Mittwoch, 30. Dezember 2015

Das Jahr im Bild bei der FR


Würde man den Abgesang des Fotojournalismus einleiten wollen, es gäbe sich wohl kaum eine bessere Gelegenheit, als die immer wiederkehrenden Zusammenstellungen von Jahresrückblicken in Bildern um Weihnachten und Silvester durch deutsche Tageszeitungen. Meist wahllos und ohne Wissen über Fotografie und das journalistische Bild werden dafür Agenturfotografien miteinander kombiniert. Am Beispiel „Das Jahr im Bild“ der Frankfurter Rundschau soll dies hier kurz aufgezeigt werden.


Der Jahresrückblick im Bild bei der Frankfurter Rundschau

Die Frankfurter Rundschau publizierte ihre Serie zwischen dem 21.12 und 24.12. in den Rubriken Politik, Wirtschaft und Sport. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Themas Flucht im vergangenen Jahr, wurde extra die Rubrik Flüchtlinge dazugepackt. Die einzelnen Rückblicke wurden in der Mitte der Zeitung positioniert, was das Ausnutzen einer Doppelseite über die Falz hinweg ermöglichte. Die Bilder stammten allesamt von Agenturen, zur großen Mehrheit von der französischen Agentur AFP und der russischen Agentur rtr.

Schaut man sich die Übersicht an, so fallen mehrere Dinge auf. Zum einen bleibt unklar, was die Kriterien sind, nach denen die Bilder ausgewählt wurden. Die Vermutung liegt zwar nahe, dass es um die wichtigsten Ereignisse des Jahres geht. Aber da einige Ereignisse fehlen, kann dies nicht das zentrale Kriterium gewesen sein. Ebenso wenig kann die Prägnanz einzelner Bilder der Grund gewesen sein, da viele aus fotografischer Sicht mangelhaft sind. Es finden sich angeschnittene Personen oder nichtssagende Situationen.

Traurig an der Zusammenstellung ist, dass hier relativ viel Platz dem journalistischen Bild gewidmet wird, ohne dass dessen Qualitäten zum Tragen kommen können. Damit wird die Doppelseite zu einem gewissen Grad belanglos. Der viele Platz wird hier verschenkt. Was sich hier bemerkbar macht ist die Tendenz des Onlinejournalismus, Artikeln durch Bildergalerien Mehrwert zu verleihen. Auch dort sind es meistens wahllos kombinierte Bilder verschiedener Agenturen.

Was fehlt, ist Mut und eine Handschrift einer Bildredaktion, über eine besondere Bildauswahl oder die Konzentration auf bestimmte politische Aspekte oder eine oder mehrere Fotografen ein Statement zu setzen und dem qualitativ hochwertigen Fotojournalismus eine Chance zu geben. Vorbei sind die  Zeiten, als die FR in ihrem Magazin jede Woche neue Fotografen vorstellte, die Ute Noll als Bildredakteurin ausgewählt hatte. Da hatte die Fotografie eine Glanzstunde im Zeitungsjournalismus, die bis heute unerreicht ist.

Dienstag, 29. Dezember 2015

Aktuelle Artikel aus dem Herbst


Hier finden sich kurze Teaser zu den Artikeln und Interviews, die von mir im November und Dezember im Neuen Deutschland, bei der Deutschen Welle und bei Qantara veröffentlicht wurden, inklusive der Verlinkungen zu den vollständigen Artikeln.


Der "Jerulin-Prozess"

Vor zwei Jahren verließ Guy Briller Jerusalem und zog nach Berlin. Ich habe mit ihm über seine umfangreiche künstlerische Tätigkeit in der Heiligen Stadt, seine neuen Erfahrungen in Berlin und über Fragen der Zugehörigkeit gesprochen.

FK: Guy Briller, Sie haben viele Jahre lang in Jerusalem gelebt, und mit Ihren Kunstprojekten eine tiefe Verbindung zu diesem Ort geschaffen. Warum ist die Stadt für Sie so interessant?
Guy Briller: Eins der Dinge, die mich bei meinen Beobachtungen über Jerusalem so inspiriert haben, war das Missverhältnis zwischen Versprechen und Wirklichkeit. Die Essenz des Wortes "Jerusalem" auf Hebräisch ist "Eins" oder "Einheit". Also ist das Versprechen der Stadt sehr groß. In gewissem Sinne ist hier der Monotheismus stärker und bedeutsamer präsent als anderswo auf der Welt. Es ist einer der Orte, die es uns ermöglichen nachzudenken, in denen ich mich als "ich selbst" sehen kann, als "Eins". Die Wurzel dessen liegt irgendwo im uralten Mythos des Judentums verborgen, und danach im Christentum und im Islam. Aber die Wirklichkeit ist fast genau das Gegenteil. Diese Gegensätzlichkeit hat mir ein enormes Aktionsfeld eröffnet – die Möglichkeit, Wege zu beschreiben, auf denen man das Offensichtliche durchbrechen und sehen kann, was sich dahinter verbirgt.

Das vollständige Interview wurde am 18.12. auf Qantara veröffentlicht.


Die unbeugsamen Frauen von Kabul

Das Berliner Willy-Brandt-Haus zeigt noch bis Mitte Januar die Ausstellung "Die Unbeugsamen - Vier Frauen in Kabul" der deutsch-afghanischen Fotografin Lela Ahamadzai. Für die Deutsche Welle habe ich mit Ihr über ihre schwierige Arbeit am Hindukusch gesprochen.

DW: Bilder aus Afghanistan in deutschen Medien zeigen meist Krieg und Gewalt. Welches Bild möchten sie mit ihrer Arbeit vermitteln?
Lela Ahmadzai: Ich fotografiere seit 2003 in Afghanistan. Ich zeige ungern blutige Szenen oder Bilder von Frauen mit Burka. Als Klischeebild wird das zwar immer wieder angefragt, aber ich vermeide, diese Erwartungen zu bedienen. Ich habe selbst den Krieg erlebt und weiß, dass nicht ständig Bomben und Raketen explodieren. Durch meine Langzeitdokumentationen kann ich ein anderes Bild zeigen und etwas über das Leben der Menschen erzählen.

Das vollständige Interview wurde am 30.11.2015 bei DW Online veröffentlicht.


Spuren des Vergangenen

Es ist eines der Themen mit der größten politischen Sprengkraft in Israel: die Auseinandersetzung mit dem ersten arabisch-israelischen Krieg aus palästinensischer Perspektive. Was für die Israelis bis heute als der heroische Unabhängigkeitskrieg firmiert, wird im palästinensischen Narrativ als »Naqba«, große Katastrophe, bezeichnet. Damit wird auf die Zerstörung Hunderter Dörfer und die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser aus ihrer Heimat in den Jahren 1948 und 1949 Bezug genommen. Der US-amerikanische Fotograf Fazal Sheikh hat dies zum Thema seiner Arbeit gemacht und unter dem Titel »Erasure« dazu ein Fotobuch im Göttinger Steidl-Verlag veröffentlicht.

Der vollständige Artikel ist am 3.11.2015 im Neuen Deutschland erschienen.


Mittwoch, 23. Dezember 2015

Foto-Archive in Israel/Palästina


Der israelisch-palästinensische Konflikt spielt sich nicht nur im alltäglichen Leben der Menschen in der Region ab, sondern auch in der Auseinandersetzung zweier konkurrierender Meta-Narrative bzw. nationaler Erzählungen. Ein wichtiger Pfeiler dieser Narrative ist die kollektive Erinnerung. Eine zentrale Rolle in der kollektiven Erinnerung spielen historische Fotografien und vor allem deren gezielter Einsatz bzw. das gezielte Nutzen zur Untermauerung bestimmter politischer Positionen in der Erinnerung. In diesem Zusammenhang ist eine zentrale Frage, aus welchen Quellen sich die historischen Fotografien speisen und wer heute die Verfügungsgewalt über die Archive und damit die historischen Fotografien hat. 

