Donnerstag, 10. März 2016

Verwässerung der Dokumentarfotografie


Darüber, was dokumentarische Fotografie bedeutet und was nicht, lässt sich mithin trefflich streiten. Während für die einen dazu nur Arbeiten zählen, die einen klaren fotojournalistischen Anspruch haben, der Eingriffe in das Geschehen vor der Kamera ausschließt, sind für andere damit auch Arbeiten möglich, die einen klaren inszenatorischen Charakter haben oder beispielsweise mit „Found Footage“ arbeiten. Ein gutes Beispiel, wie weit die Grenzen des Dokumentarischen in der zeitgenössischen Fotografie gezogen werden, zeigt die Ausstellung der Gewinner des Dokumentarfotografie-Förderpreises aus dem Jahr 2013 der Wüstenrot Stiftung, die zur Zeit im Photomuseum Braunschweig zu sehen ist.

Der Dokumentarfotografie-Förderpreis der Wüstenrot Stiftung ist einer der wenigen Foren in Deutschland, in denen dokumentarische Fotografie prämiert wird. Andere Preise die einen ähnlichen Rahmen abdecken, sind der Freelens Award oder der N-Ost Recherchepreis. Beide existieren jedoch nicht annähernd so lange und haben nicht ein solches Prestige wie der Preis der Wüstenrot Stiftung. Darüber hinaus ist der Preis anders als die anderen beiden thematisch offen und verfügt über keine Altersbegrenzung. Vergeben wird er alle zwei Jahre, zuletzt im Herbst 2015. Aktuell tourt jedoch die Ausstellung des 10. Jahrgangs, vergeben im Jahr 2013, durch Deutschland.

Gewinner des Preises im Jahr 2013 waren vier Fotograf_innen, die alle ganz unterschiedliche Ansätze und Themen verfolgten. Birte Kaufmann reüssierte mit der dokumentarischen Serie „The Travellers“ über eine kleine Gemeinschaft von Iren die in Tradition der Wanderhandwerker in provisorischen Wohnwagen und Unterkünften leben. Sara-Lena Maierhofer überzeugte die Jury mit einer künstlerisch-konzeptionellen Arbeit über den italienischen Medienmogul Silvio Berlusconi unter dem Titel „The Great“. Arne Schmitt gewann mit Auszügen aus seinem Buch „Die neue Ungleichheit“, einem in Schwarz-Weiß gehaltenen Bildband über neoliberale Architekturen in Köln. Kalouna Toulakoun überzeugte mit der Arbeit „In der Erwartung großer Stürme“, für die er die Spuren seiner laotischen Familie auf der ganzen Welt verfolgt.

Das Feld des Dokumentarischen wird in diesen vier Arbeiten sehr weit aufgespannt. Was die Bildsprache angeht, so steht nur noch die Arbeit von Kaufmann in einer klassischen dokumentarischen Tradition. Toulakoun sucht bereits nach anderen Bildformen und bezieht sehr stark das Umfeld und Gegenstände der von ihm porträtierten mit ein. Umgekehrt gibt es bei Kaufmann keinerlei Bildunterschriften und damit keine Möglichkeit, die einzelnen Bilder bestimmten Orten zuzuordnen und zu erfahren, wer die Abgebildeten sind, während Toulakoun zu jedem Bild eine ausführliche Bildunterschrift präsentiert.

Mit dem Fokus auf einen konzeptionellen Ansatz bewegt sich Arne Schmitt bereits am Rande der dokumentarischen Fotografie. Verstärkt wird dies noch durch eine eher essayistische Präsentationsform, die aus thematischen Tafeln mit drei Bildern und kurzen Texten besteht. Die Grenze ausgereizt bzw. überschritten hat Sara-Lena Maierhofer. Bei ihr ist nicht ein Mal erkennbar, welche Fotografien von ihr stammen bzw. welche Found-Footage sind. Man kann höchstens Vermutungen anstellen. Darüber hinaus sind die Bilder auf eine Art und Weise im Raum angeordnet, dass sie eine Stimmung zum Titel „The Great“ erzeugen sollen. Die einzelnen Fotografien zeichnen sich dabei durch einen großen Grad an Abstraktion aus.

