Bei der Diskussion um
Journalismus und Fotojournalismus in der arabischen Welt taucht immer wieder
der Begriff des Bürgerjournalismus bzw. Citizen Journalism auf. Meiner Ansicht
nach ist die Verwendung dieses Begriffs nicht unproblematisch und Teil einer
europäisch geprägten Sicht auf das Thema, wie der folgende Text aufzeigen will.
Viele Autoren, die sich mit
der Fragen der Medien im Allgemeinen und der Funktion von Journalismus in
Krisenzeiten im besonderen beschäftigen, kommen aus dem „Westen“, den USA und
Europa. In diesen Ländern gibt es eine lange Tradition des unabhängigen
professionellen Journalismus. Journalismus ist hier ein Beruf den man wählt und
mit dem ein bestimmtes Berufsverständnis verbunden wird. Die Länder, in den
dieser Journalismus seine Blüte erfahren hat, verfügen alle seit vielen
Jahrzehnten über stabile demokratische Verhältnisse. Konflikte sind eingehegt,
werden im demokratischen System verhandelt, mit Hilfe des Journalismus in den
Medien diskutiert. Was die Journalisten mit der Mehrheitsgesellschaft verbindet
ist ein über alle politischen Lager geltender demokratischer Grundkonsens.
Trotz allem gibt es immer wieder politische Themen, die auf die Straße und in
den politischen Protest getragen werden. Die Journalisten haben dort klar die
Funktion des Berichterstatters, Meinung wird in den Kommentarspalten der
Zeitungen abgedruckt. Für Medien, die nicht zum klassischen Establishment gehören,
wurde hier der Begriff der „alternativen Medien“ erfunden. Dazu kam eine
Bewegung des Bürgerfunks oder Bürgerfernsehens, wo hauptsächlich auf lokaler
Ebene Bürger zu Teilzeitjournalisten wurden, als Teil ihrer demokratische
Partizipation. Auch die Digitalisierung der Kommunikation hat dieses Verhältnis
nicht nachhaltig verändert. Letztlich lässt sich auch die Blogossphäre
weitgehend im klassischen Journalismus verorten, nur ohne die traditionellen
Medieninstitutionen.
Eine völlig andere Situation
findet sich in Ländern, die in den letzten Jahren revolutionäre Prozesse
durchgemacht haben, wie Ägypten, Lybien oder Tunesien. Der klassische
Journalismus in Zeitung und Fernsehen war dort größtenteils Staatsjournalismus,
von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Die dort arbeitenden Journalisten
waren das was im „Westen“ als professioneller Journalismus gesehen wird. Vor
allem weil für eine Beurteilung dessen, was professioneller Journalismus ist,
hauptsächlich die Routinen der Journalisten und ihre Institutionen betrachtet
wurden. In einer Situation des revolutionären Umbruchs sind nun Journalisten
wie Bürger mit der Frage konfrontiert, wie sie sich zum alten Regime sowie den
das Regime in Frage stellenden Bewegungen verhalten. Aus Sicht ihrer bis dato
gelebten professionellen Berufsrolle hinaus, müsste dies eigentlich eine
kritische Abwägung beider Positionen bedeuten, oder eine Verteidigung des alten
Regimes. Alle anderen, die außerhalb der traditionellen Strukturen des
Journalismus stehen und klar Position für die Revolution beziehen, werden
dagegen als Bürgerjournalisten bezeichnet. Damit sind nach Ansicht des Autors
eine klare Bewertung und eine Abwertung der Bürgerjournalisten verbunden.
Journalismus sollte nach der Qualität ihrer Produkte bewertet werden, nicht
nach der institutionellen Einbindung.
Ein weiterer wichtiger
Aspekt ist die Frage, welche Rolle die arabischen Fotografen und Journalisten
in ihren Gesellschaften einnehmen. Der klassische professionelle Journalismus,
wie er sich vor allem in den Staatsmedien in Ägypten zeigt, genießt im Land nur
eine sehr geringe Glaubwürdigkeit. Konsumenten ziehen es oft vor, Aktivisten
auf Facebook und Twitter oder bekannten Bloggern zu vertrauen. Diejenigen, die
aus westlicher Perspektive als Bürgerjournalisten bezeichnet werden, genießen
also größere Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit.
