„We live in a world of images. If
we lived in a world of words, then words would speak to us more clearly. But
surrounded as we are by images, we look literally to images to make meaning“
(Filmausschnitt).
Im Februar hatte auf der Berlinale in Berlin der Dokumentarfilm
„Through a lens darkly: Black
Photographers and the Emergence of a People“ seine Europapremiere. Es ist der
erste abendfüllende Dokumentarfilm des amerikanischen Fotografen und Aktivisten
Thomas Allen Harris. Der Film erzählt die Geschichte der Fotografie aus der
Perspektive der afroamerikanischen Community.
Fotografie ist ein kulturelles
Produkt und eine soziale Gebrauchsweise. Fotografien schreiben Geschichte, geben
Deutungen vor und konstruieren soziale Wirklichkeiten. Deutlich wird dies an
der Frage nach der Repräsentation der afroamerikanischen Gemeinschaft im
Bilderkanon der us-amerikanischen Geschichte. Bilder vom alltäglichen Leben und
der gesellschaftlichen Teilhabe schwarzer Familien in den USA fehlen dort weitestgehend. Während die
Afroamerikaner sich auf der politischen Ebene seit der Sklaverei Schritt für
Schritt ihre Befreiung und politische Rechter erkämpften, hinkte ihre
bildnerische Repräsentation weit dahinter zurück. Nach der Lesart von Thomas
Allen Harris, dem Regisseur des Films, ist die Befreiung aus der Sklaverei
verbunden mit der Übernahme der Kontrolle über das eigene Bild, der Freiheit
Bilder von sich zu machen, sich für Bilder in Szene zu setzen. Dies zeigt der
Film auf wunderbare Art und Weise. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr das
dominante Narrativ der USA diesem hinterherhinkt.
Was dieser Film deutlich macht,
ist der krasse Gegensatz zwischen dem Bild der afroamerikanischen Community in
den Massenmedien auf der einen Seite, vermittelt unter anderem über die
professionelle Fotografie und dem Bild der Gemeinschaft auf der anderen Seite,
welches sich in den Fotoalben findet. Die Fotografien in den Massenmedien
zeigen die Afroamerikaner meist als handlungsunfähige Subjekte der
Unterdrückung, mit festen Rollenzuschreibungen und als Menschen am Rande der
Gesellschaft. So hatte sich mit dem Beginn der professionellen Fotografie auch
ein manipuliertes, stereotypisiertes Bild der Afroamerikaner eingeschlichen,
welches geprägt war von gestellten Fotografien mit rassistischen Stereotypen,
Postkarten mit Lynchszenen und Cartoons, die schwarze als Wilde darstellten. In
den Familienbildern dagegen findet sich der Alltag, der Stolz, aber auch Zeugnisse
des sozialen Aufstiegs, von politischer Teilhabe. So wird deutlich wie sich die
afroamerikanische Community die Fotografie als ein Medium zur Selbstbestätigung
aneignet, während das gesellschaftliche Bild der Gruppe bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts
hinein von krudem Rassismus und Stereotypen geprägt ist.
Der Film beschreibt den Prozess
der Aneignung mit einer Fülle interessanter Beispiele. So wird die Geschichte
der schwarzen Frauenrechtlerin und Aktivistin Sojourner Truth erwähnt, die in
der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts den Verkauf von inszenierten Selbstporträts
nutzte um ihre politische Arbeit zu finanzieren. Oder das Beispiel des schwarzen
Politikers Frederic Douglass, der für seine politische Karriere über 150
Porträts von sich anfertigen ließ und damit als einer der meist fotografierten
Amerikaner des 19. Jahrhunderts gilt. Auch der amerikanische Bürgerkrieg hatte
eine wichtige Funktion: schwarze Soldaten ließen sich stolz als Patrioten und
freie Kämpfer abbilden. So wurde visuell festgehalten, wie sich die
Afroamerikaner Schritt für Schritt vormals von Weißen dominierte soziale Räume
„bildlich“ erobern. Erstaunlich auch die sogenannte „American Negro Exhibit“ auf der Weltausstellung in Paris im Jahr
1900. Sie war der Emanzipierung der Schwarzen Amerikaner in den USA gewidmet
und stand in krassem Gegensatz zu kolonialen Ausstellungen auf der
Weltausstellung, wo Schwarze Afrikaner zur Schau gestellt wurden. Ein anderes
gutes Beispiel ist das 1910 gegründete „Crisis
Magazine“. Es zeigt, wie Schwarze am Leben in den USA als vollwertige
Bürger teilnehmen. Für viele zeitgenössische Fotografen war das 1955
veröffentlichte Fotobuch „The sweet
flypaper of life“ von Roy DeCavara ein Augenöffner und stellte eine immense
Inspirationsquelle dar. Von einigen
wird das Buch im Film gar als die Bibel für junge schwarze Fotografen und
Fotojournalisten bezeichnet, da es sich einer gänzlich neuen, der Bedeutung der
Schwarzen gerecht werdenden Sicht verschrieben hat. Aber auch die Familienalben
der afro-amerikanischen Community sind jedoch nicht ohne Leerstellen. So fehlen
oft homosexuelle Familienmitglieder. Die Gemeinschaft hat diese mittels der
Fotografie ebenfalls ausgeschlossen.
