Freitag, 22. März 2013

Phnom Penh: Das Verschwinden verhindern


Am Donnerstag den 21. März 2013 wurde in der ifa-Galerie in Berlin die Ausstellung „Phnom Penh: Das Verschwinden verhindern“ im Beisein einiger der dort ausstellenden kambodschanischen Künstler eröffnet. Die Ausstellung zeigt die kritische Beschäftigung lokaler kambodschanischer Künstler mit der städtebaulichen Entwicklung der kambodschanischen Hauptstadt, mit einem Schwerpunkt auf fotografischen Arbeiten.

Politische und soziale Konflikt haben multiple Formen und finden in vielen unterschiedlichen sozialen wie geografischen Räumen statt. Nicht nur die Diskussion über Gentrifizierungsprozesse in Berlin, sondern auch die Stadtentwicklungsprozesse in Großstädten des globalen Südens wie Phnom Penh zeigen die soziale Sprengkraft und das Konfliktpotential von Urbanisierung und Modernisierung. Deswegen ist die Frage, wie die Fotografie als dokumentarisches und künstlerisches Medium mit diesen Fragestellungen umgeht, auch für diesen Blog und die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex „Fotografie und Konflikt“ von großem Interesse.

Die Ausstellung stellt insofern eine Premiere dar, als das zum ersten Mal zeitgenössische kambodschanische Kunst in den Mittelpunkt einer Ausstellung in Deutschland gerückt wird und gleichzeitig politische Probleme in Phnom Penh thematisiert werden. Verantwortet wurde das Projekt von der in Kambodscha lebenden Kuratorin und Galeristin Erin Gleeson. Von den zehn auf der Ausstellung zu sehenden KünstlerInnen sind drei, die hauptsächlich fotografisch arbeiten. Ihre Arbeiten werden im Vordergrund dieses Artikels stehen. Alle drei sind in den 1980er Jahren geboren und stehen noch am Anfang ihrer fotografischen und künstlerischen Karriere.

Die Arbeit von Kvay Samnang heißt die „Natur des Menschen“ (2010 - 2011) und zeigt großformatige Portraitaufnahmen. Das irritierende an diesen Aufnahmen, die in den Wohnräumen der Menschen entstanden sind und die sich allesamt im bekannten „weißen Haus“ in Phnom Penh befinden, ist, dass die Gesichter der Portraitierten von einer Maske verdeckt sind. So erzählen nur die Räume eine Geschichte und die Menschen werden zu einer eher austauschbaren Staffage. Im Katalog heißt es dazu: „Ihre zum Ausdruck kommende Furcht vor der Indexikalität der Fotografie – also deren Fähigkeit zur Identifikation oder gar zu überführen – entspricht einer Zurückhaltung, die sowohl kulturell bedingt als auch politisch geprägt ist“ (S. 29). Damit verweist diese Arbeit unter anderem auch auf das politische Erbe Kambodschas in Form des Terror-Regimes der Roten Khmer und die Angst vor Denunziation, die diese Zeit so stark prägte.

Lim Sokchanlina ist in der Ausstellung mit der Arbeit „Eingegrenzte Zukunft“ vertreten. Die Arbeit zeigt in Farbfotografien Bauzäune und Eingrenzungen aus dem Stadtraum Phnom Penhs, die als „Indikatoren des Wandels (...) einen Großteil der Topografie des heutigen Phnom Penh“ charakterisieren, so der Katalog (S. 44). Eigentlich als großformatige Arbeiten geplant, ist die Serie in Berlin in Form von Postkarten ausgestellt, die vom Besucher mitgenommen werden dürfen. Damit bekommt die Arbeit einen „Work in Progress“ Charakter der die Serialität auf der einen und die Beständigkeit des bebilderten Phänomens auf der anderen Seite hervorheben.

Die dritte fotografische Arbeit der Ausstellung stammt von Vandy Rattana und trägt den Titel „Erstes Hochhaus“. Neun, zu einem Tableau arrangierte Schwarz-Weiß Bilder zeigen Szenen von der Baustelle der Errichtung des ersten Wolkenkratzers Phnom Penhs. Rattan rückt damit die Ereignisse am Rande dieses Wahrzeichens der Modernisierung in den Blickwinkel. Über die Motivation zu seiner fotografischen Arbeit findet sich im Katalog der interessante Kommentar dass am Beginn seine Besorgnis stand, dass „keine greifbare Dokumentation der für seine Kultur besonderen Geschichten, Charakteristika und Denkmäler existierte“ (S. 101). Dass ihm dies in seiner Form fotografischer Dokumentation gelingt, zeigen auch die anderen im Katalog abgebildeten Arbeiten.

