Die Frage nach der Wahrheit in
der Fotografie ist so alt wie das Medium selbst. Im März referierte in der Berlinischen
Galerie der Bildredakteur des ZEIT-Magazins Michael Biedowicz zum Thema „Die wa(h)re Fotografie – Über die Arbeit mit Bildern im Journalismus“.
Der Vortrag war Teil der Tagung „Missung
Links & Forschungslücken“ welche die Deutsche Gesellschaft für Photografie (DGPh) in Berlin aus Anlass
des 175-jährigen Jubiläums der Fotografie veranstaltet hatte. In seiner
anschaulichen und sehr nachvollziehbaren Präsentation schlug Biedowicz den
Bogen von seiner praktischen Arbeit als Bildredakteur des Zeit-Magazins zu
generellen Fragen nach Wahrheit und Ethik in der journalistischen Fotografie.
Welche Missing Links sein Vortrag zu Tage brachte ist das Thema dieses
Beitrags.
Der Vortrag von Biedowicz startet
mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Fotografie. Er sprach von der
Sehnsucht der Menschen nach der Echtheit der Fotografie und verdeutlichte, dass
es einen Unterschied gebe zwischen dem, was die Menschen von der Fotografie
erwarten und dem, was sie leisten kann. Des Weiteren machte er deutlich, dass sich
die Fotografen und Bildredakteure dessen sehr wohl bewusst seien, da schon die
Wahl des Ausschnitts eine neue Realität erschaffe und die Fotografie dem
Anspruch „objektiv“ zu sein nicht genügen könne. Was Biedowicz dem absoluten
Wahrheitsbegriff für die Dokumentarfotografie entgegensetzte, war der Begriff
der Autorenschaft, mit dem der Fotograf die Rolle eines Autors bekommt, der mit
einer persönlichen Bildsprache etwas über eine bestimmte soziale und
gesellschaftliche Realität aus einem subjektiven Blickwinkel erzählt. Biedowicz
hob darüber hinaus hervor, wie wichtig Kontrolle und Recherche von Seiten der
publizierenden Medien seien, um Manipulationen auszuschließen. Das Zeit-Magazin
arbeitet deswegen bezogen auf die Dokumentarfotografie in der Regel nur
exklusiv mit Fotografen zusammen mit denen ein Vertrauensverhältnis besteht.
Darüber hinaus schilderte Biedowicz den Umgang des ZEIT-Magazins mit der
Modefotografie, der Food-Fotografie sowie der inszenierten Porträtfotografie,
die einen wesentlichen Teil der Visualisierung des Magazins ausmachen und wo
andere Regeln gelten als in der journalistischen Fotografie. So werde in der
Porträt- und der Modefotografie der Prozess der Bildentstehung von Seiten der
verschiedenen involvierten Akteure gesteuert und ein manipulativer Eingriff
sowohl vor der Bildentstehung als auch bei der Postproduktion am digitalen Bild
sei Gang und Gebe. Für die Food-Fotografie dagegen macht er einen Trend weg von
überstylten, künstlich präparierten Szenerien hin zu natürlichen Essensdarstellungen
aus.
Aus seiner Erfahrung mit den
verschiedenen fotografischen Ansätzen sprach er sich dafür aus, dass für die
verschiedenen Bereiche der Fotografie unterschiedliche Regeln gelten sollten.
So machte er deutlich, dass nur für die Dokumentarfotografie strenge Regeln und
Codes vor allem bezüglich der Postproduktion und der digitalen Bildbearbeitung
sinnvoll seien. Bei anderen Bereichen wie der Werbefotografie seien die
Postproduktion und die digitale Bearbeitung nachher sowie das umfangreiche
Arrangieren vorher dagegen ein elementarer Teil des Gewerbes. Inhaltlich ist
den Ausführungen von Michael Biedowicz bezüglich der Frage des Wahrheitsgehalts
der Fotografie nichts hinzuzufügen. Er steckte hier den Rahmen klar ab, machte
deutlich was Fotografie leisten kann und was nicht und zeigte anschaulich, wie
unterschiedlich die Herangehensweisen in der Dokumentar- und der
Werbefotografie sind.