Es gibt eine ganze Reihe von Archiven mit historischen Fotografien aus der Region, die auch im Internet zugänglich sind. Am besten sortiert und am umfangreichsten sind die Archive zionistischer Organisationen wie der World Zionist Organization (WIZO) oder des jüdischen Nationalfonds (JNF). Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass seit der Gründung dieser Organisationen Fotografen in deren Namen tätig waren, um die Umsetzung des zionistischen Projekts zu dokumentieren. Ein anderes wichtiges und ebenfalls sehr politisches Archiv ist die National Photo Collection, die vom Presseamt der israelischen Regierung, dem Government Press Office (GPO) in Jerusalem verwaltet wird. Neben den Fotografien der Pressefotografen der israelischen Regierungen finden sich hier die Nachlässe bedeutender israelischer Fotografen wie Zoltan Kluger.

Neben den Archiven der zionistischen Organisationen und des israelischen Staates existieren auch umfangreiche private Sammlungen, die ebenfalls online zugänglich sind. Die umfangreichste und bekannteste Sammlung, die vor allem kommerziell genutzt wird, ist unter dem Namen „The Photo House“ bekannt und vermarktet Bilder des Tel Aviver Fotostudios von Rudi Weissenstein. Seit Mitte der 1930er Jahre dokumentierte er das Leben in der Mittelmeermetropole und dem Jishuv. Verschiedene private Fotosammlungen sind auch über die israelische Nationalbibliothek zugänglich.

Weniger umfangreich und weniger gut sortiert sind Archive auf palästinensischer Seite. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Fotografie historisch gesehen auf Seiten der Palästinenser eine weniger große Rolle spielte als im zionistischen Projekt und zum anderen damit, dass das Projekt der Errichtung eines palästinensischen Staates bis heute in den Kinderschuhen steckt. Am systematischsten wurde das Leben der Palästinenser von den Fotografen des Hilfswerks der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) dokumentiert. Seit wenigen Jahren wird deren Archiv systematisch digitalisiert. Einige Werke palästinensischer Fotografen finden sich auch im Archiv der Arab Image Foundation aus dem Libanon. Die in Ramallah ansässige gemeinnützige Organisation Al-Qattan Foundation plant im Rahmen des von zu errichtenden Kunstmuseums auch ein Archiv palästinensischer Fotografie aufzubauen.

Bis heute gibt es nur wenig Forschung über die Bedeutung fotografischer Archive in der kollektiven Erinnerung der Israelis und der Palästinenser sowie die politische Verwertung der Bilder zur Unterstützung des jeweiligen Narrativs. Unbestreitbar ist sicherlich, dass die Archive politisch gelesen werden müssen. In einem der wenigen Aufsätze zum Thema schreibt die israelische Kuratorin Rona Sela über die zionistischen Foto-Archive auf der Plattform Ibraaz: „These archives are not neutral and are connected to a national ideological system that loads them with meaning and a Zionist worldview“. Es besteht insofern ein großes Ungleichgewicht, als dass es auf Seiten der Palästinenser sehr viel weniger umfangreiche Fotografie-Archive gibt. Hier Bedarf es in Zukunft großer Anstrengungen diese aufzubauen.






Montag, 2. November 2015

Ereignis- und Medienrealität im Fotojournalismus


Vor kurzem las ich in Vorbereitung eines Seminars erneut einen Text des Kommunikationswissenschaftlers Hans-Matthias Kepplinger, der sich mit unterschiedlichen Formen von Ereignissen im Journalismus beschäftigt*. Seine Unterscheidung von Ereignis- und Berichtsebene sowie die Herleitung der drei Ereignisformen genuin, mediatisiert und inszeniert, nutze ich seit einiger Zeit in Seminaren und Workshops, die sich kritisch mit Fotojournalismus und massenmedialer Bildberichterstattung beschäftigen. An dieser Stelle möchte ich der Frage nachgehen, was es heißt, die drei Ereignisformen auf den Fotojournalismus zu übertragen und eine Diskussion darüber anregen.

Dabei steht im Vordergrund die Frage, was es für das fotografische Abbild eines Ereignisses bedeutet, ob das Ereignis selbst ein genuines, mediatisiertes oder inszeniertes Ereignis war. Denn verkürzt könnte man annehmen, dass eine Fotografie eines inszenierten Ereignisses damit auch eine inszenierte Fotografie ist, also nicht nur das Dargestellte sondern auch die Darstellung inszeniert sind. Genau das ist meiner Ansicht nach ein Trugschluß. Eine der zentralen Normen im Fotojournalismus ist die Authentizitätsnorm. Sie ergibt sich aus der Augenzeugenschaft des Fotojournalisten bzw. der Fotojournalistin und besagt, dass von Seiten des Fotojournalisten bzw. der Fotojournalistin kein Eingriff in die Bildsituation erlaubt ist. Darüber hinaus soll das Bild fotografisch so umgesetzt werden, dass ein natürlicher Bildeindruck entsteht. Gleichzeitig sind auch im Fotojournalismus inszenierte Fotografien erlaubt, beispielsweise bei einem Porträt, wo der Fotograf die Fotografierten dirigiert.

Was dies in der Praxis heißt, möchte ich an einem Beispiel vom Jahresbeginn  veranschaulichen. Dabei geht es zum einen um die Frage, was inszeniert ist, das Ereignis oder die Fotografie und zum anderen die Rolle der darin involvierten Akteure. Am Rande einer Solidaritätsdemonstration für Charlie Hebdo nach dem Terroranschlag auf die Redaktion, kamen Dutzende Staats- und Regierungschefs nach Paris. Am Rande der Demonstration gab es in einer Seitenstrasse einen Fototermin für die Presse, wo sich die Staatslenker in einer geschlossenen Reihe den Fotografen zeigten. Die Fotografen lichteten das Ereignis so ab, wie es die Presseabteilung geplant hatte**. Trotzdem allem handelt es sich in diesem Fall um ein genuines Nachrichtenbild eines inszenierten Ereignisses, da der Fotograf bzw. die Fotografin nicht in das Geschehen eingegriffen haben bzw. eingreifen konnten. Hier wird sehr schön auch die Unterscheidung zwischen Dargestelltem und Darstellung deutlich. Inszeniert war das Dargestellte, nicht die Darstellung***. Als inszenierte Fotografie wäre das Bild dann zu bezeichnen gewesen, wenn die Inszenierung der Situation vom Fotografen ausgegangen wäre, als manipulierte Fotografie, wenn der Fotografie den Bildinhalt digital verändert hätte.

Einige mögen diese Darlegungen möglicherweise als intellektuelle Spitzfindigkeiten abtun, oder darin analytische Spielchen sehen. Dem möchte ich jedoch vehement widersprechen. Meiner  Ansicht nach haben wir es zunehmend mit einem Glaubwürdigkeitsverlust der Medien unter anderem aufgrund pauschal geäußerter Manipulations- und Inszenierungsvorwürfen in Bezug auf den Fotojournalismus zu tun. Diese rutschen jedoch, da sie völlig unspezifisch geäußert werden, ins Beliebige ab. Wenn alles inszeniert und manipuliert ist, dann gibt es keine Wahrheit, dann gibt es keine Verantwortung der involvierten Akteure. Dies halte ich für fatal. Deswegen plädiere ich an dieser Stelle dafür, dieser Beliebigkeit eine detaillierte Analyse entgegenzustellen, die in der Lage ist, die medialen Konstruktionsprinzipien zu hinterfragen und nachvollziehbar zu machen. Das auseinander dividieren von Ereignis- und Medienrealität, von Dargestelltem und Darstellung und den damit verbundenen Implikationen halte ich für einen wichtigen Teil davon.

