Freitag, 16. Juli 2021

Rezension Julia Leeb - Menschlichkeit in Zeiten der Angst

Eine junge blonde Frau aus gutem Hause, die sich mit dem Fotoapparat auf den Weg in die Krisengebiete der Welt macht: Da ist der Weg zum Heldinnenmythos nicht weit, auch wenn anders als im klassischen Stoff der Literatur- und Kriegsfotografiegeschichte in diesem Fall der Held eine Frau ist. Vergegenwärtigt man sich, was die Münchnerin Leeb in den vergangenen Jahren erduldete, ist der Kommentar der Süddeutschen Zeitung auf dem Cover nur allzu passend: „Was sie schon alles erlebt hat, könnte gut für ein paar Leben reichen“. Die Frage ist jedoch, ob dies ausreichend ist, um daraus ein Buch zu machen und wie sich dieses im Diskurs über die Kriegsfotografie verorten lässt. 

Das Buch nimmt die Leser*innen in 14 Kapiteln über einen Zeitraum von sechs Jahren mit auf die Reise nach Nordafrika, Subsahara-Afrika, den Kaukasus und Nordkorea. Aufhänger und inhaltliche Klammer ist eine Reise nach Libyen. Dort entrinnt Julia Leeb im März 2011 nach einem Angriff auf ihr Auto bei einer Überlandfahrt nur knapp dem Tod. Ihr lokaler Guide hingegen kommt uns Leben. Das Buch endet mit einem Besuch seiner Familie im November 2011. Dazwischen springt Leeb hin und her zwischen ihrer Jugend und Reisen nach Ägypten, Nordkorea, Kongo, Transnistrien, Sudan und immer wieder nach Libyen. Als Ich-Erzählerin gibt sie uns Einblicke in diese Länder und erzählt von Begegnungen mit Menschen, gepaart mit autobiographischen Erzählteilen. Die Reisen unternahm sie entweder mit Jürgen Todenhöfer, als freie Journalistin auf eigene Faust oder auch als Touristin mit Freundinnen. 

Als zeithistorisches Dokument über Krisenregionen im ersten und zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts leben ihre Schilderungen vor allem von ihrer Erfahrung als Augenzeugin bei historischen Ereignissen, etwa auf dem Tahrirplatz in Kairo im Februar 2011, und vom Aufsuchen besonderer Orte abseits medialer Aufmerksamkeit wie den Nuba-Bergen im Sudan oder dem hermetisch abgeriegelten Regime in Nordkorea. Dazu kommen bezogen auf Ägypten vertiefte persönliche Kenntnisse des Landes, die sie dort während einer längeren Studien- und Lebensphase sammelt. In einem angenehmen und gut lesbaren Stil nimmt sie die Leser*innen mit, immer auf der Suche nach den persönlichen Geschichten. 

Darüber hinaus ist Leebs Buch aber auch eine Schilderung ihrer Erfahrung als Fotojournalistin. Immer wieder gibt es Bezüge, wo sie von einem Verlangen spricht, „die Geschehnisse in Bildern festzuhalten“. Dies ist zu Teilen recht pathetisch und plattitüdenhaft. Gleichzeitig leitet sie das Kapitel über die Arbeit als freie Journalistin mit den Worten ein „Mir ist das Etikett gleich. Ich will nur dokumentieren, was ich sehe“ und setzt ihre eigene Arbeit in Bezug zu bekannten Namen aus dem Krisenjournalismus. Über ihr journalistisches Handwerk erfährt man jedoch wenig, ihre Auftraggeber*innen bleiben nebulös und die Frauen, die sie als Unterstützerinnen benennt, arbeiten eher für Unternehmen oder als Beraterinnen. 

Das Fotografische findet sich jedoch nicht nur in ihren Schilderungen, sondern auch in knapp 50 den Text begleitenden Fotografien. Auffällig ist an diesen Fotografien, dass sie kaum etwas erzählen, was sie in großem Gegensatz zum Text zurücklässt. Dazu kommt, dass sie farblich an die Ästhetik von Instagramfiltern erinnern und fast durchgehend mit Vignettierungen versehen sind. Einzig die das Kapitel zum Kongo begleitenden Schwarz-Weiß Bilder haben etwas von einer Reportage und ermöglichen einen – wenn auch eingeschränkten – Einblick in das Leben der Menschen. Aber so ganz will das unstetige und zum Teil schnappschussartige der Bilder nicht ihrem formulierten Selbstverständnis als Fotojournalistin passen. Auch wenn man sich ihrem abschließenden Plädoyer für die Menschlichkeit kaum verweigern kann, bleibt man als Leser*in am Ende doch etwas ratlos zurück. Als Role-Model für Fotografinnen abseits des männlichen Heldenmythos und einen unabhängigen rechercheorientierten Journalismus taugen ihre Schilderungen jedoch nicht. 

