Montag, 17. März 2014

Über das fotografische Erzählen vom Krieg


Vom 20.-22. Februar fanden im Berliner Haus der Kulturen der Welt die Thementage „Krieg erzählen“ statt. Im Vordergrund stand die Auseinandersetzung mit dem Paradox über ein soziales Phänomen wie den Krieg zu erzählen, das als „unbeschreiblich“ gilt und menschliches Fassungsvermögen übersteigt. Eingeladen waren Kriegsberichterstatter, Fotografen, Wissenschaftler und Menschenrechtler. Eines der Querschnittsthemen, das sich durch die Tagung zog, war die Frage nach den Möglichkeiten Krieg mit Hilfe der Fotografie in Bildern zu erzählen. So gab es am Freitagnachmittag und am Samstagmorgen mehrere Diskussionen in denen Wissenschaftler und Fotografen dem Thema in Dialogen auf den Grund gingen.

Die Lüche zwischen den Bildern

Den Anfang machten am Freitagnachmittag der Berliner Fotojournalist Sebastian Bolesch und der Kieler Kunsthistoriker Gerhard Paul zum Thema „Die Lücke zwischen den Bildern“. Sie versuchten der Frage auf den Grund zu gehen, wie der moderne Krieg in (fotografischen) Bildern umgesetzt werden kann. Kündigten Bolesch und Paul zu Beginn noch an, gleichberechtigt in einen Dialog zu treten, so übernahm Paul mit der Zeit das Zepter und forderte Bolesch mit seinen Thesen zu den Bilderkriegen heraus. Paul, der nach eigener Aussage noch nie in einem Kriegsgebiet gewesen ist, stellte grundsätzlich in Frage ob es möglich ist, Krieg bildnerisch darzustellen. In den von ihm präsentierten Bildbeispielen wies er immer wieder auf Manipulationen durch Medien und Fotografen hin. Er sprach davon, dass der Medienkonsument als Betrachter vorgeführt und betrogen werde und illustrierte dies zum Beispiel an der wohl bekanntesten Fotografie des Vietnamkriegs von Nick Ut eines nackten Mädchens. Bolesch oblag es, diesem sehr schwarz gezeichneten Verständnis visueller Kommunikation, seine Erfahrungen aus der Praxis entgegenzusetzen. Bolesch wies darauf hin, dass Bilder aus Kriegsregionen immerhin kleine Fenster in die Wirklichkeit seien, durch deren Masse sich ein nachvollziehbares Bild ergeben könne. Paul argumentierte, dass Fotografien für ihn keine Abbilder von Wirklichkeit sondern Waren auf dem Markt seien, worauf Bolesch konterte, dass dies im Kapitalismus für so gut wie jedes Produkt gelte, die Fotografie ebenso wie die wissenschaftliche Arbeit. Unklar blieb bis zum Schluss, was die Zielrichtung von Pauls Medienkritik ist, wenn er die Qualität der Kriegsfotografie an dem Anspruch misst, Krieg in seiner Komplexität nachvollziehbar machen zu können. Es gibt wohl kaum eine Repräsentationsform die diesem gerecht wird.

Was kostet erzählen?

Das Panel „Was kostet erzählen?“ am Samstagmittag widmete sich der Frage nach den Kosten fotojournalistischer Berichterstattung sowie dem Verhältnis von NGO`s und Fotografen im Feld. Moderiert vom Historiker Valentin Groebner diskutierten die Fotojournalisten Michael Kamber und Marcel Mettelsiefen sowie Kattrin Lempp, die bei Ärzte Ohne Grenzen e.V. die Öffentlichkeitsarbeit leitet. Es wurde schnell deutlich, dass es verschiedene Dimensionen der Kostenfrage für Einsätze in Krisenregionen gibt. So geht es einmal um die Sicherheitsausrüstung. Dazu kommen Ausgaben für Unterkunft, für Fahrer und Dolmetscher. Diese Kosten variieren, je nach Region und je nach Eskalationsstufe des Konflikts. Marcel Mettelsiefen erzählte, dass entsandte Fotojournalisten in der Regel nicht selbst über die Ausrüstung wie kugelsichere Westen etc. verfügten, da diese meist vom Auftraggeber gestellt wird. Deutlich wurde die Asymmetrie  zwischen Fotografen mit Redaktionsauftrag und Freelancern, die alle Kosten selbst tragen und in eine finanzielle Vorlage treten müssen. Vor allem Michael Kamber machte die moralische Verantwortung der Medien gegenüber den Freelancern deutlich. Marcel Mettelsiefen wies darauf hin dass sich die Kosten schnell auf 1.000 Dollar pro Tag summieren können wenn ein Auto, Fahrer und Dolmetscher nötig sind. Deutlich wurde dass seit der Medienkrise immer mehr dieser Kosten auf den Fotografen als Produzenten abgewälzt werden. Auf eine weitere Veränderung wies Michael Kamber hin: Er kritisierte, dass immer mehr junge, unerfahrene Fotoreporter als Freelancer ins Feld ziehen und deren Bilder zum Dumpingpreis von den Redaktionen aufgekauft würden. Dies sei vor allem in Lybien und in Syrien zu beobachten gewesen und habe unter anderem mit der guten Erreichbarkeit zu geringen Kosten von Europa aus zu tun.

