Donnerstag, 20. März 2014

Journalistische Fotografie und die Frage der Wahrheit


Die Frage nach der Wahrheit in der Fotografie ist so alt wie das Medium selbst. Im März referierte in der Berlinischen Galerie der Bildredakteur des ZEIT-Magazins  Michael Biedowicz zum Thema „Die wa(h)re Fotografie – Über die Arbeit mit Bildern im Journalismus. Der Vortrag war Teil der Tagung „Missung Links & Forschungslücken“ welche die Deutsche Gesellschaft für Photografie (DGPh) in Berlin aus Anlass des 175-jährigen Jubiläums der Fotografie veranstaltet hatte. In seiner anschaulichen und sehr nachvollziehbaren Präsentation schlug Biedowicz den Bogen von seiner praktischen Arbeit als Bildredakteur des Zeit-Magazins zu generellen Fragen nach Wahrheit und Ethik in der journalistischen Fotografie. Welche Missing Links sein Vortrag zu Tage brachte ist das Thema dieses Beitrags.

Der Vortrag von Biedowicz startet mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Fotografie. Er sprach von der Sehnsucht der Menschen nach der Echtheit der Fotografie und verdeutlichte, dass es einen Unterschied gebe zwischen dem, was die Menschen von der Fotografie erwarten und dem, was sie leisten kann. Des Weiteren machte er deutlich, dass sich die Fotografen und Bildredakteure dessen sehr wohl bewusst seien, da schon die Wahl des Ausschnitts eine neue Realität erschaffe und die Fotografie dem Anspruch „objektiv“ zu sein nicht genügen könne. Was Biedowicz dem absoluten Wahrheitsbegriff für die Dokumentarfotografie entgegensetzte, war der Begriff der Autorenschaft, mit dem der Fotograf die Rolle eines Autors bekommt, der mit einer persönlichen Bildsprache etwas über eine bestimmte soziale und gesellschaftliche Realität aus einem subjektiven Blickwinkel erzählt. Biedowicz hob darüber hinaus hervor, wie wichtig Kontrolle und Recherche von Seiten der publizierenden Medien seien, um Manipulationen auszuschließen. Das Zeit-Magazin arbeitet deswegen bezogen auf die Dokumentarfotografie in der Regel nur exklusiv mit Fotografen zusammen mit denen ein Vertrauensverhältnis besteht. Darüber hinaus schilderte Biedowicz den Umgang des ZEIT-Magazins mit der Modefotografie, der Food-Fotografie sowie der inszenierten Porträtfotografie, die einen wesentlichen Teil der Visualisierung des Magazins ausmachen und wo andere Regeln gelten als in der journalistischen Fotografie. So werde in der Porträt- und der Modefotografie der Prozess der Bildentstehung von Seiten der verschiedenen involvierten Akteure gesteuert und ein manipulativer Eingriff sowohl vor der Bildentstehung als auch bei der Postproduktion am digitalen Bild sei Gang und Gebe. Für die Food-Fotografie dagegen macht er einen Trend weg von überstylten, künstlich präparierten Szenerien hin zu natürlichen Essensdarstellungen aus.

Aus seiner Erfahrung mit den verschiedenen fotografischen Ansätzen sprach er sich dafür aus, dass für die verschiedenen Bereiche der Fotografie unterschiedliche Regeln gelten sollten. So machte er deutlich, dass nur für die Dokumentarfotografie strenge Regeln und Codes vor allem bezüglich der Postproduktion und der digitalen Bildbearbeitung sinnvoll seien. Bei anderen Bereichen wie der Werbefotografie seien die Postproduktion und die digitale Bearbeitung nachher sowie das umfangreiche Arrangieren vorher dagegen ein elementarer Teil des Gewerbes. Inhaltlich ist den Ausführungen von Michael Biedowicz bezüglich der Frage des Wahrheitsgehalts der Fotografie nichts hinzuzufügen. Er steckte hier den Rahmen klar ab, machte deutlich was Fotografie leisten kann und was nicht und zeigte anschaulich, wie unterschiedlich die Herangehensweisen in der Dokumentar- und der Werbefotografie sind.

