Dienstag, 21. November 2017

„zeigen | andeuten | verstecken“ Visuelle Kommunikation zwischen Ethik und Provokation

Vom 07. bis 09. Dezember 2017 findet in Berlin die Tagung "zeigen |andeuten | verstecken - Visuelle Kommunikation zwischen Ethik und Provokation" statt. Die Veranstaltung ist eine Kooperation zwischen der Fachgruppe Visuelle Kommunikation der DGPuK und der Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen. Am zweiten Tag (8. Dezember) werde ich dort über das Fotojournalismusethik sprechen. Hier ist der Abstract zu meinem Vortrag:

Bildethik vs. Fotojournalismusethik
Von der Ethik des publizierten Bildes zur Ethik des fotojournalistischen Aktes

Insbesondere im Kontext fotojournalistischer Bilder aus politischen und gewalthaltigen Konflikten kommt es immer wieder zu kontrovers geführten Diskussionen über bildethische Fragestellungen. Meist geht es dabei um Fragen der Bildmanipulation sowie der Wirkung und den Folgen des Gezeigten auf die Betrachter. Das kennzeichnende Merkmal bildethischer Debatten ist, dass sie retrospektiv verlaufen, also ausgehend vom publizierten Bild geführt werden. Im Rahmen meiner Forschung über den internationalen Fotojournalismus in Israel/Palästina kam jedoch zu Tage, dass bezogen auf eine Ethik im Fotojournalismus für die Fotoreporter als Akteure im Feld andere Fragen relevant sind, die vor allem das Verhalten während des fotografischen Aktes betreffen und die in den bisherigen Debatten zum Thema Bildethik nicht oder nicht ausreichend thematisiert werden.

Ziel des Vortrages ist es, anhand konkreter Beispiele aus der fotojournalistischen Praxis in Israel/Palästina die Relevanz dieser Fragestellungen empirisch zu begründen und theoretisch zu verorten. Dafür wird nach einer Herausarbeitung der Besonderheit des fotografischen Aktes die Bildethik als eine Ethik des Bildhandelns hergeleitet, die Aufgrund der Fokussierung auf dem Bild als materiellem Produkt nur eingeschränkte Aussagekraft für den Moment der Produktion hat. Ausgehend von einer Klärung der Arbeitsbedingungen am foto-journalistischen Produktionsstandort Israel/Palästina werden konkrete Problemstellungen aus der fotojournalistischen Praxis in der Region diskutiert, die sich fünf Themenkomplexen zuordnen lassen: A.) Welches Verhalten ist erlaubt, um an Bilder zu kommen? B.) Wie sieht das Nähe-Distanz-Verhältnis zwischen Fotograf und Fotografiertem aus? C.) Wie wird mit einem Nein umgegangen? D.) Welche Rolle weisen die Fotografierten den Fotografen zu? E.) Soll ein Fotograf in die Situation vor der Kamera Eingreifen oder nicht? Für die daran anschließende theoretische Verortung der Fotojournalismusethik wird auf den in der Medienethik zentralen Begriff der Verantwortung zurückgegriffen und das von Ingrid Stapf entwickelte Modell gestufter Medienverantwortung für eine Bestimmung unterschiedlicher Verantwortungsebenen genutz.

Freitag, 27. Oktober 2017

Fotojournalismus aus lokaler Perspektive


Wer erzählt was über wen? Wer hat das Mandat, Bilder zu machen und diese zu vertreiben? Was sind relevante Bilder und Perspektiven, was nicht? All dies sind Fragen, die seit vielen Jahren die Fotokritik begleiten und vor allem, wenn es um Bilder aus außereuropäischen Regionen geht, auch aus einer post-kolonialen Perspektive große Relevanz haben. Von daher sollte grundsätzlich jeder Ansatz willkommen geheißen werden, der nicht-westliche fotografische Perspektiven präsentiert.

In dieser Hinsicht bieten der Herbst und Winter einige spannende Optionen. Während in Berlin noch bis zum 12. November in der Galerie FhochDrei der Gesellschaft für Humanistische Fotografie (GFHF) der Blick auf zeitgenössische Fotografie aus der Türkei gerichtet wird – unter anderem mit Bildern des sehr spannenden und vielseitigen Fotografenkollektives NarPhotos – zeigt das Prager Dox Center for Contemporary Art die Ausstellung "Over my Eyes: Stories from Iraq" mit Arbeiten irakischer Fotografen. Das Dox Center hat bereits 2014 mit der Ausstellung "This Place" einen ungewöhnlichen fotografischen Blick auf Israel/Palästina gelegt.

Blick in die Ausstellung im Dox Center for Contemporary Art in Prag


Die aktuelle, noch bis Anfang Januar 2018 Ausstellung zeigt vor allem Arbeiten von Fotografen der 2009 gegründeten irakischen Agentur Metrography. Konzipiert wurde die Ausstellung von DARSTprojects, einem Projekt zur Förderung zeitgenössischen dokumentarischen Erzählens, unter Leitung der italienischen Fotografen Stefano Carini und Dario Bosio, die beide einige Jahre als Bildredakteure für Metrography arbeiteten. Bildlich und inhaltlich erzählt die Ausstellung vom Alltag der Menschen abseits tagesaktueller Medienereignisse und gibt damit den Blick auf einen anderen, weniger bekannten Irak frei.

