Wer zu Fragen der Visualität
in der Friedens- und Konfliktforschung arbeitet, der kommt kaum an den Texten
des am finnischen Tampere Peace Research Institute arbeitenden Frank Möller
vorbei. Er ist einer der Vorreiter einer »visuellen Friedensforschung/visual
peace research«, was er unter anderem mit seinem richtungsweisenden Aufsatz
»Friedenswissenschaft als Bildforschung« in W&F 3-2008 unter Beweis
stellte. Nach dem Band »Visual Peace« (2013) hat er nun bei Palgrave Mcmillan
mit »Peace Photography« (2019) eine zweite Monografie zur Visualität in der
Friedens- und Konfliktforschung vorgelegt. Das englischsprachige Buch hat drei
Teile mit insgesamt zehn Kapiteln und ist von Möller so angelegt, dass es
sowohl als Monografie als auch kapitelweise lesbar ist.
Frank Möller beginnt seine
Einleitung im Rückgriff auf Peter Weiss‘ »Ästhetik des Widerstands« mit der
Anmerkung, dass „um die Regeln der Welt zu ändern, das Bild von der Welt sich
ebenfalls ändern muss“ (S. 3.). Ein Bild der Welt, welches er vermisst und
versucht, empirisch und theoretisch herzuleiten, ist das über eine »peace
photography« (Friedensfotografie) vermittelte bzw. repräsentierte. Die
Notwendigkeit seiner akademischen Überlegungen leitet er aus dem Fakt ab, dass
es zwar eine Vielzahl von Büchern und Artikeln über die Repräsentation von
Krieg und organisierter Gewalt, nicht aber über die fotografische Repräsentationen
von Frieden gibt (S. 8). Dies gilt von wenigen Ausnahmen abgesehen auch für die
fotografische bzw. fotojournalistische Praxis und deren Themensetzung.
Im zweiten Kapitel, »Peace
and Peace Photography«, wird schnell deutlich, dass die Herausforderung beider
Konzepte darin besteht, dass eine Kategorie bzw. ein Begriff wie Frieden nicht
nur schwer bestimmsondern noch schwieriger visualisierbar
ist. So ist es nur konsequent, wenn Möller »peace
photography« als ein pluralistisches Konzept bezeichnet: „Verschiedene Konzepte
von Frieden erfordern unterschiedliche Formen visueller Repräsentation“ (S.
49), um folgendermaßen fortzufahren: „Friedensfotografie braucht nicht nur eine
Visualierung von Frieden, sondern auch Betrachter, die nach solchen
Visualisierungen suchen“ (S. 49). Gleichwohl hat auch die Betitelung jedweden
Bildes
mit Abwesenheit von Gewalt – also eine Visualisierung
negativen Friedens –als »peace photography« ihre Problematik: „[D]as ganze
Konzept der Friedensfotografie würde keinen Sinn machen, wenn (nahezu) jede
Fotografie als Friedensfotografie angesehen würde“ (S. 53).
Ein gutes Beispiel für
Möllers Vorgehen,
an dem seine
Argumentationsweise transparent wird, ist das dritte Kapitel, »This is Peace!
Robert Capa at Work« (S. 89 ff.). Er nimmt dort letztlich eine Art Umdeutung
Robert Capas vom Kriegs- zum Friedens- fotografen vor. Während Capa vor allem
für seine Bildikonen aus dem Spanischen Bürgerkrieg oder dem »D-Day« in der
Normandie zu einer Standardreferenz für Kriegsfotografie wurde, rückt Möller
Capas Bilder vom Alltagsleben in Spanien zu Zeiten des Bürgerkriegs in den
Vordergrund. Für Möller sind sie als Friedensfotografie interpretierbar: [S]ie
zeigen eine andere Realität von Krieg und visualisieren Frieden – Inseln des
Friedens – in einem Land im Krieg“ (S. 92). Damit zeigt sich, dass
ein Element des Ansatzes von Möller aus der
diskursiven Rahmung von bestimmten Bildern als Friedensfotografie besteht.