Die filmische Narration arbeitet
dabei auf mehreren Erzählebenen. Ausgangspunkt ist die Familiengeschichte von
Thomas Allen Harris und die Beziehung zu seinem Vater. Anhand von Bildern aus
Fotoalben der Familie nähert er sich den einzelnen Charakteren und deren
Darstellung im Bild. Als statische Bilder werden immer wieder Fotografien aus
den Fotoalben Format füllend eingeblendet. Thomas Allen Harris ist auch die
Stimme aus dem Off, die den Film begleitet. Eine weitere Ebene sind die
Interviews, in HD aufgenommen. Es gibt zwei Gruppen von Interviewpartnern:
Fotografen sowie Wissenschaftler, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Die
Interviewten sitzen am rechten oder linken Bildrand, in leichtem Anschnitt, vor
einem schwarzen oder weißen Hintergrund. Meist sind es kurze
Interviewausschnitte, die sich über die Länge des Films zu einer Narration
zusammenfügen. In einigen Ausschnitten sind die Interviews vor Bilder aus
Fotoalben montiert. Die meisten der interviewten Fotografen tauchen ein zweites
Mal im Film in Ausschnitten aus Super8 Filmen auf. In diesen Sequenzen zeigen sie
ihre eigene fotografische Arbeit. Darüber hinaus werden immer wieder Bilder der
professionellen Presse- und Studiofotografen in den Erzählstrang des Films
eingewoben. Durch die verschiedenen Ebenen entsteht ein hohe visuelle Dichte
und Komplexität.
Die verschiedenen Erzählebenen
und die Vielzahl an Bildern und Interviewpartnern haben eine atemberaubende
Informationsfülle zur Folge. Alleine über 30 Fotografen kommen zu Wort, des
Weiteren knapp 20 Wissenschaftler. Selbst für Menschen, die sich viel mit dem
Thema Fotografie beschäftigen, gibt es neue Aspekte. Kaum einer der Fotografen
oder Autoren ist über die USA hinaus bekannt geworden. So ist trotz der
bewundernswerten Intentionen des Direktors und der handwerklichen und
inhaltlichen Präzision des Films in Frage zu stellen, ob der Film das Potential
hat, das große Publikum anzuziehen und aus der Polit-Nische herauszukommen.
Genau dies wäre dem Thema jedoch zu wünschen, denn kaum einer hat bisher so
eloquent und gleichzeitig präzise die Rolle der afroamerikanischen Community in
der Fotografiegeschichte der USA aufgearbeitet. Um den Film in der
Bildungsarbeit einsetzen zu können, ist jedoch eine Kontextualisierung der im Film bearbeiteten Themen
notwendig.
Unter anderem aus diesem Grund
ist der Film in ein umfangreiches Multimediaprojekt eingebunden, die „Digital Diaspora Family Reunion (DDFR)“.
Das Projekt richtet sich an die afrikanische Diaspora um über die Arbeit mit
Bildern aus persönlichen Fotoalben und dem Familienarchiv zu einer Neubewertung
der Geschichte zu kommen. Wichtigstes Element der DDFR ist eine „Roadshow“. Dahinter verbirgt sich ein
Format, welches das Screening des Films USA-weit mit Bildungsangeboten und
Workshops verbindet. Besucher der Roadshows werden aufgefordert, selbst in den
Fotoalben ihrer Familien nach Zeugnissen der Geschichte zu suchen. Das Projekt
bedient sich auch der neuen sozialen Medien. Mit dem Hashtag #1World1Family
können Bilder auf der Fotoplattform Flickr hochgeladen werden, um so ein Archiv
der Geschichte von Familienbilder schwarzer Amerikaner zu erstellen.
Der Film „Through a lens darkly“ ist bei aller Grausamkeit der gezeigten
Bilder vor allem ein Plädoyer für die Humanität in der Fotografie. Der
Regisseur Thomas Allen Harris sieht die Fotografie als ein Medium um Brücken zu
bauen. So spricht er im Film von der „power
of the image to reshape the understanding of the afro-american by the white
community and the afro-americans themselves“. Darüber hinaus geht es ihm
darum Verantwortung dafür zu zeigen, was Schwarzsein bedeutet – damals, heute
und in der Zukunft. Er spricht von einer Vision, über die Fotografie ein Album
der Humanität zu schaffen, in dem die Menschen sich als gleichwertig betrachten
können, „to see us as one“. Diesem
Anliegen kann man nur gutes Gelingen wünschen.
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