* Kepplinger, Hans Mathias (2001): Der Ereignisbegriff in der Publizistikwissenschaft, in: Publizistik 46 (2),  S. 117 - 139.
** Pressetermine und Fotoereignisse wie diese stellen einen elementaren Teil symbolischer Politik dar und finden sich auf Pressekonferenzen, Gipfeltreffen, etc.
*** Problematisch war dagegen die Verwendung der Bilder in vielen Medien. Hier wurde das Bild in vielen Fällen so in die Berichterstattung eingefügt und ungenau kontexualisiert, dass der Konsument annehmen konnte, die Staatslenker hätten tatsächlich die Demonstration angeführt. Dies ist ein gravierender Fehler, der jedoch nicht den Charakter des Nachrichtenbildes sondern dessen Verwendung betrifft.

Dienstag, 27. Oktober 2015

Aktuelle Rezensionen im Oktober


Hier finden sich kurze Teaser zu den Rezensionen, die von mir im Oktober im Neuen Deutschland und bei Qantara veröffentlicht wurden, inklusive der Verlinkungen zu den vollständigen Artikeln.


Prekäre Felder des Kapitalismus

Es ist ein Rundumschlag über aktuelle politische und soziale Themen, den sich Urs Stahel, Kurator des Fotofestivals Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg, für die sechste Ausgabe vorgenommen hat. In diesem Jahr steht die internationale Biennale unter dem Titel »7P - Prekäre Felder« und zeigt an sieben Orten in den drei beteiligten Städten unterschiedliche fotografische Positionen zu so vielschichtigen Themenkomplexen wie Migration, Gewalt, Urbanismus, Geld, Wissen, Kommunikation und Kontrolle. Im Vordergrund stehen dabei vor allem künstlerische fotografische Positionen von bekannten Namen wie Ai Weiwei, Thomas Hirschhorn, Trevor Paglen oder Jürgen Teller.

Der vollständige Artikel ist am 26.10.2015 im Neuen Deutschland erschienen.


Das Verbindende im Alltag

Eine dreispurige, frisch geteerte Autobahn: das Symbol gesellschaftlichen Fortschritts im Nachkriegsdeutschland. Aber keine Autos sind auf ihr zu sehen, sondern ein Junge, der einen Drachen steigen lässt, vor der Kulisse rauchender Schlote am Horizont. Das Bild zeigt die A 42, heute die wichtigste Ost-West-Achse des Ruhrgebiets, vor ihrer Fertigstellung im Jahr 1979. Blickwechsel nach West-Berlin im Jahr 1980 zum Tag der Streitkräfte: Eine Frau fasst prüfend an die Ketten eines riesigen Panzers. Es sind alltägliche Szenen wie diese, die im Vordergrund der Ausstellung »Landsleute 1977-1987« des Fotografen Rudi Meisel stehen, die zurzeit in der Galerie C/O Berlin zu sehen ist.

Der vollständige Artikel ist am 21.10.2015 im Neuen Deutschland erschienen.


Abseits des bereits Gesehenen

Während in den Massenmedien die Bilderschlachten mit und um den IS Schlagzeilen machen, bleibt die visuelle künstlerische Produktion aus der Region meist außen vor. Wer einen Eindruck von der Vielfalt künstlerischer Positionen in der arabischen Welt bekommen will, der ist dieses Jahr auf der internationalen Kunstbiennale in Venedig gut aufgehoben. Die alle zwei Jahre stattfindende Biennale d'Arte in Venedig gehört neben der Documenta in Kassel und der Biennale in Sao Paolo zu den größten internationalen  Festivals zeitgenössischer Kunst. Im Gegensatz zu anderen Festivals lebt Venedig von Länderpavillons: 89 Nationen sind dieses Jahr vertreten, so viele wie nie zuvor. Darunter sind auch einige Länder der arabischen Welt und des Nahen Ostens wie Ägypten, Armenien, Irak, Iran, Israel, Syrien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Nur ein kleiner Teil dieser Pavillons befindet sich in den Giardini, dem zentralen Ausstellungsgelände. Für alle anderen muss der Besucher Zeit und Entdeckerwillen mitbringen und wird mit über die Stadt verteilten Kleinoden belohnt.

Der vollständige Artikel ist am 7.10.2015 bei Qantara erschienen.

Montag, 19. Oktober 2015

Den Umgang mit Bildern lernen


Nicht nur aufgrund der exponentiell gestiegenen Bedeutung von Bildern für die massenmediale sowie die private Kommunikation, nehmen die Berufe, in den professionell mit Bildern gearbeitet wird mehr zu. Damit stellt sich für Viele, die Interesse an diesem Berufsfeld haben die Frage, wie ein Einstieg gefunden werden kann und welche Optionen es gibt. Einen tollen Überblick zu diesem Thema bildet das Themen-Special „Learn&Study“ des Magazins PICTA.

Das Magazin PICTA mit dem Untertitel „Wissen für Bildprofis“ wird vom Bundesverband der professionellen Bildanbieter herausgegeben. Im aktuellen Themen Special finden sich ausführliche Artikel über einzelne Berufsfelder wie den „Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste – Fachrichtung Bildagentur“ oder Weiterbildungsmöglichkeiten wie den Studiengang Bildwissenschaft an der Donau Universität Krens. Ergänzt wird dies durch kurze Erfahrungsberichten sowie Interviews mit Praktikern über deren Karrierewege, beispielsweise mit der freien Bildredakteurin Ute Noll.

Spannend ist ein Artikel darüber, wie an der Journalistenschule Ruhr Volontäre das bildredaktionelle Arbeiten lernen. Nadja Masri gibt dagegen einen Einblick in den Studiengang Bildredaktion an der Ostkreuzschule in Berlin. Deutlich wird, wie interdisziplinär und vielschichtig die Zugänge zur Arbeit mit Bildern sein können und das oft spezifische auch außerhalb der Ausbildung erworbene Kompetenzen mehr zählen als Studienabschlüsse.

Ein toller Service ist die umfangreiche Liste am Ende der Publikation mit einer Zusammenstellung der verschiedensten Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Bild in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dankenswerterweise kann das Special als PDF gratis von der Webseite des Verbands heruntergeladen werden.

Montag, 12. Oktober 2015

Zwischen Nähe und Distanz



  Am Mittwoch den 7. Oktober 2015 war ich eingeladen, anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Arabicums am Landesspracheninstitut (LSI) der Ruhr-Universität Bochum einen Kurzvortrag über den fotografischen Umgang mit den Nahen Osten zu halten und in die Arbeit des Fotografen Kai Wiedenhöfer einzuführen, dessen Ausstellung „40 ouf of One Millon“ an diesem Abend eröffnet wurde. Hier der folgt der vollständige Text meiner Rede.


Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Frau Kleinhaus, lieber Herr Waschik,

ich freue mich sehr, heute hier zu sein und mit ihnen das 30-jährige Jubiläum des Arabicum zu begehen und bedanke mich an dieser Stelle schon ein Mal ganz herzlich für die Einladung, hier sprechen zu dürfen. Als ich vor über 10 Jahren zum ersten Mal ans LSI kam, stand gerade mein erster Forschungsaufenthalt in Israel und den palästinensischen Gebieten kurz bevor. Dass ich seitdem mein Arabisch sträflich vernachlässigt habe, liegt in jedem Fall nicht an dem hervorragendem Unterricht am LSI, sondern an meiner Unfähigkeit, dieser wunderbaren Sprache Herr zu werden. Aber es war ein Tor für die Beschäftigung mit einer Region, zu der ich vorher kaum Zugang hatte und die mich seitdem und bis heute vor allem aus der Perspektive der Fotografie interessiert.

