Seit diesem Monat ist im Jüdischen Museum in Berlin die Ausstellung "This Place" zu sehen. Sie zeigt die Fotoarbeiten von 11 Fotografen über Israel. Die Ausstellung hat viele mediale Präsenz. Etwas unter geht dabei, dass Sie schon 2014 in Prag gezeigt wurde. Es war quasi der Start der Welttour. Dort waren auch alle Werke in voller Länge zu sehen. Damals habe ich die Ausstellung für die Zeitschrift Photonews rezensiert und veröffentliche den Text hier erneut, um zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Ausstellung anzuregen.
Zentraler Ausstellungsraum des Dox Center in Prag mit Arbeiten von "This Place" |
Kaum eine Region weist eine
so hohe Dichte an lokalen und internationalen Fotografen auf wie Israel und die
palästinensischen Gebiete. In den deutschen und internationalen Medien sind
Bilder der Region allseits präsent und haben Eingang auch in den Kunstmarkt
gefunden. Dies hat den französischen Fotografen Fréderic Brenner nicht davon
abgehalten, für das Projekt „This Place“ 11 internationale Fotografen für zum
Teil mehrmonatige Künstlerresidenzen in die Region einzuladen. Die Ergebnisse
sind seit dem 24. Oktober in Form einer umfangreichen Ausstellung im Dox Center
for Contemporary Art in Prag zu sehen. Inspiration für sein Projekt holte sich
Fréderic Brenner bei anderen fotografischen Großprojekten, wie dem
Dokumentarprogramm der Farm Security Administration (FSA) in den USA der 1940er
Jahre und der „Mission photographique de la Datar“ aus dem Frankreich der
1980er Jahre.
Brenner verfolgt mit seinem
Projekt das Ziel, ein neues heterogenes Narrativ zu erschaffen und sich mit
Israel und der Westbank als Ort und Metapher zu beschäftigen: „Ich glaube, dass
wir nur durch die Augen großer Künstler anfangen können, die Komplexität
Israels zu verstehen“. Die entstandenen Projekte sind dabei allesamt Auftragsarbeiten,
die ausschließlich für „This Place“ angefertigt wurden. Die immensen Kosten von
fast 6 Millionen Euro wurden zum Großteil von amerikanischen Privatleuten und
Stiftungen sowie einer umfangreichen Materialspende von Kodak getragen. Damit wurde es möglich, dass alle
Fotografen auf Film fotografieren konnten und einige sich den Luxus gönnten,
das komplette Projekt in 8x10 Inch zu fotografieren. Neben der Teilnahme an der
Gruppenausstellung veröffentlichen alle Teilnehmer eigene Fotobücher über ihre
Projekte. Der Großteil davon erscheint bei Mack Books aus London.
Ästhetisch Erwartbares
Viele der beteiligten
Fotografen liefern dabei fotografisch und ästhetisch das, was man von ihnen
gewohnt ist. Während Brenner vor allem Familienporträts unterschiedlicher
jüdischer Glaubensrichtungen anfertigt, setzt sich Stephen Shore intensiv mit
der Landschaft in der Region auseinander. Joseph Koudelka fokussiert sich
dagegen auf die Mauer bzw. israelische Sperranlage und zeigt sie in
altbekannter, grobkörniger Schwarz-Weiß Fotografie im Panoramaformat. Thomas
Struth setzt konsequent Landschaften und Interieurs in Szene, während Jeff Wall
sein Schaffen auf ein einziges Bild schlafender Beduinen in einem Olivenhain
vor einem Gefängnis am Horizont beschränkt. Der Franzose Gilles Peress, der
einzige der Gruppe, der schon langjährige Erfahrung in der Region vorweisen
konnte, widmete sich dem Alltag im Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan. Der
englische Künstler Nick Wapplington machte Porträts und Landschaftsaufnahmen in
Siedlungen in der Westbank, während die Amerikanerin Rosalind Salomon die
Region per Bus bereiste und in ihrer altbewährten Technik angeblitzte
Schwarz-Weiß Porträts anfertigte.
In dem Sinn neu und
ungewöhnlich sind die Projekte von Martin Kollar, Fazal Sheikh und Jungjin Lee.
