Donnerstag, 28. November 2019

Buchrezension "Peace Photography"


Wer zu Fragen der Visualität in der Friedens- und Konfliktforschung arbeitet, der kommt kaum an den Texten des am finnischen Tampere Peace Research Institute arbeitenden Frank Möller vorbei. Er ist einer der Vorreiter einer »visuellen Friedensforschung/visual peace research«, was er unter anderem mit seinem richtungsweisenden Aufsatz »Friedenswissenschaft als Bildforschung« in W&F 3-2008 unter Beweis stellte. Nach dem Band »Visual Peace« (2013) hat er nun bei Palgrave Mcmillan mit »Peace Photography« (2019) eine zweite Monografie zur Visualität in der Friedens- und Konfliktforschung vorgelegt. Das englischsprachige Buch hat drei Teile mit insgesamt zehn Kapiteln und ist von Möller so angelegt, dass es sowohl als Monografie als auch kapitelweise lesbar ist.

Frank Möller beginnt seine Einleitung im Rückgriff auf Peter Weiss‘ »Ästhetik des Widerstands« mit der Anmerkung, dass „um die Regeln der Welt zu ändern, das Bild von der Welt sich ebenfalls ändern muss“ (S. 3.). Ein Bild der Welt, welches er vermisst und versucht, empirisch und theoretisch herzuleiten, ist das über eine »peace photography« (Friedensfotografie) vermittelte bzw. repräsentierte. Die Notwendigkeit seiner akademischen Überlegungen leitet er aus dem Fakt ab, dass es zwar eine Vielzahl von Büchern und Artikeln über die Repräsentation von Krieg und organisierter Gewalt, nicht aber über die fotografische Repräsentationen von Frieden gibt (S. 8). Dies gilt von wenigen Ausnahmen abgesehen auch für die fotografische bzw. fotojournalistische Praxis und deren Themensetzung.

Im zweiten Kapitel, »Peace and Peace Photography«, wird schnell deutlich, dass die Herausforderung beider Konzepte darin besteht, dass eine Kategorie bzw. ein Begriff wie Frieden nicht nur schwer bestimmsondern noch schwieriger visualisierbarist. So ist es nur konsequent, wenn Möller »peace photography« als ein pluralistisches Konzept bezeichnet: „Verschiedene Konzepte von Frieden erfordern unterschiedliche Formen visueller Repräsentation“ (S. 49), um folgendermaßen fortzufahren: „Friedensfotografie braucht nicht nur eine Visualierung von Frieden, sondern auch Betrachter, die nach solchen Visualisierungen suchen“ (S. 49). Gleichwohl hat auch die Betitelung jedweden Bildesmit Abwesenheit von Gewalt – also eine Visualisierung negativen Friedens –als »peace photography« ihre Problematik: „[D]as ganze Konzept der Friedensfotografie würde keinen Sinn machen, wenn (nahezu) jede Fotografie als Friedensfotografie angesehen würde“ (S. 53).

Ein gutes Beispiel für Möllers Vorgehen,an dem seine Argumentationsweise transparent wird, ist das dritte Kapitel, »This is Peace! Robert Capa at Work« (S. 89 ff.). Er nimmt dort letztlich eine Art Umdeutung Robert Capas vom Kriegs- zum Friedens- fotografen vor. Während Capa vor allem für seine Bildikonen aus dem Spanischen Bürgerkrieg oder dem »D-Day« in der Normandie zu einer Standardreferenz für Kriegsfotografie wurde, rückt Möller Capas Bilder vom Alltagsleben in Spanien zu Zeiten des Bürgerkriegs in den Vordergrund. Für Möller sind sie als Friedensfotografie interpretierbar: [S]ie zeigen eine andere Realität von Krieg und visualisieren Frieden – Inseln des Friedens – in einem Land im Krieg“ (S. 92). Damit zeigt sich, dassein Element des Ansatzes von Möller aus der diskursiven Rahmung von bestimmten Bildern als Friedensfotografie besteht.

