Vor kurzem las ich in Vorbereitung eines Seminars
erneut einen Text des Kommunikationswissenschaftlers Hans-Matthias Kepplinger,
der sich mit unterschiedlichen Formen von Ereignissen im Journalismus
beschäftigt*. Seine Unterscheidung von Ereignis- und Berichtsebene sowie die
Herleitung der drei Ereignisformen genuin, mediatisiert und inszeniert, nutze
ich seit einiger Zeit in Seminaren und Workshops, die sich kritisch mit
Fotojournalismus und massenmedialer Bildberichterstattung beschäftigen. An
dieser Stelle möchte ich der Frage nachgehen, was es heißt, die drei
Ereignisformen auf den Fotojournalismus zu übertragen und eine Diskussion
darüber anregen.
Dabei steht im Vordergrund
die Frage, was es für das fotografische Abbild eines Ereignisses bedeutet, ob
das Ereignis selbst ein genuines, mediatisiertes oder inszeniertes Ereignis
war. Denn verkürzt könnte man annehmen, dass eine Fotografie eines inszenierten
Ereignisses damit auch eine inszenierte Fotografie ist, also nicht nur das
Dargestellte sondern auch die Darstellung inszeniert sind. Genau das ist meiner
Ansicht nach ein Trugschluß. Eine der zentralen Normen im Fotojournalismus ist
die Authentizitätsnorm. Sie ergibt sich aus der Augenzeugenschaft des
Fotojournalisten bzw. der Fotojournalistin und besagt, dass von Seiten des
Fotojournalisten bzw. der Fotojournalistin kein Eingriff in die Bildsituation
erlaubt ist. Darüber hinaus soll das Bild fotografisch so umgesetzt werden,
dass ein natürlicher Bildeindruck entsteht. Gleichzeitig sind auch im
Fotojournalismus inszenierte Fotografien erlaubt, beispielsweise bei einem
Porträt, wo der Fotograf die Fotografierten dirigiert.
Was dies in der Praxis
heißt, möchte ich an einem Beispiel vom Jahresbeginn veranschaulichen. Dabei geht es zum einen um die Frage, was
inszeniert ist, das Ereignis oder die Fotografie und zum anderen die Rolle der
darin involvierten Akteure. Am Rande einer Solidaritätsdemonstration für
Charlie Hebdo nach dem Terroranschlag auf die Redaktion, kamen Dutzende Staats-
und Regierungschefs nach Paris. Am Rande der Demonstration gab es in einer
Seitenstrasse einen Fototermin für die Presse, wo sich die Staatslenker in
einer geschlossenen Reihe den Fotografen zeigten. Die Fotografen lichteten das
Ereignis so ab, wie es die Presseabteilung geplant hatte**. Trotzdem allem
handelt es sich in diesem Fall um ein genuines Nachrichtenbild eines
inszenierten Ereignisses, da der Fotograf bzw. die Fotografin nicht in das
Geschehen eingegriffen haben bzw. eingreifen konnten. Hier wird sehr schön auch
die Unterscheidung zwischen Dargestelltem und Darstellung deutlich. Inszeniert
war das Dargestellte, nicht die Darstellung***. Als inszenierte Fotografie wäre
das Bild dann zu bezeichnen gewesen, wenn die Inszenierung der Situation vom
Fotografen ausgegangen wäre, als manipulierte Fotografie, wenn der Fotografie
den Bildinhalt digital verändert hätte.
Einige mögen diese
Darlegungen möglicherweise als intellektuelle Spitzfindigkeiten abtun, oder
darin analytische Spielchen sehen. Dem möchte ich jedoch vehement
widersprechen. Meiner Ansicht nach
haben wir es zunehmend mit einem Glaubwürdigkeitsverlust der Medien unter
anderem aufgrund pauschal geäußerter Manipulations- und Inszenierungsvorwürfen
in Bezug auf den Fotojournalismus zu tun. Diese rutschen jedoch, da sie völlig
unspezifisch geäußert werden, ins Beliebige ab. Wenn alles inszeniert und
manipuliert ist, dann gibt es keine Wahrheit, dann gibt es keine Verantwortung
der involvierten Akteure. Dies halte ich für fatal. Deswegen plädiere ich an
dieser Stelle dafür, dieser Beliebigkeit eine detaillierte Analyse
entgegenzustellen, die in der Lage ist, die medialen Konstruktionsprinzipien zu
hinterfragen und nachvollziehbar zu machen. Das auseinander dividieren von
Ereignis- und Medienrealität, von Dargestelltem und Darstellung und den damit
verbundenen Implikationen halte ich für einen wichtigen Teil davon.
* Kepplinger, Hans Mathias (2001): Der Ereignisbegriff in der Publizistikwissenschaft,
in: Publizistik 46 (2), S. 117 -
139.
** Pressetermine und Fotoereignisse wie diese stellen
einen elementaren Teil symbolischer Politik dar und finden sich auf
Pressekonferenzen, Gipfeltreffen, etc.
*** Problematisch war
dagegen die Verwendung der Bilder in vielen Medien. Hier wurde das Bild in
vielen Fällen so in die Berichterstattung eingefügt und ungenau
kontexualisiert, dass der Konsument annehmen konnte, die Staatslenker hätten
tatsächlich die Demonstration angeführt. Dies ist ein gravierender Fehler, der
jedoch nicht den Charakter des Nachrichtenbildes sondern dessen Verwendung
betrifft.
Wie wichtig wird die von Ihnen hier als so bedeutsam festgestellte Differenzierung „…von Ereignis- und Medienrealität, von Dargestelltem und Darstellung und den damit verbundenen Implikationen …“ des Nachrichtenbildes, wenn das Nachrichtenbild so vom Fotografen/von der Fotografin „gestaltet“ wurde, dass es nur so (wie geschehen) verwendet werden kann?
AntwortenLöschenNicht die Verwendung des Bildes in den Medien, sondern die Gestaltung des so verwendeten Bildes war problematisch. Die Fotografen/Fotografinnen haben den Auftrag erfüllt, das Bild so zu gestalten, dass „…das Bild (…)so in die Berichterstattung eingefügt und ungenau kontexualisiert (werden konnte d. Verf.), dass der Konsument annehmen konnte, die Staatslenker hätten tatsächlich die Demonstration angeführt“. Nun zu sagen, dass die Fotografen/Fotografinnen sich redlich an den Maßgaben der „glaubwürdigen“, journalistischen Fotografie gehalten hätten, ist unredlich. Es ist m.E. ein wissenschaftlich verbrämtes rausschleichen aus der Verantwortung und ein Festhalten an der überkommenen Vorstellung eines wahren Fotojournalismus`.
H. Nau