Donnerstag, 18. September 2014

Zur Debatte Fotojournalismus und Bürgerjournalismus


Bei der Diskussion um Journalismus und Fotojournalismus in der arabischen Welt taucht immer wieder der Begriff des Bürgerjournalismus bzw. Citizen Journalism auf. Meiner Ansicht nach ist die Verwendung dieses Begriffs nicht unproblematisch und Teil einer europäisch geprägten Sicht auf das Thema, wie der folgende Text aufzeigen will.

Viele Autoren, die sich mit der Fragen der Medien im Allgemeinen und der Funktion von Journalismus in Krisenzeiten im besonderen beschäftigen, kommen aus dem „Westen“, den USA und Europa. In diesen Ländern gibt es eine lange Tradition des unabhängigen professionellen Journalismus. Journalismus ist hier ein Beruf den man wählt und mit dem ein bestimmtes Berufsverständnis verbunden wird. Die Länder, in den dieser Journalismus seine Blüte erfahren hat, verfügen alle seit vielen Jahrzehnten über stabile demokratische Verhältnisse. Konflikte sind eingehegt, werden im demokratischen System verhandelt, mit Hilfe des Journalismus in den Medien diskutiert. Was die Journalisten mit der Mehrheitsgesellschaft verbindet ist ein über alle politischen Lager geltender demokratischer Grundkonsens. Trotz allem gibt es immer wieder politische Themen, die auf die Straße und in den politischen Protest getragen werden. Die Journalisten haben dort klar die Funktion des Berichterstatters, Meinung wird in den Kommentarspalten der Zeitungen abgedruckt. Für Medien, die nicht zum klassischen Establishment gehören, wurde hier der Begriff der „alternativen Medien“ erfunden. Dazu kam eine Bewegung des Bürgerfunks oder Bürgerfernsehens, wo hauptsächlich auf lokaler Ebene Bürger zu Teilzeitjournalisten wurden, als Teil ihrer demokratische Partizipation. Auch die Digitalisierung der Kommunikation hat dieses Verhältnis nicht nachhaltig verändert. Letztlich lässt sich auch die Blogossphäre weitgehend im klassischen Journalismus verorten, nur ohne die traditionellen Medieninstitutionen.

Eine völlig andere Situation findet sich in Ländern, die in den letzten Jahren revolutionäre Prozesse durchgemacht haben, wie Ägypten, Lybien oder Tunesien. Der klassische Journalismus in Zeitung und Fernsehen war dort größtenteils Staatsjournalismus, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Die dort arbeitenden Journalisten waren das was im „Westen“ als professioneller Journalismus gesehen wird. Vor allem weil für eine Beurteilung dessen, was professioneller Journalismus ist, hauptsächlich die Routinen der Journalisten und ihre Institutionen betrachtet wurden. In einer Situation des revolutionären Umbruchs sind nun Journalisten wie Bürger mit der Frage konfrontiert, wie sie sich zum alten Regime sowie den das Regime in Frage stellenden Bewegungen verhalten. Aus Sicht ihrer bis dato gelebten professionellen Berufsrolle hinaus, müsste dies eigentlich eine kritische Abwägung beider Positionen bedeuten, oder eine Verteidigung des alten Regimes. Alle anderen, die außerhalb der traditionellen Strukturen des Journalismus stehen und klar Position für die Revolution beziehen, werden dagegen als Bürgerjournalisten bezeichnet. Damit sind nach Ansicht des Autors eine klare Bewertung und eine Abwertung der Bürgerjournalisten verbunden. Journalismus sollte nach der Qualität ihrer Produkte bewertet werden, nicht nach der institutionellen Einbindung.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage, welche Rolle die arabischen Fotografen und Journalisten in ihren Gesellschaften einnehmen. Der klassische professionelle Journalismus, wie er sich vor allem in den Staatsmedien in Ägypten zeigt, genießt im Land nur eine sehr geringe Glaubwürdigkeit. Konsumenten ziehen es oft vor, Aktivisten auf Facebook und Twitter oder bekannten Bloggern zu vertrauen. Diejenigen, die aus westlicher Perspektive als Bürgerjournalisten bezeichnet werden, genießen also größere Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit.