Die übereinstimmenden Merkmale dieser drei fotografischen Arbeiten sind, dass sie zum einen lokale politische Probleme im Stadtraum thematisieren und zum anderen eine konzeptionelle Herangehensweise an die Fotografie haben. Die Fotografie wird von allen dreien zwar in einer dokumentarischen Tradition genutzt – im Sinn der Sichtbarmachung bestimmter sozialer Phänomene – um gleichzeitig durch einen seriellen Charakter auf ein übergreifendes Konzept zu verweisen. Damit orientieren sich die Arbeiten auch am zeitgenössischen fotografischen Diskurs, wie er Museen und Galerien in Europa und den USA prägt, und sind dahingehend sicherlich auch markttauglich.

Zur Ausstellung ist herausgegeben vom ifa ein umfangreicher Katalog erschienen. Dort werden alle in der Ausstellung zu sehenden Künstler und ihre Arbeiten ausführlich vorgestellt. Vor allem die konzeptionellen Hintergründe zu den einzelnen Arbeiten sowie die Künstlerbiographien bieten interessante Einblicke. Ergänzt werden sie durch verschiedene Essays die der zeitgenössischen Kunst und ihren Institutionen in Kambodscha gewidmet sind. So entsteht ein umfassendes Bild das Lust macht, mehr künstlerische und vor allem fotografische Arbeiten aus Kambodscha zu sehen.





Zur Ausstellung gibt es auch ein interessantes Begleitprogramm mit Führungen durch die Ausstellung, Stadtspaziergängen und einer Podiumsdiskussion.


Literatur: Institut für Auslandsbeziehungen (2013): Phnom Penh: Das Verschwinden verhindern, Berlin 2013.

Montag, 4. März 2013

Das Apartheid-Regime im Blick lokaler Fotojournalisten

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Dass der Leiter des Hauses der Kunst in München Okwui Enwezor etwas von afrikanischer Fotografie versteht, hat er in den letzten Jahren vielfach unter Beweis gestellt, wie beispielsweise in der Eröffnungsausstellung der Walther Collection im Jahr 2010. Jetzt ist im Haus der Kunst in München die von ihm mitkuratierte und in Zusammenarbeit mit dem International Center for Photography in New York entstandene Ausstellung „Aufstieg und Fall der Apartheid“ zu sehen. Wie es im Einführungstext der Ausstellung heißt, geht es in der Ausstellung „weniger um die Geschichte der Apartheid, als um die Frage, wie sich Apartheid im Alltag der Menschen manifestiert hat“ und wie die Fotografie als Medium lokaler Fotojournalisten dies erzählt.

Wer sich in die Ausstellung begibt, sollte viel Zeit und Geduld mitbringen. Hunderte, vor allem Schwarz-Weiß Bilder in kleiner Größe zeigen chronologisch die Geschehnisse im Apartheidsregime in Südafrika, den Alltag und die sich wandelnden Formen des Widerstandes. Dazu sind in Vitrinen Bücher und Zeitschriften, die entweder aus Südafrika selbst stammen oder sich mit dem Apartheidsregime beschäftigen, ausgestellt. Leider ist der chronologische Aufbau der Ausstellung implizit und für den Besucher nicht ersichtlich. So sieht der Besucher sich abgesehen von der Haupthalle mit einer Flut von Bildern konfrontiert. Um sich diesen von Anfang bis Ende zu widmen braucht man entweder ein großes geschichtliches Interesse oder man muß ein großer Fan der Schwarz-Weiß Fotografie sein. Umso intensiver die riesigen Bilder des Protests in der Haupthalle, die eindrücklich die Kraft der dokumentarischen Fotografie zeigen.

