Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges, stellen Fotografien aus dieser Zeit historische Dokumente
aber auch künstlerisch-fotografische Artefakte dar, die in unterschiedlicher
Art und Weise immer wieder in Ausstellungen präsentiert werden. Insbesondere
beim Zeigen von Bildern der Täter und Opfer des Naziregimes und des Holocausts
stellen sich zentrale bildethische Fragen in Bezug auf die adäquate Form der
Kontextualisierung sowie die Einordnung des Materials, wie ein Besuch der
Ausstellung "Lee Miller Fotografin – Zwischen Krieg und Glamour" im
Museum für Gestaltung in Zürich (28.8.20 – 3.1.21) zeigt.
Lee Miller, so
beschreibt es der Einführungstext zur von Karin Gimmi und Daniel Blochwitz
kuratierten Ausstellung, "war eine der herausragendsten Fotografinnen des
20. Jahrhunderts". Ziel der Ausstellung ist, "der Spur ihres
facettenreichen Lebens" zu folgen und ihr Werk zu zeigen, "das
zwischen Krieg und Glamour changiert". Dieser – vermeintliche –
Widerspruch ist der rote Faden der Ausstellungskonzeption. Das Thema Krieg
taucht in der Ausstellung in vier Kapiteln auf: Frauen im Krieg, Millers Krieg,
Konzentrationslager und Befreites Paris. Die zentrale kuratorische Entscheidung
der Ausstellungsmacher*innen ist, den Großteil der Bilder über alle 10 Kapitel
hinweg in Holzrahmen mit hellem Passepartout zu präsentieren. Nur einige wenige
Bilder werden anders gezeigt. Darüber hinaus ändert sich die Farbe der Wand,
auf der die Bilder präsentiert werden. Kurze Einführungstexte zu den insgesamt
10 Kapiteln finden sich auf einem Handzettel für die Besucher*innen.
Um den Kontext
von Lee Millers Kriegsfotografien zu verstehen, soll hier kurz auf ihre
Entstehungsgeschichte eingegangen werden. Die Fotografin Lee Miller, die bis
Anfang der 1940er Jahre vor allem durch Modeaufnahmen und ihre Nähe zu den
Surrealisten bekannt geworden war, wurde 1942 offizielle Kriegsfotografin der
US-Armee und arbeitete für den Condé-Nast Verlag und die Zeitschrift Vogue.
Anfänglich berichtete sie aus Großbritannien, ab 1944 dann aus der Normandie
und quer durch Europa auf dem Vormarsch mit den Alliierten, bis sie auch das
befreite KZ Buchenwald erreichte. Ihre Eindrücke hielt sie nicht nur
fotografisch fest, sondern schrieb dazu auch ausführliche Reportagen die in
Vogue erschienen.
Was beim Besuch
der Züricher Ausstellung am meisten irritiert, ist der nonchalante Wechsel von
Mode und Surrealismus zu Krieg und Gewalt. Während die Irritation sicher
kuratorisch bezweckt war, ging es doch um das Spannungsverhältnis zwischen
"Glamour und Krieg", erzeugt es doch seltsame Eindrücke. So steht man
etwa am Ende des Kapitels "Frauen im Krieg" vor dem Bild einer Frau,
die auf einem Sofa liegt, als würde sie schlafen. Im Bildtext heißt es
"The deputy Burgermeister's daugther; Rathaus Leipzig, DE, 1945". Und
im Kapitel "Konzentrationslager", das als einziger als enger Raum mit
dunkelgrüner Wandfarbe konzipiert wurde – vielleicht um eine klaustrophobische
Wirkung zu erzielen? – springt man von den Knochenhaufen in Buchenwald in wenigen
Bildern zu einem ertrunkenen SS-Mann. Die tatsächlichen Ereignisse, sie bleiben
in weiter Ferne.
Nun könnte man
argumentieren, da es sich in diesem Fall ja nicht um eine historische
Ausstellung, sondern eine Fotoausstellung handelt, sei der Bezug zu den
Ereignissen und die Vermittlung von Informationen kein zentrales
Qualitätsmerkmal. Aber gleichwohl, so befürchte ich, prägen Ausstellungen
dieser Art doch auch unser Verständnis von Geschichte. Von daher ist zu überlegen,
wie in einer solchen Ausstellung historische Aufnahmen gezeigt werden können
und was es dazu braucht. Theoretisch wäre esja auch möglich, bestimmte
Aufnahmen gar nicht zu zeigen. Ziel der Ausstellung war das Leben Millers,
nicht das Aufzeigen von Krieg und Gewalt. Das ist ein feiner Unterschied,
anhand dessen sich gut überprüfen lässt, was wie zeigbar ist und was nicht.
Die für die
Ausstellung gewählte Präsentation in schwarzen Holzrahmen mit Passepartout und
akurat darunter platzierten Texttäfelchen, auf denen neben Titel und Jahr auch
die Form der Herstellung der Fotografie vermerkt ist, hat vor allem in
Ausstellungen historischer Fotografie Tradition. Dort geht es in der Regel
darum, die Werkgeschichte nachvollziehen zu können. Je "originaler" –
also historischer – der fotografische Abzug, so die Logik, desto größer ihr
zeithistorischer Wert. Aber ist all das von Bedeutung, wenn es um die
Leichenberge in Buchenwald oder tote SS-Männer geht? Warum ist dies im Fall von
Millers Kriegsfotografien wichtig? Und ist nicht ihr Blick auf den Krieg
wichtiger als die Fotografie als Artekfakt?
