Mittwoch, 20. Januar 2016

Refugees auf der Biennale in Venedig



Der deutsche Fotograf Tobias Zielony stellte auf der diesjährigen internationalen Kunstbiennale in Venedig ein Fotografieprojekt zum Thema Migration aus. Die Porträtierten haben ein politisches Anliegen, ebenso der Künstler. Was macht seine Fotokunst daraus? Der Artikel erschien in der Ausgabe 352 der Zeitschrift iz3w mit dem Themenschwerpunkt "Refugees & Selbstermächtigung" erschienen.
 
Es ist die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Bildkulturen, die Florian Ebner, Leiter der fotografischen Sammlung am Essener Folkwang Museum, zum zentralen Thema des deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig gemacht hat. Dabei hat er den Pavillon, ein klassizistisches Gebäude vom Beginn des 20. Jahrhunderts, zu einer Art „Fabrik“ – so auch der Titel der Ausstellung – umfunktioniert. Hier soll die Produktion und die Zirkulation von Bildern hinterfragt werden. Die einzige fotografische Arbeit im Pavillon stammt von dem deutschen Fotografen Tobias Zielony.

Zielony hat sich in der Kunstszene bisher vor allem mit Porträts von Jugendlichen einen Namen gemacht. Diesmal hat er in einer Langzeitstudie Geflüchtete porträtiert und ihre Geschichten eingefangen. Die ProtagonistInnen seiner Arbeit stammen beispielsweise aus Eritrea oder dem Südsudan. Sie gehören zu einer kleinen, sehr aktiven Gruppe politischer AktivistInnen unter den in Deutschland lebenden Geflüchteten. Wie geht Zielony in seiner künstlerischen Arbeit mit den politischen Anliegen der von ihm Porträtierten um?

Bilder sprechen …

Seit mehreren Jahren fotografiert Zielony Geflüchtete in Deutschland und deren Proteste. Ein Schwerpunkt seiner Dokumentation waren die Aktivitäten der Lampedusa Gruppe in Hamburg und das Protestcamp am Berliner Oranienplatz. Aus diesem Bildarchiv hat Zielony für die Biennale die Arbeit „The Citizen“ entwickelt. Die Arbeit besteht aus drei Teilen und ist in einem Licht durchfluteten Raum unter dem Dach des Pavillons zu sehen. Zum einen sind dort Porträts der Flüchtlinge zu sehen, die auf großen Wandtafeln präsentiert werden, die an ein Magazinlayout ohne Text angelehnt sind. Zum anderen werden Ausschnitte afrikanischer Zeitungen und Magazine in Schaukästen präsentiert, in denen Zielonys Bilder zusammen mit Kommentaren und Essays afrikanischer Autoren abgedruckt wurden. Artikel erschienen beispielsweise im „Daily Graphic“ aus Ghana oder „Citizen“ aus Südafrika.  Der letzte Teil besteht aus einer Zeitung die von den BesucherInnen mit nach Hause genommen werden kann und in der einige Porträtierte ihre Lebensgeschichte erzählen.

Blick auf die Installation von Tobias Zielony im Deutschen Pavillon in Venedig

Zielony, so der Ankündigungstext im Ausstellungsflyer, wollte mit seiner Arbeit die Porträtierten als politische Subjekte in den Vordergrund rücken. Damit steht sein Projekt in einer Tradition künstlerischer Arbeiten, die beabsichtigen, den im medialen und politischen Diskurs marginalisierten AkteurInnen eine Stimme zu geben. Das ist grundsätzlich ein ehrenwertes Unterfangen. Im Fall der von Zielony Porträtierten ist der Fall jedoch etwas komplexer, da die Geflüchteten mit ihrem politischen Protest schon selbst öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Anliegen generiert hatten. Die Proteste um den O-Platz in Berlin waren die größten und wichtigsten selbstorganisierten Flüchtlingsproteste, die es in Deutschland bisher gab, und hatten eine große mediale Aufmerksamkeit zur Folge. Durch ihren Protest haben die Geflüchteten sich selbst bereits zu politischen Subjekten gemacht und als solche in die Öffentlichkeit gebracht.

Einen stark entpolitisierten Rahmen zur Rezeption von Zielonys Projekt schafft vor allem die Präsentation seiner Bilder. Mit den weißen Flächen zwischen den Bildern will der Fotograf auf die Brüche in den Biographien der Porträtierten aufmerksam machen. Aber dies hat zur Folge, dass deren Aktionen nicht kontextualisiert werden können. Die Bilder bekommen damit eine rein ästhetische Funktion.

… und verschweigen

Exemplarisch deutlich wird dies an einem Bild, welches die  Aktivistin Napoli Langa bei ihrer Baumbesetzung im vergangenen Jahr am Berliner O-Platz zeigt. Ohne Bildunterschrift und Kontextinformationen kann der Betrachtende die herausragende Bedeutung und die Verzweiflung, die zu der im Bild dargestellten Aktion geführt hatte, nicht entschlüsseln. Dies hat zur Folge, dass die Aufmerksamkeit der Betrachtenden stärker auf die von Zielony gewählte Form und damit auf seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema gelenkt wird. Das politische Anliegen der FlüchtlingsaktivistInnen und der Kontext ihres Protests treten so in den Hintergrund.

