Samstag, 27. Februar 2016

Ein Magazin zum Thema Migration


Manchmal gibt es einfache den perfekten Zeitpunkt zur Einführung eines neuen Medienprodukts. Das muss man wohl der ersten Printausgabe des Onlinemagazins für jungen Fotojournalismus emerge zum Thema Migration zu Gute halten. Als die Macher sich im Jahr 2014 dafür entschieden, war das Thema zwar bereits allseits präsent, aber nichts im Vergleich zur Debatte im Sommer 2015, die von den nach Europa kommenden Migranten ausgelöst wurde. Angesichts der meist platten tagesaktuellen Bildberichterstattung dieser Zeit konnte emerge genau die Lücke füllen, die angedacht war: Fotojournalistische Hintergrundberichterstattung zu liefern und das Themenfeld Migration visuell wie thematisch breit aufzufächern.

Das Online Magazin emerge existiert seit 2010. Gegründet wurde es von Absolventen der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Ein kleines Team stellt Woche für Woche neue Fotoprojekte vor, von Zeit zu Zeit auch Multimediareportagen. Es ist ein anspruchsvolles Freizeitprojekt, das bisher kein Geld abwirft. Damit ist es ein bewundernswertes Engagement. Die Macher arbeiten als freie Bildredakteure oder Fotografen und kennen das Geschäft und die Szene. Das merkt man an der gleichbleibend hohen Qualität, der für das Internet und das Magazin ausgewählten Projekte. Das Onlinemagazin wird durch einen kleinen Buchshop ergänzt, in dem publizistische Projekte in Kleinauflagen der vorgestellten Fotografen verkauft werden.

Das im Herbst neu auf den Markt gekommene Printmagazin von emerge soll zwei Mal jährlich erscheinen und hat eine Auflage von 1000 Exemplaren. Es kommt im klassischen Magazinformat daher. Das Layout ist einfach gehalten und gibt den einzelnen Bildern viel Raum. Zu Beginn gibt es eine Serie von Einzelbildern, die verschiedene Aspekte des Themas Migration aufgreifen. Dem Folgen Bild-Text Reportagen sowie geschriebene Essays zu Flucht, Migration und Fotografie. Es gibt Reportagen über Geflüchtete in Lybien, Gastarbeiter in Sankt Petersburg oder die Lampedusa Gruppe in Hamburg. Eine eher künstlerische Arbeit zum Thema Lebensmittel aus den Heimatländern von Migranten kombiniert Porträts mit Details von Lebensmitteln. Insgesamt sind Bilder von 17 Fotografen im Magazin zu sehen. Die Fotografen und Autoren stehen dabei fast alle am Beginn ihrer Karriere, studieren oder arbeiten als Freelancer und sind zwischen 20 und 30 Jahre. Einige der Texter kommen von Tonic, einem kleinen Onlinemagazin und Kooperationspartner von emerge.

Am Ende des Magazins gibt es einen Essay des Fotohistorikers Enno Kaufhold. Ausgangspunkt seiner Reflexionen über die dokumentarische Fotografie ist das Bild „Migrant Mother“ von Dorothea Lange aus dem Farm Security Administration (FSA)  Projekt der 1920er Jahre. Was nur wenige über diese Bildikone der sozialdokumentarischen Fotografie wissen: Es ist ein inszeniertes Porträt. Kaufhold plädiert ausgehend von dieser Erkenntnis und angesichts des Spannungsfelds im Fotojournalismus zwischen Idealismus und Realismus dafür, mehr Spielräume zuzulassen. Das emerge Magazin ist ein gutes Beispiel für diese Forderung. Mit der großen Vielfalt der hier vertretenen dokumentarischen Ansätze, die von inszenierten Porträts bis hin zu klassischen Reportagen reichen, werden auch hier die Grenzen des Dokumentarischen ausgereizt. Ob dies die Rettung der dokumentarischen Fotografie ist, bleibt jedoch abzuwarten.

In Zeiten, in denen alle Welt die Flucht in die digitalen Medien vollzieht, ist es mehr als ein Wagnis, sich für ein neues Printprodukt zu entscheiden. emerge haben den Start mit einer Crowdfunding Kampagne erfolgreich gemeistert. Das passt in die Trends einer sehr agilen Szene von Fotografie- und Magazinliebhabern, in der gut gemachte und auf Special-Interest-Themen fokussierte Printprodukte immer noch sehr erfolgreich sind. Ob sich das Konzept jedoch auf Dauer trägt, muss sich zeigen. In jedem Fall ist den Machern weiterhin viel Erfolg zu wünschen, da das werbefreie Magazin mit einem Fokus auf dem zeitgenössischen Fotojournalismus eine wichtige Lücke auf dem Magazinmarkt füllt. Und man darf gespannt sein, was die nächste Ausgabe spannendes hervorbringen wird.