Der Blick auf das Verständnis des Dokumentarischen beim Dokumentarfotografie-Förderpreis ist insofern wichtig, als dass Preise in der Szene eine stillbildende (Vorbild-) Funktion vor allem für jungen Fotograf_innen haben. Die hier skizzierten Beobachtungen reihen sich ein in Tendenzen in der zeitgenössischen Fotografie, den Begriff des Dokumentarischen zu verwässern. Damit ist meiner Ansicht nach die Gefahr verbunden, dass er zur Beliebigkeit verkommt und vor allem sein dokumentarischer und soziopolitischer Anspruch, gesellschaftliche Realitäten über authentische Bilder zu vermitteln, Schaden nehmen könnte. Keineswegs soll damit die Qualität der einzelnen Arbeiten kritisiert werden, die jede für sich ihren Wert haben, jedoch vielleicht besser in einem Kunst-Kontext aufgehoben wären.

Die Ausstellung ist noch bis zum 3. April 2016 im Photomuseum Braunschweig zu sehen. Die Gewinnerbilder sind auch in einem Katalog vertreten, der über die Wüstenrotstiftung zu beziehen ist.

Mittwoch, 2. März 2016

Back Stories – Krieg und Gewalt in Fotobuch und Graphic Novel


Am 3. März werde ich zusammen mit Michaela Zöhrer von der Universität Augsburg in Bonn eine Workshopeinheit in Form einer Fishbowl-Diskussion zum Thema „Krieg und Gewalt in Fotobuch und Graphic Novel“ anbieten.

Bilder von Krieg sind in Nachrichtenmedien und sozialen Netzwerken allgegenwärtig.
Dabei ist die bildnerische Darstellung von Konflikten in den Massenmedien meist
ereigniszentriert und fokussiert auf Gewalt und Leid. Vor allem in den sozialen Medien halten zudem zunehmend Bilder von Amateuren Einzug. Grundsätzlich ist somit eine Tendenz zur Verbreitung von visuellen Informationen in Echtzeit zu beobachten. Alternative, vor allem zeitintensivere Darstellungsformen von Konflikt und Gewalt sowie visuelle Hintergrundberichterstattung haben es vor diesem Hintergrund schwer, sich in Massenmedien und sozialen Netzwerken durchzusetzen. Aus diesem Grund weichen Produzenten zunehmend auf andere Formate wie das Fotobuch oder die Graphic Novel aus.

Das Medium Fotobuch wird von Fotojournalisten vor allem dann gewählt, wenn es um die Präsentation umfangreicher Projekte geht. Der Vorteil besteht darin, dass anders als in journalistischen Medien die Kontrolle über das Produkt vollständig beim
Fotojournalisten liegt. Im vergangen Jahr sorgte das Buch „War Porn“ des deutschen
Fotojournalisten Cristoph Bangert für Aufruhr. Er publizierte darin Kriegsbilder, die von den Redaktionen abgelehnt worden waren. Der Schweizer Fotograf Meinrad Schade hingegen hat sich auf eine Spurensuche am Rande des Krieges in der ehemaligen Sowjetunion begeben, die er unter dem Titel „Krieg ohne Krieg“ publiziert hat. Während das Schades Arbeit ein Beispiel für eine dokumentarische Arbeit ist, hat Bangerts Arbeit vor allem einen selbstreflexiven, medienkritischen Fokus.

Auch Graphic Novels widmen sich unter Rückgriff auf die gestalterischen Mittel des
Mediums Comic immer häufiger den Themen Krieg und Gewalt. Zugerechnet werden
diese Graphic Novels dem „Comics Journalism“ bzw. „Graphic Reporting“, womit deren Nähe zum klassischen Journalismus angesprochen ist. Denn geht es bei diesen Comics nicht um Superheldengeschichten, sondern um die Recherche und Darstellung „wahrer Begebenheiten“. Besonders bekannt sind die Arbeiten des Comiczeichners Joe Sacco, bspw. „Palestine“ (dt.: Palästina), „Safe Area Gorazde“ (dt.: Bosnien) oder „Footnotes in Gaza“ (dt. Gaza). In allen diesen Bänden bilden Saccos Recherche-Aufenthalte vor Ort das Hauptnarrativ, das jeweils durchflochten wird von Augenzeugenberichten und dokumentierenden Einschüben, mit Hilfe derer zurückliegende Kriegsereignissen und Krisensituationen nachgezeichnet werden.