Die große Leistung der Ausstellung ist es, die Geschichte der Apartheid mit den Augen lokaler, südafrikanischer Fotojournalisten zu zeigen. Wohl nur intime Kenner afrikanischer Fotografie kannten vorher das Magazin „Drum“, das in den 50er Jahren in Südafrika erschien und der schwarzen Bevölkerung eine Stimme verlieh. Auch Afrapix, die südafrikanische Foto-Agentur die in den 80er Jahren das Aushängeschild politisch engagierter Fotografie war, ist eher Insidern bekannt. Und die Namen der hervorragenden südafrikanischen Fotografen wie Omar Badsha oder Peter Magubane waren bisher eher weniger geläufig. Im historischen Überblick kontextualisiert sich auch der sogenannte „Bang Bang Club“ der über das autobiografische Buch von Greg Marinovich und João Silva und seine Verfilmung international Berühmtheit erlangte. Im Vergleich zur fotografischen Geschichte der Apartheid, welche die Ausstellung zeigt, ist die Bedeutung des „Bang Bang Club“ eher gering und hinter der internationalen Bekanntheit der Gruppe steht wohl eher der Wunsch nach Heroisierung von Konfliktfotografen.

Schade ist, dass die informativen Texte, welche die Ausstellung begleiten, eher ein einsames Dasein in den Raumecken finden. So ist es mitunter schwierig den Zusammenhang zwischen den Texten und den entsprechenden Bildstrecken herzustellen. Und nur wer aufmerksam liest bekommt beispielsweise mit, dass es sich bei einigen Bildstrecken um Propagandastrecken aus Sicht des Apartheidregimes handelt, die die reibungslose Kooperation weißer und schwarzer Eliten zeigen. Auf bildnerischer Ebene ist dieser Unterschied nicht zu erkennen.

Sehenswert und erkenntnisreich ist die Ausstellung allemal. Und sie sollte zu denken geben, ob es immer notwendig ist, die Geschichte auch aktuell konfliktträchtiger Länder immer mit den Augen weißer, westlicher Fotojournalisten zu erzählen, oder ob die Suche nach lokalen Fotojournalisten, die kenntnisreich ihre eigene Geschichte erzählen, nicht eine Alternative darstellen könnte.


Links:



Donnerstag, 21. Februar 2013

Wie viel Bildbearbeitung verträgt der Foto-Journalismus?

Vor gut einer Woche wurde der Gewinner des World Press Photo des Jahres 2012 bekanntgegeben. Der schwedische Foto-Reporter Paul Hansen gewann mit einer Aufnahme einer Beerdigung von zwei Kindern im Gazastreifen diesen renommierten Preis. Nach anfänglicher Euphorie innerhalb der Fotojournalistengemeinde hat in den letzten Tagen die Diskussion um die Art und Weise der digitalen Bearbeitung des Siegerbildes an Fahrt gewonnen. Diese Diskussion soll an dieser Stelle kommentiert werden.

Jeder Nutzer der digitalen Fotografie weiß es: ein bisschen rumspielen an den Reglern für Kontrast und Sättigung und schon werden die zuerst noch dunklen, im Schatten liegenden Bildparteien auf ein Mal hell. Es ist ein einfacher Vorgang, der erst ein Mal keinerlei Manipulation des Bildinhaltes bedeutet. Zumindest lassen alle ethischen Grundsätze des Fotojournalismus dies bislang zu. Es geht hier um eine Optimierung am Bild so gemeinhin die Auffassung. Und trotzdem ist es ein Gegenstand der Diskussion.

Wer sich das Siegerbild von Hansen genauer anschaut, der sieht sehr schnell dass auch der schwedische Foto-Reporter in dieser Hinsicht sein Bild bearbeitet hat. Auffällig ist der artifizielle Charakter des Bildes, der so entsteht. Es wirkt ein bisschen unwirklich, die Farben unnatürlich. Und genau dass ist beklemmende an diesem Bild: Denn es stellt sich die Frage, ob dieses aus journalistischer Sicht gut gemachte Bild diese Form der Bearbeitung braucht und verträgt. Hinsichtlich der Bearbeitung ist vor allem zu bemängeln, dass es der Angleichung fotojournalistischer Bilder an Produkte der Werbefotografie weiter Vorschub leistet. Diese Tendenz, die schon seit mehreren Jahren zu beobachten ist, verstärkt sich weiter wenn Betrachter beim Anblick eines journalistischen Fotos aufgrund der digitalen Bearbeitung den Eindruck der Artifizialität bekommen.

