Der deutsche Fotograf Tobias Zielony stellte auf der diesjährigen
internationalen Kunstbiennale in Venedig ein Fotografieprojekt zum Thema
Migration aus. Die Porträtierten haben ein politisches Anliegen, ebenso der Künstler.
Was macht seine Fotokunst daraus? Der Artikel erschien in der Ausgabe 352 der
Zeitschrift iz3w mit dem Themenschwerpunkt "Refugees & Selbstermächtigung" erschienen.
Es ist die
Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Bildkulturen, die Florian Ebner, Leiter
der fotografischen Sammlung am Essener Folkwang Museum, zum zentralen Thema des
deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig gemacht hat. Dabei hat er den
Pavillon, ein klassizistisches Gebäude vom Beginn des 20. Jahrhunderts, zu
einer Art „Fabrik“ – so auch der Titel der Ausstellung – umfunktioniert. Hier soll
die Produktion und die Zirkulation von Bildern hinterfragt werden. Die einzige
fotografische Arbeit im Pavillon stammt von dem deutschen Fotografen Tobias
Zielony.
Zielony hat sich in der
Kunstszene bisher vor allem mit Porträts von Jugendlichen einen Namen gemacht. Diesmal
hat er in einer Langzeitstudie Geflüchtete porträtiert und ihre Geschichten
eingefangen. Die ProtagonistInnen seiner Arbeit stammen beispielsweise aus
Eritrea oder dem Südsudan. Sie gehören zu einer kleinen, sehr aktiven Gruppe
politischer AktivistInnen unter den in Deutschland lebenden Geflüchteten. Wie
geht Zielony in seiner künstlerischen Arbeit mit den politischen Anliegen der
von ihm Porträtierten um?
Bilder sprechen …
Seit mehreren Jahren
fotografiert Zielony Geflüchtete in Deutschland und deren Proteste. Ein
Schwerpunkt seiner Dokumentation waren die Aktivitäten der Lampedusa Gruppe in
Hamburg und das Protestcamp am Berliner Oranienplatz. Aus diesem Bildarchiv hat
Zielony für die Biennale die Arbeit „The Citizen“ entwickelt. Die Arbeit
besteht aus drei Teilen und ist in einem Licht durchfluteten Raum unter dem
Dach des Pavillons zu sehen. Zum einen sind dort Porträts der Flüchtlinge zu
sehen, die auf großen Wandtafeln präsentiert werden, die an ein Magazinlayout
ohne Text angelehnt sind. Zum anderen werden Ausschnitte afrikanischer
Zeitungen und Magazine in Schaukästen präsentiert, in denen Zielonys Bilder
zusammen mit Kommentaren und Essays afrikanischer Autoren abgedruckt wurden. Artikel
erschienen beispielsweise im „Daily Graphic“ aus Ghana oder „Citizen“ aus Südafrika. Der letzte Teil besteht aus einer
Zeitung die von den BesucherInnen mit nach Hause genommen werden kann und in
der einige Porträtierte ihre Lebensgeschichte erzählen.
Blick auf die Installation von Tobias Zielony im Deutschen Pavillon in Venedig |
Zielony, so der Ankündigungstext
im Ausstellungsflyer, wollte mit seiner Arbeit die Porträtierten als politische
Subjekte in den Vordergrund rücken. Damit steht sein Projekt in einer Tradition
künstlerischer Arbeiten, die beabsichtigen, den im medialen und politischen
Diskurs marginalisierten AkteurInnen eine Stimme zu geben. Das ist grundsätzlich
ein ehrenwertes Unterfangen. Im Fall der von Zielony Porträtierten ist der Fall
jedoch etwas komplexer, da die Geflüchteten mit ihrem politischen Protest schon
selbst öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen generiert hatten. Die
Proteste um den O-Platz in Berlin waren die größten und wichtigsten
selbstorganisierten Flüchtlingsproteste, die es in Deutschland bisher gab, und
hatten eine große mediale Aufmerksamkeit zur Folge. Durch ihren Protest haben
die Geflüchteten sich selbst bereits zu politischen Subjekten gemacht und als
solche in die Öffentlichkeit gebracht.
Einen stark entpolitisierten
Rahmen zur Rezeption von Zielonys Projekt schafft vor allem die Präsentation
seiner Bilder. Mit den weißen Flächen zwischen den Bildern will der Fotograf auf
die Brüche in den Biographien der Porträtierten aufmerksam machen. Aber dies hat
zur Folge, dass deren Aktionen nicht kontextualisiert werden können. Die Bilder
bekommen damit eine rein ästhetische Funktion.
… und verschweigen
Exemplarisch deutlich wird
dies an einem Bild, welches die
Aktivistin Napoli Langa bei ihrer Baumbesetzung im vergangenen Jahr am
Berliner O-Platz zeigt. Ohne Bildunterschrift und Kontextinformationen kann der
Betrachtende die herausragende Bedeutung und die Verzweiflung, die zu der im
Bild dargestellten Aktion geführt hatte, nicht entschlüsseln. Dies hat zur
Folge, dass die Aufmerksamkeit der Betrachtenden stärker auf die von Zielony
gewählte Form und damit auf seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem
Thema gelenkt wird. Das politische Anliegen der FlüchtlingsaktivistInnen und
der Kontext ihres Protests treten so in den Hintergrund.
Schade ist, dass auch der größere
politische Kontext, in dem die Flüchtlingsproteste zu betrachten sind, in der
Arbeit nicht zur Sprache kommt. Es waren die starren und menschenfeindlichen
Regeln des deutschen Asylgesetzes wie die Residenzpflicht und die Umsetzung der
Dublin II Verordnung, die zu den Protesten geführt haben. Bis zum Schluss wurde
den Protestierenden am Berliner O-Platz die Gewährung eines Aufenthaltsstatus
aus humanitären Gründen verweigert. Den langen Atem und das letzte Wort hatten letztlich
die deutschen Behörden. Die Geflüchteten wurden mit einer schwammigen
Absichtserklärung abgespeist, dem sogenannten „O-Platz Agreement“, das sich
schon kurz nach Unterzeichnung als rechtlich nicht bindend erwies. All dies wären
Dinge gewesen, die in der Arbeit hätten thematisiert werden können.
Und noch etwas stimmt
nachdenklich. Viele der Aktivisten vom O-Platz und auch einige der von Zielony
Porträtierten haben den Weg nach Deutschland über Italien gefunden, entweder
weil ihre Papiere dort abgelaufen waren oder weil sie dort keine Perspektive
mehr sahen. Was bedeutet es nun, wenn ihre Bilder zurück nach Italien reisen
und dort in einem Kunstkontext öffentlich ausgestellt werden? Dies hätte,
gerade wenn ein Ziel die Auseinandersetzung mit der Zirkulation von Bildern und
deren vermeintlichem Potential zur Schaffung von Realität ist, in irgendeiner
Weise aufgegriffen werden müssen. Während viele der Italienflüchtlinge in
Deutschland mit Reiserestriktionen belegt sind, können ihre Bilder problemlos
global zirkulieren. Dies ist die wohl größte und traurigste Ironie der
Geschichte.
Eine Dokumentation der Austellung findet sich auch Online. Des weiteren ist ein Katalog zur Ausstellung erschienen: Fabrik. Venedig, Biennale 2015, Deutscher Pavillon. Hg.:
Institut für Auslandsbeziehungen. 220 Seiten, 26,17 Euro