Ein wichtiges Element der Ausstellung ist auch das interaktive Onlineprojekt "Map of Displacement". Über zwölf Geschichten wird die Situation irakischer Binnenflüchtlinge erzählt, deren Flucht vor allem vom Krieg gegen den Islamischen Staat ausgelöst wurde und deren Zahl mit bis zu 3 Millionen angegeben wird. "Map of Displacement" ist eine Kollaboration zwischen den Fotografen von Metrography, dem Editorial-Team der Agentur sowie verschiedenen Textern aus der ganzen Welt.

Für die Vernissage im September wurden die an der Ausstellung beteiligten Fotografen wurden die Fotografen nach Prag eingeladen. In diesem Zusammenhang ist spannendes Hintergrundmaterial entstanden. So finden sich auf dem VIMEO-Kanal des Dox Center for Contemporary Art Interviews mit einzelnen Fotografen der Ausstellung sowie die Aufzeichnung einer sehr interessanten Podiumsdiskussion mit allen beteiligten Fotografen sowie den Kuratoren der Ausstellung.

Discussion with the authors of OVER MY EYES from DOX Centre for Contemporary Art on Vimeo.


Sonntag, 8. Oktober 2017

Vom Ursprung und der Zirkulation der Bilder


In der massenmedialen Kommunikation zirkulieren Unmengen von Bildern in den unterschiedlichsten Kontexten, ohne dass in der Regel für den Betrachter die dahinter stehenden Produktionsroutinen sichtbar werden würden. Damit verbunden sind Fragen danach, warum welche Ereignisse welche Bedeutung bekommen und wie diese bildnerisch dargestellt werden. Der Versuch, diesem in Form einer medienreflexiven Ausstellung auf den Grund zu gehen, haben Mitglieder der Gruppe Migrant Image Research Group unternommen.

Die Arbeit des Kollektivs, ist im Rahmen der Biennale für aktuelle Fotografie in der Rhein-Neckar-Region als Teil der von Florian Ebner kuratierten Ausstellung "Was sagt die Einstellung über die Einstellung?" zu sehen. Hinter der Migrant Image Research Group verbergen sich verschiedene Fotografen wie Armin Linke und Jan Wenzel sowie Wissenschaftler wie Estelle Blaschke die unter Federführung von Anne König und Armin Linke kritisch die Prozesse der Bildkommunikation über die sogenannte "Flüchtlingskrise" untersuchen. Ein Großteil des Recherchematerials wurde im Rahmen eines von Armin Linke geleiteten Forschungsprojekts an der HfG Karlsruhe vor sieben Jahren zusammengetragen.

Für die unter dem Titel "Lampedusa – Bildgeschichten am Rande Europas" laufende Ausstellungsbeteiligung im Mannheimer Zephyr hat sich die Gruppe auf Vorschlag des Spector Verlags ästhetisch für das Format der Graphic Novel bzw. der Zeichnung entschieden. So finden sich an den Wänden gezeichnete und mit Sprechblasen versehene Gesprächsszenen verschiedener Akteure wie NGO-Mitarbeiter, Fotografen und Bildredakteure, die ihr eigenes Arbeiten in Bezug auf das Thema reflektieren. Ergänzt wird dies durch zahlreiche Videos, in denen einzelne Akteure ausführlich Stellung nehmen.

 
Teil der Graphic Novel von Emilie Josso

Ausgangspunkt einer von Emilie Josso als Graphic Novel übersetzten Reflexion ist ein Bild des italienischen Fotografen Giuliio Piscitelli, das eine Gruppen von Menschen zeigt, die einen Sandhügel hintergehen. Dazu finden sich Kommentare wie "Ich mag dieses Bild, weil es das ikonische, stereotype Bild des Flüchtlings verschiebt" oder "Ich sag es mal provokant: Wenn wir einen Teil der Kleidung ändern würden, könnte es aussehen wie ein Werbefoto". Ähnlich finden sie viele weitere Kommentare unterschiedlicher Akteure. In den Videos hingegen kommt bspw. ausführlich der italienische, auf Lampedusa lebende Fotojournalist Maurizio Seminara oder der ägyptische Bildredakteur Hani Mustafa der Wochenzeitung Al-Ahram Weekly zu Wort.

Was die Ausstellung leistet, ist der medialen über Bild und Text vermittelten Erzählung über Migration nach Europa eine neue oder besser gesagt andere Erzählung gegenüberzustellen. Diese ist auf den ersten Blick informativ und zeigt Hintergründe und Paradoxien des Prozesses der Bildkommunikation auf, ohne dabei belehrend zu wirken. Gleichwohl schafft es das Projekt nicht wirklich, die in den Medien ablaufenden Prozesse schlüssig zu erklären. Vermutlich war dies auch nicht das Ziel des Projektes. Für den Herbst hat die Gruppe eine vom Fonds TURN der Kulturstiftung des Bundes geförderte Veröffentlichung bei Spector Books geplant (ISBN 978-3959051736, 280 Seiten, 28 Euro). Dabei soll es sich um eine ausgeweitete Graphic Novel zur Reflexion des bildnerischen Umgangs mit Lampedusa und dem Thema Migration handeln. Man darf darauf gespannt sein.

Aus der graphischen Reflexion von Emilie Jondo in der Mannheimer Ausstellung



Ähnliche Beispiele wie die Videos aus der Austellung, finden sich auf dem VIMEO-Kanal der Gruppe. Dort sind auch mehrere Gespräche mit dem schon erwähnten Fotojournalist Maurizio Seminara zu sehen.

Maurizio Seminara (02) – Photo Journalist on Lampedusa from Migrant Image Research Group on Vimeo.