Das LSI ist ein Ort der Sprachen, ein Ort, an dem exemplarisch Völkerverständigung über das Medium Sprache zelebriert wird. Wenn Fremdsprachen erlernt werden, können sie als Brücke dienen, als ein Medium zur Verständigung. Wer miteinander kommuniziert, der ist schon einen großen Schritt weiter, Begegnung zuzulassen und Grenzen abzubauen. Für viele von Ihnen, da bin ich sicher, war das Arabisch Lernen am LSI ein Eingangstor in eben jene Welt, über die viele vorher nur ein Bild im Kopf hatten, die sie aber nicht aus eigener Anschauung kannten. Mit den hier erlernten oder vertieften Fähig- und Fertigkeiten öffneten sich Türen, erschlossen sich neue Welten.

Ich erzähle ihnen all dies, weil ich glaube, dass Bilder eine ähnliche Funktion haben können. Auch Bilder können eine Brücke sein. Sie dienen als Erinnerung aber genauso als Gesprächsanlaß, wenn gemeinsam Bilder von Familie und Freunden betrachtet werden. Und Bilder können die Primärerfahrung ersetzen, vor allem dann, wenn sie spannend erzählen und achtsam mit ihren Protagonisten umgehen.  Geschichten zu erzählen gibt es überall, man muß nur danach suchen; auch dabei hilft natürlich die Sprachkenntnis, auch wenn sie nicht immer die alleinige Vorraussetzung ist. So ist gerade die Kombination aus lokaler Sprachkenntnis in Zusammenhang mit der erzählerischen Kraft der Fotografie ein spannendes Feld.

Das Medium Fotografie ist eine universale Sprache. Der Potsdamer Medienwissenschaftler Arthur Engelbert (2011) spricht von fotografischen Bildern auch als „global images“. Vor allem die Digitalisierung der Fotografie hat der Fotografie zu einem globalen Siegeszug verholfen. Auch wenn Interpretationen und Bedeutungszuschreibungen sich zwischen den Ländern und Kulturen verändern, bleibt das Erkennen grundlegender Formen doch immer das gleiche. Dies ist einer der zentralen Gründe für die globale Ausbreitung der Fotografie. Egal, ob als professioneller Fotograf einer internationalen Nachrichtenagentur oder als Handynutzer, der seine Bilder um die Welt schicken will, es ist diese Universalität, die das Besondere visueller Kommunikation ausmacht.

Mein heutiger Vortrag steht unter dem Titel „Nähe und Distanz“ und versucht, mit den Komplexen Naher Osten und Arabische Welt sowie Fotografie zwei umfangreiche Themenstellungen oder besser Schlagworte miteinander zu verbinden. Nähe und Distanz können geografische Größen sein, es sind aber auch Beschreibungen für gefühlte Abstände zu anderen. Ich denke, Nähe entsteht durch Begegnung, durch Wissen und  durch Anteilnahme, Distanz dagegen durch Ablehnung, Unwissen und Unverständnis sowie Angst. Um Distanz zu überwinden und Nähe zu schaffen, kann die Sprache als Mittel der Kommunikation ein Medium sein, ebenso wie es auch für das fotografische Bild gilt.


Sehr geehrte Damen und Herren,

wie sie sehen, halte ich einen Vortrag über das Verhältnis der Fotografie und der arabischen Welt, ohne dass sie im Hintergrund eine Präsentation sehen, eine Powerpointfolie die andere jagt und Bilder vorbeisurren. Auf der einen Seite könnte dies angesichts der allgegenwärtigen Bilderflut und dem Visualisierungszwang schon fast als widerständiges Handeln ausgelegt werden. Auf der anderen Seite bin ich jedoch sicher, dass jeder und jede von ihnen genug Bilder im Kopf haben, an die sie in den nächsten 20 Minuten andocken können. Ich denke, dass es reicht, Namen wie Aylan Kurdi, Muammar Gaddafi, Saddam Hussein, Neda Agha Soltan oder Stichwörter wie den Fall der Saddamstatue in Baghdad, das Mission Accomplished, Tahrir Square zu nennen, um diese Bilder abzurufen.

Die Länder des Nahen Ostens und der arabischen Welt sind aus den alltäglichen Nachrichten zurzeit kaum wegzudenken. Eine zentrale Rolle in der Kommunikation spielen Bilder, die sowohl von professionellen Fotojournalisten wie auch zunehmend von Amateuren angefertigt werden. Fotografische Bilder spielen in der massenmedialen Kommunikation deswegen eine so große Rolle, da – mit Ausnahme der hier versammelten – viele Menschen die Regionen des Nahen Ostens nie mit eigenen Augen gesehen haben. Die Fotografie kann den Menschen ein Bild davon vermitteln, wie es in der Region aussieht. Dies gilt nicht nur für nachrichtenrelevante Themen, sondern auch das Alltagsleben in anderen Weltregionen. Dass dies immer nur selektiv und bezogen auf bestimmte Themen und Ereignisse geschehen kann, versteht sich dabei natürlich von selbst.

Dabei gab es noch nie eine Zeit, in der so viele Bilder zirkulierten wie heute. Gleichzeitig waren auch noch nie so viele banale Bilder im Umlauf. Die Globalisierung und vor allem die Digitalisierung der Kommunikationstechnologie ermöglichen uns, die Welt ins Wohnzimmer zu holen. Über die sozialen Medien verbreiten sich Bilder in Sekundenschnelle über die ganze Welt, ohne dass es eine Chance gäbe sie einzuhegen, sie in Ruhe zu kontextualisieren. Bilder gelangen über Facebook und Twitter ohne den Umweg der Massenmedien direkt zu den Konsumenten. Das ist Fluch und Segen zugleich. Damit wird es immer schwerer, sich in der Bilderflut zu orientieren, abzuwägen und es gibt vermeintlich wenig, was der Bilderflut und der digitalen Schnelligkeit und Beliebigkeit entgegen zu setzen wäre, außer den Stecker zu ziehen.

Unser Blick auf die arabische Welt ist bis heute vor allem von tagesaktuellen Nachrichtenbildern geprägt. Wie so oft in der journalistischen Berichterstattung dominieren dabei politische und soziale Krisen, so dass der Alltag in den Hintergrund gerät. So ist es schwer, von unserem Bild der arabischen Welt zu sprechen. Es ist eines von unzähligen Bildern, verzerrt aufgrund der Dynamiken massenmedialer Berichterstattung und oft reduziert auf eine vereinfachte Schwarz-Weiß Dichotomie. Wir als Konsumenten, ebenso wie die Bildredaktionen der Massenmedien sind konfrontiert mit  Handybildern und -videos aus der syrischen Revolution und dem arabischen Frühling sowie Propagandavideos des Islamischen Staates.

Die Bilder von der Zerstörung antiker Stätten im Zweistromland durch den Islamischen Staat erscheinen dabei als Zeugnisse eines vermeintlichen Ikonolasmus des Islam. Dabei haben diese Akte wenig mit dem Islam als Ganzem zu tun und zeigen vor allem eine grandiose Geschichtsblindheit der Ausführenden, da hier die Wurzeln der arabisch-islamischen Kultur zerstört werden. Aber leider kommen die Bildbotschaften an, entfalten ihre Wirkung bei uns und färben ab auf das Bild des Islam. Dabei, so Asiem el Difraoui und  Antonia Blau in einem kürzlich erschienenen Artikel bei Qantara, ist der Islam in Wirklichkeit keine anti-ikonische Religion. Er hat nur seine eigenen Ausdrucksformen gefunden, die abweichen von christlich-jüdischen Bildtraditionen, wie wir sie in Europa kennen.

