Donnerstag, 28. November 2019

Buchrezension "Peace Photography"


Wer zu Fragen der Visualität in der Friedens- und Konfliktforschung arbeitet, der kommt kaum an den Texten des am finnischen Tampere Peace Research Institute arbeitenden Frank Möller vorbei. Er ist einer der Vorreiter einer »visuellen Friedensforschung/visual peace research«, was er unter anderem mit seinem richtungsweisenden Aufsatz »Friedenswissenschaft als Bildforschung« in W&F 3-2008 unter Beweis stellte. Nach dem Band »Visual Peace« (2013) hat er nun bei Palgrave Mcmillan mit »Peace Photography« (2019) eine zweite Monografie zur Visualität in der Friedens- und Konfliktforschung vorgelegt. Das englischsprachige Buch hat drei Teile mit insgesamt zehn Kapiteln und ist von Möller so angelegt, dass es sowohl als Monografie als auch kapitelweise lesbar ist.

Frank Möller beginnt seine Einleitung im Rückgriff auf Peter Weiss‘ »Ästhetik des Widerstands« mit der Anmerkung, dass „um die Regeln der Welt zu ändern, das Bild von der Welt sich ebenfalls ändern muss“ (S. 3.). Ein Bild der Welt, welches er vermisst und versucht, empirisch und theoretisch herzuleiten, ist das über eine »peace photography« (Friedensfotografie) vermittelte bzw. repräsentierte. Die Notwendigkeit seiner akademischen Überlegungen leitet er aus dem Fakt ab, dass es zwar eine Vielzahl von Büchern und Artikeln über die Repräsentation von Krieg und organisierter Gewalt, nicht aber über die fotografische Repräsentationen von Frieden gibt (S. 8). Dies gilt von wenigen Ausnahmen abgesehen auch für die fotografische bzw. fotojournalistische Praxis und deren Themensetzung.

Im zweiten Kapitel, »Peace and Peace Photography«, wird schnell deutlich, dass die Herausforderung beider Konzepte darin besteht, dass eine Kategorie bzw. ein Begriff wie Frieden nicht nur schwer bestimmsondern noch schwieriger visualisierbarist. So ist es nur konsequent, wenn Möller »peace photography« als ein pluralistisches Konzept bezeichnet: „Verschiedene Konzepte von Frieden erfordern unterschiedliche Formen visueller Repräsentation“ (S. 49), um folgendermaßen fortzufahren: „Friedensfotografie braucht nicht nur eine Visualierung von Frieden, sondern auch Betrachter, die nach solchen Visualisierungen suchen“ (S. 49). Gleichwohl hat auch die Betitelung jedweden Bildesmit Abwesenheit von Gewalt – also eine Visualisierung negativen Friedens –als »peace photography« ihre Problematik: „[D]as ganze Konzept der Friedensfotografie würde keinen Sinn machen, wenn (nahezu) jede Fotografie als Friedensfotografie angesehen würde“ (S. 53).

Ein gutes Beispiel für Möllers Vorgehen,an dem seine Argumentationsweise transparent wird, ist das dritte Kapitel, »This is Peace! Robert Capa at Work« (S. 89 ff.). Er nimmt dort letztlich eine Art Umdeutung Robert Capas vom Kriegs- zum Friedens- fotografen vor. Während Capa vor allem für seine Bildikonen aus dem Spanischen Bürgerkrieg oder dem »D-Day« in der Normandie zu einer Standardreferenz für Kriegsfotografie wurde, rückt Möller Capas Bilder vom Alltagsleben in Spanien zu Zeiten des Bürgerkriegs in den Vordergrund. Für Möller sind sie als Friedensfotografie interpretierbar: [S]ie zeigen eine andere Realität von Krieg und visualisieren Frieden – Inseln des Friedens – in einem Land im Krieg“ (S. 92). Damit zeigt sich, dassein Element des Ansatzes von Möller aus der diskursiven Rahmung von bestimmten Bildern als Friedensfotografie besteht.

