Digitalisierung ist die Fotografie ein globales Medium. Schon kurz nach der Erfindung des Mediums im 19. Jahrhundert breitete sich das Medium von Europa aus auf der ganzen Welt aus. In einigen Regionen war diese Ausbreitung eng mit dem Kolonialismus verbunden, in anderen geschah dies unabhängig davon. In Lateinamerika erlangten viele Länder wie Mexiko schon relativ früh zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit, so dass sich die Fotografie dort weitgehend unabhängig von kolonialen Strukturen als lokales Medium etablieren konnte. Heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehört Mexiko zu einem der Länder Lateinamerikas mit einer der spannendsten Fotoszenen, in die ich an dieser Stelle einen kleinen Einblick geben möchte.

Eine der ältesten und bis heute wichtigsten Institutionen der Fotografie ist das „Centro de la Imagen“ in Mexiko-Stadt. Es befindet sich im Zentrum der Stadt neben den weitläufigen Anlagen der mexikanischen Nationalbibliothek in einem alten Kolonialgebäude. Nach mehrjährigen Renovierungsarbeiten hat das Haus im Herbst 2015 erneut seine Tore geöffnet. Die auch vorher schon großzügigen Ausstellungsräume wurden erweitert und eine „Fotomuro“ genannte Außenanlage dazugewonnen. Neben hochkarätigen Ausstellungen lokaler und internationaler Fotografen ist das Centro de la Imagen Zentrum zweier Fotofestivals: des „FotoMéxico“ und der „Bienal de Fotografía“. Während die „Bienal de Fotografía“ den Fokus ausschließlich auf die lokale Fotografieszene richtet, ist „FotoMéxico“ der internationalen Fotografie gewidmet.

Blick in den neuen Ausstellungsbereich "Fotomuro" des Centro de la Imagen

Einen Namen gemacht hat sich das "Centro de la Imagen" auch über seine Bildungsangebote. Vor allem das „Seminario de Fotografía Contemporánea“ – das seit kurzem unter dem Namen „Seminario de Produccion Fotografica“ läuft – hat in den letzten Jahren mehrere Dutzend mexikanische Fotografen die Form eines intensiven künstlerisch orientierten Projektstudiums ermöglicht. Damit wurde eine zentrale Lücke geschlossen, die von den eher technischen orientierten, meist privaten Fotoschulen des Landes hinterlassen wurde. Ebenfalls wichtige Impulse gehen vom zweijährig stattfindenden „Encuentro Nacional de Teoria sobre Fotografía“ aus. Hier wird der theoretischen Debatte über die lokale und internationale Fotografie ein wichtiges Forum geboten.

Unabhängige Initiativen

Erst im vergangen Herbst eröffnete das Fotomuseum „Cuatro Caminos“ seine Tore. Benannt ist es nach dem Stadtviertel, in dem es sich befindet und der dortigen Endstation der Metro. Gegründet und finanziert wird es von der privaten Stiftung von Pedro Meyer, einer der Koryphäen der mexikanischen Fotoszene. Meyer, Jahrgang 1935, war in einer Vielzahl von wichtigen Initiativen der mexikanischen Fotografie, unter anderem dem „Consejo Mexicano de Fotografía“, der von 1976 bis zu Beginn der 1990er Jahre eine wichtige Rolle spielte, bevor er 2007 seine eigene Stiftung gründete. Die Räumlichkeiten des „Fotomuseo Cuatro Caminos“ müssen sich kaum hinter denen des „Centro de la Imagen“ verstecken und bereichern die Stadt um einen exzellenten Ausstellungsort.

Blick in den Eingangsbereich des "Fotomuseo Cuatro Caminos"

Vor allem im Bereich der fotografischen Sammlungen nimmt die „Fundación Televisa“, die von der privaten Fernseh- und Mediengruppe „Televisa“ getragen wird, eine zentrale Stellung ein. Unter dem Namen „Fotográfica“ findet sich eine der größten Sammlungen historischer und zeitgenössischer mexikanischer Fotografie. Darüber hinaus fördert die Stiftung eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Initiativen im Bereich der Fotografie, darunter auch das Ausstellungsprojekt „Develar y Detonar“.

Auch sonst hat die freie Szene einiges zu bieten. Internationale Bekanntheit hat die private Galerie Patricia Conde erlangt, die ausschließlich fotografische Positionen in ihrem Portfolio hat und ihre Räumlichkeiten im bürgerlichen Viertel Roma hat. Sie vertritt bekannte lokale fotografische Künstler wie Flor Garduño oder Rodrigo Moya. Relativ neu auf dem Parkett ist die Initiative „La Hydra“, die unter anderem von Ana Casas Broda gegründet wurde, die lange Jahre am „Centro de la Imagen“ arbeitete. Hydra ist vor allem als Plattform aktiv, die eigene Weiterbildungsangebote entwickelt - wie einen Inkubator zum Fotobuch - oder kuratorisch wirkt, unter anderem in der Vorbereitung des Ausstellungsprojekts „Develar y Detonar“ im Jahr 2015.

