Mittwoch, 4. März 2020

Ein depolitisierter Blick auf die Welt


Mit der Ausstellung "Un'Antologia" des Magnum Fotografen Paolo Pellegrin haben die Hamburger Deichtorhallen gleich in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten. So ist es nicht nur die erste umfassende Werkschau des italienischen Fotografen in Deutschland, sondern auch ein radikal neuer Ansatz, dokumentarische Fotografie in den Ausstellungsraum zu bringen. In meinem Kommentar will ich vor allem zwei Fragen nachgehen. Zum einen will ich diskutieren, inwieweit das Ausstellungskonzept den selbst gesetzten Ansprüchen genügt und zum anderen fragen, was die Präsentationsform mit dem politischen Gehalt des Gezeigten macht.
 
Ausstellungsansicht I - Paolo Pellegrin "Un'Antologia", Deichtorhallen Hamburg
Um zu verstehen, was die kuratorischen Rahmenbedingungen bzw. die damit verbundenen konzeptionellen Kniffe sind, ist vor allem das Begleitheft der Ausstellung eine gute Quelle. Dort schreibt etwa Simona Antonacci von der Fondazione MAXXI in Rom, wo die Ausstellung in reduzierter Form 2019 bereits zu sehen war, die Ausstellung entfalte "ihre Erzählung zwischen zwei polaren Gegensätzen, Licht und Dunkelheit – Metaphern für die extremsten Erscheinungsformen des Daseins". Licht und Dunkelheit  sind Begriffe, die sowohl theologisch und philosophisch wie aber auch Alltagspraktisch stark belegt sind. Licht, das ist der Himmel, das Gute, das Bewusste, Dunkel, das ist die Hölle, das Böse, das Unbewusste. In der Hamburger Ausstellung Pellegrins werden im dunklen Bereich zu Anfang des Rundgangs fast ausschließlich Kriegsfotografien gezeigt, später auch Landschaftsaufnahmen der Grenze zwischen den USA und Mexiko oder eine Reportage aus den USA. Im hellen Bereichen, der sich um einen gletscherartigen Bau gruppiert, sind Bilder aus der Antarktis sowie aus den verschneiten Alpen, aber auch der arktischen Ozeane oder das Tote Meer zu sehen.

Folgt man dem Licht/Dunkel Narrativ der Ausstellungsmacher*innen ist alles im Dunkeln gezeigte das Problematische, das Schwierige der Welt, das im Hellen gezeigte das Spirituelle und Positiv besetzte. Aber ist es nicht unlogisch, als Aufhänger für die Arbeiten zur Antarktis den Klimawandel zu nehmen, also letztlich eine negativ – also schwarz zu konnotierende? – Entwicklung und bei dieser nur wegen der Farbe Weiß des Antarktiseises von sublimiertem Licht zu sprechen? Und was hat im hellen Bereich der Ausstellung ein Tableau von Schwarz-Weiß-Fotografien zu suchen, die wiederum den schon im Dunklen Bereich der Ausstellung gezeigten Nahostkonflikt aufgreifen? Was sich an der einfachen Schwarz-/Weiß Dichotomie letztlich zeigt, ist ein oberflächliches, auf visuelle Effekthascherei reduziertes Ausstellungsdesign. Es sind visuelle Überwältigungsstrategien, mit denen die Besucher*innen vom künstlerisch Wert der Arbeiten überzeugt werden sollen, die jeglichen konkreten Bezugs beraubt sind.

