Zweifelsohne: Fotografien und fotografische Werke
brauchen in den allermeisten Fällen einen zusätzlichen Text. Sei es um Hintergrundinformationen
zu Autor und Werk zu geben oder über Bildunterschriften den Kontext einzelner
Fotografie herzustellen. Aber was sich zur Zeit an Textproduktion über
Fotografie vor allem auf Festivals beobachten lässt, ist schon erstaunlich.
Selten habe ich so viele frei schwafelnde und unnötig interpretierende Texte
gelesen, die nicht nur den gezeigten Arbeiten nicht gerecht werden, sondern
auch thematisch in die Irre führen. Bei meinem Besuch des Festivals
"Phototriennale" in Hamburg wurde mir dies bei der Ausstellung
"Control" in der Hamburger Kunsthalle wieder eindrücklich vor Augen
geführt.
Ausstellungsansicht von "Control" aus der Hamburger Kunsthalle |
Eine der dort gezeigten
Arbeiten ist das Triptychon "Monney" von Annette Kelm. Die drei
Fotografien zeigen Ein-Dollarnoten auf einem einfarbigen Hintergrund, die im
ersten Bild das Wort "Monney" formen, was sich in den beiden anderen
Bildern auflöst bis nur ein Haufen Dollarnoten übrig ist. Laut dem
dazugehörigen Text regt die Arbeit "zu einem grundsätzlichen Nachdenken
über die Lesbarkeit der Fotografie und die Grenzen der Darstellbarkeit von
komplexeren Zusammenhängen wie etwa dem von Geld und Kontrolle an". Mir
ist völlig schleierhaft geblieben, inwiefern das Triptychon die Lesbarkeit der
Fotografie thematisiert und den Aspekt der Kontrolle aufzeigt.
Ebenfalls in der Ausstellung
zu sehen ist der fünf Bilder umfassende Zyklus "Presidency" von
Thomas Demand aus dem Jahr 2008. Demand ist einer der Lieblinge zeitgenössischer
Kunstausstellungen und wird immer dann zu Rate gezogen, wenn es darum geht, das
Verhältnis von Realität und Fiktion zu thematisieren. Thomas Demand baut
Ereignisse und Schauplätze der Politik, wie in diesem Fall das Oval Office des
amerikanischen Präsidenten, als lebensgroße Papp- und Papiermodelle nach, die
er dann fotografiert. Während der begleitende Text richtig und nachvollziehbar
darauf verweist, dass Demand "die Inszenierung von Macht"
dokumentiert, verliert er sich gleich darauf im Spekulativen in dem er der
Arbeit bescheinigt, sie demonstriere, "dass wir uns durch das Abbilden mit
der Täuschung begnügen".
Es verwundert insofern
nicht, dass ich mich hier auf Texte einer Gruppenausstellung innerhalb eines
Festivals beziehe, sind diese doch Teil von zwei weiteren zu
problematisierenden Phänomenen: der "Kuratitis" in der Fotografie und
der neuen Eventkultur der Fotofestivals. Da Gruppenausstellungen und Festivals
meist eine thematische Klammer haben, können die Kurator_innen hier zu Höchstform
auflaufen, ist es doch ihre Aufgabe, über die Texte in den Ausstellungen die
Bezüge zwischen den einzelnen Werken herzustellen. Dass die eigentlichen
fotografischen Arbeiten dabei oft in völlig verschiedenen kuratorischen Projekten
mit zum Teil gegensätzlichen Thematiken auftauchen: geschenkt.
Und wenn wie im Juni dieses
Jahres mit der Phototriennale in Hamburg, dem F/Stop in Leipzig, dem LUMIX
Festival in Hannover und dem RAY in Frankfurt gleich vier große Festival in
Deutschland parallel laufen, dann kann dies eben nur dadurch funktionieren,
dass alle versuchen, einen maximal individuellen Charakter herauszustreichen und
als singuläres Event wahrgenommen zu werden. Dafür sind dann die Kurator_innen
gefragt, die so prägnante wie nichtssagende Themen wie "Extreme"
(RAY), "Zerrissene Gesellschaft" (F/Stop) oder "Breaking
Point" (Phototriennale) wählen.
Richtig böse sein kann man
den Kurator_innen dabei jedoch nicht, sind sie doch selbst in den Logiken eines
neoliberalen Kunstmarktes gefangen, in dem nicht nur die Künstler_innen sondern
auch die Kurator_innen dazu verdammt sind, als maximal individualisierte
Subjekte zu fungieren, um innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie wahrgenommen zu
werden. Die Festivals sind Teil dieses Phänomens und stehen darüber hinaus für
eine Kulturpolitik und -produktion als Teil einer Eventkultur, bei der das
künstlerische und kuratorische Prekariatat unter maximalem Aufwand innerhalb
kürzester Zeit größtmögliche Aufmerksamkeit generieren muss, um dann schnell an
den nächsten Ort weiterzuziehen. Da wünscht man sich doch ein bisschen mehr Bescheidenheit.