Es ist ein reißerischer
Aufmacher, mit dem die ZEIT dieser Woche aufmacht: „Glauben Sie nicht, was Sie
sehen!“ heißt es auf der Titelseite und im Untertitel wird auf die Täuschung
durch manipulierte Foto abgehoben. Auch der Einstieg ins Dossier auf Seite 13
funktioniert ähnlich und macht mit der Aussage „Diese Bilder lügen“ in einem
abstrahierten Objektiv auf. Auch wenn der Text um einiges detailschärfer ist
und viele interessante Fragen stellt, ist es eine ärgerliche Verkürzung des
Themas die hier durch das Framing in den Überschriften stattfindet.
Die zentralen Begriffe auf
die in den Überschriften abgehoben wird, sind Glauben und Lüge. Für den Umgang
mit Medien im 21. Jahrhundert nach der konstruktivistischen Wende doch
erstaunlich. Und nicht nur das, ich halte sie in der Massivität auch für gefährlich
da sie das weit verbreite Gefühl vieler Medienkonsumenten bedienen, von der
Presse belogen zu werden. Und als Aufhänger für den Zeit-Artikel dienen ein Mal
mehr Bilder, die altbekannt sind. Der prinzipiell gut recherchierte Artikel hängt
sich an manipulierten Bildern auf, die oft diskutiert wurden, von denen viele
jedoch nie in Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Somit wird auf das Thema
Manipulation von Bildern im Fotojournalismus abgehoben, ohne das jedoch erwähnt
wird, welche Rolle manipulierte Bilder quantitativ in der gedruckten Presse
spielen.
Und noch ein Faux-Pass: Die
Bilder die den Artikel illustrieren, sind wahllos aneinander gereihte Bilder
unterschiedlicher Gebrauchsformen: fotojournalistische Bilder, Amateurbilder,
PR-Fotografien. Aber bitte, es ist doch ein Unterschied ob Amateure aus Spaß
Haie in ein Bild montieren oder ein professioneller Fotojournalist ein Bild des
Zeitgeschehens digital manipuliert. Aber auch auf der Textebene passiert der
Wechsel dieser Ebenen. Der Artikel endet mit einem Hinweis auf den IKEA Katalog
und seine digitalen Bildwelten. Ja, wichtiges Thema, aber bitte nicht mit dem
Fotojournalismus vermischen, auf den der Artikel ja an vielen Stellen anspielt.
Aber diese Vermischung der
Ebenen ist insofern nicht verwunderlich, als dass sie leider die Praxis der
Verwendung von Fotografien und visuellem Material nicht nur der ZEIT sondern so
gut wie aller deutscher Tageszeitungen und Magazine ist. Während auf der
Textebene klar zwischen redaktionellen und werblichen Teilen unterschieden
wird, haben allein im Politikteil der Zeitungen Werbeanzeigen mit Fotografien
meist einen vielfach höheren Anteil als journalistische Fotografien. Und
beispielsweise im ZEIT Magazin
gibt es schnelle Wechsel der unterschiedlichsten Gebrauchsformen, von denen die
einen digital bearbeitet und retuschiert sind, die anderen nicht. Wie soll denn
ein Konsument ohne besonderes Hintergrundwissen wissen, was erlaubt ist und was
nicht?
Dies weist auf einen weiteren
Umstand hin, den der Artikel gekonnt umschifft. Die vermeintliche Notwendigkeit
der Massenmedien zur Visualisierung. Kein Mensch kauft heute mehr eine Zeitung,
wenn dort kein Bild abgedruckt ist. Zeitungen und Magazine sind Produkte, bei
deren Erstellung die Vermarktung schon eine entscheidende Rolle spielt. Bilder
werden dazu gezielt eingesetzt, oft in einer schwierigen Gradwanderung zwischen
Journalismus und Werbung. Auch die ZEIT ist Teil davon, hat ein eigenes
Branding, versucht sich als Marke zu platzieren, wobei Bilder einen
wesentlichen Anteil ausmachen. Den Fotojournalismus zu kritisieren ohne den
Blick darauf zu lenken, zeigt nur einen Teil der Wahrheit. Und selbst wenn wir
auf die Geschichte der Pressefotografie schauen, so wurden Bilder von Beginn an
von Zeitungen dafür genutzt, die Glaubwürdigkeit von Textbeiträgen zu erhöhen,
also gezielt in eine mediale Konstruktion eingewoben.
Leider passiert im Artikel genau das, was sich immer wieder zeigt wenn Fälle von Manipulation im Fotojournalismus aufgedeckt werden: Die Verantwortung wird individualisiert und auf den Fotoreporter abgewälzt, auch wenn an einigen Stellen Bildredakteure zu Wort kommen. Dabei steht außer Frage, dass der Fotoreporter in der Regel der „Täter“ ist. Aber der Journalismus ist ein sich selbst reproduzierendes System, mit Konventionen die sich ändern und dem Zeitgeist anpassen, mit Wettbewerben die Standards vorgeben. Es ist aus dieser Perspektive keineswegs verwunderlich, wenn im Jahr 2015 22% der Bilder des World Press Photo Award manipuliert waren, wenn im Jahr 2013 ein Bild von Paul Hansen prämiert wurde, dass genau dieser digitalen Ästhetik den Weg geebnet hat. Und in der Jury saßen damals wie heute Bildredakteure der wichtigsten journalistischen Medien.
Zwei gute Vorschläge gibt es
im Artikel. Es sind die Ideen, Bildunterschriften größer zu drucken und stärker
auf das Auftragsverhältnis hinzuweisen. Aber wie wäre es damit, auf der
Bildebene zwischen redaktionellem und werblichem Teil zu unterscheiden? Oder öfter
auf Bilder zu verzichten, wenn sie einen rein illustrativen Charakter haben oder
als Kommentar eingesetzt werden? Daneben ist eine gesellschaftliche Debatte über
Bildkompetenz als wesentliches Element von Medienkompetenz notwendig. Es geht
darum, die Komplexität moderner digitaler Bildwelten entschlüsseln zu lernen,
so wie jedes Kind in der Schule das Schreiben und Lesen von Texten lernt. Dann
wären wir einen wesentlichen Schritt weiter.
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