In einem dialogischen Gespräch in Form einer Fishbowl werden Felix Koltermann und Michaela Zöhrer verschiedene Comics und Fotobücher vorstellen. Ziel ist es, das Potential dieser Darstellungsformen zu eruieren, Krieg und Gewalt abseits tagesaktueller und ereigniszentrierter Berichterstattung sichtbar zu machen. Felix Koltermann wird Michaela Zöhrer über ihre Auswahl von Graphic Novels befragen, und umgekehrt Michaela Zöhrer Felix Koltermann zu den Fotobüchern. Ein weiterer Platz in der Mitte der Fishbowl ist für Gäste reserviert, die zu jedem Zeitpunkt in das Gespräch einsteigen können. Ergänzt wird die Diskussion durch einen umfangreichen Büchertisch, an dem weitere Beispiele ausliegen und eine Anregung zur vertieften Beschäftigung mit dem jeweiligen Medium bieten sollen.

Der Workshop ist Teil der Konferenz „Making the invisible visible“ des Arbeitskreises junger Wissenschaftler_innen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) die am 2. und 3. März 2016 am Gustav-Stresemann-Institut in Bonn stattfindet. Bei Interesse kann das Format abgewandelt auch als Abendveranstaltung angeboten werden.

Samstag, 27. Februar 2016

Ein Magazin zum Thema Migration


Manchmal gibt es einfache den perfekten Zeitpunkt zur Einführung eines neuen Medienprodukts. Das muss man wohl der ersten Printausgabe des Onlinemagazins für jungen Fotojournalismus emerge zum Thema Migration zu Gute halten. Als die Macher sich im Jahr 2014 dafür entschieden, war das Thema zwar bereits allseits präsent, aber nichts im Vergleich zur Debatte im Sommer 2015, die von den nach Europa kommenden Migranten ausgelöst wurde. Angesichts der meist platten tagesaktuellen Bildberichterstattung dieser Zeit konnte emerge genau die Lücke füllen, die angedacht war: Fotojournalistische Hintergrundberichterstattung zu liefern und das Themenfeld Migration visuell wie thematisch breit aufzufächern.

Das Online Magazin emerge existiert seit 2010. Gegründet wurde es von Absolventen der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Ein kleines Team stellt Woche für Woche neue Fotoprojekte vor, von Zeit zu Zeit auch Multimediareportagen. Es ist ein anspruchsvolles Freizeitprojekt, das bisher kein Geld abwirft. Damit ist es ein bewundernswertes Engagement. Die Macher arbeiten als freie Bildredakteure oder Fotografen und kennen das Geschäft und die Szene. Das merkt man an der gleichbleibend hohen Qualität, der für das Internet und das Magazin ausgewählten Projekte. Das Onlinemagazin wird durch einen kleinen Buchshop ergänzt, in dem publizistische Projekte in Kleinauflagen der vorgestellten Fotografen verkauft werden.

Das im Herbst neu auf den Markt gekommene Printmagazin von emerge soll zwei Mal jährlich erscheinen und hat eine Auflage von 1000 Exemplaren. Es kommt im klassischen Magazinformat daher. Das Layout ist einfach gehalten und gibt den einzelnen Bildern viel Raum. Zu Beginn gibt es eine Serie von Einzelbildern, die verschiedene Aspekte des Themas Migration aufgreifen. Dem Folgen Bild-Text Reportagen sowie geschriebene Essays zu Flucht, Migration und Fotografie. Es gibt Reportagen über Geflüchtete in Lybien, Gastarbeiter in Sankt Petersburg oder die Lampedusa Gruppe in Hamburg. Eine eher künstlerische Arbeit zum Thema Lebensmittel aus den Heimatländern von Migranten kombiniert Porträts mit Details von Lebensmitteln. Insgesamt sind Bilder von 17 Fotografen im Magazin zu sehen. Die Fotografen und Autoren stehen dabei fast alle am Beginn ihrer Karriere, studieren oder arbeiten als Freelancer und sind zwischen 20 und 30 Jahre. Einige der Texter kommen von Tonic, einem kleinen Onlinemagazin und Kooperationspartner von emerge.