In den Kapiteln 5 und 6
greift Möller
mit der »aftermath
photography« und
der »forensic photography«
fotografische Konzepte auf, die vor allem in der künstlerischen
Dokumentarfotografie breite Rezeption erfahren. Die »aftermath photograpyh«
etwa, die aus der Visualisierung leerer Landschaften und verlassener Orte
besteht, ist für Möller eine „politische und ästhetische Gegenstrategie, die
sich standardi- sierten Formen der Kriegsfotografie widersetzt, auf Kritik an
Kriegsfotografie reagiert und die fotojournalistischen Grenzen der Darstellung
erweitert“ (S. 111). Anhand der »forensic photography« diskutiert er die
Rückkehr des Beweises und setzt dies mit der Debatte um »alternative Fakten«
und »postfaktische« Argumente in Bezug (S. 177), um abschließend zu
kommentieren: „Technologie verändert sich ebenso wie die gezeigten Subjekte,
aber die Hoffnung, die auf Fotografie ruht, bleibt hartnäckig die selbe. (S.
179)
Der Fotojournalismus als das
Feld, aus dem bis heute eine Vielzahl von Kriegsfotografien stammt, wird von
Möller argumentativ an vielen Stellen (kritisch) aufgegriffen. Daher ist es
etwas verwunderlich, dass journalistische Konzepte, die den Frieden und die
Abkehr vom Krieg in den Vordergrund rücken, wie der konfliktsensitive Journalismus,
im Buch kaum eine Rolle spielen. Erklären lässt sich dies damit, dass Möllers
Zugang zur Fotografie eher bildwissenschaftlicher denn journalistischer bzw.
kommunikationswissenschaftlicher Natur ist. So ist es dann nur konsequent, dass
viele Beispiele, die er diskutiert, wie etwa die Arbeiten von Alfredo Jaar,
Bleda y Rosa, Richard Mosse oder Simon Norfolk, in der Foto-Kunst zu verorten
sind, auch wenn Möller die Unterscheidung von Journalismus und Kunst selbst
immer wieder kritisch hinterfragt.
Die Qualität von Möllers
Buch besteht darin, dass er relevante Begriffs- und Themenfelder sowohl aus der
Friedens- und Konfliktforschung als auch der Fotografieforschung bzw. den
»Visual Culture Studies«, wie etwa die Debatte um »security communities« oder
»citizen photography«, aufgreift und miteinander verzahnt. Gewinnend ist, dass
er sich als Autor immer wieder selbstreflexiv in den Text einbaut, etwa indem
er zu Beginn von Kapitel 6 schreibt „Ich werde über die Entwicklung meiner
eigenen Muster des Sehens und Interpretierens schreiben.“ (S. 134) Gleiches
macht er in Bezug auf die Betrachter*innen von Bildern, wenn es heißt: „[I]ndividuelle
Beurteilungen von Bildern können nicht von der visuellen Sozialisation der
Person getrennt werden, die ein Bild beurteilt“ (S. 146).
Möllers Band ist durchaus
anspruchsvoll, und seine Argumentationsgänge sind nicht immer leicht
nachvollziehbar. So ist »Peace Photography« vor allem für Leser*innen geeignet,
die sowohl in der Friedens- und Konfliktforschung als auch den »Visual Culture
Studies« zumindest Grundwissen haben. Hilfreich sind die Kapitelstruktur und
der ausführliche Index, die eine schnelle Orientierung ermöglichen und die Option
bieten, verschiedene Debattenstränge separat zu verfolgen oder Möllers
Auseinandersetzung mit bestimmten Künstler*innen nachzuvollziehen. Der Band
bereichert zweifelsohne die Debatte um die Bedeutung der Visualität in der
Friedens- und Konfliktforschung um eine weitere Facette, ohne dass ein Ende
sicht- bzw. denkbar wäre, denn „die Grenzen der Fotografie sind nicht die
Grenzen der visuellen Kultur“ (S. 236).
Möller, Frank (2019): Peace
Photography. Basingstoke: Palgrave Mcmillan, ISBN 978-3-030-03221-0, 290 S., 72,49
Euro.
Die Rezension ist zuerst
erschienen in Wissenschaft&Frieden 4/2019, S. 51/52.