Martin Kollar erschafft eine Welt, die aus Filmkulissen zu bestehen scheint
(Siehe Portfolio in Photonews ). Dabei sind die Bilder auf den Straßen von Tel
Aviv, in einem Hangar am Flughafen Ben Gurion, in einem Hypnosezentrum oder auf
dem militärischen Trainingsgelände Tze’elim aufgenommen. Er kreiert eine
fantastische, vermeintlich der Realität entrückte Welt. Jungjin Lee schafft es
mit ihrer besonderen Technik, den so bekannten Landschaften eine neue Ästhetik
einzuhauchen und sie in einem anderen Licht zu präsentieren. Die Orte wirken
generisch und sind es doch wieder nicht, da selbst durch die Verfremdung die
Stacheldrahtrollen oder die Eukalyptusbäume der Region zuordenbar sind.
Fotografisches Neuland
Für eine völlig neue
Bildsprache entschied sich der Amerikaner Fazahl Sheikh. Bekannt vor allem
durch Schwarz-Weiß Porträts wählte Sheikh den Weg der Luftaufnahme, um die
Veränderung der Landschaft in der Negevwüste Israels deutlich zu machen.
Exemplarisch wird in seinen Bildern deutlich, wie unterschiedlich die in der
Negev siedelnden Gruppen in die Landschaft eingreifen. Während die
landwirtschaftliche Nutzung durch die Beduinen nur vom geschulten Auge zu sehen
ist, sind die Felder israelischer Kibbutzim aufgrund maschinell gezogener
schnurgerader Furchen gut zu erkennen. Fasziniert zeigte sich Sheikh vor allem
von den Beduinen: „Die Beduinen haben gelernt in einer fragilen Gegend zu
überleben“. Unerlässliche Ressource um zu verstehen, was Sheiks Bilder zeigen,
war ein in der Ausstellung ausliegendes kleines Booklet mit genauen
geographischen Angaben und kurzen Beschreibungen der Orte.
Die inhaltlich komplexeste
Arbeit stammt von Wendy Ewald. Sie hat dabei mit ihrem über viele Jahre
erprobten Ansatz „Literacy through Photography“ gearbeitet, hinter dem sich
partizipative Fotoworkshops verbergen. Ewald arbeitete dazu mit 14 Gruppen
verschiedener Altersstufen zusammen, darunter Beduinen aus der Negevwüste,
jungen jüdisch-israelischen Rekruten, Drusen im Karmelgebirge und
palästinensischen Frauen im Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan. Beeindruckt
zeigte sich Ewald davon, wie unterschiedlich die einzelnen Gruppen mit dem
Medium Fotografie umgingen und wie stark die unterschiedlichen Lebensumstände
die Bildinhalte beeinflussten. Während die Bilder der Rekruten vom Alltag des
Wehrdienstes erzählen, zeigen die Bilder der Frauen aus Silwan die täglichen
Konfrontationen mit jüdischen Siedlern. Gelungen ist Ewalds
Ausstellungspräsentation, die eine Auswahl von Bildern der einzelnen Gruppen
mit kurzen Texttafeln kombiniert, so dass genau die Tiefe und Komplexität
entsteht, die einigen anderen Arbeiten fehlt.
Zwölf Perspektiven im Dialog
Eine einzigartige
Gelegenheit hinter die Kulissen von „This Place“ zu schauen, bot die
Veranstaltung „12 Perspectives“ am Eröffnungswochenende der Prager Ausstellung.
In Vierer-Gruppen erzählten die beteiligten Fotografen von den Hintergründen
des Projekts und ihren persönlichen Motivationen daran teilzunehmen. Dabei
wurde erneut deutlich, wie unterschiedlich die Interessen und die
Herangehensweisen der Fotografen waren. „Es war der einfachste Ort, an dem ich
je gearbeitet habe“ stellte Wendy Ewald klar. Für Jungjin Lee war es dagegen
das politischste Projekt ihrer Karriere: „Meine Bilder zeigen meine
erschütternden Erfahrungen“. Und Joseph Koudelka, der seine Erfahrungen in
Israel und der Westbank mit dem Leben in Prag hinter dem Eisernen Vorhang
verglich, erzählte, wie er jedes Mal aufatmete, wenn er das Land im Flugzeug
verlassen konnte. Klar wurde auch, dass „This Place“ kein Gemeinschaftsprojekt
war, sondern alle Fotografen individuell an ihren Projekten arbeiteten.