Vor allem ausgehend von den Beiträgen Lempps wurden die verschiedenen Konzeptionen von Sicherheit deutlich. So wies sie darauf hin, dass für Ärzte ohne Grenzen als Organisation der humanitären Hilfe Akzeptanz der wichtigste Faktor für die Sicherheit des eigenen Personals sei und sie in der Regel nicht auf kugelsichere Westen und Sicherheitspersonal zurückgreifen würden. Auch wenn Marcel Mettelsiefen sich bemüßigt fühlte zu ergänzen, dass auch für Journalisten gute Netzwerke und die Akzeptanz in der lokalen Bevölkerung die beste Sicherheit seien, so wurde doch deutlich dass Fotografen heute in vielen Kriegsregionen im Einsatz sind, in denen der Einsatz von physischen Schutzmitteln zwingend notwendig ist. Vor allem die von den USA geführten Kriege im Irak und in Afghanistan sind hier Paradebeispiele, insbesondere aufgrund der hohen Anzahl von Journalisten die „embedded“ gearbeitet haben. Deutlich wurde des Weiteren, wie wichtig die Kooperation von NGO’s und Fotografen im Feld heute ist. Schon in der Veranstaltung zum Thema „Wer entscheidet?“ hatte die Vize-Direktorin von Human Rights Watch Carroll Bogert darauf hingewiesen, dass die Produktion von Bildmaterial für ihre Organisation sehr wichtig sei und dass dazu zum Teil immense Ressourcen aufgewendet werden müssen. Dabei hat dieses Verhältnis viele Facetten wie Lempp und Mettelsiefen ausführten. So sind die NGO’s ein wichtiger Ansprechpartner für Journalisten da diese über eine gute Infrastruktur verfügen und Zugänge ins Feld ermöglichen. Darüber hinaus verfügen internationale NGO’s heute über eigene Budgets für multimediale Produktionen und werden zunehmend als Auftraggeber für Journalisten und Fotografen interessant. Kattrin Lempp wies darauf hin, dass die Bedeutung der NGO’s als Informationsquelle aus Krisenregionen auch durch den Wegfall fester Korrespondentenstellen gestiegen sei. Das Problem daran sei jedoch, dass vor allem humanitäre Organisationen aufgrund ihrer Verpflichtung zur Neutralität keine politischen Kommentare abgeben dürften und somit nicht die journalistische Arbeit ersetzen könnten.