In den Kapiteln 5 und 6 greift Möllermit der »aftermath photography« undder »forensic photography« fotografische Konzepte auf, die vor allem in der künstlerischen Dokumentarfotografie breite Rezeption erfahren. Die »aftermath photograpyh« etwa, die aus der Visualisierung leerer Landschaften und verlassener Orte besteht, ist für Möller eine „politische und ästhetische Gegenstrategie, die sich standardi- sierten Formen der Kriegsfotografie widersetzt, auf Kritik an Kriegsfotografie reagiert und die fotojournalistischen Grenzen der Darstellung erweitert“ (S. 111). Anhand der »forensic photography« diskutiert er die Rückkehr des Beweises und setzt dies mit der Debatte um »alternative Fakten« und »postfaktische« Argumente in Bezug (S. 177), um abschließend zu kommentieren: „Technologie verändert sich ebenso wie die gezeigten Subjekte, aber die Hoffnung, die auf Fotografie ruht, bleibt hartnäckig die selbe. (S. 179)

Der Fotojournalismus als das Feld, aus dem bis heute eine Vielzahl von Kriegsfotografien stammt, wird von Möller argumentativ an vielen Stellen (kritisch) aufgegriffen. Daher ist es etwas verwunderlich, dass journalistische Konzepte, die den Frieden und die Abkehr vom Krieg in den Vordergrund rücken, wie der konfliktsensitive Journalismus, im Buch kaum eine Rolle spielen. Erklären lässt sich dies damit, dass Möllers Zugang zur Fotografie eher bildwissenschaftlicher denn journalistischer bzw. kommunikationswissenschaftlicher Natur ist. So ist es dann nur konsequent, dass viele Beispiele, die er diskutiert, wie etwa die Arbeiten von Alfredo Jaar, Bleda y Rosa, Richard Mosse oder Simon Norfolk, in der Foto-Kunst zu verorten sind, auch wenn Möller die Unterscheidung von Journalismus und Kunst selbst immer wieder kritisch hinterfragt.

Die Qualität von Möllers Buch besteht darin, dass er relevante Begriffs- und Themenfelder sowohl aus der Friedens- und Konfliktforschung als auch der Fotografieforschung bzw. den »Visual Culture Studies«, wie etwa die Debatte um »security communities« oder »citizen photography«, aufgreift und miteinander verzahnt. Gewinnend ist, dass er sich als Autor immer wieder selbstreflexiv in den Text einbaut, etwa indem er zu Beginn von Kapitel 6 schreibt „Ich werde über die Entwicklung meiner eigenen Muster des Sehens und Interpretierens schreiben.“ (S. 134) Gleiches macht er in Bezug auf die Betrachter*innen von Bildern, wenn es heißt: „[I]ndividuelle Beurteilungen von Bildern können nicht von der visuellen Sozialisation der Person getrennt werden, die ein Bild beurteilt“ (S. 146).

Möllers Band ist durchaus anspruchsvoll, und seine Argumentationsgänge sind nicht immer leicht nachvollziehbar. So ist »Peace Photography« vor allem für Leser*innen geeignet, die sowohl in der Friedens- und Konfliktforschung als auch den »Visual Culture Studies« zumindest Grundwissen haben. Hilfreich sind die Kapitelstruktur und der ausführliche Index, die eine schnelle Orientierung ermöglichen und die Option bieten, verschiedene Debattenstränge separat zu verfolgen oder Möllers Auseinandersetzung mit bestimmten Künstler*innen nachzuvollziehen. Der Band bereichert zweifelsohne die Debatte um die Bedeutung der Visualität in der Friedens- und Konfliktforschung um eine weitere Facette, ohne dass ein Ende sicht- bzw. denkbar wäre, denn „die Grenzen der Fotografie sind nicht die Grenzen der visuellen Kultur“ (S. 236).

Möller, Frank (2019): Peace Photography. Basingstoke: Palgrave Mcmillan, ISBN 978-3-030-03221-0, 290 S., 72,49 Euro.

Die Rezension ist zuerst erschienen in Wissenschaft&Frieden 4/2019, S. 51/52.



Freitag, 18. Oktober 2019

Schwerpunkt Kriegs-, Krisen- & Konfliktfotografie bei FREELENS e.V.