Das Ausstellungsprojekt „Develar y Detonar“

Im Herbst 2015 wurde an drei verschiedenen Orten in Mexiko-Stadt die Ausstellung „Develar y Detonar.Fotografía en México ca. 2015“ gezeigt, die der Präsentation zeitgenössischer mexikanischer Fotografie gewidmet war. Über 50 fotografische Positionen waren zu sehen, die das Panorama von klassischen dokumentarischen Projekten bis hin zu künstlerischen Arbeiten spannten. Es war eine beispielhafte Kooperation zwischen den wichtigsten privaten und öffentlichen Institutionen im Bereich der Fotografie in Mexiko, wie „Fotográfica“ und der „Fundacion Televisa“ auf der einen und dem „Centro Nacional de las Artes“ und dem „Centro de la Imagen“ auf der anderen Seite. Das besondere an der Ausstellung ist, dass neben dem umfangreichen Katalog in Form eines Coffeetablebuchs das gesamte Projekt auch mit einer eigenen Onlinepräsenz an den Start ging. Dort sind zumindest Ausschnitte der einzelnen, zum Teil sehr umfangreichen Arbeiten zu sehen. Der Katalog überzeugt vor allem durch verschiedene Essays, die das Projekt und die gezeigten fotografischen Ansätze kontextualisieren.

Die Fotoszene abseits der Hauptstadt

Eine Schwierigkeit der mexikanischen Fotoszene besteht in den Auswirkungen der Zentralisierung des Staates die zur Folge hat, dass sich bis heute ein Großteil der kulturellen Initiativen in Mexiko-Stadt konzentrieren, wie es die eben geschilderten Beispiele aufzeigen. Es gibt jedoch einige Ausnahmen. So findet sich in der Stadt Pachuca im Bundesstaat Hidalgo, wenige Stunden nordöstlich der Hauptstadt gelegen, in einem alten Kloster im „Museo de la Fotografía“ die „Fototeca Nacional“. Dem nationalen Fotoarchiv sind viele lokale und regionale Fotoarchive angeschlossen, die jedoch oft in einem erbärmlichen Zustand sind, wie beispielsweise die „Fototeca Juan Crisóstomo Méndez“ in Puebla im Zentrum des Landes. Auf nationaler Ebene sind alle Foto-Archive im „Sistema Nacional de Fototecas“ (SINAFO) zusammengeschlossen.

Die SINAFO gibt auch die Zeitschrift „Alquimia“ heraus, die sich der Aufarbeitung lokaler Fotoarchive verschrieben hat. Aber nicht nur: Die Ausgabe 46 war zum Beispiel der zeitgenössischen mexikanischen Fotoszene gewidmet und bietet in Form eines Magazins zu einem geringen Preis einen tollen Überblick über eine Vielzahl unterschiedlicher fotografischer Ansätze der letzten Jahrzehnte.

Auch im Bundesstaat Oaxaca südwestlich der Hauptstadt befindet sich in der gleichnamigen Stadt ein Kleinod der mexikanischen Fotoszene, das „Centro Fotografico Manuel Álvarez Bravo“ (CFMAB). Gegründet wurde es 1996 vom international bekannten und aus Oaxaca stammenden Maler Francisco Toledo. Dass mit seiner Kunstkarriere verdiente Geld investierte er in lokale Initiativen und trug so mit dazu bei, dass Oaxaca heute ein Zentrum der zeitgenössischen Kunst- und Fotografieszene ist. Der Namensgeber Manuel Álvarez Bravo war einer der Pioniere der zeitgenössischen Fotografie in Mexiko. Im CFMAB werden Ausstellungen lokaler und internationaler Fotografen gezeigt. Dazu gibt es ein spannendes Bildungsprogramm aus Kursen und Veranstaltungen.

Publikationen und sprachliche Zugänge

Wie in vielen anderen Ländern der Welt gibt es auch in Mexiko einen boomenden Fotobuchmarkt. Auch wenn kleine Indepentinitiativen immer noch rar gesäht sind, gibt es einige sehr interessante Angebote. Einen guten Überblick geben beispielsweise die Publikationen der „Colección Luz Portatil“ die vom Verlag „Artes de Mexico“ herausgegeben wird. Das international bekannte Fotografiemagazin EXIT wird von einer mexikanisch-spanischen Initiative unter Leitung von Rosa Olivares herausgegeben. Die größte Relevanz für die mexikanische Fotoszene haben jedoch die Publikationen des „Centro de la Imagen“, sowohl die seit 1992 erscheinende, eher wissenschaftlich orientierte Zeitschrift „Luna Cornea“ als auch die seit 2013 existierende Reihe mit Essays über Fotografie.

Cover der Zeitschrift "Luna Cornea" und des Katalogs "Develar y Detonar"

Die Schwierigkeit des Zugangs zur mexikanischen Fotoszene besteht darin, dass sowohl die meisten Institutionen wie auch Publikationen ausschließlich dem spanischsprechenden Publikum offenstehen. Eine Ausnahme stellen Ausstellungskataloge der großen Institutionen dar, die entweder zweisprachig oder in spanischen und englischen Versionen erscheinen. Die Zeitschrift „Luna Cornea“ übersetzt immerhin einen Text jeder Auflage in Englisch. Leider verfügen jedoch selbst zentrale Institutionen wie das „Centro de la Imagen“ nicht über eine englische Version ihrer Webseite.


Die im Text genannten Institutionen sind im Text jeweils direkt verlinkt. Darüber hinaus findet sich auf diesem Blog bereits eine Kurzbibliographie zu mexikanischer Fotografie. Für Twitter-Nutzer bietet sich die Möglichkeit auf meinem Account @FKoltermann die Liste „Photography in Mexico“ zu abonnieren um regelmäßige Updates von den verschiedenen Institutionen zu bekommen. Ein ausführliches Interview mit der Leiterin des „Centro de la Imagen“, Itala Schmelz, über Fotografie in Mexico, erscheint in der Juli-Ausgabe der Zeitschrift Photonews.