Am Ende des Magazins gibt es einen Essay des Fotohistorikers Enno Kaufhold. Ausgangspunkt seiner Reflexionen über die dokumentarische Fotografie ist das Bild „Migrant Mother“ von Dorothea Lange aus dem Farm Security Administration (FSA)  Projekt der 1920er Jahre. Was nur wenige über diese Bildikone der sozialdokumentarischen Fotografie wissen: Es ist ein inszeniertes Porträt. Kaufhold plädiert ausgehend von dieser Erkenntnis und angesichts des Spannungsfelds im Fotojournalismus zwischen Idealismus und Realismus dafür, mehr Spielräume zuzulassen. Das emerge Magazin ist ein gutes Beispiel für diese Forderung. Mit der großen Vielfalt der hier vertretenen dokumentarischen Ansätze, die von inszenierten Porträts bis hin zu klassischen Reportagen reichen, werden auch hier die Grenzen des Dokumentarischen ausgereizt. Ob dies die Rettung der dokumentarischen Fotografie ist, bleibt jedoch abzuwarten.

In Zeiten, in denen alle Welt die Flucht in die digitalen Medien vollzieht, ist es mehr als ein Wagnis, sich für ein neues Printprodukt zu entscheiden. emerge haben den Start mit einer Crowdfunding Kampagne erfolgreich gemeistert. Das passt in die Trends einer sehr agilen Szene von Fotografie- und Magazinliebhabern, in der gut gemachte und auf Special-Interest-Themen fokussierte Printprodukte immer noch sehr erfolgreich sind. Ob sich das Konzept jedoch auf Dauer trägt, muss sich zeigen. In jedem Fall ist den Machern weiterhin viel Erfolg zu wünschen, da das werbefreie Magazin mit einem Fokus auf dem zeitgenössischen Fotojournalismus eine wichtige Lücke auf dem Magazinmarkt füllt. Und man darf gespannt sein, was die nächste Ausgabe spannendes hervorbringen wird.

Das Onlinemagazin ist unter www.emerge-mag.com zu finden. Auf der Homepage findet sich auch ein Bestellformular für das gedruckte Magazin. Es ist auch in ausgewählten Buchhandlungen wie „do you read me?“ oder bei C/O Berlin erhältlich.

Samstag, 13. Februar 2016

Reflexionen über das Publikum

Publizistische Medien befinden sich in einem rasanten Wandel, der große Bedeutung für die Veröffentlichung dokumentarfotografischer Arbeiten hat. „Many are also acknowledging that conventional media no longer be the best publishing venues – print magazines, for example, do not constitute the photographers’ paradise they once sometimes did“ so James Richtin in seinem Essay „Bending the Frame“ aus dem Jahr 2013. Reportagen die früher in bekannten Magazinen wie dem New York Times Magazine, dem Rolling Stone, Paris Match oder Life erschienen, erreichten dort zu Hochzeiten 6- bis 7-stellige Leserzahlen. Davon sind die Auflagen der Magazine, die noch auf dem Markt sind, weit entfernt. Darüber hinaus hat sich die Anzahl der Seiten die für eine Strecke zur Verfügung gestellt wird immer weiter reduziert.

Wenn dies eine in der professionellen Fotografie allgemein geteilte Auffassung ist, stellt sich automatisch die Frage, wer heute das Publikum für die Dokumentarfotografie ist, über welche Medien und Formate dieses erreicht wird und wo dieses zu finden ist. Dabei sind sich vermutlich alle einig, dass diese Form der  Fotografie um ihrem Charakter als gesellschaftspolitisch relevantem Medium gerecht zu werden, eine Öffentlichkeit braucht. Darüber hinaus brauchen vor allem dokumentarfotografische Arbeiten Platz, um ihre Wirkmächtigkeit zu entfalten. Die Herstellung von Öffentlichkeit bedeutet, die fotografischen Arbeiten in einen größeren Kontext zu stellen und in den politischen, sozialen und kulturellen Diskurs einzubinden. Dies entspricht dem Interesse vieler  Dokumentarfotografen, mit ihren Projekten Geschichten erzählen und damit in die Gesellschaft hinein wirken zu wollen.