Das Onlinemagazin ist unter www.emerge-mag.com zu finden. Auf der Homepage findet sich auch ein Bestellformular für das gedruckte Magazin. Es ist auch in ausgewählten Buchhandlungen wie „do you read me?“ oder bei C/O Berlin erhältlich.

Samstag, 13. Februar 2016

Reflexionen über das Publikum

Publizistische Medien befinden sich in einem rasanten Wandel, der große Bedeutung für die Veröffentlichung dokumentarfotografischer Arbeiten hat. „Many are also acknowledging that conventional media no longer be the best publishing venues – print magazines, for example, do not constitute the photographers’ paradise they once sometimes did“ so James Richtin in seinem Essay „Bending the Frame“ aus dem Jahr 2013. Reportagen die früher in bekannten Magazinen wie dem New York Times Magazine, dem Rolling Stone, Paris Match oder Life erschienen, erreichten dort zu Hochzeiten 6- bis 7-stellige Leserzahlen. Davon sind die Auflagen der Magazine, die noch auf dem Markt sind, weit entfernt. Darüber hinaus hat sich die Anzahl der Seiten die für eine Strecke zur Verfügung gestellt wird immer weiter reduziert.

Wenn dies eine in der professionellen Fotografie allgemein geteilte Auffassung ist, stellt sich automatisch die Frage, wer heute das Publikum für die Dokumentarfotografie ist, über welche Medien und Formate dieses erreicht wird und wo dieses zu finden ist. Dabei sind sich vermutlich alle einig, dass diese Form der  Fotografie um ihrem Charakter als gesellschaftspolitisch relevantem Medium gerecht zu werden, eine Öffentlichkeit braucht. Darüber hinaus brauchen vor allem dokumentarfotografische Arbeiten Platz, um ihre Wirkmächtigkeit zu entfalten. Die Herstellung von Öffentlichkeit bedeutet, die fotografischen Arbeiten in einen größeren Kontext zu stellen und in den politischen, sozialen und kulturellen Diskurs einzubinden. Dies entspricht dem Interesse vieler  Dokumentarfotografen, mit ihren Projekten Geschichten erzählen und damit in die Gesellschaft hinein wirken zu wollen.

Aber nur noch wenige publizistische Medien wie beispielsweise das Special-Interest Magazin Mare erlauben das Abdrucken längerer Geschichten, die einem Autor zugeordnet werden können. Viele werden als Alternative das Internet nennen. Aber hier gibt es mit wenigen Ausnahmen wenig hochkarätige Formate, wo dokumentarische Arbeiten einer Magazinstrecke ähnlich gewürdigt werden. Auch wenn einzelne Bilder und Arbeiten möglicherweise mehr Klicks als früher bekommen, ist die Frage ob die Aufmerksamkeit für die Strecken letztlich nicht geringer ist. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Fotografen auf Fotografiefestivals, Fotobücher und Ausstellungen ausweichen. Viel davon findet jedoch in kleinen Galerien statt, die vor allem von Mitgliedern der eigenen Profession sowie einer spezialisierten Szene wahrgenommen werden. Und auch wenn Fotofestivals wie das Lumix Festival für jungen Fotojournalismus im Jahr 2014 Besucherrekorde mit über 35.000 Menschen feiern, ist dies im Vergleich zur Auflage gedruckter Medien immer noch recht wenig. Darüber hinaus ist ein Großteil der Besucher Teil der Szene.

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Aber daraus leitet sich die Frage ab, ob das Zeigen dadurch nicht einen immer stärker einen selbstreferentiellen Charakter bekommt. Natürlich veröffentlichen einige der Fotografen aus der Szene auch in Massenmedien, wo ihre Bilder eine weite Verbreitung erfahren. Oft handelt es sich dabei jedoch um ein Einzelbild eines größeren Werkkomplexes oder einer längeren Recherchereise, welches dann in der New York Times oder auf Spiegel Online abgedruckt wird. So sehen die Kundenlisten vieler Dokumentarfotografen grundsätzlich beeindruckend aus: NYT, SZ, Spiegel, ... Aber zu fragen ist, ob mit dem was die Fotografen erzählen wollen, sie dort zum einen das richtige Forum bekommen und sie zum anderen das richtige Publikum treffen. Treffender wäre es vermutlich sich einzugestehen, dass das Publikum für diese Arbeiten vergleichsweise klein ist und dass nur wenige Arbeiten eine größere Breitenwirkung erfahren. Dies hat zur Folge, als dass man die Frage stellen muß, wie groß die gesellschaftliche Relevanz der Dokumentarfotografie in dem Sinne ist, als dass sie Impuls gebend und Diskurse prägend ist. Im Vergleich mit anderen medialen Erzähl-  und Darstellungsformen vermutlich leider nicht mehr allzu groß.


Richtin, Fred (2013): Bending the Frame: Photojournalism, Documentary, and the Citizen, New York: Aperture, S. 40.