Freitag, 16. Juli 2021

Rezension Julia Leeb - Menschlichkeit in Zeiten der Angst

Eine junge blonde Frau aus gutem Hause, die sich mit dem Fotoapparat auf den Weg in die Krisengebiete der Welt macht: Da ist der Weg zum Heldinnenmythos nicht weit, auch wenn anders als im klassischen Stoff der Literatur- und Kriegsfotografiegeschichte in diesem Fall der Held eine Frau ist. Vergegenwärtigt man sich, was die Münchnerin Leeb in den vergangenen Jahren erduldete, ist der Kommentar der Süddeutschen Zeitung auf dem Cover nur allzu passend: „Was sie schon alles erlebt hat, könnte gut für ein paar Leben reichen“. Die Frage ist jedoch, ob dies ausreichend ist, um daraus ein Buch zu machen und wie sich dieses im Diskurs über die Kriegsfotografie verorten lässt. 

Das Buch nimmt die Leser*innen in 14 Kapiteln über einen Zeitraum von sechs Jahren mit auf die Reise nach Nordafrika, Subsahara-Afrika, den Kaukasus und Nordkorea. Aufhänger und inhaltliche Klammer ist eine Reise nach Libyen. Dort entrinnt Julia Leeb im März 2011 nach einem Angriff auf ihr Auto bei einer Überlandfahrt nur knapp dem Tod. Ihr lokaler Guide hingegen kommt uns Leben. Das Buch endet mit einem Besuch seiner Familie im November 2011. Dazwischen springt Leeb hin und her zwischen ihrer Jugend und Reisen nach Ägypten, Nordkorea, Kongo, Transnistrien, Sudan und immer wieder nach Libyen. Als Ich-Erzählerin gibt sie uns Einblicke in diese Länder und erzählt von Begegnungen mit Menschen, gepaart mit autobiographischen Erzählteilen. Die Reisen unternahm sie entweder mit Jürgen Todenhöfer, als freie Journalistin auf eigene Faust oder auch als Touristin mit Freundinnen. 

Als zeithistorisches Dokument über Krisenregionen im ersten und zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts leben ihre Schilderungen vor allem von ihrer Erfahrung als Augenzeugin bei historischen Ereignissen, etwa auf dem Tahrirplatz in Kairo im Februar 2011, und vom Aufsuchen besonderer Orte abseits medialer Aufmerksamkeit wie den Nuba-Bergen im Sudan oder dem hermetisch abgeriegelten Regime in Nordkorea. Dazu kommen bezogen auf Ägypten vertiefte persönliche Kenntnisse des Landes, die sie dort während einer längeren Studien- und Lebensphase sammelt. In einem angenehmen und gut lesbaren Stil nimmt sie die Leser*innen mit, immer auf der Suche nach den persönlichen Geschichten. 

Darüber hinaus ist Leebs Buch aber auch eine Schilderung ihrer Erfahrung als Fotojournalistin. Immer wieder gibt es Bezüge, wo sie von einem Verlangen spricht, „die Geschehnisse in Bildern festzuhalten“. Dies ist zu Teilen recht pathetisch und plattitüdenhaft. Gleichzeitig leitet sie das Kapitel über die Arbeit als freie Journalistin mit den Worten ein „Mir ist das Etikett gleich. Ich will nur dokumentieren, was ich sehe“ und setzt ihre eigene Arbeit in Bezug zu bekannten Namen aus dem Krisenjournalismus. Über ihr journalistisches Handwerk erfährt man jedoch wenig, ihre Auftraggeber*innen bleiben nebulös und die Frauen, die sie als Unterstützerinnen benennt, arbeiten eher für Unternehmen oder als Beraterinnen. 

Das Fotografische findet sich jedoch nicht nur in ihren Schilderungen, sondern auch in knapp 50 den Text begleitenden Fotografien. Auffällig ist an diesen Fotografien, dass sie kaum etwas erzählen, was sie in großem Gegensatz zum Text zurücklässt. Dazu kommt, dass sie farblich an die Ästhetik von Instagramfiltern erinnern und fast durchgehend mit Vignettierungen versehen sind. Einzig die das Kapitel zum Kongo begleitenden Schwarz-Weiß Bilder haben etwas von einer Reportage und ermöglichen einen – wenn auch eingeschränkten – Einblick in das Leben der Menschen. Aber so ganz will das unstetige und zum Teil schnappschussartige der Bilder nicht ihrem formulierten Selbstverständnis als Fotojournalistin passen. Auch wenn man sich ihrem abschließenden Plädoyer für die Menschlichkeit kaum verweigern kann, bleibt man als Leser*in am Ende doch etwas ratlos zurück. Als Role-Model für Fotografinnen abseits des männlichen Heldenmythos und einen unabhängigen rechercheorientierten Journalismus taugen ihre Schilderungen jedoch nicht. 

Julia Leeb: Menschlichkeit in Zeiten der Angst - Reportagen über die Kriegsgebiete und Revolutionen unserer Welt; Erschienen: 18.01.2021; Suhrkamp Taschenbuch, Gebunden, 234 Seiten; ISBN: 978-3-518-47075-6 

Zuerst erschienen in Photonews Juli/August 2021