Julia Leeb: Menschlichkeit in Zeiten der Angst - Reportagen über die Kriegsgebiete und Revolutionen unserer Welt; Erschienen: 18.01.2021; Suhrkamp Taschenbuch, Gebunden, 234 Seiten; ISBN: 978-3-518-47075-6 

Zuerst erschienen in Photonews Juli/August 2021

Samstag, 23. Januar 2021

Limitierte und signierte Edition "Fotografie und Konflikt"​

Die seit dem Jahr 2014 erschienen fünf Bände der Reihe "Fotografie und Konflikt" sind jetzt in einer auf 25 Exemplare limitierten und signierten Edition im Schuber erhältlich. Der Schuber enthält die Bände eins bis fünf der Reihe sowie als Zusatz ein im Format der Reihe gestaltetes Notizbuch für eigene Gedanken zum Thema. Die Edition kann bei mir für 45,- Euro zzgl. Versand (4,50 als Päckchen) erstanden werden. Bei Interesse eine Nachricht, eine Email senden info(at)fkoltermann.de oder über diesen Link bestellen.


 

Das sind die fünf Bände, die im Schuber enthalten sind:

  • Fotografie und Konflikt – Aufsätze und Schriften (Band 5, 2020. 100 Seiten)
  • Fotografie und Konflikt – Rezension und Kritiken (Band 4, 2019, 84 Seiten) 
  • Fotografie und Konflikt – Glossar und Literatur (Band 3, 2018, 76 Seiten)
  • Fotografie und Konflikt – Interviews und Gespräche (Band 2, 2016, 88 Seiten)
  • Fotografie und Konflikt – Texte und Essays (Band 1, 2014, 76 Seiten)


 

Donnerstag, 21. Januar 2021

Neuer Band aus der Reihe "Fotografie und Konflikt"

Zehn Jahre nach dem Start des Blocks "Fotografie und Konflikt" und sieben Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Buches aus der gleichnamigen Reihe, findet diese mit dem nun fünften Titel „Aufsätze und Schriften“ ihr Ende. Darin finden sich 12 längere Aufsätze, zum Teil bereits an anderer Stelle publiziert, zum Teil noch nicht veröffentlicht, die unterschiedlichen Fragestellungen wie der Versicherheitlichung der Fotografie, dem Begriff der Kriegspornografie oder auch der Friedensfotografie auf den Grund gehen. Darüber hinaus werden neue Phänomene wie ein Bürgerjournalismus thematisiert und der Blick auf neue und alte fotografische Praktiken im Nahen Osten gerichtet. 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Band ist im Eigenverlag bei Books on Demand erschienen. Es hat 100 Seiten und kostet 6,90 (ISBN: 9783752602357). Es kann entweder direkt bei mir über diesen Link, bei Books on Demand oder im Buchhandel erworben werden. Über Ihr Interesse am Buch freue ich mich sehr. Eine Leseprobe gibt es auf ISSUU

Dienstag, 13. Oktober 2020

Kontextsensibles Kuratieren? Zur Lee Miller Ausstellung in Zürich

Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, stellen Fotografien aus dieser Zeit historische Dokumente aber auch künstlerisch-fotografische Artefakte dar, die in unterschiedlicher Art und Weise immer wieder in Ausstellungen präsentiert werden. Insbesondere beim Zeigen von Bildern der Täter und Opfer des Naziregimes und des Holocausts stellen sich zentrale bildethische Fragen in Bezug auf die adäquate Form der Kontextualisierung sowie die Einordnung des Materials, wie ein Besuch der Ausstellung "Lee Miller Fotografin – Zwischen Krieg und Glamour" im Museum für Gestaltung in Zürich (28.8.20 – 3.1.21) zeigt.