Darüber hinaus ist zu überlegen, ob die entsprechenden ethischen Kodices, die eine solche Bearbeitung erlauben, noch zeitgemäß sind. Bildbearbeitung gab es schon immer sagen viele in der Branche und auch die analoge Fotografie lebte davon dass im Labor Farben und Kontraste angeglichen werden konnten. Die digitale Fotografie hat dies mit dem Siegeszug von Photoshop jedoch weiter vereinfacht. Insofern ist es berechtigt auch immer wieder aktuelle Standards zu hinterfragen.

Eine Sache jedoch darf mit der Diskussion um die Fragwürdigkeit der digitalen Bearbeitung des Bildes nicht vergessen werden: die Authentizität des Augenblicks der von Hansen eingefangen wurde und der wahrscheinlich auch die Jury überzeugte. Hansen hat ein tragisches politisches Ereignis eingefangen, welches Teil der Konflikt-Realität im Gazastreifen bedeutet. Hieran besteht kein Zweifel und sollten auch keine Zweifel genährt werden. Die Frage die sich hieraus jedoch ableitet, ist, ob ein solches Bild eine derartige Bildbearbeitung zur Unterstützung der Bildaussage braucht oder nicht.

Nicht zu unterschätzen ist dass mit der Auszeichnung von Bildern durch den World Press Photo Award Standards gesetzt werden. Und dies ist vielleicht das beunruhigendste an der diesjährigen Jury-Entscheidung. Denn damit wird eine alltägliche fotojournalistische Praxis der Bildbearbeitung, die vielleicht nicht ethisch falsch, aber durch fragwürdig ist, gewürdigt. Generationen von jungen, aufstrebenden Fotojournalisten auf der ganzen Welt orientierten und orientieren sich was Bildsprache und Visualität angeht an diesem Preis. Was mit dem Preis heute ausgezeichnet wird, ist morgen Standard im Fotojournalismus. Ob damit dem qualitativ hochwertigen Fotojournalismus ein guter Dienst erwiesen wurde, ist somit berechtigterweise in Frage zu stellen.


Weitere interessante Artikel zu diesem Thema:

La post-producción del dolor by Ana Prieto (Auf Spanisch)



Montag, 21. Januar 2013

Über die visuelle Vermischung von Dokumentar- und Werbefotografie


Ende Dezember ging im Haus der Kulturen der Welt in Berlin die sehr interessante und vielseitige Ausstellung „Über Grenzen“ der Berliner Fotografen-Agentur Ostkreuz zu Ende. Dort waren insgesamt 18 sehr unterschiedliche thematische und fotografische Herangehensweisen an das Thema zu sehen. „In ihrer neuen Gemeinschaftsausstellung erzählen die 18 Fotografen der Agentur OSTKREUZ Geschichten über Grenzen. Sie erforschen sichtbare und unsichtbare, territoriale, gesellschaftliche und ethische Grenzen“ hieß es in der Pressemitteilung zur Ausstellung. Die Spannweite der Arbeiten reichte von Reportagen aus Ländern des Südens, über Selbstportraits bis hin zur Auseinandersetzung mit der Deutsch-Deutschen Vergangenheit.