Montag, 18. September 2017

Ein einfacher und gefälliger Blick auf die Geschichte

Die iranisch-amerikanische Künstlerin Shirin Neshat ist eine wichtige Größe auf dem internationalen Kunstmarkt und hat ihre Arbeiten auf fast allen wichtigen internationalen Kunstfestivals gezeigt, wie z.B. der Biennale in Venedig. Zurzeit sind ihre Arbeiten in einer großen Retrospektive in der Tübinger Kunsthalle zu sehen. Darunter ist auch einer ihrer wichtigsten fotografischen Werkkomplexe, die Serie "Book of Kings".

Der Ursprung der Serie, der 2012 zum ersten Mal öffentlich gezeigt wurde, geht auf das Jahr 2010 zurück und war von der grünen Revolution im Iran und dem arabischen Frühling inspiriert. "Book of Kings" ist eine dreiteilige, inszenierte Porträtserie. In New York fotografierte Neshat aus dem Iran und der arabischen Welt stammende Menschen vor einem schwarzen Hintergrund. Die Porträtierten teilt Sie dabei in drei Gruppen ein: Patrioten, Schurken und Massen. Die Einteilung folgt dabei nicht persönlichen Merkmalen der Porträtierten, sondern einer willkürlichen Zuordnung der Künstlerin. Der Titel ist an das Nationalepos Shahnameh (The Book of Kings) des iranischen Dichters Abū ʾl-Qāsim Firdausī aus dem 10. Jahrhundert angelehnt.

Blick auf die Präsentation von "Book of Kings" in der Tübinger Ausstellung


 

Laut Neshat handelt es sich bei den drei Gruppen um "diejenigen, die die Macht bekämpfen, diejenigen, die die Macht innehaben, und diejenigen, die einfach unbeteiligte Zuschauer sind". Zahlenmäßig stellen die Massen die größte Gruppe dar. Die Menschen werden im Kopfporträt dargestellt. Die zweitgrößte Gruppe sind die Patrioten, im Brustporträt fotografiert und mit Hand auf dem Herz. Die kleinste Gruppe sind die Schurken, bestehend aus drei Ganzkörperporträts im mehr als lebensgroßem Format. Während sich bei den Massen und Patrioten Textzeilen auf dem Gesicht der Porträtierten befinden, zieren die Körper der Schurken Kriegsszenen aus historischen Zeichnungen.

In ihrer Bildsprache knüpft Neshat an ihre frühen Arbeiten an, vor allem die Serie "Woman of Allah", mit der sie in den 1990er Jahren internationalen Bekanntheitsgrad erlangte. Die persischen Schriftzeichen wirken damals wie heute ornamental und sind für die nicht des Persischen mächtigen Besucher nichts als eine schöne Oberfläche. Die Bilder von "The Book of Kings" wirken einfach und gefällig und wie ein billiger Abklatsch ihrer frühen Arbeit. Dies liegt nicht nur an der Bildsprache, sondern auch an der wahllosen Zuordnung der Porträtierten zu den drei Gruppen. Weder erfährt man, was Schurken, Patrioten oder Massen ausmacht, geschweige denn, ob jemand sowohl der einen wie der anderen Gruppe zugeordnet werden kann.

Blick auf die Präsentation von "Book of Kings" in der Tübinger Ausstellung


Die Texte könnten darauf vielleicht eine Antwort geben. Aber da diese in Persisch gehalten sind und weder die Künstlerin noch die Kuratoren es für nötig erachten, diese zu übersetzen, ist das Wissen darum, dass es sich um Texte von Autoren und Autorinnen, die im Iran unterdrückt werden, sowie um Briefe von Aktivisten der Grünen Bewegung aus dem Gefängnis handelt, nichts als eine Plattitüde. Was sich hier exemplarisch zeigt, ist was passiert, wenn eine Künstlerin wie Neshat die eigene Formensprache immer wieder aufleben lässt und thematisch in genau der Nische verbleibt, mit der sie groß geworden ist, die aber gleichzeitig auf Dauer die Gefahr birgt, vereinfachten Klischees zu erliegen, was sich in Tübingen gut beobachten lässt. Die Komplexität historischer Prozesse, die Zerrissenheit von Menschen in politischen Umbruchssituationen, all diese Themen verschwinden hinter der von orientalistischer Ornamentik überladenen Oberfläche.

Die Ausstellung "Shirin Neshat – Frauen in Gesellschaft" ist noch bis zum 29. Oktober in der Kunsthalle Tübingen zu sehen. Es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm, das sich inhaltlich vor allem mit der Situation von Frauen im Nahen und Mittleren Osten sowie der Fotografie und der Kunst der Region befasst.


Montag, 26. Juni 2017

"Das rechte Bild zur rechten Zeit"


Die akademische Ausbildung von Fotografen und Fotografinnen hat in Deutschland eine lange Tradition. Eine der ersten Hochschulen, die Anfang der 1970er Jahre den Studienschwerpunkt Foto-Design anbot, war die Fachhochschule Dortmund. Zu einer ähnlichen Zeit entstanden in Deutschland auch neue Journalistikstudiengänge, unter anderem an der TU Dortmund. Im Gespräch mit Felix Koltermann für das BFF Magazin reflektieren mit Prof. Dr. Claus Eurich, seit 1976 Kommunikationswissenschaftler an der TU Dortmund sowie Prof. Kai Jünemann, seit 2015 Professor für Werbefotografie an der FH Dortmund, zwei Generationen von Hochschullehrern die Bedingungen zeitgenössischer Fotografieausbildung.