Aber nur noch wenige publizistische Medien wie beispielsweise das Special-Interest Magazin Mare erlauben das Abdrucken längerer Geschichten, die einem Autor zugeordnet werden können. Viele werden als Alternative das Internet nennen. Aber hier gibt es mit wenigen Ausnahmen wenig hochkarätige Formate, wo dokumentarische Arbeiten einer Magazinstrecke ähnlich gewürdigt werden. Auch wenn einzelne Bilder und Arbeiten möglicherweise mehr Klicks als früher bekommen, ist die Frage ob die Aufmerksamkeit für die Strecken letztlich nicht geringer ist. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Fotografen auf Fotografiefestivals, Fotobücher und Ausstellungen ausweichen. Viel davon findet jedoch in kleinen Galerien statt, die vor allem von Mitgliedern der eigenen Profession sowie einer spezialisierten Szene wahrgenommen werden. Und auch wenn Fotofestivals wie das Lumix Festival für jungen Fotojournalismus im Jahr 2014 Besucherrekorde mit über 35.000 Menschen feiern, ist dies im Vergleich zur Auflage gedruckter Medien immer noch recht wenig. Darüber hinaus ist ein Großteil der Besucher Teil der Szene.

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Aber daraus leitet sich die Frage ab, ob das Zeigen dadurch nicht einen immer stärker einen selbstreferentiellen Charakter bekommt. Natürlich veröffentlichen einige der Fotografen aus der Szene auch in Massenmedien, wo ihre Bilder eine weite Verbreitung erfahren. Oft handelt es sich dabei jedoch um ein Einzelbild eines größeren Werkkomplexes oder einer längeren Recherchereise, welches dann in der New York Times oder auf Spiegel Online abgedruckt wird. So sehen die Kundenlisten vieler Dokumentarfotografen grundsätzlich beeindruckend aus: NYT, SZ, Spiegel, ... Aber zu fragen ist, ob mit dem was die Fotografen erzählen wollen, sie dort zum einen das richtige Forum bekommen und sie zum anderen das richtige Publikum treffen. Treffender wäre es vermutlich sich einzugestehen, dass das Publikum für diese Arbeiten vergleichsweise klein ist und dass nur wenige Arbeiten eine größere Breitenwirkung erfahren. Dies hat zur Folge, als dass man die Frage stellen muß, wie groß die gesellschaftliche Relevanz der Dokumentarfotografie in dem Sinne ist, als dass sie Impuls gebend und Diskurse prägend ist. Im Vergleich mit anderen medialen Erzähl-  und Darstellungsformen vermutlich leider nicht mehr allzu groß.


Richtin, Fred (2013): Bending the Frame: Photojournalism, Documentary, and the Citizen, New York: Aperture, S. 40.

Mittwoch, 20. Januar 2016

Refugees auf der Biennale in Venedig



Der deutsche Fotograf Tobias Zielony stellte auf der diesjährigen internationalen Kunstbiennale in Venedig ein Fotografieprojekt zum Thema Migration aus. Die Porträtierten haben ein politisches Anliegen, ebenso der Künstler. Was macht seine Fotokunst daraus? Der Artikel erschien in der Ausgabe 352 der Zeitschrift iz3w mit dem Themenschwerpunkt "Refugees & Selbstermächtigung" erschienen.
 
Es ist die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Bildkulturen, die Florian Ebner, Leiter der fotografischen Sammlung am Essener Folkwang Museum, zum zentralen Thema des deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig gemacht hat. Dabei hat er den Pavillon, ein klassizistisches Gebäude vom Beginn des 20. Jahrhunderts, zu einer Art „Fabrik“ – so auch der Titel der Ausstellung – umfunktioniert. Hier soll die Produktion und die Zirkulation von Bildern hinterfragt werden. Die einzige fotografische Arbeit im Pavillon stammt von dem deutschen Fotografen Tobias Zielony.

Zielony hat sich in der Kunstszene bisher vor allem mit Porträts von Jugendlichen einen Namen gemacht. Diesmal hat er in einer Langzeitstudie Geflüchtete porträtiert und ihre Geschichten eingefangen. Die ProtagonistInnen seiner Arbeit stammen beispielsweise aus Eritrea oder dem Südsudan. Sie gehören zu einer kleinen, sehr aktiven Gruppe politischer AktivistInnen unter den in Deutschland lebenden Geflüchteten. Wie geht Zielony in seiner künstlerischen Arbeit mit den politischen Anliegen der von ihm Porträtierten um?

