Die politische Auswirkung des israelisch-palästinensischen
Konflikts auf Israel aufzuzeigen ist ein zentrales Anliegen des
Fotografenkollektivs Activestills, zu dem auch der Israeli Oren Ziv gehört. In
seiner Serie „Al Araqib“ aus dem Jahr 2012 dokumentierte er die Zerstörung des
gleichnamigen Beduinendorfes in der Negev durch den israelischen Staat, um
Platz für den vom jüdischen Nationalfonds geplanten Ambassador-Forest zu
schaffen. An dieser Arbeit zeigt sich, dass die fotografische Produktion in der
Region viel mehr zu bieten hat als stereotype Bildklischees. Kaum eine
Konfliktregion verfügt über eine so hohe Dichte an FotojournalistInnen und
FotografInnen wie Israel/Palästina. Nicht nur alle internationalen
Nachrichtenagenturen sind dort präsent, auch viele freischaffende FotografInnen
arbeiten in der Region. Im Feld treffen dabei sowohl internationale als auch
lokale israelische und palästinensische FotografInnen aufeinander. Das Spektrum
der fotografischen Ansätze reicht von der Nachrichten- über die
Dokumentarfotografie bis hin zum Fotoaktivismus.
Die Nachrichtenfotografie wie im Fall von AP ist dabei eher
an tagesaktuellen Ereignissen interessiert und auf Einzelbilder ausgerichtet,
während die Dokumentarfotografie an Themen orientiert ist und stärker
erzählerisch in Form von Serien arbeitet. Der Fotoaktivismus dagegen ist in
beiden Feldern zu Hause und vor allem durch die dezidiert politische Haltung
der FotografInnen geprägt. Ebenso wie die fotografischen Ansätze unterscheiden
sich auch die Themen der FotojournalistInnen. Zentrale Qualitätsmerkmale sind
die Augenzeugenschaft der FotografInnen und die damit verbundene Authentizität der
Fotografien. FotografIn und Subjekt begegnen sich im fotografischen Akt, der
vor allem vom Zeitraum der Begegnung und der Art des Ereignisses abhängig ist
und in dem Macht- und Herrschaftsverhältnisse jedes Mal neu verhandelt werden.
FotografInnen, die bei internationalen Nachrichtenagenturen
wie Reuters oder AP angestellt sind, haben kaum Möglichkeiten, eigene Akzente
zu setzen, und folgen der Nachrichtenfaktorenroutine. Diese bestimmt, wie
Ereignissen über bestimmte Faktoren wie Neuigkeit, Nähe oder Dramatik ein Wert
zugeschrieben und damit festgelegt wird, wie berichtenswert einzelne Ereignisse
sind. Frei arbeitende FotografInnen hingegen können stärker persönlichen Vorlieben
folgen. Doch auch sie stoßen in einem Krisengebiet wie in Israel/Palästina an
ihre Grenzen. Denn herrschende politische Systeme und die Konfliktdynamiken
haben neben der Position der FotografInnen im Mediensystem einen zentralen
Einfluss auf deren Handlungsspielräume. Beispielsweise in punkto
Bewegungsfreiheit: Während sich internationale FotoreporterInnen mit
Presseausweis mehr oder weniger frei in der Region bewegen können, haben ihre
israelischen Kollegen keinen Zugang zum Gazastreifen und nur eingeschränkt in
die Westbank. Palästinensern bleibt die journalistische Arbeit in Israel
vollständig verwehrt.
Bilder des Scheiterns
Ein deutscher Fotograf, der seit vielen Jahren zum
israelisch-palästinensischen Konflikt arbeitet, ist Kai Wiedenhöfer. Er ist in
den 1990er Jahren zum ersten Mal in die Region gefahren und dokumentierte in
ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bildern die Situation in den palästinensischen
Gebieten und das Scheitern des Osloer Friedensprozesses. Die Bilder wurden
unter anderem im Steidl Verlag unter dem Titel „Perfect Peace: The Palestinians
from Intifada to Intifada“ publiziert. Gestartet als klassischer
Dokumentarfotograf, hat sich die Arbeit von Wiedenhöfer jedoch immer stärker in
Richtung eines konzeptionellen Ansatzes entwickelt. Seine Arbeiten haben einen
seriellen Charakter und sind nur zu verstehen, wenn man die Bilderfolge
betrachtet. Dies ist sehr gut an den beiden Buchprojekten „Wall“ (2008) und
„Book of Destruction“ (2010) zu sehen.
Im Jahr 2013 schloss Wiedenhöfer ein mehrjähriges Projekt
zum Thema Grenzen ab. In Berlin plakatierte er dazu auf den Mauerresten an der
Eastside-Gallery Fotografien der wichtigsten Grenzanlagen des 21. Jahrhunderts,
von der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko über die Waffenstillstandslinie in
Zypern bis hin zur Sperranlage zwischen Israel und der Westbank. Wiedenhöfer
steht exemplarisch für den frei schaffenden Dokumentarfotografen. Er wechselt
zwischen Auftragsproduktionen und freien Projekten und kommt bis heute ohne
eine eigene Webseite und die Vertretung durch eine Fotoagentur aus. In Israel
und den palästinensischen Gebieten erlaubt ihm sein deutscher Pass, sich
relativ frei zu bewegen.