 
Lee Miller, so beschreibt es der Einführungstext zur von Karin Gimmi und Daniel Blochwitz kuratierten Ausstellung, "war eine der herausragendsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts". Ziel der Ausstellung ist, "der Spur ihres facettenreichen Lebens" zu folgen und ihr Werk zu zeigen, "das zwischen Krieg und Glamour changiert". Dieser – vermeintliche – Widerspruch ist der rote Faden der Ausstellungskonzeption. Das Thema Krieg taucht in der Ausstellung in vier Kapiteln auf: Frauen im Krieg, Millers Krieg, Konzentrationslager und Befreites Paris. Die zentrale kuratorische Entscheidung der Ausstellungsmacher*innen ist, den Großteil der Bilder über alle 10 Kapitel hinweg in Holzrahmen mit hellem Passepartout zu präsentieren. Nur einige wenige Bilder werden anders gezeigt. Darüber hinaus ändert sich die Farbe der Wand, auf der die Bilder präsentiert werden. Kurze Einführungstexte zu den insgesamt 10 Kapiteln finden sich auf einem Handzettel für die Besucher*innen.

 

Um den Kontext von Lee Millers Kriegsfotografien zu verstehen, soll hier kurz auf ihre Entstehungsgeschichte eingegangen werden. Die Fotografin Lee Miller, die bis Anfang der 1940er Jahre vor allem durch Modeaufnahmen und ihre Nähe zu den Surrealisten bekannt geworden war, wurde 1942 offizielle Kriegsfotografin der US-Armee und arbeitete für den Condé-Nast Verlag und die Zeitschrift Vogue. Anfänglich berichtete sie aus Großbritannien, ab 1944 dann aus der Normandie und quer durch Europa auf dem Vormarsch mit den Alliierten, bis sie auch das befreite KZ Buchenwald erreichte. Ihre Eindrücke hielt sie nicht nur fotografisch fest, sondern schrieb dazu auch ausführliche Reportagen die in Vogue erschienen. 

 

Was beim Besuch der Züricher Ausstellung am meisten irritiert, ist der nonchalante Wechsel von Mode und Surrealismus zu Krieg und Gewalt. Während die Irritation sicher kuratorisch bezweckt war, ging es doch um das Spannungsverhältnis zwischen "Glamour und Krieg", erzeugt es doch seltsame Eindrücke. So steht man etwa am Ende des Kapitels "Frauen im Krieg" vor dem Bild einer Frau, die auf einem Sofa liegt, als würde sie schlafen. Im Bildtext heißt es "The deputy Burgermeister's daugther; Rathaus Leipzig, DE, 1945". Und im Kapitel "Konzentrationslager", das als einziger als enger Raum mit dunkelgrüner Wandfarbe konzipiert wurde – vielleicht um eine klaustrophobische Wirkung zu erzielen? – springt man von den Knochenhaufen in Buchenwald in wenigen Bildern zu einem ertrunkenen SS-Mann. Die tatsächlichen Ereignisse, sie bleiben in weiter Ferne. 

 

Nun könnte man argumentieren, da es sich in diesem Fall ja nicht um eine historische Ausstellung, sondern eine Fotoausstellung handelt, sei der Bezug zu den Ereignissen und die Vermittlung von Informationen kein zentrales Qualitätsmerkmal. Aber gleichwohl, so befürchte ich, prägen Ausstellungen dieser Art doch auch unser Verständnis von Geschichte. Von daher ist zu überlegen, wie in einer solchen Ausstellung historische Aufnahmen gezeigt werden können und was es dazu braucht. Theoretisch wäre esja auch möglich, bestimmte Aufnahmen gar nicht zu zeigen. Ziel der Ausstellung war das Leben Millers, nicht das Aufzeigen von Krieg und Gewalt. Das ist ein feiner Unterschied, anhand dessen sich gut überprüfen lässt, was wie zeigbar ist und was nicht. 

 

Die für die Ausstellung gewählte Präsentation in schwarzen Holzrahmen mit Passepartout und akurat darunter platzierten Texttäfelchen, auf denen neben Titel und Jahr auch die Form der Herstellung der Fotografie vermerkt ist, hat vor allem in Ausstellungen historischer Fotografie Tradition. Dort geht es in der Regel darum, die Werkgeschichte nachvollziehen zu können. Je "originaler" – also historischer – der fotografische Abzug, so die Logik, desto größer ihr zeithistorischer Wert. Aber ist all das von Bedeutung, wenn es um die Leichenberge in Buchenwald oder tote SS-Männer geht? Warum ist dies im Fall von Millers Kriegsfotografien wichtig? Und ist nicht ihr Blick auf den Krieg wichtiger als die Fotografie als Artekfakt?