Und wer einen Beweis für den demokratischen Gebrauch von Bildern in der islamisch-arabischen Welt im 21. Jahrhundert brauchte, der konnte dies wunderbar beim arabischen Frühling in Kairo beobachten. Hier waren es die protestierenden Bürger Ägyptents, die Bilder als Mittel des Widerstands nutzten. Die von Florian Ebner kuratierte Ausstellung „Cairo Open City“, die auch ganz hier in der Nähe im Essener Folkwang Museum zu sehen war, hat dies eindrücklich dokumentiert. Auch bei den Freitagsprotesten in den palästinensischen Gebieten lässt sich dies Woche für Woche beobachten, wenn Aktivisten ihren Widerstand und dessen brutale Niederschlagung durch die israelische Besatzungsmacht dokumentieren.

Trotz allem dominieren Bilder des Krieges, haben sich die Horrorbilder des IS in den Köpfen vieler festgesetzt, weil sie unreflektiert von den westlichen Medien verbreitet werden. Denn nur zu gut passen sie in die tradierten Feindbilder über den Islam und die arabische Welt, die sich auf gefährliche Weise mit geopolitischen Interessen mischen. So reden viele schon den Krieg der Bilder herbei, der das eigentliche Kampfgeschehen begleite, wenn nicht gar ersetze. Aber es ist wichtig, trotz der Grausamkeit der Bilder, welche vom IS verbreitet werden, nicht in die Rhetorik eines Bilderkrieges zu verfallen. Denn diese Rhetorik ist problematisch, da sie zum Ziel hat, Bildakte als Rechtfertigung für militärisches Handeln zu nehmen. Die Entscheidung für und gegen militärisches, ebenso wie ziviles Handeln, sollte jedoch nicht von propagandistischen Bildern, sondern von politischen Fakten und humanitärer Notwendigkeit abhängig gemacht werden. Wichtig ist, den zivilen Charakter von Bildern hervorzuheben und  nach Wegen zu suchen um zu verhindern, dass Bilder als Rechtfertigung von Gewalt genutzt werden.

„Entwürdigend ist auch nicht das Foto der Tat, sondern die Tat selbst“ schrieb die Journalistin Evelyn Finger im vergangenen Herbst in der Wochenzeitung „Die Zeit“ in Reaktion auf die Verbreitung der Bilder, welche die Ermordung des amerikanischen Journalisten James Foley in Syrien zeigte. Und ihr Kollege Daniel Etter, ein Freund Foleys, wünschte sich ein Umdenken in den Medien, um diese Bilder nicht mehr zu verbreiten. Es geht um einen reflektierten Umgang mit Bildern, der auch das Nicht-Zeigen beinhaltet. Dazu passt, wofür der Nahostkorrespondent Karim El-Gawhary auf Qantara plädierte: Den Blick zu öffnen und vom Islamischen Staat abzuwenden. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für die Rhetorik der Bilder: Nicht die propagandistischen Bilder des IS und anderer Terrorgruppen sollten im Vordergrund stehen, sondern eine Vielfalt journalistischer Bilder, die der Komplexität der Konfliktlagen in der Region gerecht werden können und die von lokalen und internationalen Fotografen mit ganz unterschiedlichen Bildtraditionen hergestellt werden sollten.

Denn im massenmedialen Fokus auf Krieg und Gewalt gerät schnell in den Hintergrund, dass es auch in der Region eine spannende Tradition fotografischer Arbeit gibt. Leider finden diese Bilder nur selten den Zugang zur breiten Öffentlichkeit und sind stattdessen auf Fotografiefestivals oder bei Ausstellungen auf die Region spezialisierter Galerien zu sehen. Die Vielfalt visueller Ausdrucksformen kann man hervorragend in dem von Rose Issa zusammengestellten Sammelband „Arab Photography Now“ bewundern. Auch wenn der Begriff der „Arab Photography“ etwas irreführend ist, gibt es doch nicht DIE arabische Fotografie. Spannend ist es an dieser Stelle, den Blick auf andere visuelle Disziplinen zu richten, vor allem um das Phänomen Fotografie und Arabische Welt begrifflich eingrenzen zu können. So spricht man im Französischen interessanterweise von „les cinémas arabes“, was nicht etwas arabische Kinos bedeutet, sonder als Plural cineastischer Produktion fungieren soll.

Einen großartigen Einblick in die Fotografie aus der arabischen Welt konnte man diesen Sommer auch auf der Biennale in Venedig bekommen. Dort widmete sich beispielsweise der von der Ruya Foundation kuratierte irakische Pavillon zu einem Großteil der Fotografie. Gezeigt wurden zwei Positionen, die sowohl inhaltlich als auch gestalterisch nicht unterschiedlicher sein könnten. Zum einen waren die Arbeiten des Gründervaters der irakischen Fotografie, Latif Al Ani, zu sehen, der lange Zeit für die Iraq Petroleum Company arbeitete. Seine wichtigste Schaffenszeit war in den 1960er und 1970er Jahren, als das Land relativen Wohlstand und Entwicklung genoß, wie es sich aus Anis Bildern ablesen lässt. Viele Kriege und Regimewechsel später lenkt der junge Fotograf Akam Shex Hady in inszenierten Bildern den Blick auf die Opfer des IS.



Ein weiteres gutes Beispiel einer anderen fotografischen Beschäftigung mit der arabischen Welt sind die Arbeiten des Berliner Fotografen Kai Wiedenhöfer. Er ist unser Augenzeuge, reist als fotografischer Hintergrundreporter seit vielen Jahren immer wieder in den Nahen Osten und produziert dabei ganz unterschiedliche visuelle Arbeiten. Auf eine gewisse Art und Weise laufen die Arbeiten Wiedenhöfers dem vorher skizzierten Zeitgeist entgegen. Sie halten der schnelllebigen, digitalisierten Welt den Spiegel entgegen. Sie haben eine andere Geschwindigkeit und brauchen auch einen anderen Raum der Betrachtung. Wiedenhöfers Bilder sind nicht für die sozialen Medien des Internets gemacht, sie funktionieren vor allem in Magazinen und an der Wand. So kommt es nicht von ungefähr, dass viele seiner Bilder nicht im Netz zu finden sind. Sie brauchen eine gewisse Größe und sie brauchen einen Betrachter, der sich auf sie einlässt.

Es war Anfang der 1990er Jahre, als Kai Wiedenhöfer zum ersten Mal nach Israel und in die besetzten palästinensischen Gebiete reiste. Damals fotografierte er noch klassisch auf Filmrollen. Es gab noch keine Mauer und er hatte als Ausländer trotz Checkpoints das Privileg, sich mit seinem Motorrad relativ frei zwischen den Regionen bewegen zu können. Vor allem im Gazastreifen kannten alle den Deutschen auf seinem Motorrad. „Habib Al-Schaab“ – Freund der Menschen – wurde er genannt und ein junger Mann sagte ihm „You are more famous in Gaza than Michael Jackson“.