FK: Der Markt ist überfüllt, Amateure machen den Profis in vielen Bereichen Konkurrenz, es gibt die Rede von der "Bilderflut". Warum soll man in dieser Situation noch Fotografen ausbilden?

KJ: Genau aus dem Grund wahrscheinlich. Weil wir mehr Bilder brauchen und mehr Bilder nutzen als vorher und deshalb verstärkt Lernen müssen, diese Bilder zu lesen und zu bestimmen um eine bessere Bildkompetenz zu entwickeln. Ich finde es erschreckend, wie schnell teilweise von ambitionierten Amateuren, aber auch von Studierenden und Profis, Bilder auf den Markt geschmissen werden, ohne sich wirklich Gedanken darüber zu machen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Markt wirklich kleiner geworden ist oder einfach breiter in die Masse geht und dadurch bestimmte Auftragsvolumen kleiner geworden sind.

CE: Es gibt da eine Parallelität zur Diskussion im Journalismus. Wir haben auch da eine Grenzverschiebung dessen was professioneller Journalismus ist und was es, verbreitet durch die sozialen Netzwerke, an "Informationsschrott" auf dem Markt gibt. Für die Nutzer und Nutzerinnern wird es dabei immer schwieriger zu unterscheiden, was Qualität ist und was nicht. Als professionelle Ausbilder – und das ist glaube ich im Bereich der Fotografie ähnlich – erinnert uns das daran, uns noch mehr auf die Qualitätsstandards zu besinnen. Wir müssen uns davor hüten, mit dem Strom zu schwimmen und Stück für Stück nachzugeben, nur weil es scheinbar eingefordert wird.

Das vollständige Interview ist im BFF Magazin #7 "Perspective Snapshots" zu lesen, das im Buchhandel oder direkt beim Berufsverband Freie Fotografie und Filmgestalter erhältlich ist.

Donnerstag, 22. Juni 2017

Von der Fotografie als Protest


Der israelisch-palästinensische Konflikt ist nicht nur einer der am längsten schwelenden internationalen Konflikte, er ist auch ein – häufig sehr umstrittenes – Thema der Nachrichten, insbesondere wenn es um Bilder geht. Oft geht es dabei um die Frage, wo Dokumentation aufhört und wo Aktivismus beginnt, wie subjektiv die Fotografen sein dürfen und ob Bilder manipuliert wurden. Einen klaren Punkt in dieser Debatte setzt das Buch "Activestills – Photography as Protest in Israel/Palestine".



Wie der Titel schon verrät, ordnet das im englischen Verlag Pluto Press erschienene Buch die Arbeit des Fotografenkollektivs "Activestills" als eine Form des Protests ein. Dies ist insofern geschickt, als dass damit zum einen ein klares Branding vorgenommen wird, zum anderen bestimmte Fragestellungen bzgl. des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität der Fotografen geschickt umgangen werden. Was die Fotografen des Kollektivs verbindet, ist ihre politische Vision. Angelegt ist dies schon im Gründungsgedanken der Gruppe, die sich im Jahr 2005 rund um die Dokumentation der Protest des palästinensischen Dorfes Bi'lin gegen den Bau der Sperranlage gebildet hat.
 
Im Laufe der 12 Jahre gab es wachsende Konstellationen des Kollektivs. Heute besteht es aus 10 internationalen, israelischen und palästinensischen Fotografen. Verändert hat sich der Fokus der Arbeit, der weg von den wöchentlichen Demonstrationen in der Westbank hin zu sozialen Themen und Kämpfen in Israel sowie zu anderen politischen Themen in Bezug zum israelischen Besatzungsregime ging. Auch die Arbeit des Kollektivs hat sich professionalisiert, bspw. über ein sehr umfangreiches Online-Archiv, ohne dass das Kollektiv sich damit in Richtung einer Foto-Agentur mit Vermarktungszielen entwickelt hätte. So ist die Nähe zu den sozialen Bewegungen und dem zivilen Widerstand ist geblieben, wenn nicht gar durch langjährige gemeinsame Praxis gewachsen.

Das mit 320 Seiten sehr umfangreiche Buch wurde aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des Kollektivs publiziert. Auch wenn es viele Fotografien beinhaltet, ist es kein klassisches Fotobuch. Es ist in zwei Teile gegliedert, "Active" und "Stills". In beiden Teilen finden sich zu Beginn eher akademisch zu nennende Texte von versierten Autoren wie Ariella Azoulay, Vered Maimon, Meir Wigoder oder Simon Faulkner über Themen wie das Verhältnis von Protest und Fotografie, alternative Medien und fotografische Archive. Im ersten Teil gibt es dann je einseitige Statements von Aktivisten zur Arbeit des Kollektivs, während der zweite Teil die einzelnen Mitglieder des Kollektivs zu Wort kommen lässt.

Ein Beispiel für die Zirkulation der Bilder von Activestills innerhalb der politischen Bewegungen in der Region.

© Activestills


Innerhalb der publizistischen Landschaft zum Thema Fotografie und Israel/Palästina ist das Buch eine erfrischende Publikation. Geschickt führt es eine Vielzahl von akademischen und politischen Stimmen zusammen und zeichnet auf eindrückliche Weise die Bedeutung des Kollektivs für die sozialen Bewegungen der Region und den zivilen Widerstand gegen die israelische Besatzungspolitik nach. Toll ist zu sehen, wie in diesem Buch Kommentare von Vertretern der verschiedensten Bevölkerungsgruppen der Region Seite an Seite stehen und damit aufzeigen, dass ein gemeinsamer politischer Kampf möglich ist.