Wieder zurück zu westlich sozialisierten Journalisten und Kommunikationswissenschaftlern: Aus ihrer Sicht ist die Einteilung der Journalisten in Ägypten in professionelle Journalisten und Bürgerjournalisten durchaus nachvollziehbar. Wenn sie die Strukturen, in denen sie sozialisiert wurden übertrage, sehen sie natürlich nur in den Journalisten der traditionellen, ehemals staatlichen Medien professionelle Journalisten. Es gibt jedoch noch einen weiteren entscheidenden Punkt: die persönliche Haltung eines Bürgers oder Journalisten gegenüber politischen, zum Teil revolutionären Umbrüchen im eigenen Land. Westlich sozialisierte Journalisten und Wissenschaftler standen zum Großteil nie selbst vor der Frage, im eigenen Land Position beziehen zu müssen, nehmen sich aber heraus zu beurteilen, ob dies in anderen Ländern professionell ist oder nicht. Hier liegt nach Ansicht des Autors ein schwerwiegendes Problem. Anstatt den Menschen zuzugestehen Position zu beziehen, werden durch ein Überstülpen im Westen entwickelter Konzepte Rollen festgeschrieben. Eine weitere Absurdität kommt dazu: die internationalen Medien und ihre Korrespondenten haben sich in Ägypten schnell zum Sprachrohr der Revolution gemacht und den Widerstand vom Tahrirplatz glorifiziert. Werden sie deswegen als Bürgerjournalisten bezeichnet? Mitnichten. Aber ihre lokalen Kollegen, die in ihrem Land mit dem Risiko dafür verhaftet zu werden ausserhalb der traditionellen Medien Journalismus und Fotojournalismus betreiben, werden dagegen als Bürgerjournalisten abgestempelt.

Das lässt sich auch an einem anderen Beispiel gut deutlich machen. In Israel gibt es ein Fotografenkollektiv namens Activestills, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Widerstand israelischer und palästinensischer Bürger gegen das Besatzungsregime zu dokumentieren. Unter vielen der lokalen wie internationalen Journalisten die in der Region tätig sind, sind sie als „Aktivisten mit der Kamera“ verschrien, weil sie sich deutlich gegen das Besatzungsregime positionieren und dies öffentlich kundtun. Natürlich kommt dazu, dass sich selbst auch zum Aktivistenspektrum rechnen. Gleichzeit sehen sie sich aber auch als Dokumentarfotografen. Was nun spricht dagegen, sie als professionelle Fotojournalisten zu betrachten? Nur der Fakt, dass sie offen gegen die Mehrheitsmeinung ihres Landes und den politischen Status Quo auftreten? Hier liegt meiner Ansicht nach ein Fehler. Das, wonach sie bewertet werden sollten, ist die Qualität ihrer Arbeit, ihre Bildsprache, ihre Bildunterschriften, die KOntextualisierung. Aber warum negativ bewerten, wenn sich israelische Bürger aus berechtigten politischen Argumenten gegen etwas wenden, was die internationale Staatengemeinschaft als illegal bezeichnet. Vielleicht fühlen sich diese Fotografen moralisch dazu verpflichtet, in diesem Konflikt Position zu beziehen. Das ist ihr gutes Recht und sollte es auch sein. Nur wer aus der bequemen Position stabile demokratischer Systeme heraus argumentiert, kann dies für unprofessionell halten.

Möglicherweise findet die Figur des Bürgerjournalisten beim Blick auf Konfliktregionen deshalb so großen Gebrauch, weil durch sie die Hegemonie traditioneller Medien in Frage gestellt wird.

„Provozierend erscheint nun, dass auch „die Anderen“ sich zunehmend in der Herstellung und Verbreitung solcher Bilder als ebenbürtig erweisen. Westliche Hegemonie musste zur Absicherung ihrer militärischen Übermacht stets auch auf visuelle Politiken bauen und konnte dies, solange sie in den Technologien der Informationsübermittlung überlegen war.“ (Wenk 2008: 34)

Die hier diskutierte Frage, kommt letztlich auf ein Thema zurück, welches in diesem Blick schon an anderer Stelle diskutiert wurde: die Haltung eines Journalisten oder Fotojournalisten. Nach Ansicht des Autors ist es wichtig, dass Journalisten und Fotojournalisten eine eigene politische Haltung entwickeln und auch im Journalismus beibehalten. Denn sie sind aufgefordert, vor allem wenn es um gewalthaltige Konflikte geht Position zu beziehen. Ihre Arbeit muss dann daran gemessen werden, inwieweit sie in ihrer Arbeit professionell vorgehen und Standards einhalten, ob es Blogger, Fotografen für ein alternatives Kollektiv oder Korrespondenten großer Tageszeitung oder Agenturjournalisten sind. Daran sollten sie sich messen lassen, nicht nach den Veröffentlichungskanälen und auch nicht danach, ob sie eine politische Haltung in ihren Beruf mit einbringen. Wobei natürlich auch einer Haltung dahingehend Grenzen gesetzt sein sollten, das volksverhetzende, zu Gewalt aufrufende, die Menschenrechte anderer in Frage stellende Meinungen nicht tolerierbar sind.


Literatur:

Wenk, Silke (2008): Sichtbarkeitsverhältnisse: Asymmetrische Kriege und (a)symmetrische Geschlechterbilder, in: Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror: Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse, Hentschel, Linda (Hrsg.), Berlin: b_books, S. 29 - 49.

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