Montag, 14. April 2014

Through a lens darkly - Filmreview


„We live in a world of images. If we lived in a world of words, then words would speak to us more clearly. But surrounded as we are by images, we look literally to images to make meaning“ (Filmausschnitt).

Im Februar hatte auf der Berlinale in Berlin der Dokumentarfilm „Through a lens darkly:  Black Photographers and the Emergence of a People“ seine Europapremiere. Es ist der erste abendfüllende Dokumentarfilm des amerikanischen Fotografen und Aktivisten Thomas Allen Harris. Der Film erzählt die Geschichte der Fotografie aus der Perspektive der afroamerikanischen Community.

Fotografie ist ein kulturelles Produkt und eine soziale Gebrauchsweise. Fotografien schreiben Geschichte, geben Deutungen vor und konstruieren soziale Wirklichkeiten. Deutlich wird dies an der Frage nach der Repräsentation der afroamerikanischen Gemeinschaft im Bilderkanon der us-amerikanischen Geschichte. Bilder vom alltäglichen Leben und der gesellschaftlichen Teilhabe schwarzer Familien in den USA fehlen  dort weitestgehend. Während die Afroamerikaner sich auf der politischen Ebene seit der Sklaverei Schritt für Schritt ihre Befreiung und politische Rechter erkämpften, hinkte ihre bildnerische Repräsentation weit dahinter zurück. Nach der Lesart von Thomas Allen Harris, dem Regisseur des Films, ist die Befreiung aus der Sklaverei verbunden mit der Übernahme der Kontrolle über das eigene Bild, der Freiheit Bilder von sich zu machen, sich für Bilder in Szene zu setzen. Dies zeigt der Film auf wunderbare Art und Weise. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr das dominante Narrativ der USA diesem hinterherhinkt. 

Was dieser Film deutlich macht, ist der krasse Gegensatz zwischen dem Bild der afroamerikanischen Community in den Massenmedien auf der einen Seite, vermittelt unter anderem über die professionelle Fotografie und dem Bild der Gemeinschaft auf der anderen Seite, welches sich in den Fotoalben findet. Die Fotografien in den Massenmedien zeigen die Afroamerikaner meist als handlungsunfähige Subjekte der Unterdrückung, mit festen Rollenzuschreibungen und als Menschen am Rande der Gesellschaft. So hatte sich mit dem Beginn der professionellen Fotografie auch ein manipuliertes, stereotypisiertes Bild der Afroamerikaner eingeschlichen, welches geprägt war von gestellten Fotografien mit rassistischen Stereotypen, Postkarten mit Lynchszenen und Cartoons, die schwarze als Wilde darstellten. In den Familienbildern dagegen findet sich der Alltag, der Stolz, aber auch Zeugnisse des sozialen Aufstiegs, von politischer Teilhabe. So wird deutlich wie sich die afroamerikanische Community die Fotografie als ein Medium zur Selbstbestätigung aneignet, während das gesellschaftliche Bild der Gruppe bis weit in die  zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein von krudem Rassismus und Stereotypen geprägt ist.

Der Film beschreibt den Prozess der Aneignung mit einer Fülle interessanter Beispiele. So wird die Geschichte der schwarzen Frauenrechtlerin und Aktivistin Sojourner Truth erwähnt, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts den Verkauf von inszenierten Selbstporträts nutzte um ihre politische Arbeit zu finanzieren. Oder das Beispiel des schwarzen Politikers Frederic Douglass, der für seine politische Karriere über 150 Porträts von sich anfertigen ließ und damit als einer der meist fotografierten Amerikaner des 19. Jahrhunderts gilt. Auch der amerikanische Bürgerkrieg hatte eine wichtige Funktion: schwarze Soldaten ließen sich stolz als Patrioten und freie Kämpfer abbilden. So wurde visuell festgehalten, wie sich die Afroamerikaner Schritt für Schritt vormals von Weißen dominierte soziale Räume „bildlich“ erobern. Erstaunlich auch die sogenannte „American Negro Exhibit“ auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900. Sie war der Emanzipierung der Schwarzen Amerikaner in den USA gewidmet und stand in krassem Gegensatz zu kolonialen Ausstellungen auf der Weltausstellung, wo Schwarze Afrikaner zur Schau gestellt wurden. Ein anderes gutes Beispiel ist das 1910 gegründete „Crisis Magazine“. Es zeigt, wie Schwarze am Leben in den USA als vollwertige Bürger teilnehmen. Für viele zeitgenössische Fotografen war das 1955 veröffentlichte Fotobuch „The sweet flypaper of life“ von Roy DeCavara ein Augenöffner und stellte eine immense Inspirationsquelle dar. Von einigen wird das Buch im Film gar als die Bibel für junge schwarze Fotografen und Fotojournalisten bezeichnet, da es sich einer gänzlich neuen, der Bedeutung der Schwarzen gerecht werdenden Sicht verschrieben hat. Aber auch die Familienalben der afro-amerikanischen Community sind jedoch nicht ohne Leerstellen. So fehlen oft homosexuelle Familienmitglieder. Die Gemeinschaft hat diese mittels der Fotografie ebenfalls ausgeschlossen.