Vered Maimon/Shiraz Greenbaum: Activestills – Photography as Protest, London: Pluto Press, 320 Seite, ISBN: 978-0745336695, 24 Euro.

Webseite des Kollektivs: www.activestills.org


Montag, 19. Juni 2017

Autoreninterview zu "Fotoreporter im Konflikt"


Zu meinem im März bei transcript erschienen Buch ist auf der Webseite des Verlags ein kurzes Autoreninterview erschienen, dass ich an dieser Stelle teilen möchte. Es gibt einen kurzen Hintergrund zum Buchprojekt.


Warum ein Buch zu diesem Thema?

Wir sind tagtäglich von journalistischen Bildern umgeben, wissen aber viel zu wenig über deren Entstehungsbedingungen. Dazu kommt, dass der Nahostkonflikt sehr kontrovers diskutiert wird und nicht selten Manipulationsvorwürfe an Medien und vor allem an Bilder aus der Region gerichtet werden. Hier genauer hinzuschauen, erschien mir notwendig.

Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Mein Buch zeichnet sich durch eine doppelte Perspektive auf den Fotoreporter als Akteur aus. Aus einer konfliktwissenschaftlichen Perspektive geht es um den Fotoreporter als Akteur im Konflikt, aus  einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive um den Fotoreporter als Kommunikator. Die Kombination der beiden Perspektiven ermöglicht, fotojournalistisches Handeln im Konflikt umfassend zu diskutieren.

Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?

In aktuellen Debatten um Fotojournalismus und Kriegsfotografie lässt sich eine starke Fokussierung auf das Einzelbild beobachten, wodurch die sozialen Praktiken, die konstitutiv für die zu diskutierenden Bildwelten sind, weitgehend aus dem Blick geraten. Genau diese Praktiken sind Gegenstand meiner Forschung und wurden in Form einer Kommunikatorstudie herausgearbeitet.

Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?

Mit den Protagonisten und Protagonistinnen des Buches, die sich die Zeit genommen haben, mir aus ihrer Erfahrung im internationalen Fotojournalismus in Israel/Palästina zu erzählen.

Ihr Buch in einem Satz:

Die Strukturen des Fotojournalismus und damit auch das Handeln der Akteure ist immer abhängig vom politischen System und dessen Herrschaftsstrukturen.

Wessen Interesse nun geweckt ist und wer einen detaillierteren Einblick in das Buch über den internationalen Fotojournalismus in Israel/Palästina bekommen möchte, der findet unter diesem Link eine kleine Leseprobe.

Freitag, 16. Juni 2017

Vortrag "Fotoreporter im Konflikt"


Auf Einladung der Offenen Fachhochschule der FH Dortmund habe ich am 28. April 2017 über das Thema "Fotoreporter im Konflikt - Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina" referiert. Der Vortrag fand am Fachbereich Design statt und war gleichzeitig die Vorstellung meiner im transcript Verlag erschienenen Dissertation. Hier findet sich der Vortrag in voller Länger zum Anschauen.


Dienstag, 9. Mai 2017

Symposium "Images in Conflict"


Der Hannoveraner Studiengang "Fotojournalismus und Dokumentarfotografie" richtet am 17. und 18. Mai ein Symposium zum Thema "Images in Conflict" aus. Ziel des Symposiums ist es, in einen Austausch über zeitgenössische Praktiken über Bilder aus Konfliktregionen zu treten. Dabei treffen Expert_innen aus Theorie und Praxis aufeinander um in einen Diskurs über visuelle Zeugenschaft und emotionale Überzeugungskraft zu treten. Gäste sind unter anderem Geert van Kesteren, Dr. Vera Brandner, Prof. Adam Bromberg, Philipp Müller, Stephen Mayes, Santiago Lyon  und andere. Ich werde dort aus einer Akteursperspektive über den internationalen Fotojournalismus in Israel/Palästina sprechen Parallel zum Symposium wird in der "GAF – Galerie in der Eisfabrik" in Hannover eine Ausstellung zum Thema mit Arbeiten von Christoph Bangert, Edmund Clark, Harun Farocki, Ziyah Gafić, und anderen eröffnet.

Hier ein Auszug aus der Ankündigung der Veranstalter_innen:

"Bilder im Konflikt: fotografische und filmische Bilder von Krisen- und Konfliktsituationen verändern sich in Ästhetik und Gebrauchsweisen – und geraten damit selbst ins Visier. Zum einen haben sich im Zuge der digitalen Entwicklungen die BildproduzentInnen und Distributionskanäle von Bildern vervielfältigt. Das erweitert Perspektiven und ermöglicht neue Erzählformen. Zum anderen geht damit eine Erschütterung des klassischen bildjournalistischen Selbstverständnisses einher. Die Konkurrenz der visuellen Strategien sucht das Affektpotential der Bilder zu steigern. Zugleich wird hinterfragt, inwieweit Fotografien noch als Zeugnisse wirken können. Sie bewegen sich im Spannungsfeld von Wahrheitsansprüchen zwischen Authentizität, Objektivität und Propaganda. Ihre Kontextualisierungen und Rahmungen stellen Bedeutungen her – und erfordern Reflexion".