Heute hat das israelische Kontrollregime jegliche Form der Mobilität zunichte gemacht. Der Friedensprozess ist tot, Gaza ist das größte Gefängnis der Welt und die Aussicht auf einen palästinensischen Staat in weite Ferne gerückt. In der vergangenen Woche erst hat Mahmud Abbas,  der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, aus Frust über den politischen Stillstand in der Region angekündigt, dass die PA sich nicht mehr an die Verträge von Oslo gebunden sieht. Die Zeit vor und nach Oslo waren das erste wichtige Thema Wiedenhöfers in der Region, wie es sich eindrucksvoll in seinem ersten Fotobuch „Perfect Peace“ nachvollziehen lässt, das wie alle weiteren im Göttinger Steidl Verlag erschienen ist. Geradezu prophetisch klingen die Worte im Nachwort, die ihn schon damals als Oslo-Skeptiker ausweisen:

The Palestinians put great hope in peace, but I fear their hopes will never be fulfilled. I’m reporting on the implementation of a treaty of which I’m convinced that it will fail. It does not include an end to the occupation, but only provides a new label – autonomy. From the beginning it appears very unlikely that the questions of settlement construction, Jerusalem and the refugee problems will be solved. The media in the West chear the treaty, but it is a „Versailles of the Middle East“.

Kai Wiedenhöfer schaffte es auch deswegen so nah an die Menschen der Region zu kommen, weil er sich Zeit nahm und ihre Sprache lernte. Dabei war die syrische Hauptstadt Damaskus für Wiedenhöfer, wie für so viele andere Menschen aus der ganzen Welt, das Einstiegstor zur arabischen Welt und eben vor allem zum Arabischen. Für viele Jahre war die Stadt das Mekka für Sprachschüler. Über sein Verhältnis zu Syrien und Damaskus erzählte er mir bei einem Gespräch für das Onlinemagazin Qantara im Juni diesen Jahres:

Ich habe von 1991 bis 1993 in Syrien Arabisch studiert. Seit dieser Zeit habe ich eine gute Kenntnis des Landes und ich mag die Leute dort sehr. Für mich ist die Gesellschaft in Syrien die modernste Zivilgesellschaft, die man im Nahen Osten findet, noch stärker als die Palästinenser, bei denen ich sehr viel Zeit verbracht habe“.

Aufgrund der relativen Freiheit in der Stadt verschloß man dabei die Augen vor den Machenschaften des Assad-Regimes. Heute versinkt das Land im Bürgerkrieg und die Welt verschließt die Augen nicht mehr vor den Machenschaften des Regimes, sondern vor allem vor den Opfern des Krieges.  Zumindest galt dies bis zum Sommer diesen Jahres, bevor Zehntausende Syrer an die Türen Europas klopften. Selten bekamen sie vorher in den deutschen Medien ein Gesicht und eine Stimme. Genau dies hat Wiedenhöfer mit „Fourty out of One Million“, seiner letzten Arbeit getan: Er hat 40 Opfern des syrischen Bürgerkriegs eine Stimme gegeben und er zeigt die Folgen des Kriegs für den urbanen Raum anhand von Aufnahmen aus Kobane.

Es sind die Bilder der Ausstellung, die wir gleich eröffnen werden und die ich hier würdigen will. Einige von Ihnen haben sicherlich schon einen ersten Blick auf sie geworfen. Es sind erschreckende Bilder der Zerstörung und des menschlichen Leids, die zugleich voll von Würde und Achtsamkeit sind. Wiedenhöfer führt die syrischen Opfer nicht vor, er gibt ihnen die Möglichkeit sich zu zeigen und von ihrem Leid zu erzählen. Trotz allem sind sie nicht einfach zu ertragen, zwingen sie uns hinzuschauen und uns mit ihnen zu beschäftigen. Im schon erwähnten Interview aus diesem Sommer, führte Wiedenhöfer aus, warum es so wichtig ist, diese Bilder in Deutschland zu zeigen:

Ich erinnere mich noch, wie das als Kind in den 1970er Jahren in Deutschland war. Man sah viele Leute, die Lederbehandschuhte Hände und Prothesen trugen oder mit Krücken herumliefen. Das ist heute alles aus der Öffentlichkeit verschwunden, weil die Leute mittlerweile alle verstorben sind. Und deswegen ist der Krieg bei uns einfach nicht mehr präsent. Deswegen war es mir wichtig, mit dem Projekt eine visuelle Präsenz des Krieges zu schaffen“.

Ich denke, man kann mit Fug und Recht sagen, dass Kai Wiedenhöfer dies gelungen ist. Gleichzeitig wirft dies viele Fragen für den Umgang in den westlichen Gesellschaften mit Krieg und Gewalt auf. Es zeigt, wie innerhalb von zwei Generationen nicht nur die sichtbaren Folgen von Krieg und Gewalt aus dem Blickfeld verschwinden, sondern auch wie die Erinnerung sich ändert, wenn die Sekundärerfahrung die Primärerfahrung ersetzt. Auf der einen Seite macht es Hoffnung für Länder wie Syrien und den Irak, dass auch dort die Errichtung einer friedlichen Nachkriegsgesellschaft möglich ist. Auf der anderen Seite wirft es die Frage auf, welche Bilder aus den Regionen wir sehen wollen, welche wir uns zumuten.

Wiedenhöfers Dokumentarfotografie ist nicht nur ein Appell an die Menschlichkeit zu handeln und sich dem Leid zu stellen, sondern die Arbeit selbst steht beispielhaft für menschliches Handeln. Damit steht seine Arbeit in der Tradition am Humanismus orientierter Dokumentarfotografie. In der schnelllebigen Zeit des Web 2.0 ist dies ein wichtiges Zeichen. Trotz allem geht es nicht um ein entweder oder. Wichtig ist, das Ensemble der Bilder zu betrachten. Wir brauchen tagesaktuelle, aufrüttelnde Nachrichtenbilder wie das des syrischen Kindes Aylan Kurdi ebenso wie die Handyfotos von Aktivisten und Amateuren aus Syrien oder dem Irak und eben die langsamen, tiefergehenden Bildrecherchen wie von Kai Wiedenhöfer.

Gefragt ist letzten Endes jedoch immer der Betrachter, also alle, die wir hier im Saal sitzen. Mit unserem Medienkonsum haben wir einen nicht zu unterschätzenden Einfluß. Es liegt an uns, ob wir uns von Bildern berühren lassen und ob sich eine demokratische Bildkultur entwickelt, in der propagandistische Bild-Botschaften keinen Raum finden. Die israelische Fotografiekritikerin Ariella Azoulay plädiert für einen „Civil Contract of Photography“, einer Art Bürgervertrag zwischen Fotograf, Fotografiertem und Betrachter. Damit liegt es an uns, ob sich das demokratische und humanistische Potential der Fotografie entfalten kann oder nicht.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Montag, 5. Oktober 2015

Im Gespräch mit Tamar Garb für die iz3w


Wie die Gegenüberstellung zweier Fotografieausstellungen unter einem Dach einen spannenden kuratorischen und auch politischen Dialog herstellen kann, zeigte sich im Frühsommer 2015 im privaten Berliner Fotografiemuseum „C/O Berlin“. Zeitgleich mit der Ausstellung „Genesis“ des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado war dort das von der britischen Kunsthistorikerin Tamar Garb kuratierte Projekt „Distanz und Begehren – Begegnungen mit dem afrikanischen Archiv“ zu sehen. Deutlich wurde dabei, dass die Auseinandersetzung mit dem fotografischen Erbe des Kolonialismus aktueller denn je ist und bis heute große Relevanz für die zeitgenössische Fotografie hat.

Bei C/O Berlin war ein kleiner Ausschnitt aus diesem Projekt zu sehen, das in zwei Teilen in den Jahren 2013 und 2014 Premiere hatte. Entstanden ist die Ausstellung auf Initiative des deutschen Sammlers Arthur Walther, der in Neu-Ulm ein eigenes Museum betreibt. Mit Investmentbanking zu Geld gekommen, präsentiert er sich heute als Kunstmäzen. Die von ihm gegründete Walther Collection ist vor allem auf zeitgenössische Fotografie spezialisiert. Die Kuratorin Tamar Garb ist Kunsthistorikerin am University College London.

