Die
Bilder vom Krieg in der Ukraine formen unsere Wahrnehmung des Konflikts. Doch
was darf man zeigen? Michael Biedowicz, Bildredakteur beim ZEITmagazin, und
Donald Weber von World Press Photo sprachen darüber mit Annette Streicher. Dies ist die erste Folge einer
zweiteiligen Gesprächsreihe des Magazins Ostpol, die hier als Gastbeitrag gekürzt
wiedergegeben wird.
ostpol:
Wenn ein Konflikt eskaliert wie in der Ukraine oder ein Flugzeug abstürzt –
welche Bilder sind ethisch vertretbar, um solche Ereignisse zu vermitteln?
Biedowicz:
Das ist eine ganz alte Diskussion, ob grausame Bilder abstoßen, was man zeigen
darf und was nicht. Da wird jede Zeit sich neu definieren. Inzwischen gibt es
die Tendenz, dass man zu explizite Bilder nicht zeigt, solche auswählt, die
keine offenen Wunden zeigen. Man will die Dramatik zeigen, aber keine Übelkeit
erzeugen.
Ein
subtiles Bild aus der Ukraine hat gerade im Wettbewerb World Press Photo,
erstaunlicherweise in der Kategorie Nachrichten, gewonnen: Das Stilleben „Wrecked
life“ des russischen Fotografen Sergei Ilnitsky, aufgenommen nach einem
Granateneinschlag in Donetsk. Ein gutes Beispiel?
Biedowicz:
Ein tolles Bild. Man sieht eine Alltagssituation, die radikal durch Krieg
versehrt ist: Ein gedeckter Tisch mit frischen Früchten, der plötzlich nicht
mehr einladend ist, sondern zerstört. Leben und Tod sind auf dem Bild
versammelt.
Weber:
Dieses Bild geht weit über die etablierte, überbetonte ästhetische Bildsprache
im Fotojournalismus hinaus, weil es direkt den Kern der Sache trifft. Als
Fotograf bin ich vor allem Überbringer einer Botschaft, nicht viel mehr. Der
Grund, weshalb das Bild auf so unterschiedlichen Ebenen funktioniert, ist sein
universeller Kontext. Es steht stellvertretend für den universellen Begriff von
Zuhause, und das kann jedem von uns jederzeit wegbrechen.
Biedowicz:
Sehr erstaunlich, dass es in dieser Kategorie gewonnen hat, das ist wirklich
ein Novum. Denn normalerweise schaut man hier eigentlich immer in schmerzverzerrte
oder leere Gesichter, das war das bisherige Muster.
Weber:
Ich habe mich für das Bild stark gemacht, weil ich denke, dass viele von einem
falschen Nachrichtenbegriff ausgehen. Sogar für das Gewinnerfoto des Jahres
haben wir viel Kritik kassiert: Wie könnt ihr in einem Jahr voll großer
Nachrichtenereignisse – der Abschuss der MH17, Krieg in der Ukraine,
ISIS-Terror - dieses subtile Foto eines schwulen Pärchens auswählen? Viele
messen den Nachrichtenwert nicht am Inhalt, sondern an der visuellen Darstellung.
Das ist aus meiner Sicht absolut falsch und der Grund, warum der
Fotojournalismus korrumpiert ist.
Die
im Wettbewerb World Press Photo gekürten Bilder lösen in jedem Jahr
Kontroversen aus. Unter den Gewinnerserien waren in diesem Jahr auch zwei
Foto-Essays aus der Ukraine, von der blutigen Eskalation auf dem Maidan sowie
von der Absturzstelle der MH17. Der französische Magnum-Fotograf Jérôme Sessini
zeigt den leblosen Körper eines Passagiers, noch immer an den Sitz geschnallt,
in einem Weizenfeld in der Ostukraine.
Biedowicz:
Das ist ein Bild, das ich grenzwertig finde. Ich weiß nicht, ob man das drucken
kann, weil da jemand zu sehen ist. Und wir wissen nicht, ob es ihm recht ist,
dass dieses Bild in einem Magazin erscheint. Die Würde des Toten, die Würde des
Menschen – wenn es um diese Bereiche geht, ist die Fotografie gefährdet. Nah
heran gehen ist verführerisch, aber Distanz wäre besser. Mich schockt das Foto
sehr, ich finde, es überschreitet die Grenze des Legitimen.
Weber: Das
betrachte ich als ein Argument, das sich aus westlichem Chauvinismus speist,
wie er in Europa und den USA vorherrscht. Es soll sozusagen nicht ‚okay’ sein,
einen von uns derart zu zeigen, es ist aber in Ordnung, solche Bilder auf einem
anderen Kontinent zu machen – wo die Menschen exotisch aussehen, oder anders
als wir. Nach den Rechten eines toten Kindes in Afrika fragt niemand, und
solche Bilder werden immer durchgewunken und in Magazinen gezeigt. Ich finde das Bild relevant und akzeptabel. Ich
glaube, wir müssen solche Sachen zeigen, unserer eigenen Menschlichkeit willen,
und können nicht so tun, als wäre nichts passiert, wenn tatsächlich alles
passiert ist.
Das komplette Interview mit
Bildbeispielen finden Sie auf Ostpol. Der Beitrag entstand im Rahmen von Stereoscope Ukraine, einem Projekt von
n-ost.
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