Veranstaltungsort des Symposiums ist das Auditorium in der Hochschule Hannover, Expo Plaza 2, 30539 Hannover. Die Vorträge finden teils in englischer (e), teils in deutscher (d) Sprache statt. Ein Dolmetscherservice wird auf vorherige Anfrage angeboten. Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung per email unter: image-matters@hs-hannover.de wird gebeten. Das komplette Programm findet sich auf der Webseite "Images Matter" die in Zukunft als Onlineplattform zu Thema ausgebaut werden soll.

Sonntag, 16. April 2017

Fotojournalismus verkommt zur Visualisierung


In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung von Ostern 2017 lässt sich ein trauriges Beispiel dafür finden, wie der Fotojournalismus in deutschen Medien immer stärker zu purer Illustration verkommt und gleichzeitig der Leser in die Irre geführt wird. Auf Seite 51 in der Rubrik Gesellschaft findet sich der Artikel "Endstation Lenin", eine Reportage des freien SZ Autors Jan Stremmel aus Transnistrien. Auf der rechten Seite finden sich relativ großformatig vier untereinander stehende Bilder des Fotografen Emile Ducke. Unter dem Teaser des Artikels steht "Text: Jan Stremmel, Fotos: Emile Ducke". Dies ist für den Leser zusammen mit dem Reportagestil des Textes und dem "wir" das dort benutzt wird in der Regel ein Hinweis dafür, das Autor und Fotograf zusammen unterwegs waren. Leider ist dem nicht der Fall, da die Bilder von Emile Ducke schon zwei Jahre alt sind und seit 2015 im Netz zu finden sind. Ich bin nur stutzig geworden, weil Emile Ducke mit seiner Serie aus Transnistrien einige Preise gewonnen hat und die Bilder deswegen recht oft zu sehen waren. In den Bildunterschriften findet sich jedoch kein Hinweis darauf, dass die Bilder aus dem Jahr 2015 sind und nicht auf der Reise mit Jan Stremmel entstanden sind. Dies ist mindestens ein handwerklicher Fehler.



Nun könnte man sagen, dabei handelt es sich um alltägliche Praxis wie deutsche Medien Visualisierung im Journalismus betreiben. Das ist auf jeden Fall ein Fakt und deswegen auch eher der Redaktion bzw. der Bildredaktion als dem Fotografen und Texter anzulasten. Aber ich denke, dass der Fall auch eine tiefere Bedeutungsebene hat. Denn ich glaube, dass diese Form der Visualisierung die Glaubwürdigkeit journalistischer Bilder an sich untergräbt. Denn wenn ich in diesem Fall alte Bilder mit aktuellem Text kombiniere, ohne dies zu benennen, warum soll der Leser dann in anderen Fällen den Reportagen Glaubwürdigkeit schenken, wo Fotograf un Texter tatsächlich zusammen vor Ort waren? Oder ist dies einfach nicht mehr wichtig? Dabei geht es hier explizit um Reportagen, da die hier zu sehende Praxis, dass Artikel mit Agenturfotos kombiniert werden, im tagesaktuellen Journalismus schon lange den Alltag darstellt. Für mich ist es jedoch ein fragwürdiges und trauriges Beispiel dafür, wie eine tolle Fotoreportage zur Visualisierung verkommt und der Qualitätsjournalismus seine eigene Glaubwürdigkeit untergräbt.

P.S.: In der Online-Ausgabe der SZ ist der Fall ähnlich gelagert. Dort sind, ganz ähnlich gerahmt wie im Print-Artikel, neun Bilder als Galerie zu finden.

Donnerstag, 23. März 2017

Neues Buch "Fotoreporter im Konflikt"


Im März 2017 ist im Bielefelder Transcript-Verlag meine an der Universität Erfurt verfasste Dissertation unter dem Titel "Fotoreporter im Konflikt – Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina" erschienen. Damit findet das Rechercheprojekt über die Akteure und Strukturen des internationalen Fotojournalismus in der Region, das auch für die Gründung dieses Projekt Pate stand, einen ersten Abschluss.


Hier noch der Ankündigungstext des Verlags bzw. der Klappentext zum Buch:

"Das Handeln von Fotojournalisten in Konflikten stellt einen bisher wenig beachteten Teilbereich des Auslands- und Konfliktjournalismus dar. Felix Koltermann wirft erstmals in Form einer vergleichenden Kommunikatorstudie einen differenzierten Blick auf journalistisches Handeln internationaler, israelischer und palästinensischer Fotoreporter in Israel/Palästina. Ausgehend von 40 qualitativen Interviews arbeitet er Unterschiede in den Routinen und Praktiken der Nachrichten- und Dokumentarfotografie heraus und rekonstruiert den Einfluss des israelischen Besatzungsregimes auf die Akteure und Strukturen des internationalen Fotojournalismus in der Region".

Erscheinungstermin 03/2017, 458 Seiten, ISBN 978-3-8376-3694-9, 49,99 Euro
http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3694-9/fotoreporter-im-konflikt
Unter diesem Link gibt es eine Leseprobe zum runterladen, die das Inhaltsverzeichnis und die Einleitung des Buches umfasst.

Donnerstag, 9. März 2017

Vorträge im Frühjahr 2017


Hier die Ankündigung und Einladung zu zwei Vorträgen und einer Lesung von mir im Frühjahr 2017, bei denen es vor allem Fotografie in Israel/Palästina geht.
 
