Samstag, 9. Mai 2015

Von „Kriegsporno“ und Bildethik


Die Bilder vom Krieg in der Ukraine formen unsere Wahrnehmung des Konflikts. Doch was darf man zeigen? Michael Biedowicz, Bildredakteur beim ZEITmagazin, und Donald Weber von World Press Photo sprachen darüber mit Annette Streicher.  Dies ist die erste Folge einer zweiteiligen Gesprächsreihe des Magazins Ostpol, die hier als Gastbeitrag gekürzt wiedergegeben wird.

ostpol: Wenn ein Konflikt eskaliert wie in der Ukraine oder ein Flugzeug abstürzt – welche Bilder sind ethisch vertretbar, um solche Ereignisse zu vermitteln?

Biedowicz: Das ist eine ganz alte Diskussion, ob grausame Bilder abstoßen, was man zeigen darf und was nicht. Da wird jede Zeit sich neu definieren. Inzwischen gibt es die Tendenz, dass man zu explizite Bilder nicht zeigt, solche auswählt, die keine offenen Wunden zeigen. Man will die Dramatik zeigen, aber keine Übelkeit erzeugen.

Ein subtiles Bild aus der Ukraine hat gerade im Wettbewerb World Press Photo, erstaunlicherweise in der Kategorie Nachrichten, gewonnen: Das Stilleben „Wrecked life“ des russischen Fotografen Sergei Ilnitsky, aufgenommen nach einem Granateneinschlag in Donetsk. Ein gutes Beispiel?

Biedowicz: Ein tolles Bild. Man sieht eine Alltagssituation, die radikal durch Krieg versehrt ist: Ein gedeckter Tisch mit frischen Früchten, der plötzlich nicht mehr einladend ist, sondern zerstört. Leben und Tod sind auf dem Bild versammelt.

Weber: Dieses Bild geht weit über die etablierte, überbetonte ästhetische Bildsprache im Fotojournalismus hinaus, weil es direkt den Kern der Sache trifft. Als Fotograf bin ich vor allem Überbringer einer Botschaft, nicht viel mehr. Der Grund, weshalb das Bild auf so unterschiedlichen Ebenen funktioniert, ist sein universeller Kontext. Es steht stellvertretend für den universellen Begriff von Zuhause, und das kann jedem von uns jederzeit wegbrechen.

Biedowicz: Sehr erstaunlich, dass es in dieser Kategorie gewonnen hat, das ist wirklich ein Novum. Denn normalerweise schaut man hier eigentlich immer in schmerzverzerrte oder leere Gesichter, das war das bisherige Muster.

Weber: Ich habe mich für das Bild stark gemacht, weil ich denke, dass viele von einem falschen Nachrichtenbegriff ausgehen. Sogar für das Gewinnerfoto des Jahres haben wir viel Kritik kassiert: Wie könnt ihr in einem Jahr voll großer Nachrichtenereignisse – der Abschuss der MH17, Krieg in der Ukraine, ISIS-Terror - dieses subtile Foto eines schwulen Pärchens auswählen? Viele messen den Nachrichtenwert nicht am Inhalt, sondern an der visuellen Darstellung. Das ist aus meiner Sicht absolut falsch und der Grund, warum der Fotojournalismus korrumpiert ist.

Die im Wettbewerb World Press Photo gekürten Bilder lösen in jedem Jahr Kontroversen aus. Unter den Gewinnerserien waren in diesem Jahr auch zwei Foto-Essays aus der Ukraine, von der blutigen Eskalation auf dem Maidan sowie von der Absturzstelle der MH17. Der französische Magnum-Fotograf Jérôme Sessini zeigt den leblosen Körper eines Passagiers, noch immer an den Sitz geschnallt, in einem Weizenfeld in der Ostukraine.

Biedowicz: Das ist ein Bild, das ich grenzwertig finde. Ich weiß nicht, ob man das drucken kann, weil da jemand zu sehen ist. Und wir wissen nicht, ob es ihm recht ist, dass dieses Bild in einem Magazin erscheint. Die Würde des Toten, die Würde des Menschen – wenn es um diese Bereiche geht, ist die Fotografie gefährdet. Nah heran gehen ist verführerisch, aber Distanz wäre besser. Mich schockt das Foto sehr, ich finde, es überschreitet die Grenze des Legitimen. 

Weber: Das betrachte ich als ein Argument, das sich aus westlichem Chauvinismus speist, wie er in Europa und den USA vorherrscht. Es soll sozusagen nicht ‚okay’ sein, einen von uns derart zu zeigen, es ist aber in Ordnung, solche Bilder auf einem anderen Kontinent zu machen – wo die Menschen exotisch aussehen, oder anders als wir. Nach den Rechten eines toten Kindes in Afrika fragt niemand, und solche Bilder werden immer durchgewunken und in Magazinen gezeigt. Ich finde das Bild relevant und akzeptabel. Ich glaube, wir müssen solche Sachen zeigen, unserer eigenen Menschlichkeit willen, und können nicht so tun, als wäre nichts passiert, wenn tatsächlich alles passiert ist.


Das komplette Interview mit Bildbeispielen finden Sie auf Ostpol. Der Beitrag entstand im Rahmen von Stereoscope Ukraine, einem Projekt von n-ost.

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