 

All dies sind Fragen, die sich mir in der Züricher Ausstellung stellen und die ausschließlich aufgrund der von den Kurator*innen gewählten Art der Präsentation entstehen. Dazu gehört auch die Entscheidung, die Magazinseiten der Vogue, die quasi den originalen Veröffentlichungskontext von Millers Fotografie darstellen, in auf einem Podest platzierte Ipads zu verbannen. Und selbst in dieser Form sind sie nicht komplett, sondern nur als unvollständige Einzelseiten zu sehen. Trotz allem lassen sich den Bildunterschriften eben doch etwas präzisere Information entnehmen, als die auf den Texttafeln unter den Bildern präsentierten. So kann man etwa erfahren, dass die Tochter des Leipziger Bürgermeister 1945 nicht schlafend auf einer Couch liegt, sondern tot ist, weil sie sich das Leben nahm.

 

Lee Miller selbst hat die Erfahrung der Dokumentation der Gräuel des Zweiten Weltkriegs krankgemacht. Sie hatte Alkoholprobleme, sagte sich von der Fotografie los und hatte das, was man heute vermutlich als posttraumatische Belastungsstörung beschreiben würde. Auf diesen Umstand weist auch die Kuratorin Karin Gimmel in einem Video-Trailer zur Ausstellung auf der Museumswebseite hin. Umso unerklärlicher ist dann jedoch, wieso die Ausstellung den Schwerpunkt so stark auf die Bilder an sich legt und den persönlichen Umgang Millers mit dem Krieg weitestgehend außen vorlässt. Die umfangreichen Textreportagen wäre hier z.B. ein spannendes Material gewesen. Zwar sind einige ausgewählte Seiten auf Ipads einsichtbar und liegen Bücher aus, in denen ihre Texte nach ihrem Tod separat publiziert wurden, aber im kuratorischen Konzept wurden sie zu einer Randerscheinung degradiert. Ähnliches gilt für die Arte-Dokumentation zum Leben Millers, die am Ende der Ausstellung läuft. Durch die Kombination von Millers Briefen, Interviews mit Zeitzeug*innen und anderen Akteur*innen entsteht dort eine Nähe zur Protagonistin, die dem Rest der Ausstellung fehlt. Die grundsätzliche Kritik am kuratorischen Konzept kann der Film jedoch nicht aufwiegen. 

 

Ein weiterer, durchaus bedenkenswerter Faktor ist, dass Lee Miller selbst sich Zeit ihres Lebens dafür entschied, ihre Fotografien auf dem Dachboden ihres Anwesens Farleys House zu verstecken, wo ihr Sohn diese erst Jahre nach Ihrem Tod fand. Damit stellt sich die Frage, ob es ein Recht auf Vergessen gibt? Oder ein Anrecht darauf, dass die eigenen Bilder nach dem Tod nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Da Lee Miller selbst es versäumte, ihren Nachlass zu regeln, müssen diese Frage die Akteur*innen beantworten, die ihr Werk vermarkten und ausstellen. Und in den letzten beiden Jahren ist doch eine interessante Häufung an Ausstellungen über Lee Miller zu beobachten. Die Form der Kontextualisierung in der Züricher Ausstellung und der narrative Bogen, der dort über ihr Leben gespannt wird, lösen in Bezug auf diese Fragen zumindest Befremden aus. Denn eines ist klar, mit jeder weiteren Ausstellung über Lee Miller wächst der Mythos Miller, steigt der Wert ihres Nachlasses. Alle die an dieser Geschichte mitschreiben, tragen ihren Teil der Verantwortung dazu bei.

 

Dabei ist klar, dass jeder Versuch einer Retrospektive notwendigerweise nur über Reduktion und Zuspitzung funktionieren kann. Es ist nicht Lee Miller, die uns ihre Fotografien zeigt, sondern ein Museum mit einem Kurator*innenteam, dass aus Millers Werk heraus ein Narrativ entwickelt, wer diese Fotografin war und wie ihre Bilder und ihr Leben zu lesen sind. Diskussionswürdig ist dabei jedoch, welche Schwerpunkte gesetzt werden, wie mit historischen und politischen Ereignissen umgegangen wird und welches Bild damit im nachhinein über eine bestimmte Epoche und das Wirken Einzelner darin gezeichnet wird. So wie es in Zürich passiert ist, wird es dem eigenen Anspruch, den Spagat zwischen Glamour und Krieg zu zeigen, bei weitem nicht gerechnet. Es sei denn das Ziel war zu zeigen, dass Frau eine das Kriegsgräuel ähnlich ästhetisch wie eine Modestrecke zeigen kann. Aber das wäre dann doch wirklich sehr platt.