Schade ist, dass auch der größere politische Kontext, in dem die Flüchtlingsproteste zu betrachten sind, in der Arbeit nicht zur Sprache kommt. Es waren die starren und menschenfeindlichen Regeln des deutschen Asylgesetzes wie die Residenzpflicht und die Umsetzung der Dublin II Verordnung, die zu den Protesten geführt haben. Bis zum Schluss wurde den Protestierenden am Berliner O-Platz die Gewährung eines Aufenthaltsstatus aus humanitären Gründen verweigert. Den langen Atem und das letzte Wort hatten letztlich die deutschen Behörden. Die Geflüchteten wurden mit einer schwammigen Absichtserklärung abgespeist, dem sogenannten „O-Platz Agreement“, das sich schon kurz nach Unterzeichnung als rechtlich nicht bindend erwies. All dies wären Dinge gewesen, die in der Arbeit hätten thematisiert werden können.

Und noch etwas stimmt nachdenklich. Viele der Aktivisten vom O-Platz und auch einige der von Zielony Porträtierten haben den Weg nach Deutschland über Italien gefunden, entweder weil ihre Papiere dort abgelaufen waren oder weil sie dort keine Perspektive mehr sahen. Was bedeutet es nun, wenn ihre Bilder zurück nach Italien reisen und dort in einem Kunstkontext öffentlich ausgestellt werden? Dies hätte, gerade wenn ein Ziel die Auseinandersetzung mit der Zirkulation von Bildern und deren vermeintlichem Potential zur Schaffung von Realität ist, in irgendeiner Weise aufgegriffen werden müssen. Während viele der Italienflüchtlinge in Deutschland mit Reiserestriktionen belegt sind, können ihre Bilder problemlos global zirkulieren. Dies ist die wohl größte und traurigste Ironie der Geschichte.

Eine Dokumentation der Austellung findet sich auch Online. Des weiteren ist ein Katalog zur Ausstellung erschienen: Fabrik. Venedig, Biennale 2015, Deutscher Pavillon. Hg.: Institut für Auslandsbeziehungen. 220 Seiten, 26,17 Euro

Dienstag, 12. Januar 2016

Das Problem von Retrospektiven


Sie sind in Mode wie noch nie, Retrospektiven bekannter Fotografen aus dem 20. Jahrhundert. Unzählige gab es in den letzten Jahren in fast allen wichtigen Fotomuseen und Galerien Europas. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Stolpersteinen die dabei zu beachten sind, wie es beispielsweise an der aktuellen Retrospektive des französischen Fotografen Bruno Barbey in der Maison Européenne de la Photographie in Paris sehr gut deutlich wird.

Die Ausstellung trägt den Namen Passages und zeigt Barbey fotografisches Werk der vergangenen 50 Jahre. Im Vordergrund stehen großformatige Abzüge seiner Farbfotografie, die für diese Ausstellung neu produziert wurden. Es ist ein Sammelsurium seiner fotografischen Reisen und dokumentarischen Arbeiten. Offiziell gibt es sowas wie Kapitel, die dann Italien, Brasilien oder Portugal heißen. Die Schwierigkeit: Manchmal ist es nur ein Bild, meist zwei bis fünf, selten mehr als zehn Bilder. Da fragt man sich, was man in diesen Bildern über die Länder erfährt.

Barbey war ein Fotojournalist, der relativ jung in die Agentur Magnum aufgenommen wurde. In deren Auftrag bereiste der die Welt und fertigte Reportagen für die wichtigsten Magazine der vergangenen Jahrzehnte an. Welches Potential seine Fotografien aus einer historischen, dokumentarischen Perspektive haben, wird in einem kleinen Gang deutlich, in dem Vintage Prints* in SW und Farbe ausgestellt sind. Hier finden sich kleine Serien über die Fedayin in Jordanien oder die kurdischen Peshmerga unter Barzani im Irak.

Dass der Schwerpunkt der Ausstellung nicht darauf liegt, das journalistische dieser Arbeiten herauszuarbeiten und aus einer zeithistorischen Perspektive spannende Geschichten zu erzählen, sondern einzelne großformatige Farbbilder in den Vordergrund zu stellen, trifft leider den kuratorischen Zeitgeist. Und es weist auf ein leider allzuweit verbreitetes Phänomen hin: den Versuch, aus dokumentarischen Fotografen Fotokünstler zu machen und sie auf dem Kunstmarkt zu etablieren. Das ist schade und viel zu kurz gedacht.


*Vintage Prints werden historische Originalfotoabzüge genannt. Diese sind meist kleiner und waren oft für das Archiv oder andere Zwecke gedacht. Heute werden wie im Falle Barbeys oft neue Abzüge angefertigt. Bei Größen von über einem Meter in der Diagonale zeigt sich dann wie in diesem Fall das Problem, dass die Bilder sehr grobkörnig sind, da die Auflösung damals nicht mehr hergab.