 
Ausstellungsansicht von "Distanz und Begehren" bei C/O Berlin.

Für die Zeitschrift iz3w führte ich im Frühsommer ein längeres Gespräch mit Tamar Garb. Ich fragte sie unter anderem, warum es ihrer Meinung nach wichtig sei, heute koloniale Fotografie auszustellen:

„Das koloniale Archiv ist ein sehr wichtiger Fundus, da es die materalisierte Spur einer Geschichte ist, die weiterhin erzählt und erklärt werden muß. Die Fotografie stellt uns einen physischen Nachlass über eine bestimmte Geschichte des Reisens und den damit verbundenen Machtverhältnissen zur Verfügung. Sie wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Zeit erfunden, als auch der Kolonialismus sich immer weiter ausdehnte. Wie die Eisenbahn ist die Fotografie eine Technologie, die sich das koloniale Projekt zu Nutze machte und auf vielfältige Art und Weise einsetzte. Heute versorgt sie uns mit einer Fülle an Objekten und Darstellungen, die nur darauf warten, dekonstruiert, interpretiert, nachgestellt oder verballhornt zu werden. Die Gefahr ist jedoch, den Blickwinkel der damaligen Zeit zu reproduzieren. Dem sind wir jedes Mal  ausgesetzt, wenn wir die Bilder zeigen. Die Notwendigkeit besteht also darin, diese reichhaltigen historisch Quellen zu verwenden, ohne die sie durchdringenden Denkmuster zu reproduzieren“.

Das komplette Interview findet sich im Heft 350 der iz3w. Die Zeitschrift ist online zu beziehen. Im Steidl Verlag ist ein englischsprachiger Katalog (Distance and Desire: Encounters with the African Archive) mit Essays zum Themenkomplex der Ausstellung erschienen (352 Seiten, 68 Euro).


Freitag, 2. Oktober 2015

„Fourty out of One millon“


Spätestens seit die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien zu Tausenden in Deutschland ankommen und die sogenannte „Flüchtlingskrise“ das mediale Sommerloch dominiert, lassen sich die Folgen des Konflikts nicht mehr übersehen. Schon im vergangenen Winter hat der deutsche Fotograf Kai Wiedenhöfer das Schicksal der Flüchtlinge zu seinem Thema gemacht. Für seine Arbeit „40 out of One million“ hat er vor allem Kriegsversehrte im Nachbarland Syrien dokumentiert.

Das Projekt besteht ausschließlich aus einfühlsamen Porträts, die die Geflohenen in ihrem temporären Zuhause zeigen. Es ist die krude Realität des Krieges die da zum Vorschein kommt. Man sieht, dass die Leidtragenden immer die Menschen sind. Vom Stil her erinnert die Arbeit an Wiedenhöfers Projekt „The book of destruction“, für das er Opfer des Gazakrieges 2008/2009 porträtierte. Bisher ist sein Syrienprojekt nur als Broschüre publiziert worden. Eine Ausstellung gab es bisher noch nicht, ist aber in Planung. Ein größere Auswahl wurde bereits vom Magazin Stern publiziert.



Für das Onlinemagazin Qantara der Deutschen Welle habe ich Kai Wiedenhöfer im Frühsommer interviewt und mit ihm über sein Projekt gesprochen. Folgendes sagte er über seine Motivationen:

„Ich habe von 1991 bis 1993 in Syrien Arabisch studiert. Seit dieser Zeit habe ich eine gute Kenntnis des Landes und ich mag die Leute dort sehr. Für mich ist die Gesellschaft in Syrien die modernste Zivilgesellschaft die man im Nahen Osten findet, noch stärker als die Palästinenser, bei denen ich sehr viel Zeit verbracht habe. Deswegen ist es für mich sehr bitter zu sehen, wie das jetzt alles in Stücke geschlagen wird und sich diese Errungenschaft verloren geht“.

Ab dem 7. Oktober ist das Projekt in Teilen beim Landesspracheninstitut in Bochum zu sehen. Zur Jubiläumsveranstaltung des LSI Arabicums am 7.10. werde ich in Wiedenhöfers Arbeit einführen. Gefördert wurde Wiedenhöfers Projekt von der Heinrich-Böll-Stiftung. Die zum Projekt erschienene 56-seitige Broschüre „40 out of one million“ kann zum Preis von 10,- Euro (inklusive Porto) beim Fotografen bestellt werden (kai.wiedenhoefer@t-online.de). Eine Spendenaktion zur Beschaffung von Prothesen wurde von der Stern Stiftung initiiert.



Dienstag, 29. September 2015

Der Gründervater der irakischen Fotografie in Venedig


Wer dieses Jahr den irakischen Pavillon auf der internationalen Biennale für zeitgenössische Kunst in Venedig besuchte, der konnte eine interessante Entdeckung machen. Einer der fünf ausstellenden Künstler war der irakische Fotograf Latif Al Ani. Er gilt als einer der Gründerväter der professionellen irakischen Fotografie, was die in Venedig gezeigten Bilder eindrucksvoll darlegten. Angesichts der vor allem aus Kriegsszenen bestehenden Bilder aus der aktuellen Bildberichterstattung sind Anis Bilder erfrischend anders.

Al Anis Bilder sind ein spannendes zeithistorisches Dokument des Lebens im Irak in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Hauptphase seines Schaffens lag dabei zwischen den späten 1950er und den späten 1970er Jahren. Angefangen hat er als Fotograf für die Iraq Petroleum Company (IPC). Für die IPC bereiste er auch verschiedene Länder des Nahen Ostens. Schmunzeln lässt ein Bild aus der Mitte der 1960er Jahre, auf der Al Ani die Ankündigung seiner Ausstellung in Berlin fotografiert. Spannend ist dies insofern, als dass es zeigt dass irakische Fotografie schon damals Beachtung fand.

Latif Al Ani - Tourism Promotion Film 1962 - Courtesy the artist and the Arab Image Foundation (AIF)

Der irakische Pavillon findet sich im ersten Stock eines wunderschönen alten Palasts direkt am Canale Grande. Die organisatorische Verantwortung für den irakischen Beitrag lag bei der privaten Ruya Foundation, die auch schon für den ersten irakischen Pavillon in Venedig vor zwei Jahren verantwortlich zeichnete. Kuratiert hat die Ausstellung der Belgier Philippe Van Cauteren. Neben Latif Al-Ani sind im Pavillon auch inszenierte Fotoarbeiten des jungen zeitgenössischen Fotografen Akam Shex Hady.

Informationen zu den einzelnen Arbeiten des irakischen Pavillons finden sich beim Magazin Universes in Universe. Über die Homepage der Ruya Foundation finden sich auch andere spannende Projekt zu Kunst und Kultur im Irak. Die Biennale in Venedig ist noch bis zum 22. November zu besichtigen (Di – So 10-18 Uhr). Der irakische Pavillon findet sich im Stadtteil San Polo (Ca' Dandolo, San Polo 2879).

Samstag, 11. Juli 2015

Vom Vergessen beim Glauben und Lügen – Eine Replik auf Die ZEIT


Es ist ein reißerischer Aufmacher, mit dem die ZEIT dieser Woche aufmacht: „Glauben Sie nicht, was Sie sehen!“ heißt es auf der Titelseite und im Untertitel wird auf die Täuschung durch manipulierte Foto abgehoben. Auch der Einstieg ins Dossier auf Seite 13 funktioniert ähnlich und macht mit der Aussage „Diese Bilder lügen“ in einem abstrahierten Objektiv auf. Auch wenn der Text um einiges detailschärfer ist und viele interessante Fragen stellt, ist es eine ärgerliche Verkürzung des Themas die hier durch das Framing in den Überschriften stattfindet.