Bilder sprechen …

Seit mehreren Jahren fotografiert Zielony Geflüchtete in Deutschland und deren Proteste. Ein Schwerpunkt seiner Dokumentation waren die Aktivitäten der Lampedusa Gruppe in Hamburg und das Protestcamp am Berliner Oranienplatz. Aus diesem Bildarchiv hat Zielony für die Biennale die Arbeit „The Citizen“ entwickelt. Die Arbeit besteht aus drei Teilen und ist in einem Licht durchfluteten Raum unter dem Dach des Pavillons zu sehen. Zum einen sind dort Porträts der Flüchtlinge zu sehen, die auf großen Wandtafeln präsentiert werden, die an ein Magazinlayout ohne Text angelehnt sind. Zum anderen werden Ausschnitte afrikanischer Zeitungen und Magazine in Schaukästen präsentiert, in denen Zielonys Bilder zusammen mit Kommentaren und Essays afrikanischer Autoren abgedruckt wurden. Artikel erschienen beispielsweise im „Daily Graphic“ aus Ghana oder „Citizen“ aus Südafrika.  Der letzte Teil besteht aus einer Zeitung die von den BesucherInnen mit nach Hause genommen werden kann und in der einige Porträtierte ihre Lebensgeschichte erzählen.

Blick auf die Installation von Tobias Zielony im Deutschen Pavillon in Venedig

Zielony, so der Ankündigungstext im Ausstellungsflyer, wollte mit seiner Arbeit die Porträtierten als politische Subjekte in den Vordergrund rücken. Damit steht sein Projekt in einer Tradition künstlerischer Arbeiten, die beabsichtigen, den im medialen und politischen Diskurs marginalisierten AkteurInnen eine Stimme zu geben. Das ist grundsätzlich ein ehrenwertes Unterfangen. Im Fall der von Zielony Porträtierten ist der Fall jedoch etwas komplexer, da die Geflüchteten mit ihrem politischen Protest schon selbst öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen generiert hatten. Die Proteste um den O-Platz in Berlin waren die größten und wichtigsten selbstorganisierten Flüchtlingsproteste, die es in Deutschland bisher gab, und hatten eine große mediale Aufmerksamkeit zur Folge. Durch ihren Protest haben die Geflüchteten sich selbst bereits zu politischen Subjekten gemacht und als solche in die Öffentlichkeit gebracht.

Einen stark entpolitisierten Rahmen zur Rezeption von Zielonys Projekt schafft vor allem die Präsentation seiner Bilder. Mit den weißen Flächen zwischen den Bildern will der Fotograf auf die Brüche in den Biographien der Porträtierten aufmerksam machen. Aber dies hat zur Folge, dass deren Aktionen nicht kontextualisiert werden können. Die Bilder bekommen damit eine rein ästhetische Funktion.

… und verschweigen

Exemplarisch deutlich wird dies an einem Bild, welches die  Aktivistin Napoli Langa bei ihrer Baumbesetzung im vergangenen Jahr am Berliner O-Platz zeigt. Ohne Bildunterschrift und Kontextinformationen kann der Betrachtende die herausragende Bedeutung und die Verzweiflung, die zu der im Bild dargestellten Aktion geführt hatte, nicht entschlüsseln. Dies hat zur Folge, dass die Aufmerksamkeit der Betrachtenden stärker auf die von Zielony gewählte Form und damit auf seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema gelenkt wird. Das politische Anliegen der FlüchtlingsaktivistInnen und der Kontext ihres Protests treten so in den Hintergrund.

Schade ist, dass auch der größere politische Kontext, in dem die Flüchtlingsproteste zu betrachten sind, in der Arbeit nicht zur Sprache kommt. Es waren die starren und menschenfeindlichen Regeln des deutschen Asylgesetzes wie die Residenzpflicht und die Umsetzung der Dublin II Verordnung, die zu den Protesten geführt haben. Bis zum Schluss wurde den Protestierenden am Berliner O-Platz die Gewährung eines Aufenthaltsstatus aus humanitären Gründen verweigert. Den langen Atem und das letzte Wort hatten letztlich die deutschen Behörden. Die Geflüchteten wurden mit einer schwammigen Absichtserklärung abgespeist, dem sogenannten „O-Platz Agreement“, das sich schon kurz nach Unterzeichnung als rechtlich nicht bindend erwies. All dies wären Dinge gewesen, die in der Arbeit hätten thematisiert werden können.

