In der Wochenendausgabe der
Süddeutschen Zeitung ist der Teil "Buch Zwei" sowas wie das
Aushängeschild, der Platz für ausführliche Reportagen, die ausgeweitete Seite
drei des Wochenendes. In der Ausgabe vom 12. Mai 2018 gibt es dort einen dreiseitigen
Artikel von Peter Münch mit dem Titel "Balkan Express". Als Aufmacher
dient ein querformatiges, fast über die ganze Seite gezogenes Bild, das eine
kleine Parkanlage vor einem Werbeplakat für ein neues Stadtviertel zeigt. Es
stammt von der französischen Fotografin Julia Druelle. Der Untertitel ist mit
dem Zusatz "Eine Reise in sechs Länder" versehen und unten auf der
Seite gibt es eine Karte mit der Reiseroute. Dass Peter Münch als Autor diese
Reise angetreten hat, davon ist auszugehen, vor allem, da er den Text anhand
der Route gestrickt hat. Ob ihn Julia Druelle begleitete wird nicht geklärt, es
lassen sich nur Vermutungen darüber anstellen. Im Folgenden soll dies genauer
geklärt werden.
Ein erster Hinweis, dass die
beiden vermutlich nicht zusammen auf Tour waren, sind die unterschiedlichen
Themen die auf der Bild- und der Textebene angesprochen werden. Sowohl Text und
Bild verweisen zwar aus Szenen aus Skopje oder Belgrad, aber bei den konkreten
Orten gibt es keine Übereinstimmung. Die auf den Bildern gezeigte
Nationalbibliothek in Skopje oder das neue Stadtviertel in Belgrad beispielsweise
sind im Text nicht erwähnt. Die Bilder erscheinen vergleichsweise
"harmlos" und zeigen Alltagsszenen. Auch die Bildunterschriften geben
kaum Hinweise zu dem, was auf den Bildern passiert. Stattdessen stellen Sie
eine Art Fortführung der Erzählung des Textes dar. So bleibt ein gewisses
Unbehagen, was die Bilder eigentlich erzählen und woher sie stammen.
Die Auflösung bietet eine Recherche
im Internet nach der Fotografin Julia Druelle. Bereits der zweite Eintrag in
der Suchmaschine Google bringt einen zur Homepage der Fotografin. Und dort
findet sich an dritter Stelle ein Portfolio namens "Balkans Chronicles",
versehen mit folgendem Hinweis: "A series of pictures illustrating various
news events that I covered in the Balkans." Schon das erste Bild des
Portfolios ist eine Fotografie aus dem Jahr 2015, die auf der zweiten Seite der
SZ-Reportage abgedruckt ist, dort jedoch im Quadrat statt im Querformat. Damit ist
immerhin geklärt, dass Julia Druelle nicht mit Peter Münch auf Balkanreise war.
Stattdessen zeigt sich hier eine von mir bereits mehrfach beschriebene Praxis der SZ, zur Visualisierung von ausführlichen Textreportagen ältere
Bildgeschichten einzusetzen. Die Schwierigkeit besteht für mich darin, dass dies
nicht kenntlich gemacht wird.
Es kommt jedoch noch ein
weiterer Aspekt hinzu, der den Informationsgehalt der Fotografien von Druelle
betrifft. In der Art und Weise, wie die SZ die Bilder einsetzt, fungieren diese
als abstrakte Visualisierungen, die außer des Verweises auf den Ort keine Informationen
vermitteln und auch nicht vermitteln sollen, denn ansonsten hätte es eine
andere Form der Kontextualisierung gegeben. Wie sehr dabei aus dokumentarischen
Bildern mit politischem Inhalt platte Visualisierungen im Stil oberflächlicher
Reisefotografie werden, zeigt eine genauere Beschäftigung mit dem
Aufmacherbild, das ebenfalls Teil des Portfolios auf Druelles Webseite ist.
Dort ist das Bild Teil der Serie "Belgrade Waterfront - 'Let's not drown
Belgrade'", mit der Druelle über die Proteste im Jahr 2016 gegen das Luxus-Immobilienprojekt
"Belgrade Waterfront" erzählt. Auch in deutschen Medien wurde dies
thematisiert. Mit dieser Information bekommt das Aufmacherbild eine eminent
politische Bedeutung. In der Bildunterschrift der SZ ist daraus jedoch
"Die Zukunft ist in Serbien noch eine Kulisse: Überall in Belgrad wird
gebaut (links)" geworden. Ein nichtssagende, in schöne Worte gekleidete
Bilderunterschrift.
Ein weiteres Beispiel von
der zweiten Seite des Artikels zeigt, dass dies kein einmaliger Ausrutscher,
sondern Konzept ist. Oben rechts ist dort ein Bild zu sehen, das eine
nächtliche Straße in Belgrad mit erleuchtenden Schaufenstern zeigt. Aus der Tür
eines Gebäudes, in dem sich ein Kino befindet, tritt eine Frau heraus.
"Ein Kino in einer Einkaufsmeile in Belgrad" ist die dazugehörige
Bildunterschrift der SZ. Auch hier könnte die Information kaum banaler sein,
verglichen mit der zum Bild gehörigen Geschichte. Denn das auf dem Bild
gezeigte Kino ist das "Zvezda", das im Jahr 2014 von Kinofans übernommen
wurde, nachdem es im Zuge der Privatisierung runtergewirtschaftet war und vor
dem Aus stand. Damit erzählt die Geschichte des Kinos etwas über Wirtschafts-
und Kulturpolitik in Serbien, thematisiert also genau das, was auch Peter
Münchs Interesse ist.
Die beiden hier im
Zusammenhang mit dem veröffentlichten Artikel diskutierten Bildbeispiele
zeigen, wo die Risiken und Herausforderungen der im zeitgenössischen
Journalismus weit verbreiteten Praxis liegen, einen aktuellen Text eines
Reporters mit einer älteren Bildstrecke eines Fotografen oder einer Fotografin
zu verbinden. Die ursprünglich aus einer journalistische und dokumentarischen Motivation
heraus entstandenen Bilder, die etwas über konkrete Themen und Ereignisse erzählen,
werden durch die Neu-Kontextualisierung zu glatter visueller Oberfläche. Letztlich
wird damit eine Praxis aufgegriffen, wie sie aus dem Umgang mit der Stock Fotografie
bekannt ist. Gleichwohl ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass es durchaus
andere Möglichkeiten gegeben hätte. So wäre es durchaus möglich gewesen, die
Originalbildunterschriften zu verwenden und die Arbeit von Druelle als parallel
zum Text fungierenden Werkkomplex unter dem Originaltitel "Balkans
Chronicles" zu rahmen. Dass dies nicht passiert ist, ist auf
(bild-)redaktionelle Entscheidungen der Süddeutschen Zeitung zurückzuführen. Es
zeigt einmal mehr, wie problematisch der Umgang der SZ mit journalistischen
Fotografien ist und wie sehr durch die hier geschilderte Praxis eine
Delegitimierung bildjournalistischer Wissensproduktion stattfindet.
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