Mit der Ausstellung "Un'Antologia" des
Magnum Fotografen Paolo Pellegrin haben die Hamburger Deichtorhallen gleich in mehrfacher
Hinsicht Neuland betreten. So ist es nicht nur die erste umfassende Werkschau
des italienischen Fotografen in Deutschland, sondern auch ein radikal neuer
Ansatz, dokumentarische Fotografie in den Ausstellungsraum zu bringen. In meinem
Kommentar will ich vor allem zwei Fragen nachgehen. Zum einen will ich diskutieren, inwieweit das Ausstellungskonzept den selbst gesetzten Ansprüchen
genügt und zum anderen fragen, was die Präsentationsform mit dem politischen Gehalt
des Gezeigten macht.
Um zu verstehen, was die
kuratorischen Rahmenbedingungen bzw. die damit verbundenen konzeptionellen
Kniffe sind, ist vor allem das Begleitheft der Ausstellung eine gute Quelle.
Dort schreibt etwa Simona Antonacci von der Fondazione MAXXI in Rom, wo die
Ausstellung in reduzierter Form 2019 bereits zu sehen war, die Ausstellung
entfalte "ihre Erzählung zwischen zwei polaren Gegensätzen, Licht und
Dunkelheit – Metaphern für die extremsten Erscheinungsformen des Daseins".
Licht und Dunkelheit sind Begriffe, die
sowohl theologisch und philosophisch wie aber auch Alltagspraktisch stark
belegt sind. Licht, das ist der Himmel, das Gute, das Bewusste, Dunkel, das ist
die Hölle, das Böse, das Unbewusste. In der Hamburger Ausstellung Pellegrins
werden im dunklen Bereich zu Anfang des Rundgangs fast ausschließlich
Kriegsfotografien gezeigt, später auch Landschaftsaufnahmen der Grenze zwischen
den USA und Mexiko oder eine Reportage aus den USA. Im hellen Bereichen, der
sich um einen gletscherartigen Bau gruppiert, sind Bilder aus der Antarktis sowie
aus den verschneiten Alpen, aber auch der arktischen Ozeane oder das Tote Meer zu
sehen.
Folgt man dem Licht/Dunkel Narrativ
der Ausstellungsmacher*innen ist alles im Dunkeln gezeigte das Problematische,
das Schwierige der Welt, das im Hellen gezeigte das Spirituelle und Positiv
besetzte. Aber ist es nicht unlogisch, als Aufhänger für die Arbeiten zur
Antarktis den Klimawandel zu nehmen, also letztlich eine negativ – also schwarz
zu konnotierende? – Entwicklung und bei dieser nur wegen der Farbe Weiß des
Antarktiseises von sublimiertem Licht zu sprechen? Und was hat im hellen
Bereich der Ausstellung ein Tableau von Schwarz-Weiß-Fotografien zu suchen, die
wiederum den schon im Dunklen Bereich der Ausstellung gezeigten Nahostkonflikt
aufgreifen? Was sich an der einfachen Schwarz-/Weiß Dichotomie letztlich zeigt,
ist ein oberflächliches, auf visuelle Effekthascherei reduziertes
Ausstellungsdesign. Es sind visuelle Überwältigungsstrategien, mit denen die
Besucher*innen vom künstlerisch Wert der Arbeiten überzeugt werden sollen, die
jeglichen konkreten Bezugs beraubt sind.
Genau diese Verweigerung der
Ausstellung und ihrer Macher*innen, konkrete Verweise auf das Gezeigte mit
aufzunehmen und die Bilder in einen konkreten historischen und oder politischen
Kontext einzubetten, ist das eigentlich Fragwürdige an der Ausstellung. Auch
das Begleitheft mit den Bildunterschriften ändert nichts daran, sind diese doch
zum Teil so nichtssagend, dass jedes Fotojournalismusfestival sie sofort
zurückgewiesen hätte. Denn die Arbeiten, die in Hamburg gezeigt wurden, sind
fast alle in einem konkreten politisch-sozialen Kontext entstanden und zeigen
reale Menschen mit Namen und Biografien. Was Paolo Pellegrin also dokumentiert
hat, ist das konkrete Schicksal von Menschen, nicht das abstrakte Böse oder
Gute. Genau aus dem Grund, dass er als Fotojournalist zu den Menschen kam und
ihre konkreten Geschichten aufzeichnen wollte, haben die Dargestellten seiner
Präsenz vermutlich zugestimmt.
Diese Zeugnisse nun – wie in
Hamburg geschehen – rein als visuelle Artefakte zu zeigen, führt zu einer
völligen Depolitisierung des Gezeigten. Das, was zu sehen ist wird aufgeladen
mit ikonografischer und ästhetischer Bedeutung und das Bild damit zum
Selbstzweck. Damit soll nicht kritisiert werden, dass Bilder von Krieg und
Gewalt auch ästhetisch oder gar schön sein dürfen. Nein, es geht um die Art der
Präsentation als Teil einer dekontextualisierten Menschheitsgeschichte von
Licht und Dunkel, Gut und Böse. Auf diese Art und Weise auf die Welt zu blicken
ist nicht nur ahistorisch, sondern auch brandgefährlich. Denn die dahinterstehende
Haltung ist, dass nicht konkrete sozio-politische Gegebenheiten für bestimmte Entwicklungen
verantwortlich sind, sondern die Menschheitsgeschichte sich in bestimmten
Zyklen quasi wie von selbst wiederholt. So argumentieren und rezipieren kann nur, wer das Privileg
hat, aus der heimeligen Sicherheit der deutschen Wohlstandsgesellschaft auf die
Welt zu blicken.
Eigentlich sollte mit diesem
Argument die Rezension ihr Ende finden. Es gibt jedoch noch einige weitere
kritische Aspekte, die hier zumindest angerissen soll, damit sie nicht in
Vergessenheit geraten. So fällt etwa im ersten Ausstellungsraum auf, dass es
für jede gezeigte 15 Arbeiten bzw. Serien eine andere Präsentationsform gibt. Da sich diese aus dem
Inhalt bzw. dem Thema nicht erschließen lässt, deutet dies darauf hin, dass es
ein reines Spielen mit dem Potential – zugegebenermaßen modernen und durchaus
ansprechendem – Ausstellungdesigns ist. Das auch Bezüge zum Film hergestellt
werden, zeigt ein riesiges an die Wand plakatiertes Foto eines festgenommenen
Mannes in Florida. Die Unschärfe und das blaue Licht erinnern unzweifelhaft an
eine zeitgenössische Kino-Ästhetik, kommen aber über reine oberflächliche
Bezüge nicht hinaus.
Zu wünschen wäre für die
weitere Beschäftigung mit der Ausstellung Pellegrins wie auch zukünftiger Ausstellungen,
die in ähnlicher Art und Weise fotojournalistische bzw. dokumentarfotografische
Arbeiten in den Ausstellungsraum transferieren, stärker methodisch und anhand
spezifischer Parameta vorzugehen. Dazu gehört etwa über den Kontextwandel von Arbeiten
zu reflektieren, die für publizistische journalistische Medien entstanden sind,
aber in einem der Kunst zugehörigen Ausstellungsraum gezeigt werden. Des
weiteren sollte – wie hier in Anfängen versucht – das kuratorische Konzept ob
seiner Widersprüche hinterfragt werden. Notwendig ist darüber hinaus auch eine
politische Perspektive auf die Praktiken des Zeigens.