 
Ausstellungsansicht II - Paolo Pellegrin "Un'Antologia", Deichtorhallen Hamburg

Genau diese Verweigerung der Ausstellung und ihrer Macher*innen, konkrete Verweise auf das Gezeigte mit aufzunehmen und die Bilder in einen konkreten historischen und oder politischen Kontext einzubetten, ist das eigentlich Fragwürdige an der Ausstellung. Auch das Begleitheft mit den Bildunterschriften ändert nichts daran, sind diese doch zum Teil so nichtssagend, dass jedes Fotojournalismusfestival sie sofort zurückgewiesen hätte. Denn die Arbeiten, die in Hamburg gezeigt wurden, sind fast alle in einem konkreten politisch-sozialen Kontext entstanden und zeigen reale Menschen mit Namen und Biografien. Was Paolo Pellegrin also dokumentiert hat, ist das konkrete Schicksal von Menschen, nicht das abstrakte Böse oder Gute. Genau aus dem Grund, dass er als Fotojournalist zu den Menschen kam und ihre konkreten Geschichten aufzeichnen wollte, haben die Dargestellten seiner Präsenz vermutlich zugestimmt.

Diese Zeugnisse nun – wie in Hamburg geschehen – rein als visuelle Artefakte zu zeigen, führt zu einer völligen Depolitisierung des Gezeigten. Das, was zu sehen ist wird aufgeladen mit ikonografischer und ästhetischer Bedeutung und das Bild damit zum Selbstzweck. Damit soll nicht kritisiert werden, dass Bilder von Krieg und Gewalt auch ästhetisch oder gar schön sein dürfen. Nein, es geht um die Art der Präsentation als Teil einer dekontextualisierten Menschheitsgeschichte von Licht und Dunkel, Gut und Böse. Auf diese Art und Weise auf die Welt zu blicken ist nicht nur ahistorisch, sondern auch brandgefährlich. Denn die dahinterstehende Haltung ist, dass nicht konkrete sozio-politische Gegebenheiten für bestimmte Entwicklungen verantwortlich sind, sondern die Menschheitsgeschichte sich in bestimmten Zyklen quasi wie von selbst wiederholt. So argumentieren und rezipieren kann nur, wer das Privileg hat, aus der heimeligen Sicherheit der deutschen Wohlstandsgesellschaft auf die Welt zu blicken.
 
Ausstellungsansicht III - Paolo Pellegrin "Un'Antologia", Deichtorhallen Hamburg

Eigentlich sollte mit diesem Argument die Rezension ihr Ende finden. Es gibt jedoch noch einige weitere kritische Aspekte, die hier zumindest angerissen soll, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. So fällt etwa im ersten Ausstellungsraum auf, dass es für jede gezeigte 15 Arbeiten bzw. Serien eine andere Präsentationsform gibt. Da sich diese aus dem Inhalt bzw. dem Thema nicht erschließen lässt, deutet dies darauf hin, dass es ein reines Spielen mit dem Potential – zugegebenermaßen modernen und durchaus ansprechendem – Ausstellungdesigns ist. Das auch Bezüge zum Film hergestellt werden, zeigt ein riesiges an die Wand plakatiertes Foto eines festgenommenen Mannes in Florida. Die Unschärfe und das blaue Licht erinnern unzweifelhaft an eine zeitgenössische Kino-Ästhetik, kommen aber über reine oberflächliche Bezüge nicht hinaus.

Zu wünschen wäre für die weitere Beschäftigung mit der Ausstellung Pellegrins wie auch zukünftiger Ausstellungen, die in ähnlicher Art und Weise fotojournalistische bzw. dokumentarfotografische Arbeiten in den Ausstellungsraum transferieren, stärker methodisch und anhand spezifischer Parameta vorzugehen. Dazu gehört etwa über den Kontextwandel von Arbeiten zu reflektieren, die für publizistische journalistische Medien entstanden sind, aber in einem der Kunst zugehörigen Ausstellungsraum gezeigt werden. Des weiteren sollte – wie hier in Anfängen versucht – das kuratorische Konzept ob seiner Widersprüche hinterfragt werden. Notwendig ist darüber hinaus auch eine politische Perspektive auf die Praktiken des Zeigens.

