Krieg und Gewalt sind von Anbeginn der Fotografie
zentrale Gegenstände und wichtige Themen dieses Mediums. Vor allem der
zeitgenössische Journalismus in Europa ist auf fotografische Bilder angewiesen,
damit die Menschen sich ein Bild von sozialen und politischen Konflikten sowie
kriegerischen Ereignissen machen können. Die Medienkarawane ist dabei meist
dann vor Ort, wenn es kracht und knallt und die Eskalation ihren Höhepunkt
erreicht hat. Einen ganz anderen Ansatz hat der Schweizer Fotograf Meinrad
Schade gewählt und sich auf eine Spurensuche an den Rändern der Konflikte vor,
neben und nach dem Krieg begeben. Die Resultate sind zurzeit in der
Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen.
Wolgograd (ehemals Stalingrad), Russische Föderation, 2009 © Meinrad Schade |
Die von Martin Gasser
kuratierte Ausstellung ist in sechs Kapitel unterteilt. Während der Prolog
einen Überblick über die Themen gibt, sind die anderen Kapitel geografisch und
thematisch geordnet. Im Kapitel „Siegreich“ geht es um Erinnerungskultur in
Kiew und Wolgograd, „Vertrieben“ zeigt den Flüchtlingsalltag in Tschetschenien
und Inguschetien, in „Verstrahlt“ beschäftigt sich Schade mit den Folgen der
Atombombentests in Kasachstan und „Isoliert“ porträtiert die Enklave Nagorny-Karabach. Das Kapitel
„Ausgestellt“ hingegen zeigt Bilder von einer Waffenmesse in Paris sowie der
„War and Peace Show“ im englischen Beltring. Das neueste Kapitel „Umkämpft“
widmet sich Israel und dem Westjordanland.
Auf der Bildebene findet man
eine Mischung aus Landschaftsaufnahmen, Porträts und der Dokumentation
politischer Ereignisse. Welch große inhaltliche Tiefe die Bilder haben, zeigt
sich wenn man die ausführlichen Einführungstexte und Bildunterschriften dazu
nimmt. Dadurch ergibt sich ein zweite, über das visuelle hinausgehende Lesart.
Die Präsentation und die Hängung vermeiden jede Hierarchisierung der Bilder und
unterstützen auf angenehme Art und Weise den dokumentarischen Charakter des
Projekts. Die hellen Holzrahmen mit Passepartouts wirken angenehm unprätentiös.
Durch den Ort und das Jahr der Aufnahme kann jedes Bild genau kontextualisiert.
Am verstörendsten sind die
Bilder Schades, die sich dem Patriotismus widmen. Hier zeigt sich, wie sich
Militärparaden, Erinnerungskultur, Nationalgeschichte und Erziehung zu einem
gefährlichen Gebräu vermischen, egal ob in der Ukraine, in Russland oder in
Berg-Karabach. Die herausragende Bedeutung des Patriotismus ist das eigentlich
verbindende dieser Regionen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Hier
zeigt sich das fatale Erbe des zentralistischen, kommunistischen Sowjetimperiums.
Der in der Ausstellung zitierte Satz von Joshua Sobol „Von einem Moment zum
anderen stehen wir vielleicht wieder im Krieg“ sollte uns allen als Mahnung
dienen.
Was die Ausstellung deutlich
macht, ist das Meinrad Schade ein feiner Beobachter des Zeitgeschehens ist.
Seine Fotografien haben die richtige Mischung aus Distanz und Nähe. Nie hat man
das Gefühl, den Abgebildeten zu nahe zu kommen, in ihre Intimsphäre
einzudringen. Es braucht nicht den Schock von Leichen und Verletzten, um einen
Eindruck davon zu bekommen, wie explosiv die Situation in den ehemaligen
Sowjetrepubliken ist und wie gezeichnet Mensch und Natur von den Konflikten der
Region sind. Damit ist Meinrad Schade vielen seiner Fotografenkollegen um
Längen voraus.
Die
Ausstellung ist noch bis zum 17. Mai 2015 zu sehen. Die Fotostiftung ist von
Dienstag bis Samstag Uhr von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung erscheint
eine Sonderausgabe des Magazins Reportagen (März 2015) mit einer
Palästina-Reportage von Christian Schmidt, Fotografien von Meinrad Schade und
Bildbetrachtungen von Daniele Muscionico. Der entsprechende, von Nadine
Olonetzky herausgegebene Bildband ist im Züricher Verlag Scheidegger&Spieß
erschienen (ISBN 978-3-85881-452-4,
ca. 270 Seiten, 163 Illustrationen, vierfarbig). Mehr zu sehen gibt es auf der Webseite von Meinrad Schade.
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