Vielleicht ist zu Beginn dieser Reflektion, ein Blick auf
meinen persönlichen Hintergrund durchaus wichtig. Für viele Jahre habe ich mich
in verschiedenen Organisationen mit der politischen Situation und den
Menschenrechten in Guatemala beschäftigt. Davon ist natürlich im Hinterkopf ein
bestimmtes Bild des zentralamerikanischen Landes geblieben. Wie jedes Bild ist
dieses natürlich subjektiv geformt. Es ist geprägt von den Erinnerungen an den
Bürgerkrieg und seine nicht verarbeiteten Folgen, vom Wissen um die
Gewaltwellen die das Land überzogen und überziehen, sowie dem Gedanken an die
krasse soziale Ungleichheit die im Land herrscht. Nicht verwunderlich also dass
ich mich frage, ob dieses Bild Guatemalas auch auf einem lokalen
Fotografie-Festival präsent ist.
Nun ist diese Frage natürlich erst ein Mal hypothetisch –
und als solches, also als reine gedankliche Spielerei, soll sie auch behandelt
werden – da ich ausser über die Webseite des Festivals keinen Überblick über
die Arbeiten habe, die auf dem Festival gezeigt werden. Ich kann also keine
Aussage treffen, ob z.B. die lokalen ausstellenden Fotografen diese von mir
angesprochene Perspektive – diesen Blick – auf ihr Land thematisieren oder
nicht. Aber ich kann Fragen in den Raum werfen die vielleicht das Potential
haben, über die aktuelle Form globalisierter Fotografie kritisch nachzudenken.
Denn mit nichts anderes haben wir es meiner Ansicht gerade
zu tun. Wenn es visuell kaum einen Unterschied macht, ob ein Fotografiefestival
in Deutschland, den USA, Japan oder Guatemala stattfindet, ist dies sicherlich
ein Ausdruck globalisierter Bildkultur. So weit so gut. Aber ist es das was wir
eigentlich wollen? Ist dies die Konsequenz der Dominanz bildjournalistischer
Fotografie europäischer und nordamerikanischer Prägung? Welchen Interessen wird
dies gerecht?
Bleiben wir noch ein Mal beim Beispiel Guatemala. Man kann
sicherlich vom Festival GuatePhoto nicht verlangen, die Realität des Landes
repräsentativ abzubilden. Aber sollte ein Festival nicht zumindest einen Blick
auf die sozialen Realitäten des Landes, in dem das Festival stattfindet,
aufzeigen? In Guatemala sind fast 60% der Bevölkerung Indigenas, meist
Nachfahren der Maya. Die – meist weiße – städtische Oberschicht macht nur einen
kleinen Teil der Bevölkerung aus. Aber visuell ist sie viel stärker
repräsentiert.
Ein anderer Blick auf eine guatemaltekische Fotoschule, die
Fototeca, zeigt dies deutlich. Dort wird der Workshop „Fotografie Documental y
Eventos“ (Dokumentarfotografie und Events)[2]
angeboten mit dem Ziel zu lernen, wie Hochzeiten in einem Dokumentarstil
fotografiert werden können. Unzweifelhaft lassen die Beispielbilder darauf
schließen, dass es hier um die weiße Oberschicht geht. Dies gilt auf ähnliche
Art und Weise auch für die Modefotografie der Region.
Ist es nun überzogen von Fotografie-Institutionen in
Guatemala und anderen Ländern des globalen Südens zu verlangen, dass sie sich
mit ihrer Gesellschaft beschäftigen? Ist es nicht wichtig, dass diese
Institutionen sich ihrer privilegierten Stellung in der Gesellschaft bewusst
sind und über die Grenzen der eigenen Schicht hinaus denken und vor allem
fotografieren? Was heißt dies im Umkehrschluss für Institutionen in
Deutschland? Was sind Themen und Felder die hier systematisch ausgeblendet
werden?
Ich denke, dass diese Perspektive hier wie dort wichtig ist.
Ebenso wie wir uns in Deutschland fragen müssen, wo das Bild und die
Perspektive Nicht-Weißer in den Medien ist und wie marginalisierte Gruppen in
der Fotografie repräsentiert werden bzw. sich dieses Medium aneignen, gilt dies
für alle anderen Länder der Welt ebenso. Natürlich darf die Konsequenz bezogen
auf Guatemala umgekehrt auch nicht der exotische, indigenistische Blick auf die
Gesellschaft sein, der nach visuellen Stereotypen in Form von alten Menschen in
Trachten vor armen Holzhütten sucht. Aber zwischen diesem Blick und demjenigen
auf die Welt der weißen Oberschicht, gibt es unzählige Realitäten die zu zeigen
ungemein interessant ist und die zweifelsohne auch gezeigt werden. Vielleicht
bedarf es ein bisschen mehr der Anstrengung, diese Perspektiven auch zugänglich
zu machen.