 

Felix Koltermann, Oktober 2020

Montag, 11. Mai 2020

Drei Generationen von Kriegsfotograf*innen im Film


Unaufgeregt, reflektiert aber mit Empathie, erzählt die 3sat-Dokumentation „Zeugen des Krieges“ von Christine Schwarz davon, wie sich die Kriegsdarstellung über die Jahrzehnte verändert hat und was dieser Wandel für Fotograf*innen und Betrachter*innen bedeutet. Dies geschieht in der 60-minütigen Dokumentation anhand von vier Fotojournalist*innen, Jay Ullal, Ursula Meissner, Sebastian Backhaus und Hossam Katan. Als Expert*innen sprechen die Kulturwissenschaftlerin Jule Hillgärtner und der Fotohistoriker Anton Holzer. In der ZDF-Mediathek ist der Film im Free-TV zu sehen.


Mittwoch, 4. März 2020

Ein depolitisierter Blick auf die Welt


Mit der Ausstellung "Un'Antologia" des Magnum Fotografen Paolo Pellegrin haben die Hamburger Deichtorhallen gleich in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten. So ist es nicht nur die erste umfassende Werkschau des italienischen Fotografen in Deutschland, sondern auch ein radikal neuer Ansatz, dokumentarische Fotografie in den Ausstellungsraum zu bringen. In meinem Kommentar will ich vor allem zwei Fragen nachgehen. Zum einen will ich diskutieren, inwieweit das Ausstellungskonzept den selbst gesetzten Ansprüchen genügt und zum anderen fragen, was die Präsentationsform mit dem politischen Gehalt des Gezeigten macht.
 
Ausstellungsansicht I - Paolo Pellegrin "Un'Antologia", Deichtorhallen Hamburg
Um zu verstehen, was die kuratorischen Rahmenbedingungen bzw. die damit verbundenen konzeptionellen Kniffe sind, ist vor allem das Begleitheft der Ausstellung eine gute Quelle. Dort schreibt etwa Simona Antonacci von der Fondazione MAXXI in Rom, wo die Ausstellung in reduzierter Form 2019 bereits zu sehen war, die Ausstellung entfalte "ihre Erzählung zwischen zwei polaren Gegensätzen, Licht und Dunkelheit – Metaphern für die extremsten Erscheinungsformen des Daseins". Licht und Dunkelheit  sind Begriffe, die sowohl theologisch und philosophisch wie aber auch Alltagspraktisch stark belegt sind. Licht, das ist der Himmel, das Gute, das Bewusste, Dunkel, das ist die Hölle, das Böse, das Unbewusste. In der Hamburger Ausstellung Pellegrins werden im dunklen Bereich zu Anfang des Rundgangs fast ausschließlich Kriegsfotografien gezeigt, später auch Landschaftsaufnahmen der Grenze zwischen den USA und Mexiko oder eine Reportage aus den USA. Im hellen Bereichen, der sich um einen gletscherartigen Bau gruppiert, sind Bilder aus der Antarktis sowie aus den verschneiten Alpen, aber auch der arktischen Ozeane oder das Tote Meer zu sehen.

Folgt man dem Licht/Dunkel Narrativ der Ausstellungsmacher*innen ist alles im Dunkeln gezeigte das Problematische, das Schwierige der Welt, das im Hellen gezeigte das Spirituelle und Positiv besetzte. Aber ist es nicht unlogisch, als Aufhänger für die Arbeiten zur Antarktis den Klimawandel zu nehmen, also letztlich eine negativ – also schwarz zu konnotierende? – Entwicklung und bei dieser nur wegen der Farbe Weiß des Antarktiseises von sublimiertem Licht zu sprechen? Und was hat im hellen Bereich der Ausstellung ein Tableau von Schwarz-Weiß-Fotografien zu suchen, die wiederum den schon im Dunklen Bereich der Ausstellung gezeigten Nahostkonflikt aufgreifen? Was sich an der einfachen Schwarz-/Weiß Dichotomie letztlich zeigt, ist ein oberflächliches, auf visuelle Effekthascherei reduziertes Ausstellungsdesign. Es sind visuelle Überwältigungsstrategien, mit denen die Besucher*innen vom künstlerisch Wert der Arbeiten überzeugt werden sollen, die jeglichen konkreten Bezugs beraubt sind.