Und noch etwas stimmt nachdenklich. Viele der Aktivisten vom O-Platz und auch einige der von Zielony Porträtierten haben den Weg nach Deutschland über Italien gefunden, entweder weil ihre Papiere dort abgelaufen waren oder weil sie dort keine Perspektive mehr sahen. Was bedeutet es nun, wenn ihre Bilder zurück nach Italien reisen und dort in einem Kunstkontext öffentlich ausgestellt werden? Dies hätte, gerade wenn ein Ziel die Auseinandersetzung mit der Zirkulation von Bildern und deren vermeintlichem Potential zur Schaffung von Realität ist, in irgendeiner Weise aufgegriffen werden müssen. Während viele der Italienflüchtlinge in Deutschland mit Reiserestriktionen belegt sind, können ihre Bilder problemlos global zirkulieren. Dies ist die wohl größte und traurigste Ironie der Geschichte.

Eine Dokumentation der Austellung findet sich auch Online. Des weiteren ist ein Katalog zur Ausstellung erschienen: Fabrik. Venedig, Biennale 2015, Deutscher Pavillon. Hg.: Institut für Auslandsbeziehungen. 220 Seiten, 26,17 Euro

Dienstag, 12. Januar 2016

Das Problem von Retrospektiven


Sie sind in Mode wie noch nie, Retrospektiven bekannter Fotografen aus dem 20. Jahrhundert. Unzählige gab es in den letzten Jahren in fast allen wichtigen Fotomuseen und Galerien Europas. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Stolpersteinen die dabei zu beachten sind, wie es beispielsweise an der aktuellen Retrospektive des französischen Fotografen Bruno Barbey in der Maison Européenne de la Photographie in Paris sehr gut deutlich wird.

Die Ausstellung trägt den Namen Passages und zeigt Barbey fotografisches Werk der vergangenen 50 Jahre. Im Vordergrund stehen großformatige Abzüge seiner Farbfotografie, die für diese Ausstellung neu produziert wurden. Es ist ein Sammelsurium seiner fotografischen Reisen und dokumentarischen Arbeiten. Offiziell gibt es sowas wie Kapitel, die dann Italien, Brasilien oder Portugal heißen. Die Schwierigkeit: Manchmal ist es nur ein Bild, meist zwei bis fünf, selten mehr als zehn Bilder. Da fragt man sich, was man in diesen Bildern über die Länder erfährt.

Barbey war ein Fotojournalist, der relativ jung in die Agentur Magnum aufgenommen wurde. In deren Auftrag bereiste der die Welt und fertigte Reportagen für die wichtigsten Magazine der vergangenen Jahrzehnte an. Welches Potential seine Fotografien aus einer historischen, dokumentarischen Perspektive haben, wird in einem kleinen Gang deutlich, in dem Vintage Prints* in SW und Farbe ausgestellt sind. Hier finden sich kleine Serien über die Fedayin in Jordanien oder die kurdischen Peshmerga unter Barzani im Irak.

Dass der Schwerpunkt der Ausstellung nicht darauf liegt, das journalistische dieser Arbeiten herauszuarbeiten und aus einer zeithistorischen Perspektive spannende Geschichten zu erzählen, sondern einzelne großformatige Farbbilder in den Vordergrund zu stellen, trifft leider den kuratorischen Zeitgeist. Und es weist auf ein leider allzuweit verbreitetes Phänomen hin: den Versuch, aus dokumentarischen Fotografen Fotokünstler zu machen und sie auf dem Kunstmarkt zu etablieren. Das ist schade und viel zu kurz gedacht.


*Vintage Prints werden historische Originalfotoabzüge genannt. Diese sind meist kleiner und waren oft für das Archiv oder andere Zwecke gedacht. Heute werden wie im Falle Barbeys oft neue Abzüge angefertigt. Bei Größen von über einem Meter in der Diagonale zeigt sich dann wie in diesem Fall das Problem, dass die Bilder sehr grobkörnig sind, da die Auflösung damals nicht mehr hergab.

Montag, 4. Januar 2016

Fokus Palästina

Zurzeit ist in Paris ein spannendes Ausstellungsprojekt zu sehen: die Biennale für Fotografie aus der zeitgenössischen arabischen Welt. An acht Orten, darunter dem Institut du Monde Arabe sowie der Maison Européenne de la Photographie sind die Werke von 50 Fotografen ausgestellt. Einige der Arbeiten stammen von palästinensischen Fotografen oder haben Palästina zum Thema und werfen einen spannenden und unbekannten Blick auf die Region. Diese sollen hier kurz vorgestellt werden.

