Ende 2010 erschien im Göttinger Steidl Verlag das Foto-Buch „The book of Destruction: Gaza - One Year After the 2009 War “ des deutschen Fotografen Kai Wiedenhöfer. Es ist ein Abschluss seiner umfangreichen fotojournalistischen Arbeit über die Auswirkungen des Nahostkonflikts auf den Gazastreifen und nach den Veröffentlichungen „Perfect Peace“ 2002 und „Wall“ 2007 seine dritte Buchpublikation.
„The Book of Destruction“ macht es einem wahrlich nicht leicht: auf 145 Seiten gibt es auf den ersten Blick nichts als Zerstörung und menschliches Leid. Zu sehen sind die Folgen des letzten Gaza-Krieges um den Jahreswechsel 2008/2009 bzw. der von den Israel so genannten Militäroperation „Cast Lead“ (Gegossenes Blei). Kai Wiedenhöfer kann als einer der profundesten Kenner des Gazastreifens gelten, als der einzige deutsche Fotojournalist der sich schwerpunktmäßig mit dieser Region seit über 20 Jahren auseinandersetzt, von der ersten über die zweite Intifada bis in die Wirren der letzten Kriege hinein. Die Recherchen und die Arbeit zum „Book of destruction“ wurden durch einen Preis der französischen Foundation Carmignac ermöglicht und verschafften Kai Wiedenhöfer die Möglichkeit, von November 2009 bis März 2010 im Gazastreifen zu arbeiten.
Das Buch ist eine Mischung aus großformatigen, panoramaartigen Stadt- und Landschaftsbildern von Ruinen sowie Portraits während des Kriegs verletzter Palästinenser. Die Bilder der Ruinen sind sachlich distanziert, meist in sanftem Licht aufgenommen. Im Buch ziehen sie sich als Querformate immer über eine Doppelseite. Ergänzt werden sie durch knappe Bildunterschriften, die kurz den Ort und die Geschehnisse beschreiben. So erfährt man zum Teil interessante Details, wie die Bedeutung blauer auf die Wände gesprühter Nummern, die von einer Katalogisierung der Kriegsschäden durch die UN stammen. Nur zufällig erscheinen auf den Bildern auch immer wieder Menschen, ohne dass diese jedoch im Vordergrund stehen würden.
Um so präsenter sind die menschlichen Schicksale in den Portraits die sich mit den Landschaftsbildern abwechseln. In natürlichem Licht aufgenommen stehen sich meist zwei Portraits gegenüber, ergänzt durch zum Teil umfangreiche Zeugnisse über das Schicksal der Abgebildeten. Zu sehen sind Frauen, Männer, Kinder und zum Teil Familienmitglieder, sitzend oder stehend, eingebettet meist in ihr häusliches Umfeld. So bekommt der Betrachter über die Person hinaus kleine Einblicke in die Lebensumstände der Porträtierten. Die Porträts sind ebenfalls sachlich und distanziert, in gedämpften Farben gehalten.
Was die Porträtierten eint, sind die immensen körperlichen Schäden die sie aus dem Krieg mitgenommen haben und die vom Verlust von Gliedmaßen bis hin zu schweren Verbrennungen reichen. Die Sachlichkeit in der die Bilder aufgenommen worden sind hat eine emotionalisierende Wirkung und schafft Empathie für diese Menschen. Es handelt sich hierbei um Anti-Kriegsfotografie im wahren Sinn des Wortes, ein Zeugnis über die unvorstellbaren Folgen von Krieg auf die Zivilbevölkerung. In der Masse sind diese Bilder jedoch überwältigend und man möchte immer wieder den Blick von ihnen abwenden.
In den Bildern wird die Bedeutung der Asymmetrie zeitgenössischer Kriege klar und die Auswirkungen, die diese für die Zivilbevölkerung haben. So hat die von Münkler beschriebene „asymmetrische Überlegenheit eines aus großer Höhe oder über große Distanz geführten Angriffs“ (Münkler 2006: 206) mit als solchen beschriebenen „chirurgischen Eingriffe“ und gezielten Luftschläge oft genau das zur Folge, was Wiedenhöfer in seinen Bilder der Folgen der israelischen Militärintervention zeigt: großes Leid auf Seiten der Zivilbevölkerung.
Und doch sind auch diese Bilder mit Vorsicht zu genießen. Wie alle fotografischen Zeugnisse können sie nur einen Ausschnitt aus der Realität zeigen: in diesem Fall der Opfer und Leidtragenden des Gaza-Krieges auf palästinensischer Seite. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Krieg gerechtfertigt war oder nicht: zivile Opfer gab es zu Hauff. Und die Zahlen der Vereinten Nationen oder israelischer Menschenrechtsorganisationen sprechen eine klare Sprache: um die 1.380 Palästinenser haben im Krieg ihr Leben gelassen, darunter mindestes 80% Zivilisten. Aber natürlich gibt es auch im Gazastreifen Kriegsgewinnler und die Hamas die den Krieg rücksichtslos und bewußt ins zivile Leben Israels trägt. Nur sind die Folgen dort um ein vielfaches geringer. Auch gibt es im Gazastreifen ein Alltagsleben abseits von Krieg und Gewalt, was jedoch nicht im Fokus der Arbeit von Wiedenhöfer steht.
Wahrscheinlich ist die fotografische Herangehensweise Wiedenhöfers zu langsam und zu unspektakulär für die massenmediale Berichterstattung. Auch wenn zu Wünschen wäre, dass mehr dieser eher leisen und tiefgründigen Arbeiten in den Medien zu sehen wären. Christian Caujolle schreibt dazu im Vorwort zu „The book of destruction“: „Beyond the undeniable precision and the visual impact of a form of modesty portrayed through distance and refusal of sensationalism, these aesthetic voices, which clearly demonstrate the movement towards a photography stripped of delusions which the press, with the active complicity of reporters, deligthed in, also convey something more intimate and perhaps more profound“ (Caujolle 2010: 9).
Vieles bleibt zu hoffen, sowohl für die politische Situation der Menschen im Gazastreifen und in Israel als auch für die fotografische Arbeit Wiedenhöfers. So wäre es schade wenn die sensible und empathische Arbeit für plumpe anti-israelische Stimmungsmache genutzt werden würde. Des Weiteren ist zu hoffen, dass die Arbeit als das publiziert und gezeigt wird was sie ist: ein hervorragendes Beispiel konzeptionell-dokumentarischer Fotografie und nicht in einem Kunstkontext vermarktet wird, wofür die Themen zu Ernst sind und die Arbeit zu schade ist.
Slideshows und Videos:
Weitere Artikel zu Buch und Ausstellung:
Quellen
- B´Tselem: http://www.btselem.org/english/Gaza_Strip/Castlead_Operation.asp
- Caujolle, Christian (2010): 20 Years; In: Wiedenhöfer, Kai: The book of destruction: Gaza – One year after the 2009 War; Göttingen: Steidl.
- Münkler, Herfried (2006): Der Wandel des Krieges – Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.