Sonntag, 16. April 2017

Fotojournalismus verkommt zur Visualisierung


In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung von Ostern 2017 lässt sich ein trauriges Beispiel dafür finden, wie der Fotojournalismus in deutschen Medien immer stärker zu purer Illustration verkommt und gleichzeitig der Leser in die Irre geführt wird. Auf Seite 51 in der Rubrik Gesellschaft findet sich der Artikel "Endstation Lenin", eine Reportage des freien SZ Autors Jan Stremmel aus Transnistrien. Auf der rechten Seite finden sich relativ großformatig vier untereinander stehende Bilder des Fotografen Emile Ducke. Unter dem Teaser des Artikels steht "Text: Jan Stremmel, Fotos: Emile Ducke". Dies ist für den Leser zusammen mit dem Reportagestil des Textes und dem "wir" das dort benutzt wird in der Regel ein Hinweis dafür, das Autor und Fotograf zusammen unterwegs waren. Leider ist dem nicht der Fall, da die Bilder von Emile Ducke schon zwei Jahre alt sind und seit 2015 im Netz zu finden sind. Ich bin nur stutzig geworden, weil Emile Ducke mit seiner Serie aus Transnistrien einige Preise gewonnen hat und die Bilder deswegen recht oft zu sehen waren. In den Bildunterschriften findet sich jedoch kein Hinweis darauf, dass die Bilder aus dem Jahr 2015 sind und nicht auf der Reise mit Jan Stremmel entstanden sind. Dies ist mindestens ein handwerklicher Fehler.



Nun könnte man sagen, dabei handelt es sich um alltägliche Praxis wie deutsche Medien Visualisierung im Journalismus betreiben. Das ist auf jeden Fall ein Fakt und deswegen auch eher der Redaktion bzw. der Bildredaktion als dem Fotografen und Texter anzulasten. Aber ich denke, dass der Fall auch eine tiefere Bedeutungsebene hat. Denn ich glaube, dass diese Form der Visualisierung die Glaubwürdigkeit journalistischer Bilder an sich untergräbt. Denn wenn ich in diesem Fall alte Bilder mit aktuellem Text kombiniere, ohne dies zu benennen, warum soll der Leser dann in anderen Fällen den Reportagen Glaubwürdigkeit schenken, wo Fotograf un Texter tatsächlich zusammen vor Ort waren? Oder ist dies einfach nicht mehr wichtig? Dabei geht es hier explizit um Reportagen, da die hier zu sehende Praxis, dass Artikel mit Agenturfotos kombiniert werden, im tagesaktuellen Journalismus schon lange den Alltag darstellt. Für mich ist es jedoch ein fragwürdiges und trauriges Beispiel dafür, wie eine tolle Fotoreportage zur Visualisierung verkommt und der Qualitätsjournalismus seine eigene Glaubwürdigkeit untergräbt.

P.S.: In der Online-Ausgabe der SZ ist der Fall ähnlich gelagert. Dort sind, ganz ähnlich gerahmt wie im Print-Artikel, neun Bilder als Galerie zu finden.

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