Ganz unten auf der Agenda scheint das Thema Friedensprozess
in Nahost nicht nur bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New
York zu stehen, sondern auch bei der Bildredaktion der Süddeutschen Zeitung. Im
folgenden ein Kommentar zur Bebilderung eines Artikels, der am 27. September
2012 in der Rubrik Politik auf Seite 8 der SZ erschienen ist. In veränderter
Form ist der Kommentar als Leserbrief auch der SZ zugegangen.
Welchen Zusammenhang es zwischen dem gut geschriebenen und
informativen Artikel von Peter Münch über die Bedeutung(slosigkeit) des
Friedensprozesses zwischen Israelis und Palästinensern bei der
Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York und der Bebilderung des
Artikels gibt, bleibt auch nach intensiver Lektüre des Artikels sowie
ausgiebiger Bildbetrachtung schleierhaft. Es ist zu hoffen dass nicht Herr
Münch als Nahostkorrespondent dies selbst zu verantworten hat. Aber es ist auch
kein Aushängeschild für die Qualität der Arbeit der SZ-Bildredaktion.
Aber schauen wir uns zunächst an, was die SZ
veröffentlichte. Unter dem Titel „Ganz unten auf der Agenda“ nimmt der Artikel
inklusive eines Bildes über vier Spalten gehend fast die gesamte unter Hälfte
der Zeitungsseite ein. Thema des Artikels ist die UN Generalversammlung in New
York und der Stellenwert, den dort das Thema Israel-Palästina spielt. Im
Artikel wird hauptsächlich auf den stockenden Friedensprozess, die Bemühungen der Palästinenser ihr
Anliegen in die UN und deren Unterorganisationen zu tragen und das Rede-Duell
zwischen Abbas und Netanyahu Bezug genommen. Die Situation in der Region wird
nur am Rande thematisiert. Das zum Artikel gehörige Bild ist ein in die Länge
gezogenes Querformat, über drei Spalten gehend. In der linken Bildecke ist ein
Mensch angeschnitten, dahinter sind perspektivisch gestaffelt drei weitere
vermummte Männer zu sehen, die sich in unterschiedliche Richtung bewegen. Die
Sicht ist insgesamt etwas diffus, vermutlich aufgrund von Rauchschwaden vor
Ort. Sonnenlicht fällt von der linken Hälfte ins Bild ein und zeichnete klare
Schatten der Personen. In der Bildunterschrift steht „Vom Ziel eines eigenen
Staates weit entfernt: Palästinenser werfen Steine auf israelische
Sicherheitskräfte“. Als Quelle ist die Agentur AP angegeben, ohne eine Nennung
des Fotografennamens.
Das beschriebene Bild ist als ein typisches Klischeebild aus
dem visuellen Repertoire des Nahostkonflikts zu charakterisieren: Steine
werfende junge Palästinenser, vermummt und völlig Kontextlos dem Artikel
zugeordnet. Zumindest ist aus der Bildunterschrift nicht zu entnehmen, ob der
Protest sich wenigstens auf das im Artikel erwähnte Event der UN
Generalversammlung bezieht, oder sich gegen den stockenden Friedensprozess
richtet. Mit größter Wahrscheinlichkeit nicht, denn ansonsten wäre das Bild
sicherlich in dieser Hinsicht kontextualisiert worden. Was bleibt ist ein schales
Bild, das die Palästinenser völlig ungerechtfertigter Weise als gewalttätige
Protestler zeigt. Nicht dass diese Proteste nicht tatsächlich stattfinden
würden. Aber meist haben diese einen spezifischen Anlass, zu dem sie
stattfinden und sind einem Ort zuordenbar. Repräsentativ für den Umgang der
Palästinenser mit dem Konflikt sind sie jedoch nicht. Noch weniger sagen sie
repräsentativ etwas darüber aus wie die palästinensische Gesellschaft mit dem
Stocken des Friedensprozesses umgeht. Das macht die Veröffentlichung des Bildes
im schlechtesten Fall tendenziös, im besten Fall einfach unbedacht. Für
qualitativen Bild-Journalismus, dem sich die Süddeutsche Zeitung als
Qualitätszeitung verpflichtet fühlen sollte, spricht es jedoch nicht.
Leider ebenfalls zur Praxis der SZ gehört es, wie in diesem
Fall, bei Bildern in der Regel nur den Namen der Agentur, nicht jedoch den des
Fotografen, zu veröffentlichen. Damit fällt eine weitere Möglichkeit der
Kontextualisierung weg. Theoretisch wird damit auch gegen das Urheberrecht
verstoßen, in dem eine Namensnennung vorgesehen ist. Der Deutsche
Journalistenverband hat wiederholt auf diesen Missstand hingewiesen. Laut der
jährlichen Auszählung „Fotografen haben einen Namen“ werden in der SZ nur in 39
der Fälle der Namen des Fotografen bei der Veröffentlichung des Bildes genannt.
Wie unterschiedlich Print- und Online-Ausgabe der
Süddeutschen Zeitung mit der Bebilderung des Artikels umgegangen sind, ist an
diesem Beispiel ebenfalls sehr gut zu sehen. Der Online-Artikel ist vom Text
her identisch, wird jedoch von einem anderen Bild verziert. Zu sehen ist ein
Mann der auf den obersten Sprossen einer Leiter steht, die an eine Mauer gelehnt
ist. Er kann gerade darüber schauen und schwenkt dabei eine palästinensische
Fahne. Die Bildunterzeile lautet „ Ein Demonstrant schwenkt die
palästinensische Flagge über der umstrittenen Mauer, die Israel vom
Westjordanland trennt. Erst wenn die Gewalt wieder offen ausbricht, wird der
Nahost-Konflikt erneut Top-Thema bei den Vereinten Nationen“. Als Quelle ist die Agentur Reuters
angegeben. Zumindest ansatzweise ist das Bild hier geografisch zugeordnet.
Darüber hinaus ist zu erahnen was der Grund für die Bebilderung sein könnte:
erst wenn wieder Gewalt von Demonstranten in Palästina ausgeht – für die der –
gewaltlos – Fahne schwenkende als Symbol steht – wird das Thema auch in New
York wieder auf der Tagesordnung stehen. Aber letztlich stellt sich auch in diesem
Fall die Frage, warum ein Demonstrant als Symbol für die stockenden
Verhandlungen und das nicht thematisieren in New York herhalten muss. Immerhin
mit einem weniger klischeehaften Bild als in der Printausgabe der SZ.
Zu
wünschen wäre, dass die SZ mehr Sorgfalt bei der Bebilderung von Artikeln zum
Nahostkonflikt walten lassen würde. Wichtig dafür ist, dass es in der
Bildredaktion ein Bewusstsein über visuelle Klischees, die Geschichte der
Bildberichterstattung über den Nahostkonflikt, sowie Kontextwissen zum Thema
gibt. Nur so lassen sich Fehler wie in diesem Fall vermeiden.
P.S.: Link zum Online-Artikel http://www.sueddeutsche.de/politik/palaestinenser-praesident-abbas-bei-der-un-wenn-frieden-ganz-am-ende-der-agenda-steht-1.1480545
P.S.S: Aus Gründen des Urheberrechts konnte der
Print-Artikel hier leider nicht zugänglich gemacht werden.