Problematisch an den von Biedowicz vorgetragenen Überlegungen zum Thema Wahrheit in der Fotografie war die Fokussierung auf die Person des Fotografen. Dabei ist natürlich nicht zu verleugnen dass der Fotograf die Produktion des eigentlichen Bildes zu verantworten hat. Aber Fotografien sind im 20. Und 21. Jahrhundert zu komplexen Medienprodukten geworden, an denen vor allem im Distributions- und Redaktionsprozess eine Vielzahl von Akteuren beteiligt sind. Dies wird nicht zuletzt am auch von Biedowicz gezeigten ikonischen Bild des Vietnamkriegs von Nick Ut deutlich. Der umstrittene Beschnitt des Bildes wurde nicht vom Fotografen sondern vom Bildredakteur vorgenommen. Aber diejenigen, die mit ihrer Persönlichkeit auch heute noch für die Authentizität stehen und bei Fehlverhalten ihren Job riskieren, sind vor allem die Fotografen. Die Industrie, die Unternehmen, die Redakteure, die Teil des Systems sind, welches Codes und Normen vorgibt die von den Fotografen erlernt und übernommen werden, müssen nicht um ihren Ruf fürchten. Aber genau dort geht es um die WARE Fotografie. Es ist ein Angebotsmarkt und die Käufer entscheiden mit, welche Bildsprache mehr Wert hat als eine andere und pushen damit Fotografen zu immer spektakuläreren Bildern. So ist z.B. das Mantra des sogenannten „clean frame“, dass keine anderen Fotografen oder Journalisten in Fotografien auftauchen sollen, zu großen Teilen den Wünschen der Kunden geschuldet. Hier wäre ein bisschen mehr Selbstkritik auf Seiten der Redaktionen und Verlage angebracht. Darüber hinaus ist es auch für die Medienwissenschaft eine weitere Forschungslücke, das Thema der Authentizität und der Wahrheit in der journalistischen Fotografie nicht nur aus einer subjekt-zentrierten sondern auch einer systemischen Perspektive zu analysieren.

Was im Vortrag des Weiteren offen blieb ist die Frage, inwieweit die Konsumenten sich über diese Unterschiede zwischen den fotografischen Spielarten bewusst sind. Biedowicz argumentierte, der Konsument wisse durch den eigenen Umgang mit der digitalen Fotografie im Allgemeinen und Produkten wie Instagram im Besonderen über die Fotografie Bescheid. Er sprach den Lesern das Vertrauen aus, dass diese über die unterschiedlichen Standards Bescheid wüssten. Dies ist jedoch zu kurz gegriffen und eine recht einfache und bequeme Position. Grundsätzlich müsste erst ein Mal eine Rezeptionsforschung der Frage nachgehen, wie Konsumenten Bilder beurteilen und ob sie unterschiedliche Standards an der Dokumentarfotografie und der Werbefotografie festmachen oder nicht. Skepsis ist angebracht woher der Leser das Wissen, über die unterschiedlichen Produktionsprozesse und die daraus entstehenden Standards nehmen soll. Diese Form der Bild- und Medienkompetenz wird weder in Schule und Universität erlernt, noch lässt sie sich nur durch den Medienkonsum allein aneignen. Dagegen stehen vor allem die Präsenz und die Allgegenwart von Bildern: wenn Medienkonsumenten eine Botschaft daraus ziehen, wie Bilder journalistischer und werblicher Herkunft gleichberechtigt in den publizistischen Medien nebeneinander stehen, dann dass für beide auch gleiche Kriterien gelten. Woher soll der Konsument wissen, dass es für die Zunft legitim ist, ein Künstlerporträt einem umfangreichen Postproduktionsprozess zu unterziehen, in dem im Hintergrund Autos wegretuschiert werden, wie es Biedowicz an einem Beispiel schilderte, dies aber gleichzeitig bei einem Bild aus der dokumentarischen Fotografie nicht passiert? Vor allem dann nicht, wenn die Veränderung des Bildinhalts nicht kenntlich gemacht wird. Ein einfaches (M) für manipuliert im Bildkredit könnt hier einen fundamentalen Unterschied machen.

Darüber, warum dies nicht passiert, kann hier nur spekuliert werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Medien-Branche das Kriterium der Glaubwürdigkeit der Fotografie braucht, damit Menschen sich der Visualisierung nicht verweigern und weiterhin gerne Bilder und deren Botschaften konsumieren. Das Problem an dieser vermeintlichen Gleichwertigkeit ist, dass vor allem die Mode- und Porträtfotografie von der Glaubwürdigkeit und den Standards der Dokumentarfotografie profitiert, da die Konsumenten vermutlich ALLEN Bildern erst einmal den Glauben der Authentizität schenken. Umgekehrt besteht jedoch das Risiko, dass ein offenerer Umgang mit dem Thema auch die Glaubwürdigkeit der Dokumentarfotografie trotz der hohen Standards gefährden würde. Dies wäre umso dramatischer, da sie sowieso schon ein Nischendasein im Markt fristet. Von den Publikationsmedien sowie von den Bildredakteuren ist mehr Transparenz und mehr Offenheit gegenüber den Lesern und Konsumenten einzufordern. Was spricht gegen eine Kennzeichnung von Bildern aus denen der Grad der Bearbeitung hervorgeht? Darüber hinaus muss die medienwissenschaftliche Forschung sich stärker mit der Frage beschäftigen, wie Bilder rezipiert werden und über welches Bildwissen die Leser verfügen. Nur dann kann erreicht werden, dass Pressefotografie kritisch gelesen und analysiert werden kann und dabei sowohl die Glaubwürdigkeit journalistischer Fotografie erhalten werden, als auch die Unterschiede zu anderen Spielarten der Fotografie klar hervortreten können.


Anmerkung: Die Schreibweise „Photographie“ mit Ph statt mit F wird von Deutschen Photographischen Gesellschaft als Markenzeichen und aus Traditionsbewusstsein heraus benutzt. Wo dies hier so geschrieben wird ist es somit ein Zitat. Der Autor hält sich an die aktuelle Rechtschreibung.

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