Nicht erst seit der Digitalisierung ist die
Fotografie ein globales Medium. Schon kurz nach der Erfindung des Mediums im
19. Jahrhundert breitete sich das Medium von Europa aus auf der ganzen Welt
aus. In einigen Regionen war diese Ausbreitung eng mit dem Kolonialismus
verbunden, in anderen geschah dies unabhängig davon. In Lateinamerika erlangten
viele Länder wie Mexiko schon relativ früh zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihre
Unabhängigkeit, so dass sich die Fotografie dort weitgehend unabhängig von
kolonialen Strukturen als lokales Medium etablieren konnte. Heute zu Beginn des
21. Jahrhunderts gehört Mexiko zu einem der Länder Lateinamerikas mit einer der
spannendsten Fotoszenen, in die ich an dieser Stelle einen kleinen Einblick
geben möchte.
Eine der ältesten und bis
heute wichtigsten Institutionen der Fotografie ist das „Centro de la Imagen“ in
Mexiko-Stadt. Es befindet sich im Zentrum der Stadt neben den weitläufigen
Anlagen der mexikanischen Nationalbibliothek in einem alten Kolonialgebäude. Nach
mehrjährigen Renovierungsarbeiten hat das Haus im Herbst 2015 erneut seine Tore
geöffnet. Die auch vorher schon großzügigen Ausstellungsräume wurden erweitert
und eine „Fotomuro“ genannte Außenanlage dazugewonnen. Neben hochkarätigen
Ausstellungen lokaler und internationaler Fotografen ist das Centro de la
Imagen Zentrum zweier Fotofestivals: des „FotoMéxico“ und der „Bienal de
Fotografía“. Während die „Bienal de Fotografía“ den Fokus ausschließlich auf
die lokale Fotografieszene richtet, ist „FotoMéxico“ der internationalen
Fotografie gewidmet.
Blick in den neuen Ausstellungsbereich "Fotomuro" des Centro de la Imagen |
Einen Namen gemacht hat sich
das "Centro de la Imagen" auch über seine Bildungsangebote. Vor allem das
„Seminario de Fotografía Contemporánea“ – das seit kurzem unter dem Namen
„Seminario de Produccion Fotografica“ läuft – hat in den letzten Jahren mehrere
Dutzend mexikanische Fotografen die Form eines intensiven künstlerisch
orientierten Projektstudiums ermöglicht. Damit wurde eine zentrale Lücke
geschlossen, die von den eher technischen orientierten, meist privaten
Fotoschulen des Landes hinterlassen wurde. Ebenfalls wichtige Impulse gehen vom
zweijährig stattfindenden „Encuentro Nacional de Teoria sobre Fotografía“ aus.
Hier wird der theoretischen Debatte über die lokale und internationale
Fotografie ein wichtiges Forum geboten.
Unabhängige Initiativen
Erst im vergangen Herbst
eröffnete das Fotomuseum „Cuatro Caminos“ seine Tore. Benannt ist es nach dem
Stadtviertel, in dem es sich befindet und der dortigen Endstation der Metro.
Gegründet und finanziert wird es von der privaten Stiftung von Pedro Meyer,
einer der Koryphäen der mexikanischen Fotoszene. Meyer, Jahrgang 1935, war in
einer Vielzahl von wichtigen Initiativen der mexikanischen Fotografie, unter
anderem dem „Consejo Mexicano de Fotografía“, der von 1976 bis zu Beginn der
1990er Jahre eine wichtige Rolle spielte, bevor er 2007 seine eigene Stiftung
gründete. Die Räumlichkeiten des „Fotomuseo Cuatro Caminos“ müssen sich kaum
hinter denen des „Centro de la Imagen“ verstecken und bereichern die Stadt um
einen exzellenten Ausstellungsort.
Blick in den Eingangsbereich des "Fotomuseo Cuatro Caminos" |
Vor allem im Bereich der fotografischen
Sammlungen nimmt die „Fundación Televisa“, die von der privaten Fernseh- und
Mediengruppe „Televisa“ getragen wird, eine zentrale Stellung ein. Unter dem
Namen „Fotográfica“ findet sich eine der größten Sammlungen historischer und
zeitgenössischer mexikanischer Fotografie. Darüber hinaus fördert die Stiftung
eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Initiativen im Bereich der
Fotografie, darunter auch das Ausstellungsprojekt „Develar y Detonar“.
Auch sonst hat die freie
Szene einiges zu bieten. Internationale Bekanntheit hat die private Galerie
Patricia Conde erlangt, die ausschließlich fotografische Positionen in ihrem
Portfolio hat und ihre Räumlichkeiten im bürgerlichen Viertel Roma hat. Sie
vertritt bekannte lokale fotografische Künstler wie Flor Garduño oder Rodrigo
Moya. Relativ neu auf dem Parkett ist die Initiative „La Hydra“, die unter anderem
von Ana Casas Broda gegründet wurde, die lange Jahre am „Centro de la Imagen“
arbeitete. Hydra ist vor allem als Plattform aktiv, die eigene Weiterbildungsangebote
entwickelt - wie einen Inkubator zum Fotobuch - oder kuratorisch wirkt, unter
anderem in der Vorbereitung des Ausstellungsprojekts „Develar y Detonar“ im
Jahr 2015.
