Montag, 16. Juli 2018

"Kuratitis" in der Fotografie

Zweifelsohne: Fotografien und fotografische Werke brauchen in den allermeisten Fällen einen zusätzlichen Text. Sei es um Hintergrundinformationen zu Autor und Werk zu geben oder über Bildunterschriften den Kontext einzelner Fotografie herzustellen. Aber was sich zur Zeit an Textproduktion über Fotografie vor allem auf Festivals beobachten lässt, ist schon erstaunlich. Selten habe ich so viele frei schwafelnde und unnötig interpretierende Texte gelesen, die nicht nur den gezeigten Arbeiten nicht gerecht werden, sondern auch thematisch in die Irre führen. Bei meinem Besuch des Festivals "Phototriennale" in Hamburg wurde mir dies bei der Ausstellung "Control" in der Hamburger Kunsthalle wieder eindrücklich vor Augen geführt.

Ausstellungsansicht von "Control" aus der Hamburger Kunsthalle

Eine der dort gezeigten Arbeiten ist das Triptychon "Monney" von Annette Kelm. Die drei Fotografien zeigen Ein-Dollarnoten auf einem einfarbigen Hintergrund, die im ersten Bild das Wort "Monney" formen, was sich in den beiden anderen Bildern auflöst bis nur ein Haufen Dollarnoten übrig ist. Laut dem dazugehörigen Text regt die Arbeit "zu einem grundsätzlichen Nachdenken über die Lesbarkeit der Fotografie und die Grenzen der Darstellbarkeit von komplexeren Zusammenhängen wie etwa dem von Geld und Kontrolle an". Mir ist völlig schleierhaft geblieben, inwiefern das Triptychon die Lesbarkeit der Fotografie thematisiert und den Aspekt der Kontrolle aufzeigt.

Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist der fünf Bilder umfassende Zyklus "Presidency" von Thomas Demand aus dem Jahr 2008. Demand ist einer der Lieblinge zeitgenössischer Kunstausstellungen und wird immer dann zu Rate gezogen, wenn es darum geht, das Verhältnis von Realität und Fiktion zu thematisieren. Thomas Demand baut Ereignisse und Schauplätze der Politik, wie in diesem Fall das Oval Office des amerikanischen Präsidenten, als lebensgroße Papp- und Papiermodelle nach, die er dann fotografiert. Während der begleitende Text richtig und nachvollziehbar darauf verweist, dass Demand "die Inszenierung von Macht" dokumentiert, verliert er sich gleich darauf im Spekulativen in dem er der Arbeit bescheinigt, sie demonstriere, "dass wir uns durch das Abbilden mit der Täuschung begnügen".

Es verwundert insofern nicht, dass ich mich hier auf Texte einer Gruppenausstellung innerhalb eines Festivals beziehe, sind diese doch Teil von zwei weiteren zu problematisierenden Phänomenen: der "Kuratitis" in der Fotografie und der neuen Eventkultur der Fotofestivals. Da Gruppenausstellungen und Festivals meist eine thematische Klammer haben, können die Kurator_innen hier zu Höchstform auflaufen, ist es doch ihre Aufgabe, über die Texte in den Ausstellungen die Bezüge zwischen den einzelnen Werken herzustellen. Dass die eigentlichen fotografischen Arbeiten dabei oft in völlig verschiedenen kuratorischen Projekten mit zum Teil gegensätzlichen Thematiken auftauchen: geschenkt.

Und wenn wie im Juni dieses Jahres mit der Phototriennale in Hamburg, dem F/Stop in Leipzig, dem LUMIX Festival in Hannover und dem RAY in Frankfurt gleich vier große Festival in Deutschland parallel laufen, dann kann dies eben nur dadurch funktionieren, dass alle versuchen, einen maximal individuellen Charakter herauszustreichen und als singuläres Event wahrgenommen zu werden. Dafür sind dann die Kurator_innen gefragt, die so prägnante wie nichtssagende Themen wie "Extreme" (RAY), "Zerrissene Gesellschaft" (F/Stop) oder "Breaking Point" (Phototriennale) wählen.

Richtig böse sein kann man den Kurator_innen dabei jedoch nicht, sind sie doch selbst in den Logiken eines neoliberalen Kunstmarktes gefangen, in dem nicht nur die Künstler_innen sondern auch die Kurator_innen dazu verdammt sind, als maximal individualisierte Subjekte zu fungieren, um innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie wahrgenommen zu werden. Die Festivals sind Teil dieses Phänomens und stehen darüber hinaus für eine Kulturpolitik und -produktion als Teil einer Eventkultur, bei der das künstlerische und kuratorische Prekariatat unter maximalem Aufwand innerhalb kürzester Zeit größtmögliche Aufmerksamkeit generieren muss, um dann schnell an den nächsten Ort weiterzuziehen. Da wünscht man sich doch ein bisschen mehr Bescheidenheit.


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