Die Kriegs- und Krisenfotografie gilt noch immer als die Königsdisziplin des Fotojournalismus. Seit Roger Fenton 1855 den Krim-Krieg im Auftrag der britischen Krone mehr inszenierte als dokumentierte, haben unzählige Fotograf*innen ihr Bild des Krieges geliefert – viele bezahlten dies mit ihrem Leben. In diesem Jahr beschäftigt sich FREELENS e.V., der Verband für Fotograf*innen und  Fotojournalist*innen in einem Online-Schwerpunkt intensiv mit der Kriegs-, Krisen- und Konfliktfotografie. Neben grundsätzlichen Begriffsbestimmungen werden die Hintergründe und unterschiedlichen Arbeitsweisen von Fotograf*innen untersucht, die sich in Kriegs- und Krisengebieten bewegen. Soweit als möglich sollen dabei auch bisher vernachlässigte »Randbereiche« ausgeleuchtet.

Der Kölner Journalist und Afghanistan-Experte Martin Gerner etwa hat sich mit dem Mythos und der Wirklichkeit des Berufsbildes Kriegsreporter beschäftigt. https://freelens.com/fotografie-und-krieg/kriegsreporter-mythos-und-wirklichkeit-eines-berufsbildes/

Stefan Günther, Bildredakteur beim Netzwerk n-ost, beleuchtet in »Auf eigene Rechnung in den Krieg« das Thema Sicherheit und Vorbereitung anhand des Konflikts in der Ostukraine.

Um die Arbeitspraxis bei Bildnachrichtenagenturen und den Umgang mit Fotomaterial aus Kriegs- und Konfliktregionen geht es im Interview mit Ben Wenz von der Agentur epa. https://freelens.com/fotografie-und-krieg/journalismus-machen-der-zeigt-was-ist/

Die freie Nordafrika-Korrespondentin Sarah Mersch hingegen richtet den Blick auf die Situation von Fixern und Stringern in Libyen. https://freelens.com/fotografie-und-krieg/eine-kamera-ist-wie-eine-waffe-alle-haben-angst/

Weitere Autor*innen die für den Themenschwerpunkt schreiben, sind Sophia Greiff, Andreas Herzau, Dr. Evelyn Runge, Simone Schlindwein und Florian Sturm. Redaktionell betreut wird das Projekt von Felix Koltermann und Stefanie Rejzek. Die komplette Übersicht der bisher publizierten Themen findet sich unter: https://freelens.com/news-kategorie/fotografie-und-krieg/


Montag, 1. Juli 2019

Fallstricke der Komplexität - THIS PLACE in Berlin


Seit diesem Monat ist im Jüdischen Museum in Berlin die Ausstellung "This Place" zu sehen. Sie zeigt die Fotoarbeiten von 11 Fotografen über Israel. Die Ausstellung hat viele mediale Präsenz. Etwas unter geht dabei, dass Sie schon 2014 in Prag gezeigt wurde. Es war quasi der Start der Welttour. Dort waren auch alle Werke in voller Länge zu sehen. Damals habe ich die Ausstellung für die Zeitschrift Photonews rezensiert und veröffentliche den Text hier erneut, um zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Ausstellung anzuregen.

Zentraler Ausstellungsraum des Dox Center in Prag mit Arbeiten von "This Place"

Kaum eine Region weist eine so hohe Dichte an lokalen und internationalen Fotografen auf wie Israel und die palästinensischen Gebiete. In den deutschen und internationalen Medien sind Bilder der Region allseits präsent und haben Eingang auch in den Kunstmarkt gefunden. Dies hat den französischen Fotografen Fréderic Brenner nicht davon abgehalten, für das Projekt „This Place“ 11 internationale Fotografen für zum Teil mehrmonatige Künstlerresidenzen in die Region einzuladen. Die Ergebnisse sind seit dem 24. Oktober in Form einer umfangreichen Ausstellung im Dox Center for Contemporary Art in Prag zu sehen. Inspiration für sein Projekt holte sich Fréderic Brenner bei anderen fotografischen Großprojekten, wie dem Dokumentarprogramm der Farm Security Administration (FSA) in den USA der 1940er Jahre und der „Mission photographique de la Datar“ aus dem Frankreich der 1980er Jahre.