Interessant war die Ausstellung vor allem ausgehend von der Perspektive aktueller journalistischer Bildsprachen. So war es auffällig, dass einige Arbeiten die Grenzen der bildjournalistischen Darstellung hin zu Corporate-, Werbe- und Modefotografie ausloteten bzw. durchaus auch überschritten. So mutete die großformatige angelegte Arbeit von Frank Schinski über den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wie einem Corporate Magazin eines börsennotierten Konzerns entnommen. Die inhaltlich gut recherchierte und sehr spannende Arbeit „Terminal“ von Tobias Kruse stellte in ihrer Wandhängung das Bild einer halbnackten für die Kamera posierenden jungen Frau in den Vordergrund. Dieses Bild ist ästhetisch zwischen zeitgenössischer Modefotografie und Arbeiten von Larry Clark zu verorten. Bei dieser Optik ist es nicht verwunderlich, dass das Zeit-Magazin die Strecke druckte. Es bleibt jedoch ein komischer Beigeschmack bei der Zurschaustellung der fragilen Weiblichkeit im Bild der jungen Frau. Über die Bild-Inszenierung der Serie "Mission and Task" von Julian Röder erfährt der Betrachter nicht durch den erklärenden Bild-Text, sondern in einem Kommentar während einer öffentlichen Führung. Röder komponierte die Bilder der FRONTEXT Grenzschützer vor Ort und nutze die Hilfe eines Assistenten und eines Blitzgeräts zur Generierung der gewünschten Bildwirkung. Fragt sich, wie es um die Glaubwürdigkeit vermeintlich journalistischer Fotografie bestellt ist, wenn die Fotografen inszenatorisches Arbeiten nicht kenntlich machen. Darüber hinaus bleibt die Frage, warum es nötig ist, dieses Thema zu inszenieren. Andere Arbeiten zum Thema FRONTEX zeigen dass dies auch anders möglich ist.

Die hier angesprochen Arbeiten aus der Ausstellung weisen somit darauf hin, wie innerhalb der deutschen – sich politisch generierenden – Dokumentarfotografie die Grenzen zwischen Inszenierung und Dokumentation sowie werblicher und journalistischer Bildsprache verschwimmen. Angesichts der Strukturen des Bildermarktes und dem Zwang für viele Fotografen, sowohl klassische PR-Fotografie als auch journalistische Aufträge zu übernehmen ist dies nicht verwunderlich. Dazu kommen die Tendenzen Werbe- und Mode-Fotografie „reportagig“ zu gestalten. Dass dies irgendwann zu einem Boomerang-Effekt führt und Dokumentarfotografie werblich wird, ist dabei ein fast zwangsläufiger Nebeneffekt. Es ist jedoch zu fragen, ob es auf Dauer der Glaubwürdigkeit des journalistischen Bildmediums nicht mehr Schaden zufügen wird.

Der Katalog zur Ausstellung ist bei Hatje Cantz erschienen. Die Bildstrecken sind auch auf der Homepage der Agentur einsehbar http://www.ostkreuz.de/feature/

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Über die Bedeutung des Nicht-Fotografierens


Es liegt an der Materialität und der Konstituierung des Mediums Fotografie an sich, dass die Auseinandersetzung mit diesem sich in der Regel darauf beschränkt, zu diskutieren was und wie etwas fotografiert wurde, jedoch nicht was nicht fotografiert wurde. Dabei ist insbesondere die Frage, ob es in bestimmten Situationen besser wäre, etwas nicht zu fotografieren, eine der relevantesten Fragestellungen die dem Medium und vor allem seiner fotojournalistischen Ausprägung immanent sind. Dazu zwei konkrete Beispiele, welche offenlegen sollen, welche möglichen Konsequenzen es hätte, wenn sich Foto-Reporter weigern würden ein bestimmtes Ereignis zu fotografieren.

Als erstes Beispiel sei der Gaza-Krieg 2008/2009 genannt. Damals reisten Dutzende internationale Foto-Reporter nach Israel in der Hoffnung, Zugang zum Gazastreifen zu bekommen und Bilder der Folgen der israelischen Angriffe machen zu können. Das von der israelischen Armee verhängte und über fast den gesamten Kriegszeitraum gültige Einreiseverbot hatte zur Folge, dass sich die internationalen Foto-Reporter zusammen mit den lokalen israelischen Foto-Reportern an der Grenze der Bannmeile zum Gazastreifen sammelten und von dort aus versuchten, Bilder aus dem Gazastreifen zu erhaschen. Die Folge war eine Schwemme von Bildern des Krieges aus der Ferne, einschlagender Raketen, von Rauchwolken am Horizont. Die Folge für das publizierte Bild über den Krieg wurde ausführlich in meinem Bericht „Der Gaza-Krieg im Bild“ dargestellt, welcher die Dominanz des Bildes des Krieges aus der Ferne in deutschen Medien aufzeigen konnte. An dieser Stelle ist die Frage interessant, was passiert wäre, wenn die Foto-Reporter anstatt von der Grenze aus Bilder aus der Ferne zu machen, wieder abgereist wären, da der eigentliche Zweck ihrer Reise, Bilder der Folgen des Krieges zu machen, nicht erreicht werden konnte. Denn das Verhalten der Foto-Reporter und die Produktion des Bildmaterials eines Krieges aus der Ferne kam der Wunsch der israelischen Armee als zentralem Konflikt-Akteur, diesen Krieg als einen präzisen und chirurgischen Eingriff darzustellen, sehr entgegen. Lokale und internationale Journalistenverbände protestierten zwar gegen das Einreiseverbot. Eine Form des Streiks oder der Arbeitsniederlegung als Form des Protestes gegen diese israelischen Zensurmaßnahmen wurde jedoch interessanterweise nie diskutiert.