In den Kapiteln 5 und 6 greift Möllermit der »aftermath photography« undder »forensic photography« fotografische Konzepte auf, die vor allem in der künstlerischen Dokumentarfotografie breite Rezeption erfahren. Die »aftermath photograpyh« etwa, die aus der Visualisierung leerer Landschaften und verlassener Orte besteht, ist für Möller eine „politische und ästhetische Gegenstrategie, die sich standardi- sierten Formen der Kriegsfotografie widersetzt, auf Kritik an Kriegsfotografie reagiert und die fotojournalistischen Grenzen der Darstellung erweitert“ (S. 111). Anhand der »forensic photography« diskutiert er die Rückkehr des Beweises und setzt dies mit der Debatte um »alternative Fakten« und »postfaktische« Argumente in Bezug (S. 177), um abschließend zu kommentieren: „Technologie verändert sich ebenso wie die gezeigten Subjekte, aber die Hoffnung, die auf Fotografie ruht, bleibt hartnäckig die selbe. (S. 179)

Der Fotojournalismus als das Feld, aus dem bis heute eine Vielzahl von Kriegsfotografien stammt, wird von Möller argumentativ an vielen Stellen (kritisch) aufgegriffen. Daher ist es etwas verwunderlich, dass journalistische Konzepte, die den Frieden und die Abkehr vom Krieg in den Vordergrund rücken, wie der konfliktsensitive Journalismus, im Buch kaum eine Rolle spielen. Erklären lässt sich dies damit, dass Möllers Zugang zur Fotografie eher bildwissenschaftlicher denn journalistischer bzw. kommunikationswissenschaftlicher Natur ist. So ist es dann nur konsequent, dass viele Beispiele, die er diskutiert, wie etwa die Arbeiten von Alfredo Jaar, Bleda y Rosa, Richard Mosse oder Simon Norfolk, in der Foto-Kunst zu verorten sind, auch wenn Möller die Unterscheidung von Journalismus und Kunst selbst immer wieder kritisch hinterfragt.

Die Qualität von Möllers Buch besteht darin, dass er relevante Begriffs- und Themenfelder sowohl aus der Friedens- und Konfliktforschung als auch der Fotografieforschung bzw. den »Visual Culture Studies«, wie etwa die Debatte um »security communities« oder »citizen photography«, aufgreift und miteinander verzahnt. Gewinnend ist, dass er sich als Autor immer wieder selbstreflexiv in den Text einbaut, etwa indem er zu Beginn von Kapitel 6 schreibt „Ich werde über die Entwicklung meiner eigenen Muster des Sehens und Interpretierens schreiben.“ (S. 134) Gleiches macht er in Bezug auf die Betrachter*innen von Bildern, wenn es heißt: „[I]ndividuelle Beurteilungen von Bildern können nicht von der visuellen Sozialisation der Person getrennt werden, die ein Bild beurteilt“ (S. 146).

Möllers Band ist durchaus anspruchsvoll, und seine Argumentationsgänge sind nicht immer leicht nachvollziehbar. So ist »Peace Photography« vor allem für Leser*innen geeignet, die sowohl in der Friedens- und Konfliktforschung als auch den »Visual Culture Studies« zumindest Grundwissen haben. Hilfreich sind die Kapitelstruktur und der ausführliche Index, die eine schnelle Orientierung ermöglichen und die Option bieten, verschiedene Debattenstränge separat zu verfolgen oder Möllers Auseinandersetzung mit bestimmten Künstler*innen nachzuvollziehen. Der Band bereichert zweifelsohne die Debatte um die Bedeutung der Visualität in der Friedens- und Konfliktforschung um eine weitere Facette, ohne dass ein Ende sicht- bzw. denkbar wäre, denn „die Grenzen der Fotografie sind nicht die Grenzen der visuellen Kultur“ (S. 236).

Möller, Frank (2019): Peace Photography. Basingstoke: Palgrave Mcmillan, ISBN 978-3-030-03221-0, 290 S., 72,49 Euro.

Die Rezension ist zuerst erschienen in Wissenschaft&Frieden 4/2019, S. 51/52.