Wieder zurück zu westlich
sozialisierten Journalisten und Kommunikationswissenschaftlern: Aus ihrer Sicht
ist die Einteilung der Journalisten in Ägypten in professionelle Journalisten
und Bürgerjournalisten durchaus nachvollziehbar. Wenn sie die Strukturen, in
denen sie sozialisiert wurden übertrage, sehen sie natürlich nur in den
Journalisten der traditionellen, ehemals staatlichen Medien professionelle
Journalisten. Es gibt jedoch noch einen weiteren entscheidenden Punkt: die persönliche
Haltung eines Bürgers oder Journalisten gegenüber politischen, zum Teil
revolutionären Umbrüchen im eigenen Land. Westlich sozialisierte Journalisten
und Wissenschaftler standen zum Großteil nie selbst vor der Frage, im eigenen
Land Position beziehen zu müssen, nehmen sich aber heraus zu beurteilen, ob
dies in anderen Ländern professionell ist oder nicht. Hier liegt nach Ansicht
des Autors ein schwerwiegendes Problem. Anstatt den Menschen zuzugestehen
Position zu beziehen, werden durch ein Überstülpen im Westen entwickelter
Konzepte Rollen festgeschrieben. Eine weitere Absurdität kommt dazu: die
internationalen Medien und ihre Korrespondenten haben sich in Ägypten schnell
zum Sprachrohr der Revolution gemacht und den Widerstand vom Tahrirplatz
glorifiziert. Werden sie deswegen als Bürgerjournalisten bezeichnet? Mitnichten.
Aber ihre lokalen Kollegen, die in ihrem Land mit dem Risiko dafür verhaftet zu
werden ausserhalb der traditionellen Medien Journalismus und Fotojournalismus
betreiben, werden dagegen als Bürgerjournalisten abgestempelt.
Das lässt sich auch an einem
anderen Beispiel gut deutlich machen. In Israel gibt es ein Fotografenkollektiv
namens Activestills, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Widerstand
israelischer und palästinensischer Bürger gegen das Besatzungsregime zu
dokumentieren. Unter vielen der lokalen wie internationalen Journalisten die in
der Region tätig sind, sind sie als „Aktivisten mit der Kamera“ verschrien,
weil sie sich deutlich gegen das Besatzungsregime positionieren und dies öffentlich
kundtun. Natürlich kommt dazu, dass sich selbst auch zum Aktivistenspektrum
rechnen. Gleichzeit sehen sie sich aber auch als Dokumentarfotografen. Was nun
spricht dagegen, sie als professionelle Fotojournalisten zu betrachten? Nur der
Fakt, dass sie offen gegen die Mehrheitsmeinung ihres Landes und den
politischen Status Quo auftreten? Hier liegt meiner Ansicht nach ein Fehler.
Das, wonach sie bewertet werden sollten, ist die Qualität ihrer Arbeit, ihre
Bildsprache, ihre Bildunterschriften, die KOntextualisierung. Aber warum
negativ bewerten, wenn sich israelische Bürger aus berechtigten politischen
Argumenten gegen etwas wenden, was die internationale Staatengemeinschaft als
illegal bezeichnet. Vielleicht fühlen sich diese Fotografen moralisch dazu
verpflichtet, in diesem Konflikt Position zu beziehen. Das ist ihr gutes Recht
und sollte es auch sein. Nur wer aus der bequemen Position stabile
demokratischer Systeme heraus argumentiert, kann dies für unprofessionell
halten.
Möglicherweise findet die
Figur des Bürgerjournalisten beim Blick auf Konfliktregionen deshalb so großen
Gebrauch, weil durch sie die Hegemonie traditioneller Medien in Frage gestellt
wird.
„Provozierend erscheint nun, dass auch „die Anderen“
sich zunehmend in der Herstellung und Verbreitung solcher Bilder als ebenbürtig
erweisen. Westliche Hegemonie musste zur Absicherung ihrer militärischen Übermacht
stets auch auf visuelle Politiken bauen und konnte dies, solange sie in den
Technologien der Informationsübermittlung überlegen war.“ (Wenk 2008: 34)
Die hier diskutierte Frage,
kommt letztlich auf ein Thema zurück, welches in diesem Blick schon an anderer
Stelle diskutiert wurde: die Haltung eines Journalisten oder Fotojournalisten.
Nach Ansicht des Autors ist es wichtig, dass Journalisten und Fotojournalisten
eine eigene politische Haltung entwickeln und auch im Journalismus beibehalten.
Denn sie sind aufgefordert, vor allem wenn es um gewalthaltige Konflikte geht
Position zu beziehen. Ihre Arbeit muss dann daran gemessen werden, inwieweit
sie in ihrer Arbeit professionell vorgehen und Standards einhalten, ob es
Blogger, Fotografen für ein alternatives Kollektiv oder Korrespondenten großer
Tageszeitung oder Agenturjournalisten sind. Daran sollten sie sich messen
lassen, nicht nach den Veröffentlichungskanälen und auch nicht danach, ob sie
eine politische Haltung in ihren Beruf mit einbringen. Wobei natürlich auch
einer Haltung dahingehend Grenzen gesetzt sein sollten, das volksverhetzende,
zu Gewalt aufrufende, die Menschenrechte anderer in Frage stellende Meinungen
nicht tolerierbar sind.
Literatur:
Wenk, Silke (2008): Sichtbarkeitsverhältnisse:
Asymmetrische Kriege und (a)symmetrische Geschlechterbilder, in: Bilderpolitik
in Zeiten von Krieg und Terror: Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse,
Hentschel, Linda (Hrsg.), Berlin: b_books, S. 29 - 49.