Das Ausstellungsprojekt „Develar y Detonar“
Im Herbst 2015 wurde an drei
verschiedenen Orten in Mexiko-Stadt die Ausstellung „Develar y Detonar.Fotografía en México ca. 2015“ gezeigt, die der Präsentation zeitgenössischer
mexikanischer Fotografie gewidmet war. Über 50 fotografische Positionen waren
zu sehen, die das Panorama von klassischen dokumentarischen Projekten bis hin
zu künstlerischen Arbeiten spannten. Es war eine beispielhafte Kooperation
zwischen den wichtigsten privaten und öffentlichen Institutionen im Bereich der
Fotografie in Mexiko, wie „Fotográfica“ und der „Fundacion Televisa“ auf der
einen und dem „Centro Nacional de las Artes“ und dem „Centro de la Imagen“ auf
der anderen Seite. Das besondere an der Ausstellung ist, dass neben dem
umfangreichen Katalog in Form eines Coffeetablebuchs das gesamte Projekt auch
mit einer eigenen Onlinepräsenz an den Start ging. Dort sind zumindest
Ausschnitte der einzelnen, zum Teil sehr umfangreichen Arbeiten zu sehen. Der
Katalog überzeugt vor allem durch verschiedene Essays, die das Projekt und die
gezeigten fotografischen Ansätze kontextualisieren.
Die Fotoszene abseits der Hauptstadt
Eine Schwierigkeit der
mexikanischen Fotoszene besteht in den Auswirkungen der Zentralisierung des
Staates die zur Folge hat, dass sich bis heute ein Großteil der kulturellen
Initiativen in Mexiko-Stadt konzentrieren, wie es die eben geschilderten
Beispiele aufzeigen. Es gibt jedoch einige Ausnahmen. So findet sich in der
Stadt Pachuca im Bundesstaat Hidalgo, wenige Stunden nordöstlich der Hauptstadt
gelegen, in einem alten Kloster im „Museo de la Fotografía“ die „Fototeca
Nacional“. Dem nationalen Fotoarchiv sind viele lokale und regionale
Fotoarchive angeschlossen, die jedoch oft in einem erbärmlichen Zustand sind,
wie beispielsweise die „Fototeca Juan Crisóstomo Méndez“ in Puebla im Zentrum
des Landes. Auf nationaler Ebene sind alle Foto-Archive im „Sistema Nacional de Fototecas“ (SINAFO) zusammengeschlossen.
Die SINAFO gibt auch die
Zeitschrift „Alquimia“ heraus, die sich der Aufarbeitung lokaler Fotoarchive
verschrieben hat. Aber nicht nur: Die Ausgabe 46 war zum Beispiel der
zeitgenössischen mexikanischen Fotoszene gewidmet und bietet in Form eines
Magazins zu einem geringen Preis einen tollen Überblick über eine Vielzahl
unterschiedlicher fotografischer Ansätze der letzten Jahrzehnte.
Auch im Bundesstaat Oaxaca
südwestlich der Hauptstadt befindet sich in der gleichnamigen Stadt ein Kleinod
der mexikanischen Fotoszene, das „Centro Fotografico Manuel Álvarez Bravo“
(CFMAB). Gegründet wurde es 1996 vom international bekannten und aus Oaxaca
stammenden Maler Francisco Toledo. Dass mit seiner Kunstkarriere verdiente Geld
investierte er in lokale Initiativen und trug so mit dazu bei, dass Oaxaca
heute ein Zentrum der zeitgenössischen Kunst- und Fotografieszene ist. Der
Namensgeber Manuel Álvarez Bravo war einer der Pioniere der zeitgenössischen
Fotografie in Mexiko. Im CFMAB werden Ausstellungen lokaler und internationaler
Fotografen gezeigt. Dazu gibt es ein spannendes Bildungsprogramm aus Kursen und
Veranstaltungen.
Publikationen und sprachliche Zugänge
Wie in vielen anderen
Ländern der Welt gibt es auch in Mexiko einen boomenden Fotobuchmarkt. Auch
wenn kleine Indepentinitiativen immer noch rar gesäht sind, gibt es einige sehr
interessante Angebote. Einen guten Überblick geben beispielsweise die
Publikationen der „Colección Luz Portatil“ die vom Verlag „Artes de Mexico“
herausgegeben wird. Das international bekannte Fotografiemagazin EXIT wird von
einer mexikanisch-spanischen Initiative unter Leitung von Rosa Olivares herausgegeben.
Die größte Relevanz für die mexikanische Fotoszene haben jedoch die
Publikationen des „Centro de la Imagen“, sowohl die seit 1992 erscheinende,
eher wissenschaftlich orientierte Zeitschrift „Luna Cornea“ als auch die seit
2013 existierende Reihe mit Essays über Fotografie.
Cover der Zeitschrift "Luna Cornea" und des Katalogs "Develar y Detonar" |
Die Schwierigkeit des
Zugangs zur mexikanischen Fotoszene besteht darin, dass sowohl die meisten
Institutionen wie auch Publikationen ausschließlich dem spanischsprechenden
Publikum offenstehen. Eine Ausnahme stellen Ausstellungskataloge der großen
Institutionen dar, die entweder zweisprachig oder in spanischen und englischen
Versionen erscheinen. Die Zeitschrift „Luna Cornea“ übersetzt immerhin einen
Text jeder Auflage in Englisch. Leider verfügen jedoch selbst zentrale
Institutionen wie das „Centro de la Imagen“ nicht über eine englische Version
ihrer Webseite.
Die im Text genannten Institutionen sind im Text
jeweils direkt verlinkt. Darüber hinaus findet sich auf diesem Blog bereits
eine Kurzbibliographie zu mexikanischer Fotografie. Für Twitter-Nutzer bietet
sich die Möglichkeit auf meinem Account @FKoltermann die Liste „Photography in
Mexico“ zu abonnieren um regelmäßige Updates von den verschiedenen
Institutionen zu bekommen. Ein ausführliches Interview mit der Leiterin des „Centro
de la Imagen“, Itala Schmelz, über Fotografie in Mexico, erscheint in der
Juli-Ausgabe der Zeitschrift Photonews.
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