Die iranisch-amerikanische Künstlerin Shirin Neshat
ist eine wichtige Größe auf dem internationalen Kunstmarkt und hat ihre
Arbeiten auf fast allen wichtigen internationalen Kunstfestivals gezeigt, wie
z.B. der Biennale in Venedig. Zurzeit sind ihre Arbeiten in einer großen
Retrospektive in der Tübinger Kunsthalle zu sehen. Darunter ist auch einer
ihrer wichtigsten fotografischen Werkkomplexe, die Serie "Book of
Kings".
Der Ursprung der Serie, der
2012 zum ersten Mal öffentlich gezeigt wurde, geht auf das Jahr 2010 zurück und
war von der grünen Revolution im Iran und dem arabischen Frühling inspiriert.
"Book of Kings" ist eine dreiteilige, inszenierte Porträtserie. In
New York fotografierte Neshat aus dem Iran und der arabischen Welt stammende
Menschen vor einem schwarzen Hintergrund. Die Porträtierten teilt Sie dabei in
drei Gruppen ein: Patrioten, Schurken und Massen. Die Einteilung folgt dabei
nicht persönlichen Merkmalen der Porträtierten, sondern einer willkürlichen
Zuordnung der Künstlerin. Der Titel ist an das Nationalepos Shahnameh
(The Book of Kings) des iranischen Dichters Abū
ʾl-Qāsim Firdausī aus dem 10. Jahrhundert
angelehnt.
Blick auf die Präsentation von "Book of Kings" in der Tübinger Ausstellung |
Laut Neshat handelt es sich
bei den drei Gruppen um "diejenigen, die die Macht bekämpfen, diejenigen,
die die Macht innehaben, und diejenigen, die einfach unbeteiligte Zuschauer
sind". Zahlenmäßig stellen die Massen die größte Gruppe dar. Die Menschen
werden im Kopfporträt dargestellt. Die zweitgrößte Gruppe sind die Patrioten,
im Brustporträt fotografiert und mit Hand auf dem Herz. Die kleinste Gruppe
sind die Schurken, bestehend aus drei Ganzkörperporträts im mehr als
lebensgroßem Format. Während sich bei den Massen und Patrioten Textzeilen auf
dem Gesicht der Porträtierten befinden, zieren die Körper der Schurken
Kriegsszenen aus historischen Zeichnungen.
In ihrer Bildsprache knüpft
Neshat an ihre frühen Arbeiten an, vor allem die Serie "Woman of
Allah", mit der sie in den 1990er Jahren internationalen Bekanntheitsgrad
erlangte. Die persischen Schriftzeichen wirken damals wie heute ornamental und
sind für die nicht des Persischen mächtigen Besucher nichts als eine schöne Oberfläche.
Die Bilder von "The Book of Kings" wirken einfach und gefällig und
wie ein billiger Abklatsch ihrer frühen Arbeit. Dies liegt nicht nur an der
Bildsprache, sondern auch an der wahllosen Zuordnung der Porträtierten zu den
drei Gruppen. Weder erfährt man, was Schurken, Patrioten oder Massen ausmacht,
geschweige denn, ob jemand sowohl der einen wie der anderen Gruppe zugeordnet
werden kann.
Blick auf die Präsentation von "Book of Kings" in der Tübinger Ausstellung |
Die Texte könnten darauf
vielleicht eine Antwort geben. Aber da diese in Persisch gehalten sind und
weder die Künstlerin noch die Kuratoren es für nötig erachten, diese zu übersetzen,
ist das Wissen darum, dass es sich um Texte von Autoren und Autorinnen, die im
Iran unterdrückt werden, sowie um Briefe von Aktivisten der Grünen Bewegung aus
dem Gefängnis handelt, nichts als eine Plattitüde. Was sich hier exemplarisch
zeigt, ist was passiert, wenn eine Künstlerin wie Neshat die eigene
Formensprache immer wieder aufleben lässt und thematisch in genau der Nische
verbleibt, mit der sie groß geworden ist, die aber gleichzeitig auf Dauer die
Gefahr birgt, vereinfachten Klischees zu erliegen, was sich in Tübingen gut
beobachten lässt. Die Komplexität historischer Prozesse, die Zerrissenheit von
Menschen in politischen Umbruchssituationen, all diese Themen verschwinden
hinter der von orientalistischer Ornamentik überladenen Oberfläche.
Die Ausstellung "Shirin Neshat – Frauen in Gesellschaft"
ist noch bis zum 29. Oktober in der Kunsthalle Tübingen zu sehen. Es gibt ein
umfangreiches Begleitprogramm, das sich inhaltlich vor allem mit der Situation
von Frauen im Nahen und Mittleren Osten sowie der Fotografie und der Kunst der
Region befasst.
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