Das zweite Beispiel ist die fotografische Dokumentation von Demonstrationen und Clashes in der palästinensischen Westbank. Diese sind für Foto-Reporter von daher interessant, da sie den Konflikt visuell sehr gut und einfach darstellen. Auch wenn diese eine Form routinisierter Ereignisse darstellen, ist die Begründung der Foto-Reporter diese zu dokumentieren, dass man vor Ort sein müsse da man nie wisse, ob nicht etwas schlimmes passieren würde. Gemessen an der Realität des Konfliktes und bezogen auf die realpolitische Funktion haben die Demonstrationen jedoch eine sehr geringe Bedeutung. Die Masse der Bilder über diese Ereignisse ist in keiner Weise repräsentativ für das tatsächliche Konfliktgeschehen. Da der Konflikt und das Besatzungsregime mit seinen mannigfaltigen Facetten jedoch visuell schwer darstellbar sind, stellen die Demonstrationen ein dankbares Ereignis für die Foto-Reporter dar. Denn insbesondere die Nachrichtenagenturen wählen Ereignisse fast ausschließlich nach ihrer visuellen Verwertbarkeit aus. Ähnlich wie beim Gaza-Krieg ist hier die Frage, was passieren würde, wenn die Foto-Reporter mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden würden, nach Möglichkeiten der Darstellung der vordergründig nicht-sichtbaren Seiten des  Konfliktes zu suchen, anstatt routinisiert die gleichen Ereignisse abzubilden. Dies würde natürlich zuvorderst der Logik der Arbeit der Nachrichten-Agenturen widersprechen.

Die beiden hier diskutierten und kurz angerissenen Beispiele zeigen, dass die Frage nach der Bedeutung und der Möglichkeit des Nicht-Fotografierens, große Relevanz hat. Sie knüpft letztlich an die Überlegungen eines anderen Beitrags auf diesem Blog zur Haltung des Foto-Reporters an. Denn nur mit einer klaren Haltung zu dieser Fragestellung, die vom Foto-Reporter kommuniziert und reflektiert wird ist es möglich, hier eine eigene Position zu finden. Das dies im hoch kompetitiven und schnelllebigen Feld der Agentur-Fotografie nicht einfach ist, steht ohne Zweifel. Aber nur durch konstantes Infragestellungen (foto-) journalistischer Praxen und Routinen ist eine qualitative Weiterentwicklung, auch im Hinblick auf eine stärker konfliktsensitive Ausrichtung hin, möglich.

Montag, 19. November 2012

Gaza: Krieg im Web 2.0?

Seit dem Beginn der Eskalation des Konflikts im Nahen Osten zwischen der israelischen Regierung und der Hamas ist der Verlauf der Auseinandersetzung im Web 2.0 auch zunehmend im Fokus von Blogbeiträgen und Artikeln. So zeichnete John Mason den Verlauf des Konflikts auf der Foto-Plattform Instagram nach. In einem Kommentar auf „The Daily Beast“ ging Ali Gharib auf Twitter-Nachrichten über den Krieg und die Involvierung von Journalisten ein.