Klassische Ikonografie
Anders stellt sich dagegen die Situation für den jungen
palästinensischen Fotografen Fadi Arouri dar, der Bilder für die tagesaktuelle
Nachrichtenfotografie der internationalen Agenturen produziert. Sein
Wirkungskreis beschränkt sich gezwungenermaßen auf die Westbank; der Zugang
nach Israel und zum Gazastreifen wird ihm von Israel verwehrt. Angefangen hat
Arouri als Freelancer für internationale Nachrichtenagenturen. Seit 2010 ist er
der Repräsentant der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua in der Westbank.
Kaum ein Termin im Politikzirkus in Ramallah, kaum eine Demonstration in der Westbank,
wo Arouri nicht präsent ist. Das Geschäft von Nachrichtenfotografen wie Arouri ist das
tägliche Kleinklein der Berichterstattung und damit das Bespielen der Archive
der Nachrichtenagenturen. Es geht um aussagekräftige Einzelbilder und um
Eye-Catcher, die das Zeug haben, auf den Titelseiten internationaler Zeitungen
abgebildet zu werden. So finden sich in seinem Archiv viele Bilder des
politischen Protests, welche die klassische Ikonografie des Konflikts mit
Bildern Steine werfender Demonstranten oder palästinensischer Märtyrer
bedienen, wie es auf seiner Facebookseite sichtbar wird. Aber er versucht auch
den Bildklischees mit Fotos entgegenzusteuern, die den Alltag in der Westbank
zeigen. Arouri gehört zu den ersten Absolventen eines Kurses in Fotojournalismus,
der an der palästinensischen Birzeit Universität angeboten und von der
Ost-Jerusalemer Fotografin Rula Halawani geleitet wird. Bis in die 1990er Jahre
hinein gab es kaum palästinensische Fotografen auf dem Markt, das Geschäft war
fest in der Hand internationaler und israelischer FotografInnen.
Politische Fotografie
Zur gleichen Generation wie Arouri gehört der israelische
Fotograf und Autodidakt Oren Ziv. Während er sich als Brotjob bei einer
israelischen Tageszeitung als Fotograf verdingt, gehört er als
Gründungsmitglied des Fotografenkollektivs Activestills zu den politischsten
FotografInnen Israels. Activestills stammt aus der anarchistischen Szene in
Israel stammt und dokumentiert vor allem politische Proteste im eigenen Land
sowie in der Westbank. In akribischer Kleinarbeit haben sie in den vergangenen
Jahren ein umfangreiches Archiv des zivilen Ungehorsams und des gewaltfreien
Protests kreiert. Durch ihre beharrliche Dokumentation konnten sie Schlaglichter
auf Themen wie die Zwangsumsiedlung von Beduinen in der Negevwüste, die
Proteste afrikanischer Flüchtlinge oder die Problematik der Hauszerstörungen in
Ost-Jerusalem werfen. Die Bilder von Activestills werden in der Regel nicht
kommerziell verwertet und stehen zivilgesellschaftlichen Organisationen in
Israel und Palästina zur Nutzung zur Verfügung. Teil der politischen Arbeit von
Activestills war und ist das Plakatieren von Bilderserien aus der
palästinensischen Westbank im Stadtraum von Tel Aviv. Waren die Arbeiten von
Ziv und seinen Kollegen aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber der
israelischen Regierungspolitik und dem offenen Widerstand gegen deren
Besatzungspolitik für lange Zeit Tabu für den israelischen
Mainstreamjournalismus, so bekam Ziv im Jahr 2011 mit einer Auszeichnung beim
israelischen Pressefotografiepreis „Local Testimony“ eine offizielle
Anerkennung für seine fotografische Arbeit.
Die Arbeit der drei hier vorgestellten Fotografen zeigt,
dass der Vielfalt der fotografischen Darstellung des
israelisch-palästinensischen Konflikts (fast) keine Grenzen gesetzt sind. Obwohl
der Konflikt auf eine gewisse Art und Weise überfotografiert ist, gelingt es
FotoreporterInnen immer wieder, ungewöhnliche Formen des visuellen Erzählens zu
finden und neue, bisher nicht bearbeitete Themen aufzutun. Dass Bilder wie die von
Activestills es meist nicht in die Massenmedien schaffen, liegt vor allem an
der Komplexität der von ihnen angesprochenen Themen. Vieles, was sie
produzieren, braucht eine ausführliche Kontextualisierung. Diese ist im Tageszeitungsjournalismus
in der Regel nicht erwünscht. Dort wird einfachen, binär kodierten visuellen
Botschaften immer noch der Vorzug gegeben.
So sagt die Vielfalt der fotografischen Ansätze im Feld erst
einmal nichts darüber aus, welche Bilder gedruckt werden und ob und wie mit
diesen visuelle Stereotype bedient werden. Was ein aufmerksamer und forschender
Blick auf die Produktion ermöglichen kann, ist das Potenzial und die Vielfalt
fotografischer Darstellung von Konflikten aufzuzeigen und damit die massenmediale
Publikationspraxis zu hinterfragen. Und damit ist schon viel gewonnen, wirkt es
doch einer eindimensionalen Konfliktdarstellung entgegen.
Internetlinks:
Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift iz3w, Ausgabe 343, vom Juli/August 2014 erschienen und wird hier mit deren Erlaubnis erneut veröffentlicht.