Bei einem Vortrag im Jahr 2015 in der Galerie Zephyr in Mannheim © Lina Kaluza, rem

Spuren im Raum – Landschaftsfotografie aus Israel

Donnerstag, 16. März, 19 Uhr
Galerie BOHAI, Schwarzer Bär 6, 30449 Hannover

Landschaften sind von Menschen gemachte Orte, in die sich soziale und politische Realitäten einschreiben. Nirgendwo wird dies klarer deutlich als in Israel. Die Geschichte des zionistischen Staates sowie des Konflikts mit den Palästinensern hat sich dort tief in die Kulturlandschaft eingegraben. Im Vortrag wird der Medienwissenschaftler Felix Koltermann ein Panorama fotografischer Ansätze von Künstlern aus Israel entfalten, die sich auf unterschiedliche Art und Weise mit diesem Phänomen beschäftigen.

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Vorstellung von Heft 1/2017 der Zeitschrift israel & palästina 
über Fotografie in Israel/Palästina

Im Rahmen von Leipzig liest, 24. März 2017, 19 Uhr
Tapetenwerk | Studio B03 (Haus B, EG), Lützner Str. 91, 04177, Leipzig

Die Fotografie leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, wie Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete weltweit wahrgenommen werden und welcher Eindruck des seit über 6 Jahrzehnten schwelenden Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern entsteht. Dabei ist die Geschichte der Fotografie in der Region aufs Engste mit dem Konflikt verzahnt. So förderten internationale Fotografen, die die Fotografie in die Region brachten, ein orientalistisch verklärtes Bild der Region, während die zionistische Bewegung auf die Kraft propagandistischer Bilder zur Verklärung ihres Kolonialisierungsprojekts vertraute. Heute ist die Region nicht nur ein Hotspot des internationalen Fotojournalismus, sondern verfügt über eine sehr spannende – und zu weiten Teilen sehr politisierte – Fotoszene.

Ziel des Scherpunktheftes ist es, diesem Themenkomplex nachzugehen. Dabei geht es zum einen darum, die Bedeutung des Nachrichtenzentrums Nahostkonflikts für den internationalen Fotojournalismus aufzuzeigen. Zum anderen soll ein Einblick in die lokale israelische und palästinensische Fotoszene und deren Geschichte und gegenseitige Verschränkungen gegeben werden. Dies geschieht mit Texten verschiedener lokaler und internationaler Autoren sowie über Interviews mit lokalen Akteuren der Fotoszene.
Ort

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Fotoreporter im Konflikt - Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina

Offene Fachhochschule – FH Dortmund
18:30 Uhr, Großer Hörsaal, FB Design, Max-Ophüls-Platz

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist einer der am längsten schwelenden Konflikte weltweit. Als solcher ist er nicht nur ein wichtiger Gegenstand internationaler Berichterstattung, sondern auch ein Hotspot für den Fotojournalismus. Lokale wie internationale Fotoreporter arbeiten zu Dutzenden in der Region und versorgen den Bildermarkt Nahostkonflikt.

In seinem im Transcript Verlag erschienen Buch "Fotoreporter im Konflikt" untersucht Felix Koltermann das fotojournalistische Handeln internationaler, israelischer und palästinensischer Fotoreporter am Produktionsstandort Israel/Palästina. Er arbeitet die Unterschiede in den Routinen und Praktiken der Nachrichten- und Dokumentarfotografie heraus und rekonstruiert den Einfluss des israelischen Besatzungsregimes auf die Akteure und Strukturen des internationalen Fotojournalismus in der Region.


Freitag, 24. Februar 2017

Den Ball flach halten

Es ist schon fast ein erwartbarer Mechanismus, wie er wohl zu allen großen Preisverleihungen unserer Zeit gehört. So auch zur Wahl zum Pressefoto des Jahres. Kaum verkündete Mitte des Monats die Amsterdamer World Press Foundation ihre Entscheidung, schossen die Kritiken ins Land. Dieses Mal, so die Kritiker, habe man dem menschenverachtenden Terror ein Forum geboten und sich in einem komplexen politischen Konflikt auf die Seite einer Partei gestellt.

Grundsätzlich ist dabei nicht zu bestreiten, dass das diesjährige Gewinnerbild des türkischen AP Fotografen Burhan Ozbilici gleich in mehrfacher Hinsicht verstört. Zuerst einmal zeigt es einen Täter. Und nicht nur das, es ist ein Täter in Siegerpose, der, so lassen uns viele Berichte über die Hintergründe des Bildes wissen, auch noch "Gott ist groß" rief, als er den Mord am russischen Botschafter Andrej Karlow beging. Dies verstört, sind wir doch eher gewohnt, Opfer in hilflosen Posen zu sehen, als Täter in Siegesgewissheit. Des Weiteren zeigt das Foto eine Leiche. Auch dies ist eher eine Ausnahme in der aktuellen Berichterstattung und eher ein Bruch ethischer Richtlinien. Immerhin sind weder die Gesichtszüge des Toten zu sehen noch Verletzungen oder Blut.

Burhan Ozbilicis Bild ist im besten Sinne eine fotojournalistische Momentaufnahme. Der Fotograf war, so grausam es klingt, zu richtigen Zeit am richtigen Ort um festzuhalten, wie Mevlüt Mert Altintas den russischen Botschafter bei einer Ausstellungseröffnung in Ankara erschoss. Das war Glück. Ozbilici tat, wofür er ausgebildet worden war. Glück war es auch, dass er durch das Fotografieren nicht selbst zur Zielscheibe des Mörders wurde. Das Bild bekommt seine Bedeutung auch dadurch, dass gerade diese Art von Bildern immer weniger von professionellen Fotografen und immer öfter von Amateuren aufgenommen werden. Insofern ist die Preisverleihung auch eine Huldigung an die professionelle Augenzeugenschaft. Und die muss nicht immer nur positive Nachrichten zu Tage bringen.