Brenner verfolgt mit seinem Projekt das Ziel, ein neues heterogenes Narrativ zu erschaffen und sich mit Israel und der Westbank als Ort und Metapher zu beschäftigen: „Ich glaube, dass wir nur durch die Augen großer Künstler anfangen können, die Komplexität Israels zu verstehen“. Die entstandenen Projekte sind dabei allesamt Auftragsarbeiten, die ausschließlich für „This Place“ angefertigt wurden. Die immensen Kosten von fast 6 Millionen Euro wurden zum Großteil von amerikanischen Privatleuten und Stiftungen sowie einer umfangreichen Materialspende von Kodak  getragen. Damit wurde es möglich, dass alle Fotografen auf Film fotografieren konnten und einige sich den Luxus gönnten, das komplette Projekt in 8x10 Inch zu fotografieren. Neben der Teilnahme an der Gruppenausstellung veröffentlichen alle Teilnehmer eigene Fotobücher über ihre Projekte. Der Großteil davon erscheint bei Mack Books aus London.

Ästhetisch Erwartbares

Viele der beteiligten Fotografen liefern dabei fotografisch und ästhetisch das, was man von ihnen gewohnt ist. Während Brenner vor allem Familienporträts unterschiedlicher jüdischer Glaubensrichtungen anfertigt, setzt sich Stephen Shore intensiv mit der Landschaft in der Region auseinander. Joseph Koudelka fokussiert sich dagegen auf die Mauer bzw. israelische Sperranlage und zeigt sie in altbekannter, grobkörniger Schwarz-Weiß Fotografie im Panoramaformat. Thomas Struth setzt konsequent Landschaften und Interieurs in Szene, während Jeff Wall sein Schaffen auf ein einziges Bild schlafender Beduinen in einem Olivenhain vor einem Gefängnis am Horizont beschränkt. Der Franzose Gilles Peress, der einzige der Gruppe, der schon langjährige Erfahrung in der Region vorweisen konnte, widmete sich dem Alltag im Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan. Der englische Künstler Nick Wapplington machte Porträts und Landschaftsaufnahmen in Siedlungen in der Westbank, während die Amerikanerin Rosalind Salomon die Region per Bus bereiste und in ihrer altbewährten Technik angeblitzte Schwarz-Weiß Porträts anfertigte.

In dem Sinn neu und ungewöhnlich sind die Projekte von Martin Kollar, Fazal Sheikh und Jungjin Lee. Martin Kollar erschafft eine Welt, die aus Filmkulissen zu bestehen scheint (Siehe Portfolio in Photonews ). Dabei sind die Bilder auf den Straßen von Tel Aviv, in einem Hangar am Flughafen Ben Gurion, in einem Hypnosezentrum oder auf dem militärischen Trainingsgelände Tze’elim aufgenommen. Er kreiert eine fantastische, vermeintlich der Realität entrückte Welt. Jungjin Lee schafft es mit ihrer besonderen Technik, den so bekannten Landschaften eine neue Ästhetik einzuhauchen und sie in einem anderen Licht zu präsentieren. Die Orte wirken generisch und sind es doch wieder nicht, da selbst durch die Verfremdung die Stacheldrahtrollen oder die Eukalyptusbäume der Region zuordenbar sind.

Fotografisches Neuland

Für eine völlig neue Bildsprache entschied sich der Amerikaner Fazahl Sheikh. Bekannt vor allem durch Schwarz-Weiß Porträts wählte Sheikh den Weg der Luftaufnahme, um die Veränderung der Landschaft in der Negevwüste Israels deutlich zu machen. Exemplarisch wird in seinen Bildern deutlich, wie unterschiedlich die in der Negev siedelnden Gruppen in die Landschaft eingreifen. Während die landwirtschaftliche Nutzung durch die Beduinen nur vom geschulten Auge zu sehen ist, sind die Felder israelischer Kibbutzim aufgrund maschinell gezogener schnurgerader Furchen gut zu erkennen. Fasziniert zeigte sich Sheikh vor allem von den Beduinen: „Die Beduinen haben gelernt in einer fragilen Gegend zu überleben“. Unerlässliche Ressource um zu verstehen, was Sheiks Bilder zeigen, war ein in der Ausstellung ausliegendes kleines Booklet mit genauen geographischen Angaben und kurzen Beschreibungen der Orte.

