Digitale
Videospielbilder von Militärjeeps, die dem Sonnenuntergang entgegenfahren, von
explodierenden Sprengfallen am Straßenrand und verletzten Zivilisten sind in
der Ausstellung „Ernste Spiele“ von Harun Farocki im „Hamburger Bahnhof“ in
Berlin zu sehen. Fiktionale Beschreibungen von Kriegsereignissen, die den
realen militärischen Alltag bestimmen. Neben dem gleichnamigen Video-Zyklus aus
den Jahren 2009/10, der Computersimulationen der US-Armee zum Training von
Soldaten thematisiert, sind im Ostflügel des Bahnhofs auch zwei ältere Arbeiten
Farockis zu sehen: das Video „Nicht löschbares Feuer“ (1969) über den
Napalm-Einsatz in Vietnam sowie die Zweikanal-Installation „Schnittstelle“
(1995), in der Farocki seine eigene Arbeit mit vorhandenem Bildmaterial
reflektiert. Der Titel der Ausstellung „Ernste Spiele“ hat dabei eine zweifache
Bedeutung: Zum einen könnten die Inhalte der Filme kaum treffender beschrieben
werden, zum anderen ist es jedoch auch ein Fachterminus, der Simulationen
beschreibt, die nicht Unterhaltungszwecken dienen.
Die
wichtigste und titelgebende Arbeit der Ausstellung besteht aus vier Teilen, die
unterschiedliche Aspekte des militärischen Trainings der US-Armee mit Hilfe von
Videospiel-Simulationen zeigen. „Ernste Spiele I: Watson ist tot“ zeigt
Rekruten in einem Seminarraum der US-Armee in Kalifornien, die in einem Übungsspiel
mit Militärjeeps durch eine Wüstenlandschaft fahren. Das Video „Ernste Spiele
II: Drei tot“ enthält dokumentarische Filmaufnahmen von einem Manöver auf
derselben Militärbasis. Junge Rekruten werden dort bei einem simulierten
Anti-Terror-Einsatz gegen arabische Statisten gezeigt. In das Video hinein sind
wiederum Bilder aus Computersimulationen geschnitten. „Ernste Spiele III:
Immersion“ thematisiert den Einsatz einer Video-Simulation bei einer Testperson
zur Behandlung von Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Im
letzten Teil des Zyklus „Ernste Spiele IV: Eine Sonne ohne Schatten“ steht die
technische Beschaffenheit der Software im Vordergrund, die von den Ausbildern
benutzt wird, um die Computersimulationen für die Soldaten so realitätsnah wie
möglich zu machen.
Obwohl die
Arbeit Farockis nah an einer Videospiel-Ästhetik ist, verfolgt der Zyklus „Ernste
Spiele I – IV“ eine klare Botschaft. Zu sehen ist kein naives, spielerisches Trainieren
in Simulationen, sondern die Vorbereitung auf den Ernstfall: den Krieg und das
Töten im Krieg. Die in den Filmen gezeigten Simulationen haben zum Ziel, die
Reaktionsfähigkeit der Soldaten zu verbessern oder deren traumatische Erfahrungen
so zu behandeln, daß sie wieder einsatzfähig sind. Das Zyklische und immer Wiederkehrende
dieses Prozesses und dieser Kriegspolitik zeigt ein Filmzitat: „Die Bilder zur
Nachbereitung gleichen denen zur Vorbereitung des Krieges.“ Worum es eigentlich
geht, sind nicht die Bilder, sondern die Perfektionierung militärischen Handelns.
Kontrastiert
wird der Zyklus von dem im Vorraum präsentierten Film „Nicht löschbares Feuer“.
In einer bitterbösen Satire thematisiert der Film den amerikanischen
Napalm-Einsatz im Vietnam-Krieg. Während beide Arbeiten die Thematisierung von „Out
of Area“-Einsätzen der USA verbindet, könnten sie sowohl stilistisch wie
filmisch nicht gegensätzlicher sein. Der Film „Nicht löschbares Feuer“ ist ein
ruckelnder 16-mm-Film in Schwarz-Weiß aus dem Jahr 1969. Duktus und Wortwahl
sind geprägt vom damaligen Zeitgeist: Von Betrieben und Arbeitern sowie
Herrschenden und Beherrschten ist die Rede, wenn die Verstrickung des amerikanischen
Chemieunternehmens Dow Chemical in die Napalm-Produktion beschrieben wird.
Wichtige Textstellen werden in fetter Blockschrift eingeblendet. So auch der
Satz „Der Schaden der Beherrschten ist der Nutzen der Herrschenden“, der wohl
kaum treffender den revolutionären Geist der 70er Jahre und das Dilemma
amerikanischer Macht- und Wirtschaftspolitik umschreiben könnte.
Der Grund
dafür, Farockis Arbeit „Ernste Spiele“ im Hamburger Bahnhof zu zeigen, ist die
Schenkung des Werkes durch den Outset Contemporary Art Fund an das Museum.
Schade ist, daß andere Arbeiten aus dem Bestand des Hamburger Bahnhofs, wie die
Installation „Auge – Maschine“ (2001–2003), die Fragen der visuellen
Kriegsdarstellung anhand des Kuwait-Kriegs nachgeht, nicht dazugenommen wurden.
Denn die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Bildern und Krieg ist ein
immer wiederkehrendes Thema im Oeuvre Farockis. Schon seit den späten 1960er
Jahren beschäftigt er sich mit Fragen der Virtualität und Realität von Bildern.
Farockis filmisches Schaffen changiert dabei zwischen Dokumentarfilm und
Inszenierung, immer mit dem Finger auf den Wunden der Zeit.
Die
Ausstellung "Ernste Spiele" ist noch bis Anfang 2015 im „Hamburger Bahnhof – Museum für
Gegenwartskunst“ (Invalidenstraße 50 – 51, Berlin) zu sehen. Weitere Informationen
unter www.smb.museum/hbf. Eine Übersicht über Farockis Arbeiten findet sich auf
der Website des Künstlers www.farocki-film.de. In der Ausstellung „Schwindelder Wirklichkeit“ in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg sind noch
bis 16.12. ebenfalls zwei Arbeiten aus Farockis Werk „Ernste Spiele“ zu sehen.
Der Artikel ist zuerst in der Ausgabe 14/2014 der Berliner Zeitschrift Ossietzky erschienen.
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