Was in der vor allem über Twitter ausgetragenen Auseinandersetzung über den Konflikt zu beobachten ist, ist ein Kampf um die Deutungshoheit des Konflikts und seiner aktuellen Eskalation. Diejenigen, die hier in die Auseinandersetzung eingestiegen sind, sind die direkten Konflikt-Parteien wie die israelische Armee IDF und pro-israelische Gruppen sowie der Hamas nahestehende Gruppen. Zu beobachten ist ein Kampf um die Narrative. Das besondere an der Auseinandersetzung im Web 2.0 ist, das auf diese Art und Weise die Nachrichten und damit die Auseinandersetzung direkt das Publikum erreichen und die Auseinandersetzung nicht mehr gefiltert über die Presse ausgetragen wird. Die Gruppen versuchen, die öffentliche Meinung über die neuen Medien direkt zu beeinflussen, ohne den Umweg über die Presse nehmen zu müssen. Dies ist eine dramatische Wende und verlagert die Auseinandersetzung in die Weiten des Internets.

Was wegfällt ist die Funktion des Journalismus und seiner Medien, die Informationen zu kontextualisieren und einzuordnen, Hintergrundinformationen zu liefern und verschiedene Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Auch eine Lösungsorientierung wie sie der konfliktsensitive Journalismus fordert, ist hier nicht Teil der Auseinandersetzung. Besonders drastisch wird dies am Verbreiten von Bildern ziviler Opfer sichtbar. Beide Seiten nutzen diese Bilder, um Emotionen auf ihre Seite zu ziehen und mit der „Beweiskraft“ des Bildes die Legitimität des eigenen Handelns bzw. die Illegitimität des Handelns des anderen zu untermauern. Was wegfällt ist eine Kontextualisierung und Einordnung der Bilder in das Konfliktgeschehen. Als relevante Information werden diese Bilder somit fast wertlos, da sie nur als reine Bestätigung von Faktischen – dieser Mensch auf dem Bild wurde verwundet – dienen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion dieses Phänomens poppt in der Diskussion immer wieder der Begriff des Bilder-Krieges oder Medien-Krieges auf. Meiner Ansicht nach ist es nicht problematisch diesen Begriff zu verwenden. Ein Mal in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und als Fakt akzeptiert, liefert der Begriff des „Bilder-Kriegs“ z.B. der IDF die Legitimation, Hamas nahestehende Sender zu bombardieren. Insofern ist der Gebrauch dieses Begriffes im Interesse der Konflikt-Parteien und sollte von daher von den Medien und Wissenschaftlern tunlichst gemieden werden. Die tatsächlichen Kriegshandlungen werden immer noch mit Waffen von den Konflikt-Parteien verübt. Was in den Medien und über die Medien stattfinden, ist hingegen eine Auseinandersetzung über die Deutungshoheit des Konflikts und der Geschehnisse. Diese kritisch hin auf ihre Qualität, die Einhaltung journalistischer Standards und eine Konfliktsensitivität zu überprüfen, sollte sich die Kommunikationswissenschaft zur Aufgabe machen.

Dienstag, 6. November 2012

Über die Heroisierung des Krieges à la Hollywood


Auf den Seiten 30/31 der aktuellen Ausgabe des Stern-Magazin VIEW ist zu sehen, wie die Heroisierung von Soldaten im zeitgenössischen Krieg funktioniert: über die Einbeziehung von Hollywood. Ein großformatiges über eine Doppelseite gehendes Bild zeigt vier US-Amerikanische Soldaten die um einen auf dem Boden liegenden verletzten Kameraden gruppiert sind. Die Überschrift zur Bild-Text-Seite lautet „Saving Private Ryan“. Im kurzen Bild-Text wird die Szenerie weiter erläutert:

Ein in Afghanistan bei einer Bombenexplosion verletzter US-Soldat verdankt sein Leben seinen Kameraden.

Baraki/Afghanistan – Noch schweben Staub und Qualm in der Luft. Aber auch wenn gerade keiner weiß, ob nicht weitere Gefahr droht, sind gleich vier Männer dieser US-Patrouille ihrem verletzten Kameraden beigesprungen – und retten so das Leben des Private Ryan.

Bei der Detonation des im Boden versteckten Sprengkörpers wurden die Beine des Soldaten Ryan Thomas getroffen, seine zerfetzten Hosenbeine sind blutdurchtränkt. Während der Trupp-Sanitäter die Wunden verbindet, hält ein Kamerad beruhigend die Hand des 21-Jährigen und spricht mit ihm. Zwar gelingt es zunächst, die starken Blutungen zu stillen, doch Ryan Thomas muss schnellstens in ein Feldlazarett. Im Laufschritt tragen die Männer den Verletzten zu dem bereits gelandeten Rettungshubschrauber.