Die inhaltlich komplexeste Arbeit stammt von Wendy Ewald. Sie hat dabei mit ihrem über viele Jahre erprobten Ansatz „Literacy through Photography“ gearbeitet, hinter dem sich partizipative Fotoworkshops verbergen. Ewald arbeitete dazu mit 14 Gruppen verschiedener Altersstufen zusammen, darunter Beduinen aus der Negevwüste, jungen jüdisch-israelischen Rekruten, Drusen im Karmelgebirge und palästinensischen Frauen im Ost-Jerusalemer Stadtteil Silwan. Beeindruckt zeigte sich Ewald davon, wie unterschiedlich die einzelnen Gruppen mit dem Medium Fotografie umgingen und wie stark die unterschiedlichen Lebensumstände die Bildinhalte beeinflussten. Während die Bilder der Rekruten vom Alltag des Wehrdienstes erzählen, zeigen die Bilder der Frauen aus Silwan die täglichen Konfrontationen mit jüdischen Siedlern. Gelungen ist Ewalds Ausstellungspräsentation, die eine Auswahl von Bildern der einzelnen Gruppen mit kurzen Texttafeln kombiniert, so dass genau die Tiefe und Komplexität entsteht, die einigen anderen Arbeiten fehlt.

Zwölf Perspektiven im Dialog

Eine einzigartige Gelegenheit hinter die Kulissen von „This Place“ zu schauen, bot die Veranstaltung „12 Perspectives“ am Eröffnungswochenende der Prager Ausstellung. In Vierer-Gruppen erzählten die beteiligten Fotografen von den Hintergründen des Projekts und ihren persönlichen Motivationen daran teilzunehmen. Dabei wurde erneut deutlich, wie unterschiedlich die Interessen und die Herangehensweisen der Fotografen waren. „Es war der einfachste Ort, an dem ich je gearbeitet habe“ stellte Wendy Ewald klar. Für Jungjin Lee war es dagegen das politischste Projekt ihrer Karriere: „Meine Bilder zeigen meine erschütternden Erfahrungen“. Und Joseph Koudelka, der seine Erfahrungen in Israel und der Westbank mit dem Leben in Prag hinter dem Eisernen Vorhang verglich, erzählte, wie er jedes Mal aufatmete, wenn er das Land im Flugzeug verlassen konnte. Klar wurde auch, dass „This Place“ kein Gemeinschaftsprojekt war, sondern alle Fotografen individuell an ihren Projekten arbeiteten.


Politische Fallstricke

Obwohl das Projekt hauptsächlich Israel thematisieren wollte, ist unterschwellig in fast allen  Arbeiten der israelisch-palästinensische Konflikt präsent. Umso unverständlicher erscheint es, warum alle offiziellen Texte einen großen Bogen darum machen, dies zu benennen. Was auf den ersten Blick wie der neutrale Versuch erscheint, die Thematisierung des Konflikts und vermeintlich politische Definitionen zu vermeiden, folgt auf den zweiten Blick dem dominanten israelischen Konfliktnarrativ. Charakteristisch dafür ist, Palästinenser nicht als Palästinenser zu bezeichnen, das Wort Besatzung und palästinensische Gebiete zu vermeiden sowie Israel nicht innerhalb klar zuordenbarer politischer Grenzen zu verordnen. So entsteht der Eindruck einer Region, in der Menschen sich frei bewegen können, individuelle Freiheiten für alle herrschen und  unterschiedliche Völker nebeneinander existieren. Der kritische Ansatz der Arbeiten von Gilles Peress, Joseph Koudelka, Fazal Sheikh oder Wendy Ewald wird damit verwässert und letztlich entpolitisiert.

In der Ausstellung wird dies an der fehlenden Kontextualisierung einiger Arbeiten deutlich. Die tiefere Bedeutung, die viele der gezeigten Bilder besitzen, kann sich der Betrachter damit nicht erschließen. Stephen Shore benutzt zwar  Ortsangaben, es fehlen jedoch Hinweise auf die Region, wo die Bilder entstanden sind. Die Arbeit „Settlement“ von Nick Wapplington verzichtet gleich ganz auf Bildunterschriften oder Titel und lässt den Betrachter mit diesem hochkomplexen Thema allein. Ein gutes Beispiel ist auch das Bild „Judean Hills“ von Frederic Brenner. Es zeigt eine Familie inmitten einer Schafherde, die sich harmonisch in eine karge Hügellandschaft einpasst. Weder erfährt man den Namen der Familie noch den genauen Ort. Damit kann auch die Bedeutung der Inszenierung und die dem Bild innewohnende Symbolik nicht erkannt und als solches dechiffriert werden. Was bleibt, ist das Bild perfekter ländlicher Idylle. Nur wer die Region kennt, kann an der Kleidung der Erwachsenen sowie an den religiösen Symbolen ablesen, dass es sich um national-religiöse Siedler handelt.