All dies sind
Fragen, die sich mir in der Züricher Ausstellung stellen und die ausschließlich
aufgrund der von den Kurator*innen gewählten Art der Präsentation entstehen.
Dazu gehört auch die Entscheidung, die Magazinseiten der Vogue, die quasi den
originalen Veröffentlichungskontext von Millers Fotografie darstellen, in auf
einem Podest platzierte Ipads zu verbannen. Und selbst in dieser Form sind sie
nicht komplett, sondern nur als unvollständige Einzelseiten zu sehen. Trotz
allem lassen sich den Bildunterschriften eben doch etwas präzisere Information
entnehmen, als die auf den Texttafeln unter den Bildern präsentierten. So kann
man etwa erfahren, dass die Tochter des Leipziger Bürgermeister 1945 nicht
schlafend auf einer Couch liegt, sondern tot ist, weil sie sich das Leben nahm.
Lee Miller
selbst hat die Erfahrung der Dokumentation der Gräuel des Zweiten Weltkriegs krankgemacht.
Sie hatte Alkoholprobleme, sagte sich von der Fotografie los und hatte das, was
man heute vermutlich als posttraumatische Belastungsstörung beschreiben würde.
Auf diesen Umstand weist auch die Kuratorin Karin Gimmel in einem Video-Trailer
zur Ausstellung auf der Museumswebseite hin. Umso unerklärlicher ist dann
jedoch, wieso die Ausstellung den Schwerpunkt so stark auf die Bilder an sich
legt und den persönlichen Umgang Millers mit dem Krieg weitestgehend außen vorlässt.
Die umfangreichen Textreportagen wäre hier z.B. ein spannendes Material
gewesen. Zwar sind einige ausgewählte Seiten auf Ipads einsichtbar und liegen
Bücher aus, in denen ihre Texte nach ihrem Tod separat publiziert wurden, aber
im kuratorischen Konzept wurden sie zu einer Randerscheinung degradiert.
Ähnliches gilt für die Arte-Dokumentation
zum Leben Millers, die am Ende der Ausstellung läuft. Durch die Kombination von
Millers Briefen, Interviews mit Zeitzeug*innen und anderen Akteur*innen
entsteht dort eine Nähe zur Protagonistin, die dem Rest der Ausstellung fehlt.
Die grundsätzliche Kritik am kuratorischen Konzept kann der Film jedoch nicht
aufwiegen.
Ein weiterer,
durchaus bedenkenswerter Faktor ist, dass Lee Miller selbst sich Zeit ihres
Lebens dafür entschied, ihre Fotografien auf dem Dachboden ihres Anwesens Farleys
House zu verstecken, wo ihr Sohn diese erst Jahre nach Ihrem Tod fand. Damit
stellt sich die Frage, ob es ein Recht auf Vergessen gibt? Oder ein Anrecht
darauf, dass die eigenen Bilder nach dem Tod nicht der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden? Da Lee Miller selbst es versäumte, ihren Nachlass zu
regeln, müssen diese Frage die Akteur*innen beantworten, die ihr Werk
vermarkten und ausstellen. Und in den letzten beiden Jahren ist doch eine interessante
Häufung an Ausstellungen über Lee Miller zu beobachten. Die Form der
Kontextualisierung in der Züricher Ausstellung und der narrative Bogen, der
dort über ihr Leben gespannt wird, lösen in Bezug auf diese Fragen zumindest Befremden
aus. Denn eines ist klar, mit jeder weiteren Ausstellung über Lee Miller wächst
der Mythos Miller, steigt der Wert ihres Nachlasses. Alle die an dieser
Geschichte mitschreiben, tragen ihren Teil der Verantwortung dazu bei.
Dabei ist klar,
dass jeder Versuch einer Retrospektive notwendigerweise nur über Reduktion und
Zuspitzung funktionieren kann. Es ist nicht Lee Miller, die uns ihre
Fotografien zeigt, sondern ein Museum mit einem Kurator*innenteam, dass aus
Millers Werk heraus ein Narrativ entwickelt, wer diese Fotografin war und wie
ihre Bilder und ihr Leben zu lesen sind. Diskussionswürdig ist dabei jedoch,
welche Schwerpunkte gesetzt werden, wie mit historischen und politischen
Ereignissen umgegangen wird und welches Bild damit im nachhinein über eine bestimmte
Epoche und das Wirken Einzelner darin gezeichnet wird. So wie es in Zürich
passiert ist, wird es dem eigenen Anspruch, den Spagat zwischen Glamour und
Krieg zu zeigen, bei weitem nicht gerechnet. Es sei denn das Ziel war zu
zeigen, dass Frau eine das Kriegsgräuel ähnlich ästhetisch wie eine Modestrecke
zeigen kann. Aber das wäre dann doch wirklich sehr platt.
Felix Koltermann, Oktober 2020