Meiner Ansicht nach ist es sinnvoll, in Abgrenzung von der Konflikt- und Kriegsfotografie die Theorie – und damit auch eine Anleitung für die Praxis – einer Friedensfotografie bzw. einer konfliktsensitiven Fotografie zu entwickeln. Der Grund ist, dass Bildern in ihrer Funktion als Vermittler eine zentrale Rolle in der massenmedialen Berichterstattung zukommt, insbesondere wenn es um die Darstellung von Konflikten geht. Von daher müssen ihre Auswahl und ihre Produktionskriterien ob ihres Zweckes hinterfragt und Alternativen entwickelt werden. Vor allem, da konfliktive und gewalthaltige Situationen den strukturellen Vorteil sehr bildgewaltiger und visuell beeindruckender Ereignisse haben und somit geeigneter erscheinen, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen.
Zentral ist es mit ähnlichen Kriterien ans Werk zu gehen wie Wort-Journalisten die im Bereich des konfliktsensitiven Journalismus arbeiten. Die Konfliktsensitivität ist sicherlich der zentrale Begriff, der auch für Fotografen und Bildproduzenten Gültigkeit besitzt. Das heißt primär, mit Empathie und einer Fokussierung auf den Menschen an die Arbeit zu gehen, dass man ausgehend von einer umfangreichen Konfliktanalyse arbeitet, die Methoden der Friedens- und Konfliktforschung anwendet und die Perspektive der Bilder und Geschichten lösungsorientiert ist. Fotojournalistische Arbeit in diesem Sinn lässt sich ohne umfangreiche Recherchen im vorhinein nicht machen. Auch ein fundiertes konflikttheoretisches Wissen gehört dazu. Es reicht des Weiteren nicht aus, zu wissen wie man sich in Kriegs- und Krisengebieten bewegt und das eigene Leben schützt, auch das Wissen um die eigene Rolle und die Implikationen der eigenen Anwesenheit für den Konflikt sind zentral.
Über Bord geworfen werden muss meiner Ansicht nach das Konzept des Kriegsfotografen als dem neutralen Dokumentator oder Beobachter. Die Ausübung einer neutralen Funktion bei der Anwesenheit in Kriegen und Konflikten ist so gut wie unmöglich. Vom Moment unseres Auftauchens in der Region an hat die Anwesenheit des Fotografen positive oder negative Implikationen. Das Sinnvollste, was sich daraus ableiten lässt, ist eine Forderung nach Allparteilichkeit, die jedoch in der Praxis schwer umzusetzen ist. So ist es nicht unbedingt notwendig, mit jeder Partei zu reden und sie zu bebildern, aber es muss versucht werden mit gleicher Intensität auf beiden oder allen im Konflikt involvierten Seiten präsent zu sein.
Ein großes Problem stellt auch die Bildsprache dar, die vor allem in den Massenmedien von einer Faszination für dramatische und epische Untergangsszenarien geprägt ist. Ruinen, Opfer von Gewalt, die letzten Überlebenden, all dies sind „sexy“ Bilder die sich gut verkaufen lassen und die kurzfristig die Aufmerksamkeit des Medienrezipienten binden. Dies heißt keinesfalls, dass nicht Bilder vom Konflikt gemacht werden können, die eine ähnliche Faszination und Aussagekraft haben, ohne dass aber Gewalt und Leid im Mittelpunkt stehen.
Von zentraler Bedeutung ist auch den weiteren Weg nicht aus den Augen zu verlieren, den ein Bild ab dem Zeitpunkt der Aufnahme bis hin zum Abdruck in einem Medium nimmt. Auch hier könnten konfliktsensitive Standards implementiert werden. Mehr Bedeutung müsste den Angaben des Bildes gegeben werden, die vom Fotografen erstellt werden und die den Kontext der Aufnahmen erklären: Datum, Uhrzeit, Ort, Umstände, Bildunterschrift, Akteure und Namen der Abgebildeten. Diese Angaben müssen so ausführlich wie möglich dann auch im entsprechenden Medium abgebildet werden, um dem kritischen Rezipienten die Möglichkeit zu geben das Bild einzuordnen. Des Weiteren müsste von den Fotografen die Forderung an die Redaktionen getragen werden, sich so weit wie möglich von der Ein-Bild-Darstellung wie sie vor allem in den Tageszeitungen vorherrscht, zu verabschieden. Bildpaare, die zwei kleine Fenster auf das behandelte Thema öffnen, sollten dies ersetzen.
Diese Gedanken sollen eine Anregung zur Diskussion darstellen. Kommentare sind herzlich willkommen.