Und tatsächlich: Ihr Kamerad überlebt – wie der Soldat im Steven Spielbergs oscar-gekröntem Film „Saving Private Ryan“. (VIEW, November 2011, Seite 30/31)

Was hier gezeichnet wird, ist das Bild von Kameradschaft und Heldentum im Krieg. Die Umstände des Anschlags und der Konflikt in Afghanistan spielen kaum eine Rolle. Die Botschaft lautet, dass die Soldaten füreinander einstehen und sich auch unter Gefahr, ohne auf das eigene Leben zu achten, retten. Auf diesen Aspekt weist der Text mit der Formulierung „Aber auch wenn gerade keiner weiß, ob noch weitere Gefahr droht“ noch ein Mal besonders hin. Dazu kommt der positive Ausgang der Geschichte, symbolisiert durch den in einem kleinen Bild gezeigten wartende Rettungshubschrauber zu der die Bildunterzeile sagt: „Der Helikopter bringt Thomas in Sicherheit. Später wird er zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen“. So steht am Ende der Rettungsaktion das rettende Krankenhaus in Deutschland.

Interessant ist der erzählerische Duktus der Bild-Untertextes, der dem ganzen die nötige Dramatik verleiht und Nähe herstellt. „Noch schweben Staub und Qualm in der Luft ...“ beginnt der Text und sofort ist der Leser damit in der Aktualität des Geschehens. Eine Recherche der kompletten Bilderstrecke in der Bilddatenbank von AFP lässt dagegen  vermuten, dass seit der Explosion schon einige Zeit vergangen ist. Dort scheint es bzgl. des Rauchs – insbesondere aufgrund der auf anderen Bildern deutlich erkennbaren orangenen Farbe des Rauchs – als wäre dieser durch Leuchtfakeln entstanden, die vom Militär genutzt werden um dem Rettungshubschrauber einen Landeplatz anzuzeigen. Möglicherweise ist es auch ein Übersetzungsfehler: In der Original-Caption ist von „dust and smoke flares“ die Rede, wobei Smoke Flares als Rauch oder Leuchtfakeln ins Deutsche übersetzt werden. Der Staub stammt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht von der Explosion, da auch die verbundenen Beine des Soldaten  darauf hinweisen, dass die Explosion schon etwas länger zurückliegt.

Besonders perfide ist an diesem Beispiel, wie ein Hollywood-Spielfilm hier als Referenz für soldatisches Handeln im Krieg gesetzt wird: Nicht mehr der  Film orientiert sich an der Realität, sondern die Realität am Film. „Ihr Kamerad überlebt – wie der Soldat im Steven Spielbergs oscar-gekröntem Film „Saving Private Ryan““ heißt es im Text. Dabei ist wichtig zu wissen, dass „Saving Private Ryan“ eine fiktive Geschichte ist, die auf der Folie der Landung der Alliierten in der Normandie erzählt wird. Eine Gruppe von US-Soldaten wird im Film losgeschickt um den hinter den feindlichen Linien abgesprungen Soldaten zu retten. Gesteigert wird im Artikel die Bedeutung des Filmes durch den Hinweis auf den Oscar-Gewinn. Dies macht die Geschichte des Films jedoch nicht realer oder glaubwürdiger. Die einzige Verbindung zwischen Film und Soldat ist der Name des Soldaten: Ryan. Dass diese fiktive Geschichte hier als Folie für den Afghanistan-Krieg genutzt wird, ist das wohl deutlichste Zeichen für die Propaganda-Botschaft die sich hier entfaltet.

Auch das Bild an sich spricht nicht dafür, dass der Aufhänger der Geschichte ein herausragendes Nachrichtenbild war.  Das Bild verfügt weder über herausragende visuelle Qualitäten, noch hat es einen besonderen Nachrichtenwert. Rettungs-Aktionen wie diese gehören zum Alltag des Krieges westlicher Streitkräfte in Afghanistan. Umso interessanter ist die Frage, warum VIEW die amerikanischen Soldaten zu Helden stilisiert und was damit bezweckt wird. Dank dem Hinweis auf die filmische Kriegs-Maschinerie von Hollywood funktioniert dieses Stilisierung (fast) perfekt.