Montag, 4. Mai 2015

Krieg ohne Krieg


Krieg und Gewalt sind von Anbeginn der Fotografie zentrale Gegenstände und wichtige Themen dieses Mediums. Vor allem der zeitgenössische Journalismus in Europa ist auf fotografische Bilder angewiesen, damit die Menschen sich ein Bild von sozialen und politischen Konflikten sowie kriegerischen Ereignissen machen können. Die Medienkarawane ist dabei meist dann vor Ort, wenn es kracht und knallt und die Eskalation ihren Höhepunkt erreicht hat. Einen ganz anderen Ansatz hat der Schweizer Fotograf Meinrad Schade gewählt und sich auf eine Spurensuche an den Rändern der Konflikte vor, neben und nach dem Krieg begeben. Die Resultate sind zurzeit in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen.

Wolgograd (ehemals Stalingrad), Russische Föderation, 2009 © Meinrad Schade

Die von Martin Gasser kuratierte Ausstellung ist in sechs Kapitel unterteilt. Während der Prolog einen Überblick über die Themen gibt, sind die anderen Kapitel geografisch und thematisch geordnet. Im Kapitel „Siegreich“ geht es um Erinnerungskultur in Kiew und Wolgograd, „Vertrieben“ zeigt den Flüchtlingsalltag in Tschetschenien und Inguschetien, in „Verstrahlt“ beschäftigt sich Schade mit den Folgen der Atombombentests in Kasachstan und „Isoliert“  porträtiert die Enklave Nagorny-Karabach. Das Kapitel „Ausgestellt“ hingegen zeigt Bilder von einer Waffenmesse in Paris sowie der „War and Peace Show“ im englischen Beltring. Das neueste Kapitel „Umkämpft“ widmet sich Israel und dem Westjordanland.

Auf der Bildebene findet man eine Mischung aus Landschaftsaufnahmen, Porträts und der Dokumentation politischer Ereignisse. Welch große inhaltliche Tiefe die Bilder haben, zeigt sich wenn man die ausführlichen Einführungstexte und Bildunterschriften dazu nimmt. Dadurch ergibt sich ein zweite, über das visuelle hinausgehende Lesart. Die Präsentation und die Hängung vermeiden jede Hierarchisierung der Bilder und unterstützen auf angenehme Art und Weise den dokumentarischen Charakter des Projekts. Die hellen Holzrahmen mit Passepartouts wirken angenehm unprätentiös. Durch den Ort und das Jahr der Aufnahme kann jedes Bild genau kontextualisiert.

Am verstörendsten sind die Bilder Schades, die sich dem Patriotismus widmen. Hier zeigt sich, wie sich Militärparaden, Erinnerungskultur, Nationalgeschichte und Erziehung zu einem gefährlichen Gebräu vermischen, egal ob in der Ukraine, in Russland oder in Berg-Karabach. Die herausragende Bedeutung des Patriotismus ist das eigentlich verbindende dieser Regionen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Hier zeigt sich das fatale Erbe des zentralistischen, kommunistischen Sowjetimperiums. Der in der Ausstellung zitierte Satz von Joshua Sobol „Von einem Moment zum anderen stehen wir vielleicht wieder im Krieg“ sollte uns allen als Mahnung dienen.

Was die Ausstellung deutlich macht, ist das Meinrad Schade ein feiner Beobachter des Zeitgeschehens ist. Seine Fotografien haben die richtige Mischung aus Distanz und Nähe. Nie hat man das Gefühl, den Abgebildeten zu nahe zu kommen, in ihre Intimsphäre einzudringen. Es braucht nicht den Schock von Leichen und Verletzten, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie explosiv die Situation in den ehemaligen Sowjetrepubliken ist und wie gezeichnet Mensch und Natur von den Konflikten der Region sind. Damit ist Meinrad Schade vielen seiner Fotografenkollegen um Längen voraus.

Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Mai 2015 zu sehen. Die Fotostiftung ist von Dienstag bis Samstag Uhr von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung erscheint eine Sonderausgabe des Magazins Reportagen (März 2015) mit einer Palästina-Reportage von Christian Schmidt, Fotografien von Meinrad Schade und Bildbetrachtungen von Daniele Muscionico. Der entsprechende, von Nadine Olonetzky herausgegebene Bildband ist im Züricher Verlag Scheidegger&Spieß erschienen (ISBN 978-3-85881-452-4, ca. 270 Seiten, 163 Illustrationen, vierfarbig). Mehr zu sehen gibt es auf der Webseite von Meinrad Schade.
 

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