Nicht vergessen sollte man jedoch, dass weder die World Press Photo Foundation noch die Medien, in denen die Gewinnerbilder publiziert werden, altruistisch handeln. Sie sind Teil einer Ökonomie der Aufmerksamkeit in der alle Seiten von der Kontroverse profitieren. Die World Press Photo Foundation ist dabei die Speerspitze einer "standard setting industry" von Festivals und Wettbewerben im Bereich des Fotojournalismus. Wie weit deren Vermarktungslogik gehen kann, zeigt eine Initiative von World Press Photo aus dem vergangenen Jahr, auch Prints der Gewinnerbilder zu verkaufen. Ob dies auch mit dem Foto von Ozbilic geschehen wird? Und für die Medien sind die Gratisbilder der Preisgewinner ein willkommener Anlass, um Online Bildergalerien zu generieren und mit wenig Aufwand und Geld hohe Klickzahlen und damit Werbeeinahmen generieren zu können. Angesichts dieser Entwicklungen und den gemeinsamen Interessen der verschiedenen Akteure kommt die Kritik am Gewinnerbild etwas schal daher. 

Zuerst erschienen am 16. Februar 2017 bei M - Menschen machen Medien.

Mittwoch, 15. Februar 2017

Auf den Spuren des deutschen Kolonialismus


Zumindest für Berliner, die mit offenen Augen durch die Stadt gehen und fahren, ist die deutsche Kolonialgeschichte gar nicht so weit weg, wie sie vermeintlich scheint. Ob es die Mohrenstrasse in Mitte ist oder das Afrikanische Viertel im Wedding mit Namen wie der Lüderitzstrasse: Hier ist Kolonialgeschichte und -gegenwart präsent. Neben der großen historischen Ausstellung "Deutscher Kolonialismus – Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart" zeigt das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin noch bis Ende Februar eine beeindruckende Fotoausstellung zum Thema von Andréas Lang.

Andréas Lang, Residentur Kamerun, 2012 © Andréas Lang

Auf den Spuren seines Urgroßvaters, der zwischen 1909 und 1911 bei den sogenannten Schutztruppen der deutschen Kolonie Kamerun diente, bereiste Andréas Lang zwischen 2011 und 2015 mehrmals die Länder Tschad, Kamerun, die Zentralafrikanische Republik sowie das Grenzgebiet des Kongo. Die dabei entstandenen Fotografien und Videoinstallationen setzen sich intensiv mit den Hinterlassenschaften der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika auseinander. Die Ausstellung "Kamerun und Kongo – Eine Spurensuche und Phantomgeographie" ist dabei die bisher größte Einzelausstellung von Andréas Lang. Zur Motivation, diese Arbeit zu machen, sagte Andreas in einem Interview für das Neue Deutschland:

"Ausgangspunkt war der Fund eines Tagebuchs und eines Fotoalbums meines Urgroßvaters auf dem Dachboden meiner Mutter. Dieses Material hat mich sehr beeindruckt. (...) Es war klar, dass es hier um deutsche Geschichte und ganz konkret die Kolonialgeschichte geht. Und plötzlich tat sich bei mir ein Panorama an Imaginärem auf, das aber in Bezug zu etwas ganz Konkreten, Historischen stand. Und gleichzeitig hatte ich ein fast unerforschtes Kapitel deutscher Kolonialgeschichte vor mir. Dieses Kapitel der Landnahme und Grenzziehung in Französisch-Kongo ist etwas, von dem kaum einer etwas weiß".

Die Besonderheit der Ausstellung ist, dass Andréas Lang nicht nur mit seinen eigenen Bildern aus der Region arbeitet, sondern auch historische Bildkonvolute miteinbezieht. Wie er damit umgeht, dazu bezog er ebenfalls im Interview Stellung:

"Mir war wichtig, die ungeschminkte Realität und das Ungeschönte des Kolonialismus sichtbar zu machen, die sich in diesen Bildern findet. Deswegen werden die Bilder in der Ausstellung groß an die Wand projiziert. Es war ein Glücksfall, dass ich die Privatalben des Offiziers Jesco von Puttkamer und des bayrischen Eisenbahningenieurs Sedlmayr, der die Idea-Mittellandbahn gebaut hat, überhaupt entdeckt habe. Das war auch deswegen wichtig, um durch eine Aufarbeitung der historischen Dimension über meine eigene Familiengeschichte hinauszugehen".

An Andréas Lang (Familien)Geschichte ist nicht nur der Urgroßvater und dessen Kolonialvergangenheit interessant. Nicht minder spannend ist Langs eigene Sozialisation im kleinbürgerlichen rheinlandpfälzischen Zweibrücken. Den Ausbruch von dort hin zur beachteten künstlerisch Fotografie schaffte er unter anderem mit Hilfe der Punkband "Nasse Hunde", in der er zwischen 1983 und 1985 spielte.

Das komplette Interview ist für Abonnenten des Neuen Deutschland zu lesen. Die Ausstellung von Andréas Lang läuft noch bis zum 26. Februar 2016 im DHM und ist täglich zwischen 10 und 18 Uhr geöffnet (Eintritt 8 Euro, Ermäßigt 4 Euro; Unter den Linden 2, 10117 Berlin).