Es liegt an der Materialität und der Konstituierung des
Mediums Fotografie an sich, dass die Auseinandersetzung mit diesem sich in der
Regel darauf beschränkt, zu diskutieren was und wie etwas fotografiert wurde,
jedoch nicht was nicht fotografiert wurde. Dabei ist insbesondere die Frage, ob
es in bestimmten Situationen besser wäre, etwas nicht zu fotografieren, eine
der relevantesten Fragestellungen die dem Medium und vor allem seiner
fotojournalistischen Ausprägung immanent sind. Dazu zwei konkrete Beispiele,
welche offenlegen sollen, welche möglichen Konsequenzen es hätte, wenn sich Foto-Reporter
weigern würden ein bestimmtes Ereignis zu fotografieren.
Als erstes Beispiel sei der Gaza-Krieg 2008/2009 genannt.
Damals reisten Dutzende internationale Foto-Reporter nach Israel in der
Hoffnung, Zugang zum Gazastreifen zu bekommen und Bilder der Folgen der
israelischen Angriffe machen zu können. Das von der israelischen Armee
verhängte und über fast den gesamten Kriegszeitraum gültige Einreiseverbot
hatte zur Folge, dass sich die internationalen Foto-Reporter zusammen mit den
lokalen israelischen Foto-Reportern an der Grenze der Bannmeile zum
Gazastreifen sammelten und von dort aus versuchten, Bilder aus dem Gazastreifen
zu erhaschen. Die Folge war eine Schwemme von Bildern des Krieges aus der
Ferne, einschlagender Raketen, von Rauchwolken am Horizont. Die Folge für das
publizierte Bild über den Krieg wurde ausführlich in meinem Bericht „Der
Gaza-Krieg im Bild“ dargestellt, welcher die Dominanz des Bildes des Krieges
aus der Ferne in deutschen Medien aufzeigen konnte. An dieser Stelle ist die
Frage interessant, was passiert wäre, wenn die Foto-Reporter anstatt von der
Grenze aus Bilder aus der Ferne zu machen, wieder abgereist wären, da der
eigentliche Zweck ihrer Reise, Bilder der Folgen des Krieges zu machen, nicht
erreicht werden konnte. Denn das Verhalten der Foto-Reporter und die Produktion
des Bildmaterials eines Krieges aus der Ferne kam der Wunsch der israelischen
Armee als zentralem Konflikt-Akteur, diesen Krieg als einen präzisen und
chirurgischen Eingriff darzustellen, sehr entgegen. Lokale und internationale
Journalistenverbände protestierten zwar gegen das Einreiseverbot. Eine Form des
Streiks oder der Arbeitsniederlegung als Form des Protestes gegen diese
israelischen Zensurmaßnahmen wurde jedoch interessanterweise nie diskutiert.
Das zweite Beispiel ist die fotografische Dokumentation von
Demonstrationen und Clashes in der palästinensischen Westbank. Diese sind für
Foto-Reporter von daher interessant, da sie den Konflikt visuell sehr gut und
einfach darstellen. Auch wenn diese eine Form routinisierter Ereignisse
darstellen, ist die Begründung der Foto-Reporter diese zu dokumentieren, dass
man vor Ort sein müsse da man nie wisse, ob nicht etwas schlimmes passieren
würde. Gemessen an der Realität des Konfliktes und bezogen auf die realpolitische
Funktion haben die Demonstrationen jedoch eine sehr geringe Bedeutung. Die
Masse der Bilder über diese Ereignisse ist in keiner Weise repräsentativ für
das tatsächliche Konfliktgeschehen. Da der Konflikt und das Besatzungsregime
mit seinen mannigfaltigen Facetten jedoch visuell schwer darstellbar sind,
stellen die Demonstrationen ein dankbares Ereignis für die Foto-Reporter dar.
Denn insbesondere die Nachrichtenagenturen wählen Ereignisse fast
ausschließlich nach ihrer visuellen Verwertbarkeit aus. Ähnlich wie beim
Gaza-Krieg ist hier die Frage, was passieren würde, wenn die Foto-Reporter mehr
Aufmerksamkeit darauf verwenden würden, nach Möglichkeiten der Darstellung der
vordergründig nicht-sichtbaren Seiten des
Konfliktes zu suchen, anstatt routinisiert die gleichen Ereignisse
abzubilden. Dies würde natürlich zuvorderst der Logik der Arbeit der
Nachrichten-Agenturen widersprechen.
Die beiden hier diskutierten und kurz angerissenen Beispiele
zeigen, dass die Frage nach der Bedeutung und der Möglichkeit des
Nicht-Fotografierens, große Relevanz hat. Sie knüpft letztlich an die
Überlegungen eines anderen Beitrags auf diesem Blog zur Haltung des
Foto-Reporters an. Denn nur mit einer klaren Haltung zu dieser Fragestellung,
die vom Foto-Reporter kommuniziert und reflektiert wird ist es möglich, hier
eine eigene Position zu finden. Das dies im hoch kompetitiven und
schnelllebigen Feld der Agentur-Fotografie nicht einfach ist, steht ohne
Zweifel. Aber nur durch konstantes Infragestellungen (foto-) journalistischer
Praxen und Routinen ist eine qualitative Weiterentwicklung, auch im Hinblick
auf eine stärker konfliktsensitive Ausrichtung hin, möglich.
Sehr interessanter Aspekt, der denke ich viel zu oft untergeht!
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