Die filmische Narration arbeitet dabei auf mehreren Erzählebenen. Ausgangspunkt ist die Familiengeschichte von Thomas Allen Harris und die Beziehung zu seinem Vater. Anhand von Bildern aus Fotoalben der Familie nähert er sich den einzelnen Charakteren und deren Darstellung im Bild. Als statische Bilder werden immer wieder Fotografien aus den Fotoalben Format füllend eingeblendet. Thomas Allen Harris ist auch die Stimme aus dem Off, die den Film begleitet. Eine weitere Ebene sind die Interviews, in HD aufgenommen. Es gibt zwei Gruppen von Interviewpartnern: Fotografen sowie Wissenschaftler, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Die Interviewten sitzen am rechten oder linken Bildrand, in leichtem Anschnitt, vor einem schwarzen oder weißen Hintergrund. Meist sind es kurze Interviewausschnitte, die sich über die Länge des Films zu einer Narration zusammenfügen. In einigen Ausschnitten sind die Interviews vor Bilder aus Fotoalben montiert. Die meisten der interviewten Fotografen tauchen ein zweites Mal im Film in Ausschnitten aus Super8 Filmen auf. In diesen Sequenzen zeigen sie ihre eigene fotografische Arbeit. Darüber hinaus werden immer wieder Bilder der professionellen Presse- und Studiofotografen in den Erzählstrang des Films eingewoben. Durch die verschiedenen Ebenen entsteht ein hohe visuelle Dichte und Komplexität.

Die verschiedenen Erzählebenen und die Vielzahl an Bildern und Interviewpartnern haben eine atemberaubende Informationsfülle zur Folge. Alleine über 30 Fotografen kommen zu Wort, des Weiteren knapp 20 Wissenschaftler. Selbst für Menschen, die sich viel mit dem Thema Fotografie beschäftigen, gibt es neue Aspekte. Kaum einer der Fotografen oder Autoren ist über die USA hinaus bekannt geworden. So ist trotz der bewundernswerten Intentionen des Direktors und der handwerklichen und inhaltlichen Präzision des Films in Frage zu stellen, ob der Film das Potential hat, das große Publikum anzuziehen und aus der Polit-Nische herauszukommen. Genau dies wäre dem Thema jedoch zu wünschen, denn kaum einer hat bisher so eloquent und gleichzeitig präzise die Rolle der afroamerikanischen Community in der Fotografiegeschichte der USA aufgearbeitet. Um den Film in der Bildungsarbeit einsetzen zu können, ist jedoch eine  Kontextualisierung der im Film bearbeiteten Themen notwendig.

Unter anderem aus diesem Grund ist der Film in ein umfangreiches Multimediaprojekt eingebunden, die „Digital Diaspora Family Reunion (DDFR)“. Das Projekt richtet sich an die afrikanische Diaspora um über die Arbeit mit Bildern aus persönlichen Fotoalben und dem Familienarchiv zu einer Neubewertung der Geschichte zu kommen. Wichtigstes Element der DDFR ist eine „Roadshow“. Dahinter verbirgt sich ein Format, welches das Screening des Films USA-weit mit Bildungsangeboten und Workshops verbindet. Besucher der Roadshows werden aufgefordert, selbst in den Fotoalben ihrer Familien nach Zeugnissen der Geschichte zu suchen. Das Projekt bedient sich auch der neuen sozialen Medien. Mit dem Hashtag #1World1Family können Bilder auf der Fotoplattform Flickr hochgeladen werden, um so ein Archiv der Geschichte von Familienbilder schwarzer Amerikaner zu erstellen.

Der Film „Through a lens darkly“ ist bei aller Grausamkeit der gezeigten Bilder vor allem ein Plädoyer für die Humanität in der Fotografie. Der Regisseur Thomas Allen Harris sieht die Fotografie als ein Medium um Brücken zu bauen. So spricht er im Film von der „power of the image to reshape the understanding of the afro-american by the white community and the afro-americans themselves“. Darüber hinaus geht es ihm darum Verantwortung dafür zu zeigen, was Schwarzsein bedeutet – damals, heute und in der Zukunft. Er spricht von einer Vision, über die Fotografie ein Album der Humanität zu schaffen, in dem die Menschen sich als gleichwertig betrachten können, „to see us as one“. Diesem Anliegen kann man nur gutes Gelingen wünschen.

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