Politische Fallstricke
Obwohl das Projekt
hauptsächlich Israel thematisieren wollte, ist unterschwellig in fast
allen Arbeiten der israelisch-palästinensische
Konflikt präsent. Umso unverständlicher erscheint es, warum alle offiziellen
Texte einen großen Bogen darum machen, dies zu benennen. Was auf den ersten
Blick wie der neutrale Versuch erscheint, die Thematisierung des Konflikts und
vermeintlich politische Definitionen zu vermeiden, folgt auf den zweiten Blick
dem dominanten israelischen Konfliktnarrativ. Charakteristisch dafür ist,
Palästinenser nicht als Palästinenser zu bezeichnen, das Wort Besatzung und
palästinensische Gebiete zu vermeiden sowie Israel nicht innerhalb klar
zuordenbarer politischer Grenzen zu verordnen. So entsteht der Eindruck einer
Region, in der Menschen sich frei bewegen können, individuelle Freiheiten für
alle herrschen und unterschiedliche
Völker nebeneinander existieren. Der kritische Ansatz der Arbeiten von Gilles
Peress, Joseph Koudelka, Fazal Sheikh oder Wendy Ewald wird damit verwässert
und letztlich entpolitisiert.
In der Ausstellung wird
dies an der fehlenden Kontextualisierung einiger Arbeiten deutlich. Die tiefere
Bedeutung, die viele der gezeigten Bilder besitzen, kann sich der Betrachter
damit nicht erschließen. Stephen Shore benutzt zwar Ortsangaben, es fehlen jedoch Hinweise auf
die Region, wo die Bilder entstanden sind. Die Arbeit „Settlement“ von Nick Wapplington
verzichtet gleich ganz auf Bildunterschriften oder Titel und lässt den
Betrachter mit diesem hochkomplexen Thema allein. Ein gutes Beispiel ist auch
das Bild „Judean Hills“ von Frederic Brenner. Es zeigt eine Familie inmitten
einer Schafherde, die sich harmonisch in eine karge Hügellandschaft einpasst.
Weder erfährt man den Namen der Familie noch den genauen Ort. Damit kann auch
die Bedeutung der Inszenierung und die dem Bild innewohnende Symbolik nicht
erkannt und als solches dechiffriert werden. Was bleibt, ist das Bild perfekter
ländlicher Idylle. Nur wer die Region kennt, kann an der Kleidung der
Erwachsenen sowie an den religiösen Symbolen ablesen, dass es sich um
national-religiöse Siedler handelt.
Vernachlässigung lokaler Perspektiven
Gut getan hätte dem Projekt
ein bisschen mehr Bescheidenheit. Wer die Region und die Arbeit lokaler
Fotografen kennt, weiß, dass es keineswegs neue Themen und fotografische
Ansätze sind, die dort verhandelt wurden. Da viele dieser Arbeiten einem
breiten Publikum in Europa jedoch nicht bekannt sind, erscheint es so, als
würde „This Place“ inhaltlich und fotografisch Neuland betreten. Die Arbeiten
israelischer Fotografen wie Miki Kratsman, Shai Kremer, Adi Nes oder Dror Guez
und ihrer palästinensischen Kolleginnen wie Ahlam Shibli oder Rula Halawani haben
eine Reihe der in „This Place“ behandelten Themen bereits aufgegriffen und
ästhetisch überzeugend verhandelt. Schade ist, dass mit dem Argument, nur große
internationale Künstler könnten der Komplexität Israels auf den Grund gehen,
den lokalen Fotografen die Fähigkeit abgesprochen wird, ein ähnliches Projekt
auf die Beine zu stellen. Die Möglichkeit, lokale Fotografen mit einzubeziehen,
wurde vom Projektteam zwar angedacht, dann aber verworfen. Ohne politisch
stärker Position zu beziehen, wäre die Arbeit mit Palästinensern ohnehin nicht
möglich gewesen. Aus diesem Grund werden vermutlich auch alle Bemühungen, die
Ausstellung in der Westbank zu zeigen, scheitern. Position zu beziehen bedeutet
dabei nicht in binäre Denkschemata zu verfallen, sondern politische und soziale
Unterschiede zu benennen und eine Kontextualisierung der eigenen Arbeit
vorzunehmen, damit die Rede vom Verständnis der Komplexität nicht zu einer
Worthülse verkommt.