Vernachlässigung lokaler Perspektiven

Gut getan hätte dem Projekt ein bisschen mehr Bescheidenheit. Wer die Region und die Arbeit lokaler Fotografen kennt, weiß, dass es keineswegs neue Themen und fotografische Ansätze sind, die dort verhandelt wurden. Da viele dieser Arbeiten einem breiten Publikum in Europa jedoch nicht bekannt sind, erscheint es so, als würde „This Place“ inhaltlich und fotografisch Neuland betreten. Die Arbeiten israelischer Fotografen wie Miki Kratsman, Shai Kremer, Adi Nes oder Dror Guez und ihrer palästinensischen Kolleginnen wie Ahlam Shibli oder Rula Halawani haben eine Reihe der in „This Place“ behandelten Themen bereits aufgegriffen und ästhetisch überzeugend verhandelt. Schade ist, dass mit dem Argument, nur große internationale Künstler könnten der Komplexität Israels auf den Grund gehen, den lokalen Fotografen die Fähigkeit abgesprochen wird, ein ähnliches Projekt auf die Beine zu stellen. Die Möglichkeit, lokale Fotografen mit einzubeziehen, wurde vom Projektteam zwar angedacht, dann aber verworfen. Ohne politisch stärker Position zu beziehen, wäre die Arbeit mit Palästinensern ohnehin nicht möglich gewesen. Aus diesem Grund werden vermutlich auch alle Bemühungen, die Ausstellung in der Westbank zu zeigen, scheitern. Position zu beziehen bedeutet dabei nicht in binäre Denkschemata zu verfallen, sondern politische und soziale Unterschiede zu benennen und eine Kontextualisierung der eigenen Arbeit vorzunehmen, damit die Rede vom Verständnis der Komplexität nicht zu einer Worthülse verkommt.

Dienstag, 11. Juni 2019

Neuer Band von "Fotografie und Konflikt"

Mit dem neuen Band "Rezensionen und Kritiken" ist der nun mehr vierte Band aus der Reihe "Fotografie und Konflikt" erschienen. Über Ausstellungskritiken und Buchrezensionen erlaubt das Buch einen Einblick in kuratorische und publizistische Projekte aus den letzten fünf Jahren, die sich mit der Kriegsfotografie beschäftigen. Das Spektrum der diskutierten Projekte reicht von fotojournalistischen bis hin zu künstlerischen Ansätzen.

Wie die vorherigen Bände ist das Buch im Eigenverlag bei Books on Demand erschienen. Es hat 84 Seiten und kostet 6,90 (ISBN: 9783738616712). Es kann entweder direkt bei mir über diesen Link, bei Books on Demand oder im Buchhandel erworben werden. Über Ihr Interesse am Buch freue ich mich sehr.


Donnerstag, 10. Januar 2019

Fotos für den Frieden


Im Oktober vergangenen Jahres fragte mich das Hamburger Greenpeace Magazin, ob ich nicht einen Essay das Verhältnis von Kriegsfotografie und Frieden schreiben wolle. Gerne bin ich dem nachgekommen, umso mehr, als dass das Schwerpunktthema der Ausgabe dem Frieden gewidmet war. Als Teaser hier der erste Absatz des Textes. 


„Why?“, stand in dicken schwarzen Lettern auf meinem T-Shirt, darunter das Bild eines Soldaten, der mit in die Höhe gerissenen Armen zu Boden sinkt. Es war mein erstes Polit-T-Shirt und Mitte der 1990er Jahre ein bekanntes Motiv, das in vielen linken WGs als Poster an der Wand hing. Wo das Bild herkam und was es ausmachte, war für mich damals eher nebensächlich. Was zählte, war die Botschaft, das Shirt als Symbol meines jugendlichen Pazifismus: Nie wieder Krieg, egal aus welchen Gründen, egal unter welchen Bedingungen. Dafür ging ich auf die Straße: erst gegen den Kosovokrieg, dann gegen den Irakkrieg.

Der komplette Text findet sich in der Ausgabe 01/2019 des Greenpeace Magazins und ist am Kiosk oder über die Webseite der Zeitschrift zu beziehen.