 
Ausstellungsansicht II - Paolo Pellegrin "Un'Antologia", Deichtorhallen Hamburg

Genau diese Verweigerung der Ausstellung und ihrer Macher*innen, konkrete Verweise auf das Gezeigte mit aufzunehmen und die Bilder in einen konkreten historischen und oder politischen Kontext einzubetten, ist das eigentlich Fragwürdige an der Ausstellung. Auch das Begleitheft mit den Bildunterschriften ändert nichts daran, sind diese doch zum Teil so nichtssagend, dass jedes Fotojournalismusfestival sie sofort zurückgewiesen hätte. Denn die Arbeiten, die in Hamburg gezeigt wurden, sind fast alle in einem konkreten politisch-sozialen Kontext entstanden und zeigen reale Menschen mit Namen und Biografien. Was Paolo Pellegrin also dokumentiert hat, ist das konkrete Schicksal von Menschen, nicht das abstrakte Böse oder Gute. Genau aus dem Grund, dass er als Fotojournalist zu den Menschen kam und ihre konkreten Geschichten aufzeichnen wollte, haben die Dargestellten seiner Präsenz vermutlich zugestimmt.

Diese Zeugnisse nun – wie in Hamburg geschehen – rein als visuelle Artefakte zu zeigen, führt zu einer völligen Depolitisierung des Gezeigten. Das, was zu sehen ist wird aufgeladen mit ikonografischer und ästhetischer Bedeutung und das Bild damit zum Selbstzweck. Damit soll nicht kritisiert werden, dass Bilder von Krieg und Gewalt auch ästhetisch oder gar schön sein dürfen. Nein, es geht um die Art der Präsentation als Teil einer dekontextualisierten Menschheitsgeschichte von Licht und Dunkel, Gut und Böse. Auf diese Art und Weise auf die Welt zu blicken ist nicht nur ahistorisch, sondern auch brandgefährlich. Denn die dahinterstehende Haltung ist, dass nicht konkrete sozio-politische Gegebenheiten für bestimmte Entwicklungen verantwortlich sind, sondern die Menschheitsgeschichte sich in bestimmten Zyklen quasi wie von selbst wiederholt. So argumentieren und rezipieren kann nur, wer das Privileg hat, aus der heimeligen Sicherheit der deutschen Wohlstandsgesellschaft auf die Welt zu blicken.
 
Ausstellungsansicht III - Paolo Pellegrin "Un'Antologia", Deichtorhallen Hamburg

Eigentlich sollte mit diesem Argument die Rezension ihr Ende finden. Es gibt jedoch noch einige weitere kritische Aspekte, die hier zumindest angerissen soll, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. So fällt etwa im ersten Ausstellungsraum auf, dass es für jede gezeigte 15 Arbeiten bzw. Serien eine andere Präsentationsform gibt. Da sich diese aus dem Inhalt bzw. dem Thema nicht erschließen lässt, deutet dies darauf hin, dass es ein reines Spielen mit dem Potential – zugegebenermaßen modernen und durchaus ansprechendem – Ausstellungdesigns ist. Das auch Bezüge zum Film hergestellt werden, zeigt ein riesiges an die Wand plakatiertes Foto eines festgenommenen Mannes in Florida. Die Unschärfe und das blaue Licht erinnern unzweifelhaft an eine zeitgenössische Kino-Ästhetik, kommen aber über reine oberflächliche Bezüge nicht hinaus.

Zu wünschen wäre für die weitere Beschäftigung mit der Ausstellung Pellegrins wie auch zukünftiger Ausstellungen, die in ähnlicher Art und Weise fotojournalistische bzw. dokumentarfotografische Arbeiten in den Ausstellungsraum transferieren, stärker methodisch und anhand spezifischer Parameta vorzugehen. Dazu gehört etwa über den Kontextwandel von Arbeiten zu reflektieren, die für publizistische journalistische Medien entstanden sind, aber in einem der Kunst zugehörigen Ausstellungsraum gezeigt werden. Des weiteren sollte – wie hier in Anfängen versucht – das kuratorische Konzept ob seiner Widersprüche hinterfragt werden. Notwendig ist darüber hinaus auch eine politische Perspektive auf die Praktiken des Zeigens.