Montag, 4. Januar 2016

Fokus Palästina

Zurzeit ist in Paris ein spannendes Ausstellungsprojekt zu sehen: die Biennale für Fotografie aus der zeitgenössischen arabischen Welt. An acht Orten, darunter dem Institut du Monde Arabe sowie der Maison Européenne de la Photographie sind die Werke von 50 Fotografen ausgestellt. Einige der Arbeiten stammen von palästinensischen Fotografen oder haben Palästina zum Thema und werfen einen spannenden und unbekannten Blick auf die Region. Diese sollen hier kurz vorgestellt werden.

Der palästinensische Künstler Yazan Khalili beispielsweise zeigt im Institut du Monde Arabe seine Fotoserie „Paysage de l'Obscurité“. Es sind düstere Nachtaufnahmen von Landschaften, die im Dunkeln liegen. Auf einem Bild erstreckt sich dazu am Horizont eine erleuchtete Ebene, auf einem anderen eine hell erleuchtete Straße. Es ist der typische Blick von den Bergen der Westbank hinunter nach Israel zu den urbanen Zentren am Meer. Khalili nimmt hier über die Frage der Beleuchtung die Asymmetrie des israelisch-palästinensischen Konflikts auf Korn.

Amélie Debray - Spectatrices du stade Al-Bireh de Ramallah, Palestine, 2011 © Amélie Debray
Courtesy Galerie du Jour Agnès b, Paris
Dem Thema Fußball in Palästina widmet sich die französische Fotografin Amélie Debray. In einer umfangreichen fotografischen Recherche mit dem Titel „Surface de réparation“ zeigt sie die Fußballbegeisterung des palästinensischen Volkes, egal ob Kinder, Männer oder Frauen. Eine tolle Alltagsbeobachtung zeigt beispielsweise eine Gruppe junger Frauen im Stadium von Al-Bireh bei Ramallah. Freundlich lächelnd blickt eines der Mädchen forsch direkt in die Kamera. Debray hat ein wunderbares Porträt des Alltags in Palästina geschaffen, das sich angenehm aus dem Kanon fotografischer Reportagen über die Region abhebt.

Etwas ratlos lässt den kritischen Betrachter die Arbeit „Gaza: eau miracle“ von Massimo Berruti zurück. Sie ist Teil eines größeren fotografischen Projekts, das der italienische Fotograf für die französische Entwicklungshilfeagentur AFD erarbeitet hat. Die in der Maison Européenne de la Photographie gezeigte Arbeit versammelt Bilder aus dem Gazastreifen, die den Umgang mit der knappen Ressource Wasser und daraus entstehenden Problemen zeigen sollen. Über begleitende Texte ist sie in einen sehr politischen Diskurs eingebettet, der die Wasserknappheit als Folge der israelischen Besatzungspolitik darstellt. So weit so gut.

Leider fokussieren die kontrastreichen Schwarz-Weiß Bilder stark auf Kinder im Gazastreifen und zeigen den Küstenstreifen fast ausschließlich als einen miserablen Ort. Andere Themen die einem zu Wasser in den Sinn kommen. z.B. des unterschiedlichen Gebrauchs von Wasser in der Unter- oder Oberschicht, werden nicht aufgegriffen. Damit steht die Arbeit in einer Tradition von Arbeiten die von internationalen Organisationen finanziert werden und den Fokus ausschließlich auf die Misere richten und damit den Opferstatus der Palästinenser zementieren.

Daneben sind in der Ausstellung im Institut du Monde Arabe Bilder des palästinensischen Fotografen Steve Sabella zu sehen, der mittlerweile in Berlin lebt, sowie von Mohammed Abusal aus dem Gazastreifen. Sabella zeigt seine Serie „38 Days of Re-collection“. Mohammed Abusal dagegen zeigt in seiner Serie „Shambar“ Nachtaufnahmen aus dem Gazastreifen von Orten, die von Generatoren unterschiedlicher Stärke beleuchtet werden und verweist damit auf die Elektrizitätsprobleme im Gazastreifen.

Eine interessante Reflektion in Bezug auf die Rolle der Fotografie im Verhältnis von Unterdrücker und Unterdrückten war in der Ausstellung in einem Statement des palästinensischen Künstlers Yazan Khalili zu lesen: „Der Fotoapparat des Unterdrückten ist die Fortsetzung seines Auges, während der Fotoapparat des Unterdrückers die Fortsetzung seines Geistes ist“.


Zur Biennale ist ein Katalog im Snoeck Verlag (ISBN 978-94-6161-262-5) erschienen. Die Webseite der Biennale stellt darüber hinaus alle beteiligten Künstler einzeln vor. Zur Arbeit von Amélie Debray über Fußball in Palästina ist im Verlag „Les presses du reel“ auch ein umfangreiches Buch erschienen.