Der Amerikaner Stephen
Shore ist einer der bekanntesten künstlerisch-dokumentarischen Fotografen
unserer Zeit. In den vergangenen Jahren hat er am Projekt „This Place“ über
Israel und die Westbank mitgewirkt. Im vergangenen Herbst sprach ich mit ihm
über seine theoretischen Reflexionen über das Medium Fotografie, die er im Buch
„The Nature of Photographs“ veröffentlicht hat.
FK: Herr Shore, neben ihrer fotografischen Arbeit schreiben sie auch über
Fotografie. Wo sehen sie den Unterschied im Schreiben über Fotografie und in
ihrer eigenen fotografischen Arbeit?
SS: Mein Schreiben ist
sehr viel theoretischer und eine Destillierung der Beobachtungen meines
Prozesses als Fotograf oder des fotografischen Prozesses. Was ich bisher immer
vermieden habe, ist über den Inhalt von Bildern zu schreiben, weil ich Fotografie
so sehr als deskriptives Medium liebe. Ich ärgere mich immer wieder über Leute,
die sich ständig mit der Bedeutung ihrer eigenen Bilder beschäftigen. Ich bin
dagegen der Meinung, dass Bilder für sich selbst stehen können. Wenn eine gute
Fotografie funktioniert, aktiviert sie viele verschiedene Ebenen, auch
unbewusste. Manchmal wissen Künstler überhaupt nicht, wie viele Ebenen durch
ihre Arbeit aktiviert werden. Wenn sie dann beschreiben, was das Bild für sie
bedeutet, gibt dies nicht das ganze Bild wieder. Die Bedeutung eines Bildes ist
oft viel größer als das, was sie beschreiben. Dies möchte ich vermeiden. Ich möchte, dass Fotografie Fotografie ist und dass
Schreiben etwas anderes ist.
FK: Ihr bekanntes Schreibprodukt ist das Buch "The Nature of Photographs",
das viele Fotografen beeinflusst hat. An einer Stelle im Buch schreiben sie,
dass fotografieren ein interaktiver Prozess zwischen der Wahrnehmung und einem
mentalen Zustand ist. Könnten sie dies genauer ausführen?
SS: Wenn ein Fotograf
die Welt betrachtet, sieht er, oder besser sehe ich – und ich sollte hinzufügen
dass ich normalerweise mit einer 8x10 Inch Kamera arbeite – die Welt nicht
durch die Linse der Kamera. Die 8x10 Inch Kamera ist keine Verlängerung des
Auges. Das Bild entsteht immer im Kopf des Fotografen. Ich weiß, wie das Bild
aussehen wird, bevor ich es mache. Man sucht das Bild nicht mit seiner Kamera.
Die Kamera ist nur ein Hilfsmittel um das zu zeigen, für was ich mich
entschieden habe. Wir haben es also mit einem mentalen Bild zu tun. Und im Fall
einer 8x10 Inch Kamera hat dies auch praktische Gründe, weil die Kamera so groß
und unhandlich ist, dass die Arbeit mit ihr nur funktioniert, wenn man das Bild
vorher im Kopf hat. Die Kamera ist dann das Handwerkszeug, die das Bild vollendet.
Ich denke, das gleiche gilt auch für Fotografen die mit einer Kleinbildkamera
arbeiten, nur das der Prozess schneller und intuitiver abläuft. Auch sie haben
das Bild im Kopf, bevor sie es machen. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht,
dass wir eine festgefügte Idee davon haben, was das Bild sein wird. Die
Fotografie basiert auf dem, was wir sehen. Darum habe ich gesagt, dass der
Ausgangspunkt die Wahrnehmung ist und die generiert ein Bild in unserem Kopf,
welches uns wiederum sagt, was wir mit der Kamera machen sollen.
FK: Wenn wir jetzt die Frage nach dem Inhalt
dazunehmen, wo liegt dessen Bedeutung? Sehen sie auch den Inhalt, wenn das Bild
im Kopf entsteht?
SS:
Der Inhalt ist nicht in theoretischer Form vorhanden, ich denke nicht darüber
nach. Manchmal sagen mir z.B. Studenten, dass sie ihrer Arbeit das Thema
Identität umsetzen. Ich weiß nicht einmal ob ich sagen kann, was das bedeutet.
Ich arbeite so nicht. Aber ich erkenne, wenn eine Beziehung entsteht, zwischen
dem Inhalt den ich sehe und mir selbst. Es ist ein Gefühl das ich dann habe,
dass dieser Inhalt eine Bedeutung hat. Diese muss nicht unbedingt
intellektueller Natur sein, es kann auch emotional oder spirituell, oder alles
zusammen sein. Aber wenn ich dieses Gefühl spüre, weiß ich das dort ein Bild
ist.
FK: Sie schreiben in "The Nature of
Photographs" dass die Fotografie eine analytische Disziplin ist. Meinen
sie damit was wir gerade diskutiert haben?
SS:
Nein, darunter verstehe ich etwas viel einfacheres. Ich nutze diese Definition
um die Fotografie von der Malerei zu unterscheiden, die ein synthetisches
Produkt ist. Man startet mit einer weißen Leinwand und jeder Strich, den der Künstler
setzt, fügt dem Bild Komplexität hinzu. Das ist das Kennzeichnende für alle
synthetischen Disziplinen. Eine analytische Disziplin macht genau das
Gegenteil. Man startet mit der Welt und sucht eine Struktur in ihr, oder stülpt
ihr die eigene Struktur über. Meist ist es eine Verknüpfung aus beidem.
FK: Ich habe das Gefühl, dass die Unterscheidung die sie gerade
gemacht haben, sehr wichtig ist für den Diskurs über Fotografie, weil sie dazu
beiträgt, den Diskurs über Fotografie vom Diskurs der Kunstgeschichte zu
trennen. Denn der Diskurs der Kunstgeschichte kommt aus der Malerei und bezieht
sich somit auf ein synthetisches Produkt.
SS: Richtig. Genauso
ist es. Ich habe schon darüber geschrieben, dass viele Menschen die über
Fotografie schreiben, ein Vokabular benutzen, welche aus der Kunstgeschichte
kommt, einfach nur deshalb, weil sowohl Fotografie als auch Malerei rechteckige
bildnerische Darstellungsformen sind. Der Begriff der Komposition ist ein gutes
Beispiel dafür. Komposition beschreibt einen synthetischen Prozess. Wenn
Fotografen anfangen zu komponieren, werden ihre Bilder allzu sehr vereinfacht.
Meiner Ansicht nach denken die meisten interessanten Fotografen, die ich kenne,
nicht einmal im Traum darüber nach, dass das, was sie tun, etwas mit
komponieren zu tun hat.
FK: Herr Shore, vielen Dank für das Gespräch.
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