Die zentralen Begriffe auf die in den Überschriften abgehoben wird, sind Glauben und Lüge. Für den Umgang mit Medien im 21. Jahrhundert nach der konstruktivistischen Wende doch erstaunlich. Und nicht nur das, ich halte sie in der Massivität auch für gefährlich da sie das weit verbreite Gefühl vieler Medienkonsumenten bedienen, von der Presse belogen zu werden. Und als Aufhänger für den Zeit-Artikel dienen ein Mal mehr Bilder, die altbekannt sind. Der prinzipiell gut recherchierte Artikel hängt sich an manipulierten Bildern auf, die oft diskutiert wurden, von denen viele jedoch nie in Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Somit wird auf das Thema Manipulation von Bildern im Fotojournalismus abgehoben, ohne das jedoch erwähnt wird, welche Rolle manipulierte Bilder quantitativ in der gedruckten Presse spielen.

Und noch ein Faux-Pass: Die Bilder die den Artikel illustrieren, sind wahllos aneinander gereihte Bilder unterschiedlicher Gebrauchsformen: fotojournalistische Bilder, Amateurbilder, PR-Fotografien. Aber bitte, es ist doch ein Unterschied ob Amateure aus Spaß Haie in ein Bild montieren oder ein professioneller Fotojournalist ein Bild des Zeitgeschehens digital manipuliert. Aber auch auf der Textebene passiert der Wechsel dieser Ebenen. Der Artikel endet mit einem Hinweis auf den IKEA Katalog und seine digitalen Bildwelten. Ja, wichtiges Thema, aber bitte nicht mit dem Fotojournalismus vermischen, auf den der Artikel ja an vielen Stellen anspielt.

Aber diese Vermischung der Ebenen ist insofern nicht verwunderlich, als dass sie leider die Praxis der Verwendung von Fotografien und visuellem Material nicht nur der ZEIT sondern so gut wie aller deutscher Tageszeitungen und Magazine ist. Während auf der Textebene klar zwischen redaktionellen und werblichen Teilen unterschieden wird, haben allein im Politikteil der Zeitungen Werbeanzeigen mit Fotografien meist einen vielfach höheren Anteil als journalistische Fotografien. Und beispielsweise im ZEIT  Magazin gibt es schnelle Wechsel der unterschiedlichsten Gebrauchsformen, von denen die einen digital bearbeitet und retuschiert sind, die anderen nicht. Wie soll denn ein Konsument ohne besonderes Hintergrundwissen wissen, was erlaubt ist und was nicht?

Dies weist auf einen weiteren Umstand hin, den der Artikel gekonnt umschifft. Die vermeintliche Notwendigkeit der Massenmedien zur Visualisierung. Kein Mensch kauft heute mehr eine Zeitung, wenn dort kein Bild abgedruckt ist. Zeitungen und Magazine sind Produkte, bei deren Erstellung die Vermarktung schon eine entscheidende Rolle spielt. Bilder werden dazu gezielt eingesetzt, oft in einer schwierigen Gradwanderung zwischen Journalismus und Werbung. Auch die ZEIT ist Teil davon, hat ein eigenes Branding, versucht sich als Marke zu platzieren, wobei Bilder einen wesentlichen Anteil ausmachen. Den Fotojournalismus zu kritisieren ohne den Blick darauf zu lenken, zeigt nur einen Teil der Wahrheit. Und selbst wenn wir auf die Geschichte der Pressefotografie schauen, so wurden Bilder von Beginn an von Zeitungen dafür genutzt, die Glaubwürdigkeit von Textbeiträgen zu erhöhen, also gezielt in eine mediale Konstruktion eingewoben.

Leider passiert im Artikel genau das, was sich immer wieder zeigt wenn Fälle von Manipulation im Fotojournalismus aufgedeckt werden: Die Verantwortung wird individualisiert und auf den Fotoreporter abgewälzt, auch wenn an einigen Stellen Bildredakteure zu Wort kommen. Dabei steht außer Frage, dass der Fotoreporter in der Regel der „Täter“ ist. Aber der Journalismus ist ein sich selbst reproduzierendes System, mit Konventionen die sich ändern und dem Zeitgeist anpassen, mit Wettbewerben die Standards vorgeben. Es ist aus dieser Perspektive keineswegs verwunderlich, wenn im Jahr 2015 22% der Bilder des World Press Photo Award manipuliert waren, wenn im Jahr 2013 ein Bild von Paul Hansen prämiert wurde, dass genau dieser digitalen Ästhetik den Weg geebnet hat. Und in der Jury saßen damals wie heute Bildredakteure der wichtigsten journalistischen Medien.

Zwei gute Vorschläge gibt es im Artikel. Es sind die Ideen, Bildunterschriften größer zu drucken und stärker auf das Auftragsverhältnis hinzuweisen. Aber wie wäre es damit, auf der Bildebene zwischen redaktionellem und werblichem Teil zu unterscheiden? Oder öfter auf Bilder zu verzichten, wenn sie einen rein illustrativen Charakter haben oder als Kommentar eingesetzt werden? Daneben ist eine gesellschaftliche Debatte über Bildkompetenz als wesentliches Element von Medienkompetenz notwendig. Es geht darum, die Komplexität moderner digitaler Bildwelten entschlüsseln zu lernen, so wie jedes Kind in der Schule das Schreiben und Lesen von Texten lernt. Dann wären wir einen wesentlichen Schritt weiter.

Donnerstag, 25. Juni 2015

Rezensionen zu „Fire and Forget: On Violence“


Seit Mitte Juni 2015 ist in den Berliner Kunst-Werken in Mitte die Ausstellung „Fire and Forget: On Violence“ zu sehen. Die Ausstellung möchte eine Auseinandersetzung über die geläufigen Vorstellungen von Krieg und Gewalt in der zeitgenössischen Kunst führen. Hier eine Auswahl von Rezensionen verschiedener Medien zur Ausstellung.


„Selbstkritisch stellt die Ausstellung auch die Frage, ob die Galerie, das Museum überhaupt der rechte Ort sein kann, Gewalt zu hinterfragen, denn hier ist die Ästhetisierung Programm. Eine Antwort gibt es nicht. Die Ratlosigkeit einzugestehen, könnte ein Anfang sein“.



„Es geht den Kuratoren nicht darum, das Thema analytisch durchzudeklinieren. Immer schwingt auch die Frage mit, welche Verantwortung die Darstellung von Gewalt auf sich lädt, welchen Beitrag Bildnisse und Kunstwerke zwischen Verurteilung und Faszination leisten, und wo sie an ihre Grenzen stoßen“.



„Im Unterschied zu den ausweglosen Laienbildern eröffnet die Kunst dem Publikum einen Handlungsspielraum ohne zu belehren. Sie hebt den Impuls zur Gewalt auf die Bewusstseinsebene. Im Licht der Vernunft wird klar – Fire and forget ist die kümmerlichste Option“.



Wer lieber Audiobeiträge anhört, der kann sich auch den Radiotext von Katja Weber für das Berliner Radio1 vom RBB anhören.


Die Ausstellung ist noch bis zum 30. August zu sehen. Die Kunst-Werke (Auguststrasse 69) sind Mittwoch bis Montag von 12 bis 19 Uhr geöffnet. Es gibt ein Begleitprogramm zur Ausstellung mit Vorträgen. Im Verlag  Mattes&Seitz ist parallel ein Buch mit einer literarischen Bearbeitung des Themas von deutschen und internationalen Autoren erschienen.