Manchmal
gibt es einfache den perfekten Zeitpunkt zur Einführung eines neuen
Medienprodukts. Das muss man wohl der ersten Printausgabe des Onlinemagazins
für jungen Fotojournalismus emerge zum Thema Migration zu Gute halten. Als die
Macher sich im Jahr 2014 dafür entschieden, war das Thema zwar bereits allseits
präsent, aber nichts im Vergleich zur Debatte im Sommer 2015, die von den
nach Europa kommenden Migranten ausgelöst wurde. Angesichts der meist platten
tagesaktuellen Bildberichterstattung dieser Zeit konnte emerge genau die Lücke
füllen, die angedacht war: Fotojournalistische Hintergrundberichterstattung zu
liefern und das Themenfeld Migration visuell wie thematisch breit aufzufächern.
Das Online Magazin emerge existiert seit 2010. Gegründet wurde es von Absolventen der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Ein kleines Team stellt Woche für Woche neue Fotoprojekte vor, von Zeit zu Zeit auch Multimediareportagen. Es ist ein anspruchsvolles Freizeitprojekt, das bisher kein Geld abwirft. Damit ist es ein bewundernswertes Engagement. Die Macher arbeiten als freie Bildredakteure oder Fotografen und kennen das Geschäft und die Szene. Das merkt man an der gleichbleibend hohen Qualität, der für das Internet und das Magazin ausgewählten Projekte. Das Onlinemagazin wird durch einen kleinen Buchshop ergänzt, in dem publizistische Projekte in Kleinauflagen der vorgestellten Fotografen verkauft werden.
Das
im Herbst neu auf den Markt gekommene Printmagazin von emerge soll zwei Mal
jährlich erscheinen und hat eine Auflage von 1000 Exemplaren. Es kommt im
klassischen Magazinformat daher. Das Layout ist einfach gehalten und gibt den
einzelnen Bildern viel Raum. Zu Beginn gibt es eine Serie von Einzelbildern,
die verschiedene Aspekte des Themas Migration aufgreifen. Dem Folgen Bild-Text
Reportagen sowie geschriebene Essays zu Flucht, Migration und Fotografie. Es
gibt Reportagen über Geflüchtete in Lybien, Gastarbeiter in Sankt Petersburg
oder die Lampedusa Gruppe in Hamburg. Eine eher künstlerische Arbeit zum Thema
Lebensmittel aus den Heimatländern von Migranten kombiniert Porträts mit
Details von Lebensmitteln. Insgesamt sind Bilder von 17 Fotografen im Magazin
zu sehen. Die Fotografen und Autoren stehen dabei fast alle am Beginn ihrer
Karriere, studieren oder arbeiten als Freelancer und sind zwischen 20 und 30
Jahre. Einige der Texter kommen von Tonic, einem kleinen Onlinemagazin und Kooperationspartner
von emerge.
Am
Ende des Magazins gibt es einen Essay des Fotohistorikers Enno Kaufhold.
Ausgangspunkt seiner Reflexionen über die dokumentarische Fotografie ist das
Bild „Migrant Mother“ von Dorothea Lange aus dem Farm Security Administration
(FSA) Projekt der 1920er Jahre. Was nur
wenige über diese Bildikone der sozialdokumentarischen Fotografie wissen: Es
ist ein inszeniertes Porträt. Kaufhold plädiert ausgehend von dieser Erkenntnis
und angesichts des Spannungsfelds im Fotojournalismus zwischen Idealismus und
Realismus dafür, mehr Spielräume zuzulassen. Das emerge Magazin ist ein gutes
Beispiel für diese Forderung. Mit der großen Vielfalt der hier vertretenen
dokumentarischen Ansätze, die von inszenierten Porträts bis hin zu klassischen
Reportagen reichen, werden auch hier die Grenzen des Dokumentarischen
ausgereizt. Ob dies die Rettung der dokumentarischen Fotografie ist, bleibt
jedoch abzuwarten.
In
Zeiten, in denen alle Welt die Flucht in die digitalen Medien vollzieht, ist es
mehr als ein Wagnis, sich für ein neues Printprodukt zu entscheiden. emerge haben
den Start mit einer Crowdfunding Kampagne erfolgreich gemeistert. Das passt in
die Trends einer sehr agilen Szene von Fotografie- und Magazinliebhabern, in der
gut gemachte und auf Special-Interest-Themen fokussierte Printprodukte immer
noch sehr erfolgreich sind. Ob sich das Konzept jedoch auf Dauer trägt, muss
sich zeigen. In jedem Fall ist den Machern weiterhin viel Erfolg zu wünschen,
da das werbefreie Magazin mit einem Fokus auf dem zeitgenössischen
Fotojournalismus eine wichtige Lücke auf dem Magazinmarkt füllt. Und man darf
gespannt sein, was die nächste Ausgabe spannendes hervorbringen wird.
Das
Onlinemagazin ist unter www.emerge-mag.com
zu finden. Auf der Homepage findet sich auch ein Bestellformular für das
gedruckte Magazin. Es ist auch in ausgewählten Buchhandlungen wie „do you read
me?“ oder bei C/O Berlin erhältlich.
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