Der palästinensische Künstler Yazan Khalili beispielsweise zeigt im Institut du Monde Arabe seine Fotoserie „Paysage de l'Obscurité“. Es sind düstere Nachtaufnahmen von Landschaften, die im Dunkeln liegen. Auf einem Bild erstreckt sich dazu am Horizont eine erleuchtete Ebene, auf einem anderen eine hell erleuchtete Straße. Es ist der typische Blick von den Bergen der Westbank hinunter nach Israel zu den urbanen Zentren am Meer. Khalili nimmt hier über die Frage der Beleuchtung die Asymmetrie des israelisch-palästinensischen Konflikts auf Korn.

Amélie Debray - Spectatrices du stade Al-Bireh de Ramallah, Palestine, 2011 © Amélie Debray
Courtesy Galerie du Jour Agnès b, Paris
Dem Thema Fußball in Palästina widmet sich die französische Fotografin Amélie Debray. In einer umfangreichen fotografischen Recherche mit dem Titel „Surface de réparation“ zeigt sie die Fußballbegeisterung des palästinensischen Volkes, egal ob Kinder, Männer oder Frauen. Eine tolle Alltagsbeobachtung zeigt beispielsweise eine Gruppe junger Frauen im Stadium von Al-Bireh bei Ramallah. Freundlich lächelnd blickt eines der Mädchen forsch direkt in die Kamera. Debray hat ein wunderbares Porträt des Alltags in Palästina geschaffen, das sich angenehm aus dem Kanon fotografischer Reportagen über die Region abhebt.

Etwas ratlos lässt den kritischen Betrachter die Arbeit „Gaza: eau miracle“ von Massimo Berruti zurück. Sie ist Teil eines größeren fotografischen Projekts, das der italienische Fotograf für die französische Entwicklungshilfeagentur AFD erarbeitet hat. Die in der Maison Européenne de la Photographie gezeigte Arbeit versammelt Bilder aus dem Gazastreifen, die den Umgang mit der knappen Ressource Wasser und daraus entstehenden Problemen zeigen sollen. Über begleitende Texte ist sie in einen sehr politischen Diskurs eingebettet, der die Wasserknappheit als Folge der israelischen Besatzungspolitik darstellt. So weit so gut.

Leider fokussieren die kontrastreichen Schwarz-Weiß Bilder stark auf Kinder im Gazastreifen und zeigen den Küstenstreifen fast ausschließlich als einen miserablen Ort. Andere Themen die einem zu Wasser in den Sinn kommen. z.B. des unterschiedlichen Gebrauchs von Wasser in der Unter- oder Oberschicht, werden nicht aufgegriffen. Damit steht die Arbeit in einer Tradition von Arbeiten die von internationalen Organisationen finanziert werden und den Fokus ausschließlich auf die Misere richten und damit den Opferstatus der Palästinenser zementieren.

Daneben sind in der Ausstellung im Institut du Monde Arabe Bilder des palästinensischen Fotografen Steve Sabella zu sehen, der mittlerweile in Berlin lebt, sowie von Mohammed Abusal aus dem Gazastreifen. Sabella zeigt seine Serie „38 Days of Re-collection“. Mohammed Abusal dagegen zeigt in seiner Serie „Shambar“ Nachtaufnahmen aus dem Gazastreifen von Orten, die von Generatoren unterschiedlicher Stärke beleuchtet werden und verweist damit auf die Elektrizitätsprobleme im Gazastreifen.

Eine interessante Reflektion in Bezug auf die Rolle der Fotografie im Verhältnis von Unterdrücker und Unterdrückten war in der Ausstellung in einem Statement des palästinensischen Künstlers Yazan Khalili zu lesen: „Der Fotoapparat des Unterdrückten ist die Fortsetzung seines Auges, während der Fotoapparat des Unterdrückers die Fortsetzung seines Geistes ist“.


Zur Biennale ist ein Katalog im Snoeck Verlag (ISBN 978-94-6161-262-5) erschienen. Die Webseite der Biennale stellt darüber hinaus alle beteiligten Künstler einzeln vor. Zur Arbeit von Amélie Debray über Fußball in Palästina ist im Verlag „Les presses du reel“ auch ein umfangreiches Buch erschienen.