Montag, 2. März 2020

Pressespiegel zu Pellegrins "Un'Antologia" in Hamburg

Mit der Ausstellung "Un'Antologia" des Magnum-Fotografen Paolo Pellegrin, die am 1. März 2020 zu Ende ging, hat das Haus der Fotografie in den Hamburger Deichtorhallen einem der weltweit bekanntesten Fotojournalisten und Kriegsfotografen eine Retrospektive gewidmet. Die Ausstellung war ein Publikumsmagnet und hat aufgrund des sehr aufwendigen und für Dokumentarfotografie ungewöhnlichen Ausstellungsdesigns viel mediale Aufmerksamkeit erfahren und für viele Diskussion in der Fotoszene gesorgt. Hier ist ein kurzer Überblick über die mediale Berichterstattung. In Kürze folgt auf diesem Blog eine Rezension von Felix Koltermann. 

 

Einen kurzen Überblick über die Ausstellung gibt ein von den Deichtorhallen produzierter Teaser. Das Ausstellungssetting ist sehr gut in einem längeren Video zu sehen, wo Paolo Pellegrin über die Hintergründe zur Ausstellung spricht.

Das ZDF nimmt die Ausstellung zum Anlass, in einem Beitrag des Magazins Aspekte vor allem die Arbeitsweise Pellegrins zu beleuchten. Kombiniert mit Interviewpassagen ist die Rede von "engagierten, leidenschaftlichen Zeugnissen" Pellegrins, der als "unermüdlicher Dokumentar der Krise bezeichnet wird. Die Essenz der Ausstellung sieht der Beitrag in der "Aufforderung wirklich hinzuschauen".

Für Axel Schröder vom Deutschlandfunkkultur sind Pellegrins Bilder von Emapthie und Authentizität geprägt. Die gezeigten Fotografien belegen für ihn Pellegrins Können, mit den Bildern den Betrachter*innen einen Schlüssel zu geben, um sich mit der Welt zu beschäftigen.

"Bei ihm ist das Foto keine Folie, durch die wir ein Bild unserer Mitmenschen sehen, sondern ein Medium, dass eine Verbindung schafft zwischen uns und Pellegrins Protagonisten".

In einer Rezension für die taz kritisiert Falk Schreiber, dass die Ausstellung das Medium der Fotografie in seiner Künstlichkeit nicht hinterfragt.

"So kunstvoll die Bilder arrangiert sind, so sehr sie sich der einfachen Konsumierbarkeit entziehen – auch Pellegrin kann nicht immer dem Problem des Fotojournalismus entkommen, dass der Betrachter sieht, was er sehen will."

Laut Guido Speckmann vom Neuen Deutschland beweisen die Bilder zwar eindrücklich Pellegrins anthropologische Vorgehensweise, kritisch sieht er jedoch den Umgang mit der Kontextualisierung der Bilder.

"Allerdings geht ein Teil des künstlerischen Konzeptes - der Verzicht auf Texttafeln - nur bedingt auf. Denn am stärksten berühren die Dutzenden kleinformatigen Fotografien, die Palästinenserinnen und Palästinenser zeigen, die während der israelischen Operation »Cast Lead« 2009 fürs Leben gezeichnet wurden".


In einer Kritik für das Artmagazine fokussiert Peter Kunitzky vor allem auf die Inszenierungsstrategien des Ausstellungsdesigns. So kritisiert er, dass sich diese "selbstzufrieden in ihrer eigenen Wohlgestalt" entpuppen und dem historischen Kontext keine primäre Bedeutung zumessen.

"Denn die leise Gleichgültigkeit gegenüber den ursprünglichen Bildaussagen (des unzweifelhaften Humanisten Pellegrin) scheint hier billigend in Kauf genommen zu werden, weil man mutmaßlich ohnehin ein ganz anderes Ziel verfolgt: die Nobilitierung des Fotoreporters zum Künstler."

Reine Bilderstrecken mit den Pressebildern zur Ausstellung finden sich beim Stern sowie beim Schweizer Tagesanzeiger. Der Tagesanzeiger spricht davon, dass sich die Bilder "trotz der Härte und Direktheit seiner Themen durch eine kompositorische Eleganz" auszeichnen, während der Stern von "eindringlichen Bildern" spricht, die menschliche Schicksale zeigen, "die die menschliche Natur aufs Äußerste gefährden".