Problematisch an den von
Biedowicz vorgetragenen Überlegungen zum Thema Wahrheit in der Fotografie war
die Fokussierung auf die Person des Fotografen. Dabei ist natürlich nicht zu
verleugnen dass der Fotograf die Produktion des eigentlichen Bildes zu
verantworten hat. Aber Fotografien sind im 20. Und 21. Jahrhundert zu komplexen
Medienprodukten geworden, an denen vor allem im Distributions- und
Redaktionsprozess eine Vielzahl von Akteuren beteiligt sind. Dies wird nicht
zuletzt am auch von Biedowicz gezeigten ikonischen Bild des Vietnamkriegs von
Nick Ut deutlich. Der umstrittene Beschnitt des Bildes wurde nicht vom
Fotografen sondern vom Bildredakteur vorgenommen. Aber diejenigen, die mit
ihrer Persönlichkeit auch heute noch für die Authentizität stehen und bei
Fehlverhalten ihren Job riskieren, sind vor allem die Fotografen. Die
Industrie, die Unternehmen, die Redakteure, die Teil des Systems sind, welches
Codes und Normen vorgibt die von den Fotografen erlernt und übernommen werden,
müssen nicht um ihren Ruf fürchten. Aber genau dort geht es um die WARE
Fotografie. Es ist ein Angebotsmarkt und die Käufer entscheiden mit, welche
Bildsprache mehr Wert hat als eine andere und pushen damit Fotografen zu immer
spektakuläreren Bildern. So ist z.B. das Mantra des sogenannten „clean frame“, dass keine anderen
Fotografen oder Journalisten in Fotografien auftauchen sollen, zu großen Teilen
den Wünschen der Kunden geschuldet. Hier wäre ein bisschen mehr Selbstkritik
auf Seiten der Redaktionen und Verlage angebracht. Darüber hinaus ist es auch
für die Medienwissenschaft eine weitere Forschungslücke, das Thema der
Authentizität und der Wahrheit in der journalistischen Fotografie nicht nur aus
einer subjekt-zentrierten sondern auch einer systemischen Perspektive zu
analysieren.
Was im Vortrag des Weiteren offen
blieb ist die Frage, inwieweit die Konsumenten sich über diese Unterschiede
zwischen den fotografischen Spielarten bewusst sind. Biedowicz argumentierte,
der Konsument wisse durch den eigenen Umgang mit der digitalen Fotografie im
Allgemeinen und Produkten wie Instagram im Besonderen über die Fotografie
Bescheid. Er sprach den Lesern das Vertrauen aus, dass diese über die
unterschiedlichen Standards Bescheid wüssten. Dies ist jedoch zu kurz gegriffen
und eine recht einfache und bequeme Position. Grundsätzlich müsste erst ein Mal
eine Rezeptionsforschung der Frage nachgehen, wie Konsumenten Bilder beurteilen
und ob sie unterschiedliche Standards an der Dokumentarfotografie und der
Werbefotografie festmachen oder nicht. Skepsis ist angebracht woher der Leser
das Wissen, über die unterschiedlichen Produktionsprozesse und die daraus
entstehenden Standards nehmen soll. Diese Form der Bild- und Medienkompetenz
wird weder in Schule und Universität erlernt, noch lässt sie sich nur durch den
Medienkonsum allein aneignen. Dagegen stehen vor allem die Präsenz und die
Allgegenwart von Bildern: wenn Medienkonsumenten eine Botschaft daraus ziehen,
wie Bilder journalistischer und werblicher Herkunft gleichberechtigt in den
publizistischen Medien nebeneinander stehen, dann dass für beide auch gleiche
Kriterien gelten. Woher soll der Konsument wissen, dass es für die Zunft
legitim ist, ein Künstlerporträt einem umfangreichen Postproduktionsprozess zu
unterziehen, in dem im Hintergrund Autos wegretuschiert werden, wie es
Biedowicz an einem Beispiel schilderte, dies aber gleichzeitig bei einem Bild
aus der dokumentarischen Fotografie nicht passiert? Vor allem dann nicht, wenn
die Veränderung des Bildinhalts nicht kenntlich gemacht wird. Ein einfaches (M)
für manipuliert im Bildkredit könnt hier einen fundamentalen Unterschied
machen.
Darüber, warum dies nicht
passiert, kann hier nur spekuliert werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass die
Medien-Branche das Kriterium der Glaubwürdigkeit der Fotografie braucht, damit
Menschen sich der Visualisierung nicht verweigern und weiterhin gerne Bilder und
deren Botschaften konsumieren. Das Problem an dieser vermeintlichen
Gleichwertigkeit ist, dass vor allem die Mode- und Porträtfotografie von der
Glaubwürdigkeit und den Standards der Dokumentarfotografie profitiert, da die
Konsumenten vermutlich ALLEN Bildern erst einmal den Glauben der Authentizität
schenken. Umgekehrt besteht jedoch das Risiko, dass ein offenerer Umgang mit
dem Thema auch die Glaubwürdigkeit der Dokumentarfotografie trotz der hohen
Standards gefährden würde. Dies wäre umso dramatischer, da sie sowieso schon
ein Nischendasein im Markt fristet. Von den Publikationsmedien sowie von den
Bildredakteuren ist mehr Transparenz und mehr Offenheit gegenüber den Lesern
und Konsumenten einzufordern. Was spricht gegen eine Kennzeichnung von Bildern
aus denen der Grad der Bearbeitung hervorgeht? Darüber hinaus muss die
medienwissenschaftliche Forschung sich stärker mit der Frage beschäftigen, wie
Bilder rezipiert werden und über welches Bildwissen die Leser verfügen. Nur
dann kann erreicht werden, dass Pressefotografie kritisch gelesen und
analysiert werden kann und dabei sowohl die Glaubwürdigkeit journalistischer
Fotografie erhalten werden, als auch die Unterschiede zu anderen Spielarten der
Fotografie klar hervortreten können.
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