Samstag, 12. Mai 2018

Wie die SZ den Fotojournalismus ad absurdum führt

In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung ist der Teil "Buch Zwei" sowas wie das Aushängeschild, der Platz für ausführliche Reportagen, die ausgeweitete Seite drei des Wochenendes. In der Ausgabe vom 12. Mai 2018 gibt es dort einen dreiseitigen Artikel von Peter Münch mit dem Titel "Balkan Express". Als Aufmacher dient ein querformatiges, fast über die ganze Seite gezogenes Bild, das eine kleine Parkanlage vor einem Werbeplakat für ein neues Stadtviertel zeigt. Es stammt von der französischen Fotografin Julia Druelle. Der Untertitel ist mit dem Zusatz "Eine Reise in sechs Länder" versehen und unten auf der Seite gibt es eine Karte mit der Reiseroute. Dass Peter Münch als Autor diese Reise angetreten hat, davon ist auszugehen, vor allem, da er den Text anhand der Route gestrickt hat. Ob ihn Julia Druelle begleitete wird nicht geklärt, es lassen sich nur Vermutungen darüber anstellen. Im Folgenden soll dies genauer geklärt werden.



Ein erster Hinweis, dass die beiden vermutlich nicht zusammen auf Tour waren, sind die unterschiedlichen Themen die auf der Bild- und der Textebene angesprochen werden. Sowohl Text und Bild verweisen zwar aus Szenen aus Skopje oder Belgrad, aber bei den konkreten Orten gibt es keine Übereinstimmung. Die auf den Bildern gezeigte Nationalbibliothek in Skopje oder das neue Stadtviertel in Belgrad beispielsweise sind im Text nicht erwähnt. Die Bilder erscheinen vergleichsweise "harmlos" und zeigen Alltagsszenen. Auch die Bildunterschriften geben kaum Hinweise zu dem, was auf den Bildern passiert. Stattdessen stellen Sie eine Art Fortführung der Erzählung des Textes dar. So bleibt ein gewisses Unbehagen, was die Bilder eigentlich erzählen und woher sie stammen.

Die Auflösung bietet eine Recherche im Internet nach der Fotografin Julia Druelle. Bereits der zweite Eintrag in der Suchmaschine Google bringt einen zur Homepage der Fotografin. Und dort findet sich an dritter Stelle ein Portfolio namens "Balkans Chronicles", versehen mit folgendem Hinweis: "A series of pictures illustrating various news events that I covered in the Balkans." Schon das erste Bild des Portfolios ist eine Fotografie aus dem Jahr 2015, die auf der zweiten Seite der SZ-Reportage abgedruckt ist, dort jedoch im Quadrat statt im Querformat. Damit ist immerhin geklärt, dass Julia Druelle nicht mit Peter Münch auf Balkanreise war. Stattdessen zeigt sich hier eine von mir bereits mehrfach beschriebene Praxis der SZ, zur Visualisierung von ausführlichen Textreportagen ältere Bildgeschichten einzusetzen. Die Schwierigkeit besteht für mich darin, dass dies nicht kenntlich gemacht wird.

Es kommt jedoch noch ein weiterer Aspekt hinzu, der den Informationsgehalt der Fotografien von Druelle betrifft. In der Art und Weise, wie die SZ die Bilder einsetzt, fungieren diese als abstrakte Visualisierungen, die außer des Verweises auf den Ort keine Informationen vermitteln und auch nicht vermitteln sollen, denn ansonsten hätte es eine andere Form der Kontextualisierung gegeben. Wie sehr dabei aus dokumentarischen Bildern mit politischem Inhalt platte Visualisierungen im Stil oberflächlicher Reisefotografie werden, zeigt eine genauere Beschäftigung mit dem Aufmacherbild, das ebenfalls Teil des Portfolios auf Druelles Webseite ist. Dort ist das Bild Teil der Serie "Belgrade Waterfront - 'Let's not drown Belgrade'", mit der Druelle über die Proteste im Jahr 2016 gegen das Luxus-Immobilienprojekt "Belgrade Waterfront" erzählt. Auch in deutschen Medien wurde dies thematisiert. Mit dieser Information bekommt das Aufmacherbild eine eminent politische Bedeutung. In der Bildunterschrift der SZ ist daraus jedoch "Die Zukunft ist in Serbien noch eine Kulisse: Überall in Belgrad wird gebaut (links)" geworden. Ein nichtssagende, in schöne Worte gekleidete Bilderunterschrift.

Ein weiteres Beispiel von der zweiten Seite des Artikels zeigt, dass dies kein einmaliger Ausrutscher, sondern Konzept ist. Oben rechts ist dort ein Bild zu sehen, das eine nächtliche Straße in Belgrad mit erleuchtenden Schaufenstern zeigt. Aus der Tür eines Gebäudes, in dem sich ein Kino befindet, tritt eine Frau heraus. "Ein Kino in einer Einkaufsmeile in Belgrad" ist die dazugehörige Bildunterschrift der SZ. Auch hier könnte die Information kaum banaler sein, verglichen mit der zum Bild gehörigen Geschichte. Denn das auf dem Bild gezeigte Kino ist das "Zvezda", das im Jahr 2014 von Kinofans übernommen wurde, nachdem es im Zuge der Privatisierung runtergewirtschaftet war und vor dem Aus stand. Damit erzählt die Geschichte des Kinos etwas über Wirtschafts- und Kulturpolitik in Serbien, thematisiert also genau das, was auch Peter Münchs Interesse ist.

Die beiden hier im Zusammenhang mit dem veröffentlichten Artikel diskutierten Bildbeispiele zeigen, wo die Risiken und Herausforderungen der im zeitgenössischen Journalismus weit verbreiteten Praxis liegen, einen aktuellen Text eines Reporters mit einer älteren Bildstrecke eines Fotografen oder einer Fotografin zu verbinden. Die ursprünglich aus einer journalistische und dokumentarischen Motivation heraus entstandenen Bilder, die etwas über konkrete Themen und Ereignisse erzählen, werden durch die Neu-Kontextualisierung zu glatter visueller Oberfläche. Letztlich wird damit eine Praxis aufgegriffen, wie sie aus dem Umgang mit der Stock Fotografie bekannt ist. Gleichwohl ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass es durchaus andere Möglichkeiten gegeben hätte. So wäre es durchaus möglich gewesen, die Originalbildunterschriften zu verwenden und die Arbeit von Druelle als parallel zum Text fungierenden Werkkomplex unter dem Originaltitel "Balkans Chronicles" zu rahmen. Dass dies nicht passiert ist, ist auf (bild-)redaktionelle Entscheidungen der Süddeutschen Zeitung zurückzuführen. Es zeigt einmal mehr, wie problematisch der Umgang der SZ mit journalistischen Fotografien ist und wie sehr durch die hier geschilderte Praxis eine Delegitimierung bildjournalistischer Wissensproduktion stattfindet. 

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