Montag, 2. März 2020

Pressespiegel zu Pellegrins "Un'Antologia" in Hamburg

Mit der Ausstellung "Un'Antologia" des Magnum-Fotografen Paolo Pellegrin, die am 1. März 2020 zu Ende ging, hat das Haus der Fotografie in den Hamburger Deichtorhallen einem der weltweit bekanntesten Fotojournalisten und Kriegsfotografen eine Retrospektive gewidmet. Die Ausstellung war ein Publikumsmagnet und hat aufgrund des sehr aufwendigen und für Dokumentarfotografie ungewöhnlichen Ausstellungsdesigns viel mediale Aufmerksamkeit erfahren und für viele Diskussion in der Fotoszene gesorgt. Hier ist ein kurzer Überblick über die mediale Berichterstattung. In Kürze folgt auf diesem Blog eine Rezension von Felix Koltermann. 

 

Einen kurzen Überblick über die Ausstellung gibt ein von den Deichtorhallen produzierter Teaser. Das Ausstellungssetting ist sehr gut in einem längeren Video zu sehen, wo Paolo Pellegrin über die Hintergründe zur Ausstellung spricht.

Das ZDF nimmt die Ausstellung zum Anlass, in einem Beitrag des Magazins Aspekte vor allem die Arbeitsweise Pellegrins zu beleuchten. Kombiniert mit Interviewpassagen ist die Rede von "engagierten, leidenschaftlichen Zeugnissen" Pellegrins, der als "unermüdlicher Dokumentar der Krise bezeichnet wird. Die Essenz der Ausstellung sieht der Beitrag in der "Aufforderung wirklich hinzuschauen".

Für Axel Schröder vom Deutschlandfunkkultur sind Pellegrins Bilder von Emapthie und Authentizität geprägt. Die gezeigten Fotografien belegen für ihn Pellegrins Können, mit den Bildern den Betrachter*innen einen Schlüssel zu geben, um sich mit der Welt zu beschäftigen.

"Bei ihm ist das Foto keine Folie, durch die wir ein Bild unserer Mitmenschen sehen, sondern ein Medium, dass eine Verbindung schafft zwischen uns und Pellegrins Protagonisten".

In einer Rezension für die taz kritisiert Falk Schreiber, dass die Ausstellung das Medium der Fotografie in seiner Künstlichkeit nicht hinterfragt.

"So kunstvoll die Bilder arrangiert sind, so sehr sie sich der einfachen Konsumierbarkeit entziehen – auch Pellegrin kann nicht immer dem Problem des Fotojournalismus entkommen, dass der Betrachter sieht, was er sehen will."

Laut Guido Speckmann vom Neuen Deutschland beweisen die Bilder zwar eindrücklich Pellegrins anthropologische Vorgehensweise, kritisch sieht er jedoch den Umgang mit der Kontextualisierung der Bilder.

"Allerdings geht ein Teil des künstlerischen Konzeptes - der Verzicht auf Texttafeln - nur bedingt auf. Denn am stärksten berühren die Dutzenden kleinformatigen Fotografien, die Palästinenserinnen und Palästinenser zeigen, die während der israelischen Operation »Cast Lead« 2009 fürs Leben gezeichnet wurden".


In einer Kritik für das Artmagazine fokussiert Peter Kunitzky vor allem auf die Inszenierungsstrategien des Ausstellungsdesigns. So kritisiert er, dass sich diese "selbstzufrieden in ihrer eigenen Wohlgestalt" entpuppen und dem historischen Kontext keine primäre Bedeutung zumessen.

"Denn die leise Gleichgültigkeit gegenüber den ursprünglichen Bildaussagen (des unzweifelhaften Humanisten Pellegrin) scheint hier billigend in Kauf genommen zu werden, weil man mutmaßlich ohnehin ein ganz anderes Ziel verfolgt: die Nobilitierung des Fotoreporters zum Künstler."

Reine Bilderstrecken mit den Pressebildern zur Ausstellung finden sich beim Stern sowie beim Schweizer Tagesanzeiger. Der Tagesanzeiger spricht davon, dass sich die Bilder "trotz der Härte und Direktheit seiner Themen durch eine kompositorische Eleganz" auszeichnen, während der Stern von "eindringlichen Bildern" spricht, die menschliche Schicksale zeigen, "die die menschliche Natur aufs Äußerste gefährden".