Von Bildern und Gegenbildern

In ein sehr intensives Zweiergespräch über „Bilder und Gegenbilder“ tauchten der Kunsthistoriker Peter Geimer und der Fotograf Marcel Mettelsiefen am frühen Samstagnachmittag ein. Erstaunlich war dabei das „Bild“ welches Peter Geimer von der zeitgenössischen Kriegsfotografie zeichnete und mit Beispielen aus der Pressefotografie und dem World Press Photo Award untermalte und den „Gegenbildern“ die Marcel Mettelsiefen entwickelte. Während Geimer das Bild des heroischen Kriegsfotografen und Abenteurers à la Robert Capa nachzeichnete, lehnte Mettelsiefen den Begriff Kriegsfotograf an sich für seine Arbeit ab, um sich stattdessen als Fotojournalist zu verorten, der immer wieder auch aus Kriegs- und Krisenregionen berichtet. Auch in vielen anderen Panels war deutlich geworden dass die als „Kriegsreporter“ eingeladenen Journalisten dieses Label in der Regel ablehnen. Mettelsiefen wies darüber hinaus auf die Unterscheidung in unterschiedlichen Formate wie Nachrichtenfotografie und Dokumentarfotografie hin, die jeweils anderen Gesetzmäßigkeiten folgen und andere Ergebnisse produzieren. Schon am Vortag war beim Gespräch zwischen Gerhard Paul und Sebastian Bolesch deutlich geworden, wie sehr Kriegsfotografie in seiner analytischen Betrachtung auf Einzelbilder aus der Nachrichtenfotografie reduziert wird und davon ausgehend Schlüsse auf das ganze Gewerbe gezogen werden. Geimer vernetzte Bildbeispiele mit Artikelzitaten und Ausschnitten aus einem Interview mit dem Fotografen Luc Delahaye zu einem kritischen Bilddiskurs. So sprach er in Bezug auf das bekannte Gewinnerbild des World Press Photo 2012 von Samuel Aranda, das eine tief verschleierten jemenitischen Frau zeigt die den halbnackten Körper ihres Sohnes in den Armen hält, den Whitening-Vorwurf an: Der hohe Kontrast in Bildern haben zur Folge, dass die Hautfarbe der Menschen oft hell erscheine, obwohl dies in der Realität nicht der Fall sei und damit westliche Sehgewohnheiten bedient würden. Anhand seines Kunduz Projektes schilderte Marcel Mettelsiefen, wie inszenierte Porträts eine Alternative Erzählform sein können und wie das Zeigen seines Projektes im Kunstkontext andere Formen des Auseinandersetzung außerhalb des journalistischen Rahmens erlaubt hätte. Er zeigte Verständnis dafür, wenn Fotografen versucht sind, den journalistischen Kontext zu verlassen und sich der Kunst zuzuwenden.
 
Schieflagen des Bilddiskurses

Eines der Ziele der Diskussionen zum Thema Fotografie und Krieg war laut der Kuratorin der Thementage Carolin Emcke, verschiedene Disziplinen miteinander in Dialog zu bringen: in diesem Fall namentlich die Fotografen aus der Praxis und ihre Arbeit analysierende (Kunst-) Wissenschaftler. An vielen Stellen hatte man den Eindruck, als müssten vor allem die Praktiker den Wissenschaftlern erst einmal erklären, was sie denn bei der Arbeit im Feld überhaupt machen. Deutlich wurde dabei, dass Wissenschaftler wie Gerhard Paul oder Peter Geimer die veröffentlichten Bilder als Produkte analysieren und nur über wenig Kenntnis des Produktionskontextes und –alltages sowie der Distribution verfügen. Genau dies führte eine (kunsthistorische) Analyse von Bildern an vielen Stellen ad absurdum. Denn die Fragen, welche die kunsthistorische Forschung interessieren, haben für die Praxis nur wenig Bedeutung und die Fragen die den Fotografen auf den Nägeln brennen, sind für die Wissenschaft oft banal. Darüber hinaus sind Fotografen oft mit dem Totschlagargumente des Manipulationsvorwurfs an ihr Gewerbe konfrontiert. Dies ist schade und deutet auf das allzu oft elitäre und abgehobene Gebaren wissenschaftlicher Bildanalyse hin. Denn wozu dient diese wenn sie nicht in der Lage ist, mit der Praxis in Dialog zu treten: nichts anderem als einem selbst referentiellen Wissenschaftsdiskurs. In seiner Eröffnungsrede zu den Thementagen sprach der Kurator des Haus der Kulturen der Welt Bernd M. Scherer von der Notwendigkeit, eine neue „Grammatik des Sehens“ zu entwickeln. Wie schwierig dies ist und welche Gräben dafür zwischen Produzenten, Konsumenten und Wissenschaftlern zu überwinden sind, dies wurde auf der Konferenz mehr als deutlich. Vor allem bezogen auf die Fotografie ist dabei die Frage nach der „agency“ zentral: Wer hat das Mandat über Fotografie zu sprechen und die Grundzüge einer Grammatik des Sehens zu schreiben: Die Fotografierten, die Fotografen, die Konsumenten oder die Bildwissenschaftler? Dass es nicht ausreicht Fotografen und Wissenschaftler an einen Tisch zu setzen ist bei den Thementagen deutlich geworden. Trotz allem gab es viele erkenntnisreiche Momente und es bleibt eine wichtige Aufgabe, weiter nach Formen und Formaten zu suchen, wie die verschiedenen Milieus miteinander ins Gespräch kommen können.


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